Mord in Frankfurt

 
  • Deutscher Titel: Mord in Frankfurt
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  • Regie: Rolf Hädrich
  • Land: BR Deutschland
  • Jahr: 1967
  • Darsteller:

    Vaclav Vaska (Dr. Andrej Markovski), Monika Lundi (Franziska Körner), Karl-Heinz von Hassel (Ehlers), Dirk Dautzenberg (Guttke), Joachim Ansorge (Hans Steffen), Christiane Schröder (Helga)


Vorwort

Zwei Tage in Frankfurt am Main 1967… der polnische Arzt und Auschwitz-Überlebende Markovski trifft in der Bembelmetropole ein, um als Zeuge der Anklage bei einem Prozess gegen die selektierenden KZ-Ärzte auszusagen. Gleichzeitig landet Stewardess Franziska – der Taxifahrer, der sie in ihre Pension kutschiert, wird unmittelbar im Anschluss von einem kriminellen Fahrgast, der danach einen reichlich dilettantischen Banküberfall verübt und das Taxi als Fluchtauto braucht, ermordet. Das bringt die gesammelte Taxifahrerschaft auf die Palme, da’s nicht der erste Mietdroschkenchauffeur war, der gewaltsam ins Gras biß. Der Polizei traut man nichts zu, und sollte zufällig doch jemand den Mörder schnappen, so wäre die Taxibrigade, die in wilden Streik tritt und in Autokorsos mit transparent-verzierten Wagen durch die Innenstadt nagelt, die gute alte Kopf-ab-Methode durchaus recht.

Streikbrecher Ehlers, der die Kohle dringend braucht und deswegen auch Markovski fährt, wird auf handgreifliche Weise klar gemacht, dass seine Kollegen sein Verhalten nicht wirklich schätzen. Dieweil wird Franziska von der Polizei als Zeugin verhört und durch die Sensationspresse zur lokalen Berühmtheit – nicht unbedingt zur Begeisterung ihres Freunds Hans, seines Zeichens Theaterschauspieler, der gerade ein Stück probt, das auf Kriegsverbrecherprozessprotokollen basiert und dem Publikum, dem’s ersichtlich mehr nach blankem Eskapismus steht, den Spiegel vorhalten soll. Markovski schließlich stellt fest, dass Nachkriegs-Deutschland nicht so ist, wie er sich’s vorgestellt hat, was ihn nicht daran hindern soll, für die Bestrafung der Schuldigen zu sorgen – doch auf die jurististischen Spitzfindigkeiten, deren Spielball er im Gerichtssaal wird, ist er nicht vorbereitet.


Inhalt

Was sich unter dem generischen Titel „Mord in Frankfurt“ verbirgt und von meinen Freunden von Pidax (darf ich „meine Freunde“ sagen, ohne als voreingenommen zu gelten? Wahrscheinlich nicht) in DVD-Form unter’s Volk gebracht wird, ist, das hat die obige Inhaltszusammenfassung sicherlich schon verdeutlicht, nicht der gewöhnliche 08/15-60er-Jahre-Fernsehkrimi von der Jürgen-Roland-Stange, sondern (jetzt versteige ich mich zu obskuren Behauptungen) eine Art Altman-esque philosophisch-dokumentarische Studie zum Thema Vergangenheitsbewältigung/Lernfähigkeit der (west-) deutschen Gesellschaft gut zwanzig Jahre nach Ende der Nazi-Herrschaft.

Altman-esque nenne ich den Fernsehfilm deshalb, weil – wie in den meisten Altman-Werken – kein wirklich durchgängiger Plot existiert, sondern mehrere Handlungsstränge parallel laufen und sich gelegentlich überkreuzen (so fährt Taxifahrer Ehlers mal den polnischen Arzt und unterhält sich mit ihm, Markovski kuckt sich ein Theaterstück an, in dem Franziskas Freund Hans die Hauptrolle spielt etc.) und sich so gegenseitig beeinflussen.
Wenn es so etwas wie einen „Hauptplot“ gibt, ist das die Geschichte Markovskis, der quasi erstmals Deutsche „in Zivil“ sieht und erlebt, in ihren positiven und negativen Ausfärbungen. Einerseits kann er der westlich-amerikanisierten oberflächlichen „Kultur“ nicht viel abgewinnen (die Sexkomödie, die er im Theater besucht, verlässt er vorzeitig), andererseits erkennt er bei einem von der jungen Helga, einer Betreuerin der Organisation, die für seine Anreise und seinen Aufenthalt gesorgt hat, geführten Ausflug in die Klappergass zu Handkäs und Äppelwoi, dass nicht notwendigerweise alle Deutschen Nazi-Monster sind, doch ebenso muss er feststellen, dass die Vergangenheit wie ein dunkler Schatten über der Gesellschaft zu liegen scheint – der Taxifahrer (nicht „unser“ Ehlers, sondern einer seiner Kollegen), der leichthin und fröhlich erzählt, dass er ja auch schon in Polen gewesen sei (und in welcher Funktion können wir uns an unseren elf Fingern abzählen), die Anfälligkeit für eine Mob-Mentalität (fokussiert in der Aggressivität der Taxifahrer, die Streikbrecher Ehlers, der es gewagt hat, Markovski zu fahren, verprügeln – und nur mit Mühe können die etwas weniger aufgebachten Taxler einen der ihren daran hinden, Ehlers an Ort und Stelle zu erschlagen), und natürlich die Demütigung, die Markovski im Gerichtssaal erlebt, wo Täter sich zu Opfern – oder wenigstens Widerstandskämpfern und Helden – stilisieren wollen.

