Mondleben

 
  • Deutscher Titel: Mondleben
  • Original-Titel: Mondleben
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  • Regie: Fabio Magnifico (Leitung)
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2004
  • Darsteller:

    Achim (Lars Senne)
    „Mausi“, Achims Freundin (Inga Kappel)
    Paul (Lothar Däuwel)
    Laura, Kellnerin (Kirsten Bohle)
    Anne (Anne Wernicke)
    Ulli (Ulrike Kräser)
    Yuppie (Jeldrik Pannier)
    Yuppie (Stefanie Frie)
    Heavy (Mich-El Göhre)
    Heavy (Jochen Röndigs)


Vorwort

Der ein oder andere treue Leser mag sich noch daran erinnern, dass ich vor einiger Zeit die deutsche Amateurproduktion Teutokill 2, eine No-Budget-Slasher-Parodie aus der Bielefelder Gegend (ich könnte jetzt den obligatorischen Verschwörungstheoretikerjoke zu bringen, ohne den Ihr mich ja doch wieder nicht von der Angel lasst, und die Existenz Bielefelds enthusiastisch bestreiten, aber ich tu´s nicht. Will ja nicht berechenbar werden) einigermaßen wohlwollend besprochen habe (was wiederum einige Gäste beim legendären Forumstreffen vermutlich immer noch zu wüsten Spekulationen über meinen Geisteszustand veranlaßt). Jedenfalls schloß ich mein damaliges Review mit der Erkenntnis, mich weiteren filmischen Werken der Macher nicht grundsätzlich zu verschließen. Da hat man mich wohl ernst genommen 🙂

Jedenfalls fand ich gestern unvermutet in meinem Briefkasten neben den üblichen bunten Umschlägen mit „LETZTE MAHNUNG“ und ähnlich irrelevanten und zum Scheitern verurteilten Versuchen meiner zahlreichen Gläubiger, mir nicht vorhandenes Geld aus´m Kreuz zu leiern, einen neutralen braunen Umschlag mit verdächtig DVD-Amaray-förmigen Inhalt. Weil ich neugierig bin, fetzte ich den Umschlag noch an Ort und Stelle auf und fand Mondleben nebst Begleitschreiben von Thorsten. Ob ich denn vielleicht mal ´n Blick auf das neue Werk riskieren möchte? Der Doc, grundsätzlich unkritisch, wenn er einen kostenlosen Bilddatenträger in die Hände bekommt, möchte natürlich.

Wir haben es wieder mit einer praktisch budgetfreien Independent-Produktion zu tun (200 Euro und ausgeliehenes Equipment), aber, da ich Teutokill 2 ja kenne, gehe ich mal stark davon aus, dass ich nicht wieder mit einem von der Genfer Konvention zu verbietenden Anschlag auf Leib, Leben und Zerebralfunktionen wie The Dark Area (den ich undemokratisch zu meinem neuesten „Lieblings“-Amateurfilm gekürt habe). Es ist ja noch nicht mal ein Horrorfilm. Schon allein das weckt des Docs Interesse – in Zeiten, in denen ambitionierte Amateurfilmemacher nach wie vor mehrheitlich (zumindest, soweit es „öffentliches Interesse“ in Form von zahlendem Publikum bedeutet) der Ansicht nachzuhängen scheinen, man könnte ausschließlich mit Splatterhorror und ähnlichem Kram Aufmerksamkeit erhaschen, ist das eine angenehme Überraschung. Jetzt muss der Film das Versprechen ja „nur noch“ einlösen …


Inhalt

Wir beginnen mit einem zeitgerafferten Bielefeld-Panorama (eat this, Verschwörungsfreunde! Bielefeld hat sogar ´ne Skyline!), es wird Nacht und ein Typ, der irgendwie aussieht wie eine Mischung aus Woody Allen und Wigald Boning schlendert durch die reichlich unbelebten Einkaufsstraßen und stiert nachdenklich ins Schaufenster eines Golf-Ausrüsters (der Sport ist gemeint, nicht diese in seinen sämtlichen Generationen häßliche Ausrede von Auto). Eine Ecke weiter wird er beinahe von einem Handy-Telefonierer (und wie wir alle wissen, führt Handy-Telefonie zu sofortiger Ausblendung der restlichen Welt) über den Haufen gerannt. Wir folgen erst mal dem Telefonisten (das ist ja schon Altman-esque). Der heißt Achim (ich mag mich irren, aber ich glaube nicht, dass der Name im Film jemals erwähnt wird), wird gespielt von Lars Senne, der mich schon in Teutokill 2 als kraftwortverwendungsfreudiger Bulle bestens unterhalten hat, und hat ein echtes Problem, und noch dazu eins, mit dem ich mich aus tiefster Seele identifizieren kann. Er braucht Kohle, und zwar ´ne relative Menge (300 Euro – würden mir auch weiterhelfen…), und zwar gleich, d.h. am besten sofort, auf der Stelle und in cash.

Er ist nämlich ein Opfer der Bundesregierung, nö, nicht beim Ausfüllen des Hartz-IV-Antrags gescheitert, viel schlimmer. Für seinen Chef hat er ein paar Wochenende schwarz gearbeitet und jetzt ärgert er sich in die gleiche Farbe, weil der Sozialabgabensparer sich mit der Aushändigung des verabredeten Entgelts auffällig zurückhält. Tja, der hat der Scheff sich wohl die Kanzlerschelte zu Herzen genommen. Ist halt jetzt blöd für unseren Achim, denn der, so verklickert er zumindest seinen Kumpels, die er nacheinander mit stets dem gleichen, nämlich gar keinem, Erfolg anbimmelt (und nachdem sich das Handy-Netz verabschiedet, muss er sogar noch eine Telefonzelle frequentieren), hat mit der Kohle kalkuliert und sitzt nun auf Rechnungen (wieso kommt mir das alles so verteufelt bekannt vor? Kennen mich die Filmemacher?).

