Metalhead

 
  • Original-Titel: Málmhaus
  •  
  • Regie: Ragnar Bragason
  • Land: Island
  • Jahr: 2013
  • Darsteller:

    Thora Bjorg Helga (Hera), Ingvar Eggart Sigurdsson (Karl), Halldora Geirhardsdottir (Droplaug), Hannes Oli Agustsson (Knutur), Sveinn Olafur Gunnarsson (Janus), Prostür Leo Gunnarsson (Gunnar)


Vorwort

Die zwölfjährige Hera lebt auf dem abgelegenen Milchbauernhof ihrer Eltern in der tiefsten isländischen Provinz. Eines weniger schönen Tages wird der von ihr vergötterte ältere Bruder Baldur Opfer eines bizarren Unfalls (der klar stellt, dass Langhaarmatte und landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge keine gute Kombination sind). Für Hera bricht eine Welt zusammen – sie flüchtet sich in den Heavy Metal, dem ihr Bruder frönte, und beschließt, in die Stadt (in Island ist die Auswahl da ja eher begrenzt, das muss man nicht weiter präzisieren) zu flüchten. Zehn Jahre später sitzt Hera immer noch regelmäßig mit Rucksack und eingepackter E-Gitarre an der Bushaltestelle, um doch nie einzusteigen. Als Metalhead ist sie im hinterletzten isländischen Weideland natürlich die totale Außenseiterin schlechthin, und obwohl ihre Eltern Karl und Droplaug nach Kräften versuchen, Heras schräge Verhaltensweisen (die sich auch mal in nächtlichen alkoholisierten Spritztouren mit Nachbars Traktor äußern) zu tolerieren, wäre es den werten Erzeugern nicht gänzlich unrecht, Hera würde ihre Ankündigung, sich in die Stadt zu verziehen, endlich mal in die Tat umsetzen – oder sich wenigstens einen Job und/oder einen Mann suchen.

Ersteres – eine Arbeit im örtlichen Schlachthof – endet dank Heras, eh, unkonventioneller Art, vorzeitig, für zweiteres hält sich ihr alter Jugendfreund Knutur höchst qualifiziert. Hera lässt sich in der Tat von ihm begatten, doch weil er post-koital im Bett davon labert, dass er hofft, das Fohlen einer Nachbarsfarm zähmen zu können, erscheint er ihr als dauerhafter Partner doch eher ungeeignet.

Zwei Ereignisse ändern den Lauf der Dinge – zum einen sieht Hera im Fernsehen eine Reportage über norwegischen Black Metal in seiner bestgelaunten Kirchenanzünderphase, zum anderen tritt der neue Pastor Janus ins Gemeindeleben. Hera hält den Gottesmann verständlicherweise für so ziemlich den allerletzten Menschen, mit dem sie reden will, doch entpuppt sich der Theologe als beinharter Metaller mit Eddie-Tattoo auf dem Oberarm. Endlich hat Hera jemanden zum Fachsimpeln über Judas Priest, Def Leppard und Venom, und naturgemäß fühlt sie sich bald auch abseits des Musikgeschmacks zu ihm hingezogen. Als Janus allerdings unmissverständlich klar macht, dass er an ihr keinerlei über Berufliches und Musikalisches hinausgehende Interesse hat, lässt sich Hera zu einer zündelnden Kurzschlussreaktion hinreissen…


Inhalt

Ich bin ja nun jemand, der sich verschiedentlich darüber beklagt hat, dass das FantasyFilmFest sich zu weit den genrefernen Filmen geöffnet hat (und in dem Zusammenhang wundere ich mich, dass das Festival eher zu gewöhnlichen Krimis hin tendiert als dem der Zielgruppe vermutlich näher liegenden knalligen Actionfilm. Was spräche dagegen, wenn das FFF sich mal um den nächsten Schwarzenegger bemüht oder einen van-Damme-Kracher auf der großen Leinwand vorführt?). Und dann kommt „Metalhead“, ein Film, der nun weder mit Horror, SF, Thriller, Action noch Krimi ansatzweise etwas am Hut hat, und ich hab damit nicht die geringsten Schmerzen. Liegt natürlich daran, dass mir jeder, der behauptet, zwischen Horror- und Metalfans gäbe es nicht eine gewaltige Schnittmenge, von mir mit einer überlebensgroßen Rob-Zombie-Statue erschlagen wird (abgesehen davon gibt’s mit „Hesher“ von vor ein paar Jahren ja auch einen Präzedenzfall).