Umgerechnet in „Metaebenen“ bedeutet das, dass die drei Handlungsstränge sich mit dem „Phänomen Mord“ auf äußerst unterschiedliche Weise befassen – während der Markovsi-Plot die juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung der Nazi-Morde thematisiert (und das auf erfreulich un-aufgeregte und un-moralisierende Art – trotz des Fiaskos, das Markovski bei seiner Aussage erlebt und das ihn regelrecht aus Deutschland fliehen lässt, deutet der Film vorsichtig-optimistisch an, dass die „nachwachsenden“ jungen deutschen Generationen einerseits zur einzig richtigen moralischen Bewertung kommen werden [ich will jetzt nicht darüber diskutieren, ob das tatsächlich so gekommen ist], andererseits aber auch das Verhältnis mit den ehemaligen Feinden wieder normalisiert werden kann) und der Ehlers-Plot schmerzhaft deutlich macht, wie sehr die von den Nazis angewandten Mechanismen weiterhin funktionieren, ist die interessanteste Ebene die abstrakteste – der Franziska/Hans-Plot stellt nämlich die kulturelle Verarbeitung des Nazi-Terrors in den Fokus, womit der Streifen praktisch versucht, seine eigene Existenz „on-screen“ zu rechtfertigen. Wenngleich das fiktive Theaterstück mich unerfreulich an Herrman van Hartens Kollektivschuldepos „Ich bin es nicht, Adolf Hitler ist es gewesen“, durch das Generationen von Klassenfahrern geschleust worden sein müssen, erinnerte (ich möchte zu dem Stück nur noch sagen, dass es nicht *für* das Stück spricht, wenn man eine Rolle aufgrund krankheitsbedingten Darstellerausfalls ersatzlos streichen kann, wie’s der Vorstellung, die ich besuchen durfte, erging), so ist der Punkt natürlich valide – es ist selbstverständlich auch und gerade die Aufgabe der Kulturschaffenden, den Finger schmerzhaft in die Wunde zu legen, besonders dann, wenn der Patient sich krampfhaft einredet, keine Wunde mehr zu haben.
Insoweit ist dieser erzählerische Ansatz heute noch aktuell, wenngleich auf etwas andere Art als 1967 – damals (TM) war das angesprochene Publikum zu einem beträchtlichen Anteil eben noch genau die Generation, die sich hauptsächlich irgendwo zwischen „Mitläufer“ und „Täter“ einzuordnen hatte, demzufolge nicht wirklich scharf drauf war, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen und daher wenigstens auf der kulturellen Ebene damit konfrontiert werden musste – nicht von ungefähr kommen Autor und Regisseur des fiktiven Theaterstücks auf den naheliegenden Gedanken, dem Publikum im Wortsinne den Spiegel vorzuhalten und als Bühnenhintergrund einen riesigen Spiegel, in dem sich das Auditorium betrachten kann, aufzubauen. Anno 2012 hat sich diese direkte Vergangenheitsbewältigung natürlich größtenteils auf biologischem Wege erledigt, nichtsdestotrotz ist die Erinnerung zur Vermeidung der Wiederholung katastrophaler Irrwege enorm wichtig und kann nicht nur in Form von Guido-Knopp-Dokus erfolgen (hoffentlich aber auch nicht in Form des Nachplapperns von Prozessakten auf einer Theaterbühne. Ein gewisser *kreativer* Umgang mit dem Thema wäre mir dann schon sehr recht, danke). Pikant an dieser Sequenz (der einzigen, die man – notgedrungenermaßen – als etwas „preachy“ klassifizieren kann) ist, dass Hans, der Schauspieler, der am vehementesten die These vertritt, dass man hier wichtige soziokulturelle Arbeit leistet, bei anderer Gelegenheit verkündet, dass man beim Fernsehen eh keine vernünftigen Rollen kriegt, andererseits seine Kohle primär mit einer ausgesprochen primitiven (dafür aber um so zugkräftigeren) Burleske verdient…