Achim kommt telefonisch also nicht weiter und rennt daher als Hans-guck-in-die-Luft bzw. Tunnelblickinhaber beinahe ein Punk-/Goth-/Alternative-Lifestyle-der-Woche-Girl über den Haufen (tja, Augen auf im Straßenverkehr, auch wenn man per pedes unterwegs ist). Uns interessiert nun das Girl (das ist wirklich Altman, I´m impressed). Die heißt Anne und trifft sich mit ihrer besten Freundin Ulli, um „die Jungs“ aufzugabeln. Nein, es geht nicht ums Aufreißen, sondern um ihre werten Bandkollegen, denn Anne und Ulli sind Musikerinnen auf dem Weg zum letzten gemeinsamen Auftritt, denn Anne beabsichtigt, zeitnah Bielefeld zu verlassen (was man ihr jetzt nicht so wirklich übel nehmen kann, auch wenn die Arminia momentan besser spielt als es eigentlich erlaubt ist). Anne schwelgt in der gemeinsamen Vergangenheit, Ulli gibt sich auffällig zugeknöpft.

An der Straßenbahnhaltestelle gesellt sich unser Wigald Allen Woody Boning zu Ulli und Anne, aber nur zwecks Überblendung (das könnte ungeschickt gemacht ziemlich peinlich wirken, dass sich die diversen Protagonisten ständig über den Weg laufen als wär´s ein Klassentreffen bei Robert Altman, aber es funktioniert ziemlich gut). Wigald Woody heißt in Wirklichkeit Paule und flanscht sich mit deprimiertem Gesichtsausdruck an die Theke seiner Stammkneipe. Seltsame Klientel übrigens dort, denn drei Stammgäste bestellen ihr Getränk nach dem Zufallsprinzip und landen so bei der obskuren Kombination „Cola mit Ouzo“ (und unsereins musste schon Kneipenwirten erklären, wie sich ein „Colaweizen“ zusammensetzt…). Paule sülzt Kellnerin und Thekenkraft (muss ein stressiger Job sein, ganz alleine) Laura die Ohren voll, was für einen harten Tag er doch wieder gehabt hat mit dem neuen Computersystem und dass er gerade 5000 Euro in der Rubbellotterie gewonnen hat, ist dem Berufspessimisten auch nicht recht, weil er nicht weiß, was er mit dem plötzlichen Reichtum anstellen soll (im Zweifelsfall kann er´s immer noch gern einem guten Zweck spenden, z.B. dem bekannten Spendenkonto „Zaster für den Doc“).

Ulli und Anne sind mittlerweile im Konzertschuppen aufgelaufen (etwas unpassenderweise zur später live gespielten Musik quält der dortige DJ die Kundschaft mit Techno) und beäugen kritisch zwei Typen (die oben kreditieren „Heavies“), „Musikphilosophen“, wie Ulli abschätzig veranschlagt, während Anne durchaus gewillt wäre, die musikalischen (und vermutlich auch sonstigen) Fähigkeiten der Knaben einer näheren persönlichen Untersuchung zu unterziehen. Das findet Ulli reichlich schäbig – wir entdecken zarte Andeutungen einer gewissen Feindseligkeit seitens Ulli, die es nämlich gar nicht gut findet, dass wegen Annes plötzlicher Unlust auf Bielefeld die Band aufgelöst werden muss.

Achim steht dieweil am Klingelschild eines Wohnblocks und versucht einen weiteren seiner Freunde (wenn er so weiter macht, hat er bald nicht mehr viele) aus dem Schlaf zu klingeln. Doch da bimmelt sein Handy – seine Freundin „Mausi“ ist dran (sie nennt ihn übrigens zärtlich „Nasenbär“, was ich in meinem jugendlichen Leichtsinn bislang eher als Beleidigung denn als Kosenamen gebraucht habe. You live and learn). Mausi ist erstens sichtlich mächtig verliebt in ihren Achim und zweitens schwer beschäftigt mit Kofferpacken, denn (jetzt kommen wir der Sache langsam näher), man will demnächst, sprich morgen, ganz romantisch verurlauben (und das erste Mal seit 2000. Soll´n sich mal nicht so haben, die zwei, bei mir ist seit ´99 kein Urlaub mehr gesichtet worden). Und die Vermieterin der Ferienwohnung hat eine Mausi rätselhafte Nachricht auf dem Anrufknecht hinterlassen. Bezahlt hat Achim doch aber schon, oder? ODER?? Aaaaaber sicher, sagt Nasenbär, da geht´s sicher nur darum, dass der Fernseher in der FeWo putt ist, und wen stört das schon? Nun gut, wir können´s uns jetzt zusammenreimen – der Urlaub ist mitnichten bezahlt, schlicht weil Bär Nase das nötige Kapital fehlt. Peinliche Situation, vor allem, wenn man seinem Schnuckel keinen reinen Wein einschenken will. Also versucht Achim lieber, seinen Kumpel Jörg durch Anbrüllen, Steine an die Fensterscheibe werfen und ähnlich lautstarke Bemühungen aus den Federn zu bekommen. Das ruft leider nur einen in seiner Ruhe gestörten Nachbarn auf den Plan, der androht, bei weiterer akustischer Belästigung die Grünuniformierten zu alarmieren und ansonsten empfiehlt, wenn den finanzieller Notstand ausgebrochen ist, im nächsten Casino zu zocken oder sich als Karoke-Sänger zu versuchen: „Laut genug bist du ja und peinlich ist dir auch nichts!“