„Metalhead“ kommt aus Island – sicher keine Nation, die als klassisches Filmland (oder auch als klassisches Metal-Land… außer Solstafir würde mir jetzt grad keine isländische Metalkapelle einfallen. Mit Island verbindet man ja eher artsy stuff wie Sigor Ros, Björk oder die famosen Of Monsters and Men) bekannt ist. Mit Island verbindet man auch den Gedanken an Kälte, Einsamkeit und Melancholie (und Vulkanausbrüche, aber die sollen heute mal nicht das Thema sein), und wen wundert’s, in genau diese Kerbe schlägt „Metalhead“. Der Film versetzt uns in die frühen 90er Jahre und damit eine Epoche, in der Metal klinisch tot war – der Hair Metal der Mötley Crües, Poisons und Skid Rows hatte den Musikstil in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend der Lächerlichkeit preisgegeben – und während die Teens nicht mehr in schwarzen Band-Shirts rumliefen, sondern sich wie die neuen Grunge-Antihelden um Kurt Cobain und Eddie Vedder in Rollkragenpullover stopften, musste sich der „ursprüngliche“ Metal – abseits der nicht totzukriegenden GROSSEN Acts – erst neu erfinden und sich im Underground neu formieren (er tat das über die extremeren Formen Death und Black Metal). Anhänger des klassischen Metal zu sein, war also in den 90ern sicherlich weniger angenehm als in den 80ern, als sich auf jedem Schulhof ein Rudel Kuttenträger fand, dem man sich anschließen konnte, oder heute, wo Metal – for better or worse – völliger Mainstream geworden ist (und wer das nicht glaubt, dem erzähle ich, dass Dimmu Borgir und die Children of Bodom jeweils vier Top-20-Alben in Deutschland haben).

Und nachdem ich Euch das alles erzählt habe, komme ich zum Punkt und sage Euch, dass „Metalhead“ als *Film* nicht sonderlich viel mit Metal zu tun hat. „Metalhead“ ist zum Teil coming-of-age-Film, in dem die Musik als Mittel der Rebellion fungiert, und – zum größeren Teil – eine Reflektion über Trauer und Verlust, und das beschränkt sich nicht nur auf die Hauptfigur. Wobei Hera eine wirklich starke Protagonistin ist – wenn ich das mal mit Kylie aus Housebound vergleiche, war letztere eine dumme Kuh, die ganz bewusst darauf aus ist, ihrer Umwelt das Leben so schwer wie möglich zu machen. Auch Hera macht es ihrem Umfeld mit ihren Alkoholeskapaden, ihrem erklärten Unwillen, irgendetwas produktives mit ihrem Leben anzufangen und dem lautstarken Herumfuhrwerken auf ihrer Flying V nicht leicht, aber wo wir bei Kylie die Nummer auf pure Arschlöchrigkeit zurückführen können (damit ihr redemption-story-arc funktioniert), verstehen wir von Hera von Anfang an, warum sie so ist, warum sie aus dem reichlich freudlosen Provinzleben ausbrechen einerseits ausbrechen will (weil man so, wie sie ist, dort eben auf keinen grünen Zweig kommt, weder beruflich noch „gesellschaftlich“), andererseits aber auch wieder nicht fortgehen will, weil sie fürchtet, dadurch ihren Bruder *noch mal* zu verlieren. Das kommt natürlich daher, weil die ganze Familie sich nie wirklich mit diesem Verlust auseinander gesetzt hat, man hat (impliziert) nie wirklich darüber geredet und deswegen schleppen sowohl Hera als auch ihre Eltern enormen emotionalen Ballast mit sich herum – der Film hat letztlich das Thema, dass alle drei Familienmitglieder lernen müssen, loszulassen ohne zu vergessen – etwas, was ihnen lange nicht möglich ist (Mutter Droplaug verhindert energisch, dass an Baldurs Zimmer irgendetwas verändert wird, Vater Karl frisst seit Jahren einen heftigen Schuldkomplex, weil er den Heuwender oder was immer das für’n Teil war, das Baldur skalpiert hat, nicht sicherer gemacht hat, in sich hinein). Und sogar für Knutur, der seine Vorliebe für Hardrock nur vorgetäuscht hat, um bei günstiger Gelegenheit mal Hera abschleppen zu können, hat das Script einen passenden character arc – auch er muss sich damit abfinden, dass man die Vergangenheit und eine Kinderfreundschaft nicht mit ein paar schönen Worten und Gesten in eine echte Erwachsenenbeziehung verwandeln kann.

Erfreulich ist, dass „Metalhead“ das Headbangertum dabei nicht als eine amüsant bis bizarre Verwirrung des jugendlichen Geistes schildert und demzufolge auch nicht versucht, seine Hauptfigur für ein „Happy End“ wieder in die „normale“ Gesellschaft zu integrieren (auch wenn, SPOILER, Hera das aus falsch verstandener Dankbarkeit nach ihrem kleinen Amokläufchen, mal probiert), sondern andeutet, dass sich die rebellische Attitüde des Metal und die althergebrachten Traditionen nicht prinzipiell spinnefeind sein müssen, sondern koexistieren und sich sogar gegenseitig befruchten können.