Sei’s drum – kommen wir wieder zum Film an sich, der sich zwar als „Krimi“ tarnt und durchaus auch heute von Pidax so vermarktet wird, aber letztendlich nichts weniger möchte, als dem Publikum ein vergnügliches Mördersuchspiel zu präsentieren. Der „echte“, aktuelle Mord ist ein reines plot device, mehr oder minder eine Metapher, und obschon wir als Zuschauer durchaus sehen, wer der Mörder ist, erfahren wir nichts über ihn (was ja durchaus zu der „nichts-sehen-nichts-sagen-nichts-tun“-Mentalität vieler Deutscher in der Zeit von ’33 bis ’45 passt), er bleibt unbehelligt, die Tat ungesühnt.
Das heißt nicht, dass „Mord in Frankfurt“ nicht auch jenseits des Vergangenheitsbewältigungs-Drama seine Reize hat – der Film funktioniert wunderbar als Zeitkapsel in ein praktisch nicht mehr existentes Frankfurt *vor* seiner Selbst-Neuerfindung als High-Tech-Wolkenkratzer-Bankenmetropole – eine biedere Mittelklassestadt, die sich vorsichtig in die Glitzerwelt der Moderne tastet, zwischen althergebrachter Tradition, Siff und neumodischem Kapitalismus balanciert, eingefangen in authentischen, fast schon dokumentarisch wirkenden s/w-Bildern des zukünftigen A-Listen und Verhoeven-Stammkameramanns Jost Vacano („Das Boot“, „RoboCop“, „Total Recall“, „Starship Troopers“); besonders die Handkamera-Passagen wissen zu überzeugen. Großes Spannungskino, äh, -fernsehen beabsichtigte Regisseur Rolf Hädrich, ein Spezialist für TV-Literaturverfilmungen (u.a. inszenierte er Fernsehversionen von Bölls „Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“, Becketts „Warten auf Godot“, Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ und Steinbecks „Von Mäusen und Menschen“) sicherlich nicht; dennoch entwickelt das Finale mit Markovskis großem Auftritt vor Gericht einen ordentlichen Zug. Den sparsamen, wenn er denn aber kommt jazzig-beschwingten Score besorgt „Raumpatrouille“-Komponist Peter Thomas.

Der Cast lässt sich nicht lumpen – der tschechische TV-Schauspieler Vaclav Voska, der in den 60ern ab und an in den Westen „ausgeliehen“ wurde, meist wie hier in zeitgeschichtlich angehauchten Produktionen, agiert als Markovski, der zwischen den schmerzlichen Erinnerungen, den verständlichen Vergeltungswünschen, aber auch dem Verlangen nach einer Normalisierung hin- und hergerissen wird, vortrefflich.
Monika Lundi, die hier ihr Filmdebüt feiert (und von Mitte der 70er bis zur Jahrtausendwende vielgesehenes TV-Gesicht war), ist mir ein wenig zu blah, aber „ihr“ Plot bietet ihr auch nicht wahnsinnig viele Möglichkeiten.
Karl-Heinz von Hassel, auch er in den 70ern gut im Fernsehen gebucht, hier im Nuklear-Schocker Im Zeichen des Kreuzes vorstellig geworden und von Rainer Werner Fassbinder in dessen Spätphase gern eingesetzter character player, macht als gebeutelter Taxifahrer Ehlers eine gute Figur; Dirk Dautzenberg (u.a. der Titelcharakter in der kurzlebigen „Butler Parker“-Serie nach den humorigen Krimiromanheften) verbreitet als sein Taxi-Chef hessisch‘ Gebabbel.
In tragenden Nebenrollen verbergen sich tragische Schicksale – sowohl Joachim Ansorge (Hans, der sendungsbewusste Theaterschauspieler) als auch Christiane Schröder (Markovskis jugendlich-naive Betreuerin) verübten 1980 (selbstredend unabhängig voneinander) Selbstmord; Schröder stürzte sich von der Golden Gate Bridge – ihre Asche wurde erst nach mehreren Jahren (!) abgeholt.

Bildqualität: Pidax bringt den Film in solidem 4:3-s/w-Bild. Nicht gestochen scharf, aber gut durchschnittlich, verschmutzungsarm und mit gutem Kontrast.

Tonqualität: Deutscher Ton in Dolby 2.0 Mono. Wird niemand mit einem aktuellen Surroundfeuerwerk verwechseln können, ist aber zweckmäßig.

Extras: –

Fazit: Wieder mal ein interessantes Stück Film, das Pidax da aus den Archiven des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens ausgegraben hat. Gegen „Mord in Frankfurt“ spricht eigentlich nur seine „Tarnung“ als Krimi – nichts läge dem Streifen, der gewiss keine leichte Abendunterhaltung sein will, ferner, hier geht’s um ernsthafte Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Entwicklungen (oder Nicht-Entwicklungen, wenn man will), die (leider) durchaus auch anno 2012 noch ihre Relevanz hat. Gut gemacht, gut geschrieben, gut gespielt – wer ein Faible für schwerere Kost hat (oder einfach nur einen Blick ins 60er-Jahre-Frankfurt werfen will), darf reinkucken.

3/5
(c) 2012 Dr. Acula


mm
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