In Paules Kneipe läuft dieweil ein skurriles Pärchen auf (das sind die oben angegebenen „Yuppies“), er ein blonder Schnösel, sie ein Frauenzimmer, das eine mittelschwere modische Entgleisung spazierenträgt (die Krawatte kann maximal der Calmund tragen, wenn er seine Big-Boss-Kandidaten zusammenscheißt). Sie mag die Kneipe nicht und seine Feierstimmung wird durch einen Handy-Anruf auch erfolgreich beerdigt – weder VIVA noch MTV mögen nämlich den von ihm fabrizierten Videoclip spielen (waren da am Ende Gitarren drin? Ich mein´, nach der Nightwish-Geschichte…). Gefrustet zieht das seltsame Paar Leine, womit wir wieder dazu verurteilt wären, Paule bei seinen Geldausgabeplänen zuzuhören. Ob er sich ein Wohnmobil kaufen und damit nach Fronkresich und Spanien tuckern soll? Das macht alleine aber keinen Spaß, hintet Laura energisch und würde sich vermutlich gern eine stabile Eichenwand über den Schädel hauen (oder Paule, ersatzweise), als der auf die Idee kommt, eine gewisse Christine fragen zu können (seine Ex, drei Jahre ist´s her). Nö, der Mann rafft´s nicht, dass Laura praktisch gerade ein Bewerbungsschreiben mit Lebenslauf bei ihm abgegeben hat.

Ulli, Anne und ihre beiden geduldeten männlichen Kollegen absolvieren dieweil ihren gefeierten Abschiedsauftritt (quasi als sie selbst bzw. „BlackRedStart“) und spielen einen gar nicht so schlechten deutschsprachigen Alternative-Song (also sowas, womit Juli sich momentan dumm und dusselig verdienen), der etwas besseren Live-Sound verdient hätte (aber im Vorspann wird der Song in seiner Studiofassung gespielt). Anne parkt übrigens hinterm Drumkit, während Ulli die Frontfrau/Gitarristin/Sängerin abgibt. Achim plagt inzwischen der gesamte Weltschmerz – beim ziellosen Durch-die-Gegend-laufen fällt ihm ein Plakat ins Auge: „Karaoke-Show, 250 Euro Preisgeld“. Versuchen kost´ ja nix und immerhin hat Jörgs Nachbar ja ein Vorsingen empfohlen. Achim entert also mutig die Bühne und vergewaltigt einen U2-Song. Wie sich an meiner Wortwahl schon erkennen lässt, besteht nur ein klitzekleines Problem – Achim kann alles mögliche, nur nicht singen. Zufällig latschen gerade die beiden „Musikphilosophen“ am Karaoke-Schuppen vorbei und sind, so rein musiktheoretisch betrachtet, ziemlich begeistert von Achims Einlage – die völlige Verweigerung jeder Harmonie, das ist schon eine Kunst an sich, schon fast magisch (hm, offenbar haben die beiden noch keine Daniel-Küblböck-Single gehört). Den Urheber des qualvollen Gequäkes aber so richtig auszuchecken, darauf haben die Heavies dann doch keinen Bock und trollen sich, während das erstaunlich geduldige Publikum der Karaoke-Bar Achim den Song komplett durchsingen lässt (vielleicht ist das aber auch eine Bestrafung) und sogar mit einer Mischung aus (überwiegenden) Buh-Rufen und (wohl eher dem Mut des Kandidaten geschuldeten) Applaus verabschiedet. Reicher ist Achim allerdings nur an Erfahrung.

Der Anblick eines der von jedem Kneipen- und Restaurantbesucher gefürchteten Rosenverkäufers bringt Achim auf die nächste Schnapsidee: Bargeldgewinnung durch Veräußerung der Habseligkeiten (hab ich mich eigentlich schon mal darüber aufgeregt, wieso „Habseligkeiten“ zum „schönsten Wort der deutschen Sprache“ gewählt wurde?). Ich hege zwar gewisse Zweifel, dass man mit einer (1) originalverpackten Einwegkamera, einem (1) gebrauchten Handy und einer (1) Telefonkarte (vermutlich auch nicht mehr voll aufgeladen) nachts in Bielefeld in der Fußgängerzone dreihundert Öre verdienen kann, aber okay, Versuch macht kluch. Nach kurzer Überlegung steckt Achim seine Telefonkarte wieder ein und zehn Sekunden später wandern auch die restlichen Besitztümer wieder in die Jackentaschen. Hm, da gibt aber einer schnell auf…

