Mörderland

 
  • Deutscher Titel: Mörderland
  • Original-Titel: La isla minima
  • Alternative Titel: Marshland |
  • Regie: Alberto Rodriguez
  • Land: Spanien
  • Jahr: 2015
  • Darsteller:

    Javier Guiterrez (Juan Robles), Raul Arevalo (Pedro Suarez), Salva Raina (Jesus), Jesus Castro (Quini), Ana Tomeno (Marina), Jesus Ortiz (Andres), Maria Varod (Trinidad), Antonio de la Torre (Rodrigo), Nerea Barros (Rocio)


Vorwort

Spanien, 1980. Das Land ist unter heftigen Geburtsschmerzen dabei, sich nach dem Ende der Franco-Diktatur als Demokratie neu zu erfinden. Das ist naturgemäß nicht einfach, da viele ehemalige Franco-Gefolgsleute sich nun als lupenreine Demokraten ((c) Gerhard Schröder) gerieren und nach wie vor an den Schaltstellen der Macht sitzen. Diese bittere Erfahrung musste z.B. Polizist Pedro machen, der nach einem wütenden Brandbrief ob eben jenes Zustandes zur Belohnung in die hinterletzte andalusische Provinz versetzt wurde, wo nicht mal mehr der Fuchs dem Hasen gute Nacht sagt, der Generalissimo Franco praktisch als Heiliger verehrt wird (und sein Portrait neben dem von Hitler und Mussolini an die Kruzifixe gepappt wird), und dieses neumodische Demokratiezeugs nach Kräften zugunsten althergebrachter Traditionen ignoriert wird.

Mit seinem neuen Partner Juan, einem altgedienten Haudegen, wird er auf den Fall zweier vermisster Teenage-Mädchen angesetzt. Die Ermittlungen gestalten sich schwierig, weil den Bullen rein grundsätzliches Misstrauen entgegengebracht wird und man allgemein vermutet, dass sich die Polente nur aus politischen Gründen für den Fall interessiert, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. Aus dem Vermisstenfall wird allerdings schnell ein Mordfall, als die verstümmelten Leichen der vergewaltigten Mädchen aus dem Sumpf gezogen werden. Ob der Brutalität der Tat wird die Sache für Pedro und Juan zu einer persönlichen Angelegenheit, aber die Ermittlungen werden nicht einfacher. Verdachtsmomente führen zum örtlichen jungschen Frauenaufreißer Quini, der mit den Mädchen gesehen wurde, aber auch zum Vater der Girls, in dessen Auto das vermeintlich mit den Mädchen verschwundene Sparbuch gefunden wurde. Während Quini mit einem mutmaßlich fingierten Alibi aufkreuzt und der Vater sich dadurch entlasten kann, das Sparbuch an sich genommen zu haben, um einen lokalen Drogenbaron auszuzahlen, dem er ein Paket Heroin gemopst hat, stellen die Polizisten fest, dass die beiden Mädchen nicht die ersten Opfer eines potentiellen Serienkillers waren, der jedes Jahr um die selbe Zeit zuschlägt. Können vielleicht ein paar angekokelte Negative, die die Mädchen in unzüchtigen Posen zeigen, Pedro und Juan zum Killer führen? Oder ist der am Ende eine einflussreiche Persönlichkeit, die von den Autoritäten gedeckt wird?

Pedros Charakter wird zudem auf die Probe gestellt, als er von einem Journalisten, dem er gegen Informationen illegitimerweise nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Fotos zuspielt, erfährt, dass sein Partner zu Franco-Zeiten Geheimpolizist war und eine Demonstrantin erschoss…


Inhalt

Es ist nun auch keine neue Erkenntnis, dass die spanische Filmproduktion seit geraumer Zeit nichts mehr mit den unterhaltsamen, aber schundigen Billigreißern Marke Paul Naschy oder Armando de Ossorio zu tun hat. Im Windschatten der öffentlichkeitswirksameren neuen französischen oder Benelux-Thriller hat sich auch auf der iberischen Halbinsel eine moderne, international absolut konkurrenzfähige Krimi- und Thrillerkultur entwickelt, auf die wir Teutonen einmal mehr nur neidvoll schielen können. Es ist wirklich bemerkenswert – jedes gottverdammte Land auf dem Erdenrund scheint in der Lage zu sein, vorzeigbare Genrefilme zu sein, aber Deutschland, eine der traditionsreichsten Kino-Kulturen (auch gerade was innovative Genreentwicklungen angeht), erstickt im selbstverliebten Tran seiner Filmförderung, dem Schweiger-Schweighöfer-Brei. Die Welt ist unfair.