Dabei ist „Metalhead“, obwohl insgesamt ein Film der leisen, melancholischen Töne (dem apart zusammengestellten Soundtrack zum Trotz), kein Film zum gemütlichen Pulsadernaufschlitzen – Regisseur Ragnar (ich tu ihm mal den Gefallen und rede ihn nach isländischer Sitte mit dem Vornamen an) hat immer wieder auch mal Lust auf ein kleines Augenzwinkern, einen kleinen Scherz (sei’s, dass er Gunnar über die herausragenden Qualitäten von Venom als Live-Band schwadronieren ließ, wo ich doch immer noch die Rock-Hard-Kritiken im Gedächtnis habe, wonach sich z.B. Abaddons Schlagzeugspiel live so anhöre, als fiele er mitsamt seinem Drumkit eine Treppe runter; oder das plötzliche Auftauchen von norwegischen Fans [huihui, und WER das ist, wenn wir das richtig interpretieren, halleluja…]], die Heras Demotape gehört haben und sich zu ihrer inoffiziellen Entourage aufschwingen, oder eine großartige Szene, als Hera zum ersten Mal mit corpsepaint am Frühstückstisch erscheint); es ist, skandinavisch typisch, lakonischer Humor, gerne mal nur mit kurzer Mimik realisiert, aber er ist natürlich in einem ansonsten recht traurigen Film gern genommen Von der filmischen Seite ist „Metalhead“ nicht sonderlich aufregend – der Streifen spielt nicht unbedingt in der pittoreskesten Gegend Islands, und der einzige Ausflug auf die vereisten Gletscher ist technisch gesehen sogar die schwächste Sequenz, weil hier ein paar nicht unbedingt auf dem allerneuesten Stand befindliche CGI für’s schlechte Wetter sorgen müssen. Doch freilich ist „Metalhead“ kein Effektkino – mit dem „drama“ kommt Ragnar hervorragend zurecht, auch, weil er sich auf ein noch zu würdigendes großartiges Ensemble verlassen kann. Fast ohne große plakative „Höhepunkte“ vermeidet er jede Leerlauf, jede überflüssige Szene – alles trägt irgendwie zum Gesamtbild, zum Verständnis der Charaktere bei. Kameraführung und Schnitt bewegen sich dabei auf professionellem, aber unspektakulärem Niveau – der Film will seinen Darstellern nicht im Weg stehen.

Musikalisch brennt nichts an – der Soundtrack beinhaltet u.a. Gemmen von Judas Priest, Riot, Lizzy Borden, Savatage und Megadeth (und wer bei der Abschlussszene zu „Symphony of Destruction“ nicht ein bisschen Pipi in den Augen hat, ist ein schlechter Mensch), einen neueren Song von Solstafir und ein „Am I Evil“-Cover (sind Diamond-Head-Lizenzen echt so teuer?). Der Score ist sanft und einfühlsam, und der im Filmsinne von Hera dargebotene Lärm echt lärmig 🙂

Großartig sind, wie erwähnt, die Schauspieler. Und speziell Thora Björg Helga legt eine star-making-performance hin, die sie eigentlich ins ganz große europäische Kino bringen sollte (und ein echter Hinkucker ist sie auch. Ehm. Für so eine Metalbraut hätten in meiner Jugend ganze Monsters-of-Rock-Audiences gemordet). Ingvar Eggert Sigurdsson kennt das Arthouse-Publikum aus „Engel des Universums“, der eher mainstream-orientierte Kinogänger mag ihn in „K19 – Showdown in der Tiefe“ erspäht haben. Als wortkarger, schuldzerfressener Vater ist auch er eine Offenbarung. Halldora Geirhardsdottir („Engel des Universums“, „Rejkjavik Whale Watching Massacre“) fällt in der etwas undankbaren Rolle der Mutter etwas ab, hat aber auch ihre Momente. Auch die Nebendarsteller wissen durch die Bank zu überzeugen.

Fazit: Ein anrührendes, leises Drama um laute Musik und verdrängte Gefühle – ich war vor dem Kinobesuch schon guter Dinge, aber der Film übertraf meine Erwartungen dann noch. Er ist warmherzig und traurig, melancholisch und optimistisch, gefühlvoll und ehrlich. Das Highlight des 2014er-FFF-Jahrgangs, und das ganz ohne Effekte, Thrill und Overkill…

5/5

© 2014 Dr. Acula


mm
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