Wir begrüßen unseren heutigen Plotpunkt – in dieser Nacht findet eine (offensichtlich vom Sofi-enthusiasmisierten Bielefelder Volk händeringend erwartete) Mondfinsternis statt (gut, es ist jetzt sicher ein zu billiger Gag, wenn ich spekuliere, dass in Bielefeld scheinbar wirklich NICHTS los ist…), was bedeutet, dass sich manch einer erst das astronomische Prinzip eines solchen Ereignisses erklären lassen muss (es ist die Knoff-Hoff Show. Populärwissenschaftliche Ambition!). In seiner Kneipe legt Paule gerade den Gedanken an Urlaub ad acta, aber Laura lässt nicht locker und winkt nicht mal mehr mit dem Zaunpfahl, sondern ungefähr mit der ehemaligen Berliner Mauer in kompletter Länge: Paul soll doch mal ´ne Gruppenreise machen, dann lernt er vielleicht auch wieder ´ne Frau kennen. Die übrigen Kneipengäste halten diese Vorstellung allerdings für eine Verlustigung erster Kajüte. Unser Paul? Und ´ne Frau? Brua-haaa-haa! Laura zürnt, doch Paule gibt seinen Kritikern prinzipiell recht.
Heute in „Astrophysik in der Kneipe“ – komplexe astronomische Phänomene verständlich erklärt

BlackRedStart haben zwischenzeitlich ihre Instrument wieder eingepackt (war wohl ein kurzer Set). Anne schlägt gemeinschaftliches Mofi-Kucken im Park vor, aber die Jungs haben ersichtlich besseres zu tun (was ich ihnen nicht wirklich verübeln kann. Eine Mondfinsternis ist sicher ganz nett, aber keine once-in-a-lifetime-experience. Kann man schon mal verpassen sowas, wenn im Fernsehen was vernünftiges läuft). Anne und Ulli schwingen sich in die nächste Straßenbahn. Konzert war geil, soweit geht man konform. Ulli reklamiert, dass ihr der Rücken weh tut von wegen der schweren Gitarre. Anne erinnert sich daran, dass es Läden gibt, die soviele Sechssaiter haben, dass sie sie verkaufen müssen und empfiehlt diesbezügliche Handlungen, aber Ulli schmollt – die Band ist ja jetzt aufgelöst, also braucht sie keine Gitarre mehr (ich will ganz gewiß nicht kritisieren, aber es dürfte doch in Bielefeld noch einen zweiten Schlagzeuger geben?). Anne hat sowieso ganz andere Sorgen, sie ist nämlich reichlich aufgekratzt aufgrund des anstehenden Umzugs nach Heidelberg, wo sie studieren will und redet sich in ziemliche Begeisterung. Ich fürchte, Psychologie studiert sie nicht, sollte man ihr aber empfehlen, denn dass das so ziemlich genau das Thema sind, das Ulli jetzt sowas von überhaupt nicht anschneiden möchte, fällt sogar mir auf. Tja, ich fürchte, das ist das Ende einer wunderbaren Jugendfreundschaft, Louie.

Achim hat seine Spontanflohmarkt-Idee doch noch nicht aufgegeben, sondern sich (woher auch immer) zwei Bierkästen als Warendisplay bzw. Verkäufersessel organisiert. Das eingeschränkte Warenangebot verleitet die vielfältig vorbeiströmende Kundschaft (darunter auch das Yuppie-Pärchen, wobei Madame Riesenkrawatte die Sache aus etwas unerfindlichen Gründen „eklig“ findet) nicht zum Kauf. Außerdem ist Achim ein Trottel (gut, das haben wir uns schon so gedacht, aber jetzt wird´s wirklich auffälligt). Sein zum Verkauf ausliegendes Handy bimmelt, woraus wir zwanglos schließen, dass Achim seinen Kosenamen Nasenbär zurecht trägt – er hätte den Hobel glatt mit seine SIM-Karte verscherbelt (zum Glück steh ich nicht in seinem Telefonbuch. Meine Nummer haben eh schon wieder zu viele Leute). Mausi ist dran und rapportiert artig den Abschluß der kofferpackenden Aktivitäten und freut sich ein Loch ins Knie, dass die Reise mit 180 Öre für eine Woche ja wirklich ein Schnäppchen sei („obwohl meine Kollegin sagt, bei ebay hätten wir sie noch billiger gekriegt“). Achim spielt begeistert, man will sich später bei der offiziellen Mofi-Party treffen.

Licht am Ende des Tunnels für Achim? Unsere beiden Musik-Heavy-Philosphen (unwissend, dass der vor ihnen sitzende Typ der Bono-Quäler von vorhin ist) halten den Mini-Flohmarkt für eine affenstarke Idee und die Einwegkamera ist genau das, meint zumindest der eine, was man für die Mondfinsternis unbedingt braucht. Bei 20 Euro wird man sich handelsinig (für ´ne Fuji-Einwegknipse? Uff. Aber wie war das mit Angebot und Nachfrage? Ich erinner mich ja noch an die Sofi-Brillen-Hysterie).

Paule ist immer noch damit beschäftigt, sich alle Möglichkeiten, seine fünftausend gewonnenen Steine zu verjuxen, schlechtzureden. Aktien von der Postbank (na, da wär ich sehr zurückhaltend), Plasmafernseher, nix ist recht. Laura hätte dagegen schon recht konkrete Vorstellungen, was sie mit dem Vermögen anstellen würde, nämlich ihre Kneipe zumachen und nach Neuseeland düsen (hm, für immer? Da kommst du mit 5 Riesen aber nich´ weit). Paule outet sich als Geek und stellt sich sofort eine „Herr der Ringe“-Sightseeingtour vor, um dann relativ unvermittelt zu berichten, dass er als Kind immer Astronaut werden wollte. Man, you´ve got some serious issues, I tells ya.