Aber zurück zu „Mörderland“. Während ich den Film betrachtete, überlegte ich, dass das eigentlich eine sichere Bank beim FantasyFilmFest gewesen sein sollte, und natürlich lief de Streifen 2015 auf dem 3F (ein Jahrgang, den ich ausgelassen habe). Seine Bezeichnung als „Genrefilm“ ist wie so oft ein wenig grenzwertig, aber wenn französische Polizeifilme als FFF-Ware durchgehen, dann kann man die Spanier schlecht ausschließen.

„Mörderland“ ist nichts für die Klientel, die rasante Action und/oder Brutalitäten braucht, um sich unterhalten zu fühlen. „Mörderland“ ist ein Film, für den man Zeit braucht, der sich auch die Zeit nimmt, um den Zuschauer dahin zu führen, wo er ihn hin haben will. Und das ist nicht unbedingt das Land der stringenten Krimikost. Selbstverständlich kann man „Mörderland“ auch „nur“ als straffen Krimi konsumieren, in dem zwei ungleiche Polizisten nicht nur lernen müssen, sich gegenseitig zu vertrauen, sondern eben auch gegen lokale Widrigkeiten und Renitenz ein grausames Verbrechen aufklären. Das ist aber eben nur die oberflächliche Ebene, denn hinter den Kulissen geht es, ohne dass „Mörderland“ da einen großen Hehl daraus macht, um den schwierigen Wandel einer traditionalisierten, katholischen und erzkonservativ bis eben faschistischen Gesellschaft hin zu einer modernen Demokratie. Auch in Spanien musste man erkennen, dass der Schalter „Diktatur / Demokratie“ nicht einfach umzulegen ist und dann funktioniert alles wunderbar liberal und angenehm. Wenn die Protagonisten die gleichen bleiben, sich nur ein anderes Mäntelchen anziehen und ihre alten Seilschaften weiter hegen und pflegen, das stellt auch „Mörderland“ dar, ist „Demokratie“ nur eine Worthülse. Die Aufarbeitung der Franco-Diktatur war in Spanien nie ein großes Thema, und nicht von ungefähr wird Franco in Zentralspanien und im Süden immer noch von vielen Menschen verehrt (während Katalanen und Basken, denen man unter Franco stets übel mitgespielt hat, sich als Bewahrer der Republik und Demokratie verstehen) – wie muss es dann eben in den ersten Jahren der Umstellung gewesen sein? Ein Schelm, wer hierzulande an die mangelhafte gesellschaftliche Aufarbeitung von NS- und SED-Diktatur denkt…

„Mörderland“ bleibt dabei nicht auf einer gesamt-gesellschaftlichen Ebene, sondern extrapoliert diesen Konflikt auch auf die persönliche Ebene von Pedro und Juan, den ungleichen Partnern. Scheinen die „good cop“/“bad cop“-Rollen zu Beginn relativ eindeutig verteilt, so nutzt der Film seine Laufzeit nicht nur dazu aus, die eigentliche „Hauptrollen“-Position immer wieder zwischen den beiden Cops zu tauschen, sondern auch, um eine immer größere Ambivalenz zu kreiieren. Wenn Pedro und Juan am Filmende das andalusische Dorf verlassen, ist nicht nur ihre persönliche Beziehung grundsätzlich anders als zu Beginn, auch wir als Zuschauer haben kein klares Bild mehr, wer hier jetzt „gut“ ist, wer „böse“, wer „moralisch“ handelt, wer die Kontrolle verloren hat. Wie es der Wortvogel in seiner Kritik zutreffend schrieb ist dies ein Film in dem gute Menschen böse Dinge und böse Menschen gute Dinge tun und uns hinterfragen lässt, ob unsere moralischen Vorstellungen, unsere Werte wirklich immer halten können, oder ob man nicht doch manchmal… flexibler agieren, oder wenigstens moralische Ambivalenz akzeptieren muss.