Anne und Ulli wollen dieweil ihre ganz private Abschiedsfete feiern. Dafür trifft es sich günstig, dass Anne die Schlüssel zu einer Club-Kneipe hat, in der sie ein Praktikum absolviert (als was? Thekenschlampe? Tschulligung). Die Stimmung ist aber trotz Punk von der Anlage und Becks aus der Flasche (bääh, Becks… kann man doch nicht trinken, die Plörre) gedämpft. Ulli befürchtet nämlich, dass Anne unter dem schlechten Einfluß der Heidelberger Uni und angesichts eher quantiativ überschaubar geplanter Heimatbesuche zur spießigen Cocktail-Schlürferin mutiert (was ist gegen Cocktailschlürfen einzuwenden?) und die Band so mirnix-dirnix im Stich lässt. Anne erklärt, dass sie versucht, ihr Leben „zu planen“, was bei Ulli allerdings genau die falschen Knöpfe drückt. Freundschaft sei ihr wohl nicht mehr wichtig, keift Ulli, Anne blafft zurück, dass Ulli sie wohl für nicht mehr linksradikal genug hält, und schon ist der Zickenkrieg im Gange.

Achim versucht zwischenzeitlich, sein Stammkapital von 20 Euro wundersam zu vermehren, wofür er in eine Kneipe einfällt und den zwei dort rumgammelnden Besoffskis eine Wette anbietet. Wenn er dreimal hintereinander dem Electronic-Dart-Automaten ins Bullenauge trifft, so mögen die ihm doch bitte 300 Scheine rüberreichen, ansonsten könnten sie seinen Zwanziger haben (das ist jetzt nicht gerade die Wette, die ich als potentieller Wettpartner bannich interessant finden würde, so rein von den Quoten her, aber gut, die beiden Knaben sind abgefüllt). Die örtliche Thekenkraft steigt in die Wette ein (was den persönlichen Wetteinsatz auf 100 Euro limitiert. Trotzdem, ich würde da nicht mitspielen wollen). Vielleicht hätte Achim aber gleich jemand fragen sollen, der was davon versteht bzw. sich eine Sportart aussuchen, in der er nicht saugt (Wettfluchen oder sowas), denn gleich der erste Wurf landet nicht im Bull´s, sondern irgendwo im Feld der „1“. Die 20 Euro hat er mal gehabt. Achim ist ein echter Loser. Mit Gütesiegel auf´m Hintern (und wenn nicht, sollte man ihm das schnellstens aufstempeln). Saufköppe und Thekenmaus feiern den überwältigenden Reingewinn von 6,67 Euro pro Nase durch sofortige Inhalierung eines Klaren.

Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, zumindest versucht Pack, sich zu vertragen, soweit es sich um Anne und Ulli handelt. Aber Ulli kann das Sticheln halt nicht lassen und weist ihre Freundin darauf hin, dass sie jetzt all das mache, wogegen man früher gemeinschaftlich Lieder geschrieben habe. „Willst du ewig so weitermachen?“, kontert Anne, aber Idealistin Ulli, die weit ausholt und von Solidaritätskonzerten und ähnlichem Revoluzzer-Krempel salbadert, beabsichtigt wohl in der Tat, Berufslinksalternative zu werden, während Anne ihre Entwicklung für einen normalen Reifeprozeß im Erwachsenwerden hält. „Du bist meine beste Freundin“, versichert sie Ulli, aber jetzt kommen wir zum eigentlichen Problem: „Wenn du meine beste Freundin bist, warum ziehst du dann weg?“ Aha. Da ist der Kern vom Pudel begraben. „Ich kann doch nicht mit 30 immer noch in Bielefeld leben“, behauptet Anne zur vermuteten Freude der dortigen Stadtväter (okay, Bielefeld kam mir bei meinem einzigen Kurzbesuch dort nicht wie der Nabel der Welt vor, aber isses denn wirklich SO schlimm?). Ulli hat sich von ihrem kurzen persönlich-emotionalen Ausbruch allerdings schnell erholt und spielt wieder die politische Karte: „Du verrätst alles, was uns wichtig ist!“ Uh-oh. Wie will Anne da jetzt rauskommen?. Antwort: Gar nicht, die beiden Mädels keifen sich noch eine Runde an, dann hat Anne die Schnauze voll und macht den wutigen Abgang.

Weil Laura die Kneipenanlage lateinamerikanische Musik plärren lässt, verfällt Paule auf die Idee, einen Tanzkurs für „lateinamerikanische Standardtänze“ belegen zu wollen (scusi, aber wenn ich aus den Tanzübertragungen im Fernsehen irgendwas gelernt habe, ist es, dass es erstens „lateinamerikanische“ und zweitens „Standardtänze“ gibt, that being the difference. Aber ich gebe Paule den benefit of being drunk). Findet Laura gut, und sie hätte auch einen Freund bei der Hand, der genau so was veranstaltet. Aber Nägel mit Köpfen machen, nee, das ist nix für Paule, da wehrt er gleich wieder ab. Jetzt reicht´s Laura, jetzt platzt auch ihr der Kragen: „Du könntest einfach mal IRGENDWAS machen“, donnert sie und haut dem armen Paule um die Ohren, dass ihr drei Jahre, in denen er ihr mit seinem Selbstmitleid auf den Keks gegangen ist, entschieden reichen. Diesen ungünstigen Zeitpunkt erwischen die beiden Heavies für ihren Auftritt in der Kneip. Den Jungs ist mittlerweile zweierlei aufgegangen: erstens – die Einwegkamera taugt nicht recht zum Mofiknipsen, zweitens – eine Einwegkamera kann man nicht trinken. Und weil Barschaft Mangelware ist, schlagen sie ein Tauschgeschäft vor – Knipse gegen Alk, egal was. Laura lässt sich breitschlagen und tauscht die Kamera gegen eine Flasche Sekt (ich hoffe aber doch, den Faber für 1,99 die Pulle, damit sich´s rentiert). Paule nutzt diese Episode für ein seriöses Brainstorming und hat daraufhin den ersten brauchbaren Geistesblitz seit drei Jahren – er lädt Laura ein, die Mondfinsternis mit ihm zusammen anzukucken (lang genug hat´s gedauert, aber der Groschen ist gefallen. Applaus!).

Im Park versammeln sich die Mofi-Jünger – aber nicht jeder hat Anhang. Anne zieht ebenso alleine ihre Bahn durch die versammelten Statisten wie Mausi, die vergeblich auf ihren Achim wartet, denn der, Typ feige Socke, hockt lieber irgendwo in der Stadt, bläst Trübsal und trägt einen verzweifelten Gesichtsausdruck zur Schau. Und weil die Ironie zuweilen sehr ironisch zu sein pflegt, überreden die glücklichen Laura und Paule Mausi dazu, mit der frisch ertauschten Einwegkamera (wir erinnern uns: eigentlich mal Achims gewesen), ein Foto von ihnen zu machen. Nur mit der Mondfinsternis, mit der wird´s nichts, denn gerade, als es spannend wird, schiebt sich eine Wolkenwand vor den Erdtrabanten…

Ich weiß nicht, ob ich es schon (bzw. oft genug) erwähnt habe (im Forum bestimmt) – ich mag Filme, in denen nichts passiert. Ich bitte das nicht mißzuverstehen, das heißt nicht, dass ich eineinhalb Stunden Testbild unterhaltend finde und es ist kein Argument, mit dem mich hirnamputierte Italiener überreden können, plotlose Gorespektakel zu zelebrieren, ich meine mit „Filme, in denen nichts passiert“, Meisterwerke wie Richard Linklaters bezaubernden Before Sunrise (dessen später Fortsetzung Before Sunset ich natürlich wieder gekonnt im Kino verpasst habe. Hoffe, der kommt bald auf DVD und dann auch zu mir, hehe) oder Steve Buscemis sträflich unbekanntes Regiedebüt Trees Lounge, Filme, deren Inhalt man zufriedenstellen in einem Satz zusammenfassen kann (und dabei ohne Kommas, Strichpunkte oder Gedankenstriche auskommt) und die trotzdem berühren. Ohne jetzt gleich in unangebrachte Euphorie zu verfallen und Mondleben für einen hervorgehobenen Spot beim Sundance-Festival buchen zu wollen, stelle ich beeindruckt fest – jau, das geht in diese Richtung und ist damit wirklich eine äußerst ungewöhnliche Angelegenheit für eine Amateur/Indie-Produktion aus deutschen Landen.

Zumal Thorsten Lehmkühler, Tom Nguyen und der Rest des „Zeitaufnahe“-Teams (wenn ich jetzt nicht alle Namen noch einmal getrennt aufführe, mögen mir das die entsprechenden Personen verzeihen. Das ist der Nachteil an einem Kollektivwerk :-)) es nicht allein bei einer solchen „kleinen Geschichte“ belassen, sondern in der Tradition des mehrfach zitierten Robert Altman mehrere Handlungsstränge schildern, die sich immer wieder (und das erstaunlich ungezwungen) kreuzen. Nicht die leichteste Aufgabe, die man sich als ambitionierter Jungfilmer stellen kann und durchaus eine, an der man sich ohne weiteres einen Bruch heben kann (obwohl sich diese Art Film, für die man kein großartiges Equipment, kein wirklich großes Budget braucht, eigentlich, rein vom organisatorischen und technischen Aufwand her, für mittellose Filmemacher anbietet). Um so erfreulicher, dass Mondleben wirklich funktioniert.

Das Script ist ausgezeichnet geraten – die Dialoge wirken durchaus natürlich und glaubhaft, die Charaktere echt. Wobei man sich darüber im klaren sein muss – Mondleben erklärt nicht, sondern beschränkt sich auf eine Beobachterrolle. Das lässt natürlich ein paar Fragen offen – man fragt sich schon, warum Achim seiner Mausi nicht einfach gesteht, dass es mit dem Urlaub aus monetären Gründen nichts wird. Sicher, ist unangenehm, aber ´ne richtige Beziehung muss das auch abkönnen. Ist ja jetzt auch nicht so, dass Achim die Kohle versoffen hat [zumindest will ich für ihn hoffen, dass seine Schwarzarbeit-Geschichte der Wahrheit entspricht], ergo müsste Mausi ihm deswegen ja nicht den Kopf abreißen und die Geschichte um die beiden Mädels hätte man noch etwas stärker ausarbeiten können – schließlich steckt gerade in dieser Geschichte der „beste“ Punkt. Kann man seine alternativen Ideale wirklich aufrecht erhalten, wenn man´s im Leben trotzdem zu etwas bringen will (und komm mir jetzt keiner mit Joschka Fischer)? Ist es wirklich schon „Verrat an der Sache“, wenn man „spießig“ ein Studium anfängt? Muss man sich, um „erwachsen“ zu werden, zwangsläufig ändern? Das hätte man noch ausbauen können, in der gedrängten Laufzeit des Films kommt diese Auseinandersetzung etwas zu kurz, wird ein wenig zu oberflächlich als Streitaufhänger abgehandelt. Die dritte Geschichte um den Berufsmiesepeter Paule ist in sich die rundeste, geschlossenste und sicher auch diejenige, in der wir am meisten über die Charaktere erfahren.