Das allein ist durchaus schon interessant, ergibt aber noch nicht zwingend einen fesselnden Film. Regisseur und Co-Autor Alberto Rodriguez („Kings of the City“) lässt dahingehend aber nichts anbrennen. Was natürlich auch daran liegt, dass die Region, in der „Mörderland“ spielt, eigentlich eigenen Darsteller-Credit verdient. Beim Thema „Spanien im Film“ denken wir sicher primär an Madrid oder Barcelona, vielleicht noch die Alhambra oder die Touristengrills an der Costa del Sol, aber die Sümpfe Andalusiens gehören sicher nicht zu den kinematisch gut erforschten Gegenden der Halbinsel. Es ist eine Region, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, in der die Menschen unter einfachsten Verhältnissen von der Landwirtschaft leben. „Mörderland“ lebt und atmet dieses andalusische Hinterland, mal schroff, spröde und abweisend, mal bildgewaltig und wunderschön (man beachte die digital bearbeiteten Luftaufnahmen im Vorspann).

Die Atmosphäre einer vergessenen Region, staubig, drückend heiß, erschöpfend, trieft aus jedem Frame, die Stimmung ist trotz der Helligkeit depressiv, und selbst Farbtupfer wie der Jahrmarkt im Dorf vedeutlichen nur, wie sehr die laute Discomusik und die Buntheit „unnatürlich“ auf die karge und unheimelige Landschaft aufgepropft ist (und macht verständlich, warum so ziemlich jede 16-Jährige gewillt ist, alles zu glauben, um nur aus diesem Elendsloch wegzukommen). Jedes Kostüm, jedes Requisit schreit seine Glaubwürdigkeit heraus, man wird förmlich in diese Welt des Jahre 1980 hineingezerrt.

Das Tempo ist, wie es sich für einen solchen Thriller gehört, bedächtig. Man nimmt sich Zeit für die Figuren, ohne sich in Belanglosigkeiten zu verheddern, alles hat seine Bedeutung, jede Szene, jeder Dialog ein Mosaiksteinchen im Gesamtbild, und so entfaltet der Film trotz des leichten Mankos, dass der eigentliche Kriminalfall und seine Lösung zum Finale hin ein wenig nebensächlich zu werden drohen, einen enormen Sog, eine Faszination, der man sich als Zuschauer kaum entziehen kann.

Erfreulicherweise hat „Mörderland“ auch die Hauptdarsteller, die ein Film dieser Art benötigt – charismatisch, bei allen Ecken und Kanten sympathisch, Typen, denen man gerne zusieht und an deren Schicksal man teilhaben will.

Javier Guiterrez („Torrente 3/4“, „Assassin’s Creed“) spielt den Veteranen Juan mit einer Mischung aus Nüchternheit und plötzlich ausbrechender Brutalität, Raul Arevalo („Dunkelblaufastschwarz“, „Und dann der Regen“) genauso überzeugend den jungen Idealisten, der an seine Grenzen und darüber hinaus gebracht wird. Jesus Castro („El Nino“) ist ein ebenfalls überzeugend schmieriger Schönlingslappen, Salva Raina („La zona“) gibt mit dem lokalen Informanten Jesus, selbst Außenseiter in der Dorfgemeinschaft, ebenfalls stimmig den einzigen Verbündeten der Cops. In der nicht großen, aber durchaus wichtigen Rolle der Mutter der beiden Vermissten brilliert Nerea Barros, ihr Filmehemann Antonio de la Torre („Mad Circus“, „Cannibal“) bringt den gebrochenen Vater ebenfalls auf den Punkt.

Die Blu-Ray-Umsetzung von Koch Media ist angemessen – der Film wird in perfektem Widescreen (2.35:1) präsentiert, die deutsche Synchronfassung ist ausgezeichnet gelungen, mit Making-of-Featuretten, Outtakes, Interviews und Trailern wird auch ein ganzer Schwung interessanter Extras geboten.

Ich kann mich letztendlich nur wiederholen – warum Spanien „Mörderland“ hinbekommt, während wir „Tschiller: Off Duty“ bekommen, ist einerseits ein Rätsel (denn am Talent mangelt es dem deutschen Kino sicher nicht), andererseits eine Ungerechtigkeit ersten Ranges… „Mörderland“ ist ein exzellenter, teilweise überragender Film, der nicht nur spannend unterhält, sondern auch harte, unangenehme Denkanstöße liefert, aber sicherlich nichts, was deutsches Kino nicht auch könnte, wenn es wollte. Es will halt leider nicht und das ist die Tragik. Verbleiben wir also mit einer dicken Empfehlung, denn wer mehr als nur einen run-of-the-mill-Krimi anschauen will, bekommt mit „Mörderland“ die volle Packung Thrill und Drama.


BOMBEN-Skala: 1

BIER-Skala: 7


mm
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