Nichtsdestotrotz sind alle drei Episoden, äh, „schön“ – kleine, einfache Storys, mit denen man sich durchaus identifizieren kann, die aus dem Leben gegriffen sind (ähnlich wie im kürzlich in Kurzkritikform unter die Lupe genommenen Motown). Die Situation, kein Geld zu haben, es aber dringend zu brauchen (und trotzdem nicht unbedingt jedem auf die Nase zu binden, wie und warum jetzt eigentlich) kennt sicher jeder (und ich besser als ich möchte), auch mit der Thematik „Erwachsen werden / Freundschaften, die sich verändern oder enden / Ideale vs. Reales Leben“ kann sicher ein Großteil von uns persönliche Erfahrungen verbinden, und der Durchhänger, in den man fällt, wenn einem eine Beziehung in die Brüche gegangen ist, den musste wohl auch jeder durchmachen (vielleicht nicht so extrem wie Genosse Paule). Es sind im besten Sinne des Wortes Alltagsgeschichten.

Konsequenterweise verweigert der Film zwei seiner drei Geschichten auch ein Happy End (fast wie im richtigen Leben sozusagen) – Achim treibt sein Geld nicht auf, Anna und Ulli gehen im Streit (und mit wenig Hoffnung auf Versöhnung) auseinander, nur für Paule hält der Film den Hoffnungsschimmer bereit, dass aus ihm und Kellnerin Laura tatsächlich was werden könnte (wobei ich, wenn ich die Geschichte mal fortdenke, ein wenig skeptisch bin, ob Paule, so wie er geschildert wird, tatsächlich soweit über seinen Schatten springen kann). Das macht Mondleben, wie Ihr sicher schon bemerkt habt, nicht zu einem Gute-Laune-Film zum flockigen Nebenbeikucken, sondern eher zu anspruchsvollem Programm. Und eine weitere Anmerkung sei mir noch gestattet: mit Symbolik schießt sich der unbedarfte Filmemacher ja gerne mal durch die Brust ins Knie, aber die Symbolik der am Ende wegen Bewölkung „abgesagten“ Mondfinsternis ist eine schöne, griffige Metapher für enttäuschte Hoffnungen. Da hat sich jemand Gedanken gemacht und dann noch richtige…

Auch filmisch kann Mondleben, unter Berücksichtigung der widrigen finanziellen Umstände, überzeugen. Die Inszenierung ist erstaunlich sicher – ich hab schon angedeutet, ein solcher Plot, der sich über Zufallsbegegnungen „steuert“, kann, wenn man nicht aufpasst, schnell mal peinlich werden, wird er hier aber nicht, weil das Filmteam weiß, was es tut. Der Film entwickelt sich in einem bedächtigen, aber nicht langsweiligen Tempo, wechselt kürzere und längere Einstellungen geschickt ab, baut immer mal wieder kleine Zwischengeschichten wie das Yuppie-Paar und die beiden „Heavies“ ein (letztere auch als kleinen comic relief, ohne dass der Humor zu platt oder zu aufgesetzt rüberkommt). Die Kameraführung könnte (ähnlich wie bei Teutokill 2) als ein wenig statisch empfunden werden, aber erstens müssen wir uns dazu ins Gedächtnis zurückrufen, mit welchen beschränkten Möglichkeiten die Filmemacher arbeiten mussten, zweitens sind die Kamerapositionen gut gewählt (und drittens – wenn mal tatsächlich eine kleine Kamerafahrt erfolgt, wirkt das richtiggehend spektakulär…). Selbstverständlich kann Mondleben seine Video-Herkunft nicht verbergen, aber gerade für solche kleinen Geschichen ist das kein Nachteil, es lässt den Film authentisch wirken (und zu bemerken ist, dass der Streifen zwar Video-Look hat, aber einen den Umständen entsprechend schon sehr glatten). Schnitt- und Überblendtechnik bewegt sich durchaus auf einem professionellen Niveau.

Für den gelungenen Soundtrack bedienten sich die Filmemacher eines ganzen Schwungs lokaler Bands. Neben den ja auch im Film gefeatureten (verdammt, ich hasse es, schreibt man „gefeatureten“ oder „gefeaturedten“ oder „gefeatureden“ oder einfach „gevierteilten“?) „BlackRedStart“ geben sich „Heavy on Wire“, „Ender Error“, „Yuthuma“, „F.I.O.R.“, „Turbostaat“ mit Songs und „Klara Kontrol“ für den Score die Ehre. Durchaus gute Mucke, zumeist zwischen Alternative Rock und Punk.

Schauspielerisch sind ebenfalls starke Fortschritte zu verzeichnen – Lars Senne, der in Teutokill 2 als Expositions-Vorleser und inflationärer Flucher für Grinsen sorgte, zeigt hier, dass er wirklich was drauf hat. Er bringt den Totalverlierer Achim schön auf den Punkt (und ordentlich fluchen darf er in der Rolle natürlich auch) – das sieht schon wirklich nach Schauspielerei aus, eine gute Leistung. Senne lässt Achim nie zu sympathisch werden (schließlich ist er ja kein wirklicher „Held“, alldieweil er ja seiner Freundin einfach die Wahrheit sagen könnte, dafür aber zu feige ist), gerät aber auch nie in Gefahr, dass sich das Publikum in Schadenfreude über sein fortwährendes Versagen suhlen kann. Lothar Däuwel gefällt mir als Paule auch ziemlich gut, wobei das Anforderungsprofil der Rolle sicherlich etwas geringer ist – dennoch erkennt man auch bei seiner Performance die Tragik im Charakter, allerdings braucht Däuwel eine gewisse Anlaufphase, aber wenn er erst mal aufgetaut ist, gefällt´s. Anne Wernicke und Ulrike Kräser fallen rein schauspielerisch ein wenig ab, aber nicht extrem, wobei ich Ulrike Kräser einen Tick überzeugender fand als Anne Wernicke, die allerdings auch die schwierigere Rolle zu bewältigen hatte. Insgeamt sind die darstellerischen Leistungen aber für einen solchen Microbudget-Film bemerkenswert solide. In den weiteren, kleineren Rollen gibt es niemanden, der wirklich nervt (und das ist für einen Amateurfilm ja schon eine bemerkenswerte Leistung).

Die erneut in Eigenregie gewerkelte DVD gefällt auch (abgeshehen davon, dass der Aufkleber auf dem Rohling sich frecherweise im Player ablösen wollte) – 4:3-Letterbox (ca. 1.85:1), frei von jeglichen Verunreinigungen, Verpixelungen oder sonstigen Fehlern, gelegentlich etwas soft in den Kanten, dafür aber exzellent im Kontrast (wichtig zu einem nun wirklich 100 % bei Nacht spielenden Film. Die DVD gibt aber auch vor dem Filmstart einen kleinen Tipp zum Nachjustieren des Kontrasts) – für eine Eigenproduktion wirklich klasse.

Der Ton (man möge mir verzeihen, ich hab jetzt nicht nachgeschaut, in welchem Format er vorliegt, aber dass es für einen Film dieser Art keinen 6.1EX-Dolby-Ton braucht, dürfte sich bereits ergeben haben) ist ebenfalls gutklassig, rauschfrei und von guter Sprachqualität, ohne Über- oder Untersteuerungen (der Livesound des „BlackRedStart“-Konzerts ist verbesserungsfähig, aber das ist weniger ein Problem des Films bzw. der DVD als des Soundmanns vor Ort :-)).

Extras haben sich leider nicht auf die DVD verirrt, aber, hey, die Macher wollen dafür fünf äußerst faire Euros, also sollten wir als Konsumenten nicht so frech sein und eine 3-DVD-Special-Edition erwarten.

Mondleben rennt bei mir quasi offene Türen ein – diese Art Film gefällt mir von Haus aus sehr gut (wobei Mondleben sicher „düsterer“ ist als die von mir oben vergleichsweise herangezogenen und deutlich heitereren Trees Lounge und Before Sunrise), was hoffentlich endlich die kursierenden Gerüchte, ich würde unter einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom leiden und Filme, in denen nicht alle drei Minuten etwas explodiert oder Gliedmaßen abgetrennt werden, prinzipiell nicht leiden können, aus der Welt schaft. Es freut mich, dass ambitionierte „Independents“ sich an einem doch eher sperrigen, unkommerziellen Thema in kompletter Eigenarbeit versuchen (mit dem man sicher keinen Riesenreibach machen kann und wird; „normalerweise“ geht man mit so einem Thema bei der Filmförderung hausieren oder versucht, eine arglose öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt zu einer Fernsehspielproduktion zu bewegen), anstatt den Weg des geringsten Widerstands zu gehen und Prollcomedy oder – splatter zu drehen, also unterstütze ich das Projekt schon mal ganz grundsätzlich. Und um so mehr freut es mich, dass das Ganze dann auch noch so gut funktioniert – technisch auf einem guten Niveau, mit einem schönen, glaubhaften Drehbuch, dass sich geschickt darauf beschränkt, die Ereignisse zu beobachten und nicht zu interpretieren (letzteres vielmehr dem Zuschauer überlässt), und dann auch unprätentiös und unnervig gespielt und in angemessener Weise inzenatorisch umgesetzt und mit passender Musik unterlegt.

Wenn ich bei einem deutschen Amateurfilm das Filmende mit einer gewissen Traurigkeit quittiere, weil ich den Charakteren (und auch ihren Darstellern) gerne noch länger zugesehen hätte, ist das, denke ich, das höchste Lob, das ich vergeben kann. Wer also unter „Amateur“- bzw. „Independent“ nicht nur Spläddagoremüll oder hirnverbrannte Rip-offs (wie, hüstel, The Dark Area, um ja nicht zu vergessen, noch einen Tiefschlag auszuteilen) versteht und auch mal ruhigeres, anspruchsvolleres, „trauriges“ Material an seinen DVD-Player lässt, sollte also nicht zögern, und unter untenstehender Kontaktadresse diese DVD ordern. Die BIER-Wertung ist heute mal nicht auf den reinen „Unterhaltungswert“ bezogen, sondern durchaus auch als Qualitätshinweis gedacht Mondleben ist sicher kein Trash. Ich schließe mit enthusiastisch nach oben gereckten Daumen und der gut gemeinten Drohung, mich prophylaktisch auf weitere Werke aus der Werkstatt von Thorsten Lehmkühler & Co. richtiggehend zu freuen. Da schlummert Talent!

(c) 2004 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 3

BIER-Skala: 7


mm
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