- Deutscher Titel: Die Kammer der toten Kinder
- Original-Titel: Le Chambre de Morts
- Alternative Titel: Chamber of Death | Room of Death |
- Regie: Alfred Lot
- Land: Frankreich
- Jahr: 2007
- Darsteller:
Melanie Laurent (Lucie Hennebelle), Eric Caravaca (Moreno), Gilles Lelouche (Sylvain), Jonathan Zaccai (Vigo), Celine Salette (Annabelle), Laurence Cote (Alex), Jean-Francois Stevenin (Leon)
Vorwort
Eigentlich wollten Vigo und Sylvain nur ihrem Ex-Arbeitgeber durch ein paar bösmeinende Graffitis an der Firmenmauer eins reinwürgen – in der Euphorie über den gelungenen Gag rast Vigo mit 120 Sachen ohne Licht durch eine 30er-Zone und nimmt dabei einen Fußgänger fatalerweise aufs Korn. Obwohl Sylvain dafür wäre, den Vorfall den Bullen zu melden, setzt sich Vigo durch – nicht zuletzt, weil der Verunfallte zwei Millionen Euro dabei hatte und mit denen könnte man sich ja ’nen schönen Lenz machen. Die Leiche wird unter Sylvains Protest beseitigt und das Geld für spätere Verwendung verbuddelt. Natürlich ahnen die beiden Möchtegern-Halunken nicht, dass der Überfahrene Vater eines Entführungsopfer auf dem Weg zur Lösegeldübergabe war… Der Entführer killt pflichtschuldigst die entführte kleine und blinde Melody und richtet sie hübsch lächelnd her. Den polizeilichen Ermittlern um Stephane Moreno und die clevere Jung-Bullette Lucie leuchtet nicht recht ein, warum der Entführer, der den Unfall aus seiner Position sehen musste, die Geld- und Leichenklauer nicht an ihrem Tun gehindert hat. Lucie, aufgrund schlimmer Vorfälle in der Kindheit vorbelastet, spekuliert, dass es dem Kidnapper gar nicht so sehr auf die Moneten ankommt und der das Opfer wie eine „Annabelle“-Puppe hergerichtet hat. In der Tat schlägt der Entführer gleich wieder zu und kidnappt die zwölfjährige Diabetikerin Eleonore – die nur für 40 Stunden lebensnotwendige Medikamente dabei hat. Vigo erfährt dieweil die traurige Wahrheit über seine Kohle – sein Bruder arbeitet nämlich bei der Polizei und gerade an diesem Fall. Da relativ schnell klar wird, dass die Graffitisprüher und die Gelddiebe identisch sind (und unter den entlassenen Angestellten zu finden sind), will Sylvain auspacken, bevor alles zu spät ist – was wiederum Vigo veranlasst, entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Im Fall der entführten Eleonore enträtstelt Lucie Zusammenhänge zwischen den Entführungsfällen und einem Tierdiebstahl im Zoo, die nahelegen, dass der Täter auf dem Gebiet der Tierpräparation tätig ist. Für Sylvain und Vigo kommt noch hinzu, dass es ZWEI Kidnapper gibt und einer der Entführer hätte doch ganz gerne seine sauer verdiente Kohle…
Inhalt
Französische Filme haben beim FFF mittlerweile Tradition und sind neben Volltreffern wie dem spektakulären Haute Tension aber auch für so manche Gurke verantwortlich (gerne, weil die französischen Filmemacher nicht nur unterhaltsame Genrefilme, sondern schwer bedeutungsvolle Arthouse-Ware für den, hüstel, anspruchsvollen Splatterhead, drehen. Paradebeispiel dürfte im diesjährigen FFF-Programm der von mir sicherheitshalber ausgesparte „Martyrs“ sein. Mit „Melody’s Smile“ (hübsch umgetitelt, da der Originaltitel „Die Kammer der Toten“, wie auch der zugrundeliegende Roman heißt, falsche Erwartungen wecken könnte) legt Regiedebütant Alfred Lot allerdings einen weitgehend frei von künstlerischen Ambitionen angelegten Thriller im „Schweigen der Lämmer“-Fahrwasser hin.
Interessant ist die Grundkonstruktion, die den Plot schnell in eigentlich nur lose durch den gleichen „Grundfall“ verbundene Parallelhandlungen aufsplittet: die eigentlichen Ermittlungen im Mord- und Entführungsfall und Vigos Transformation in den eiskalten, über Leichen gehenden Kriminellen, wobei die Handlungsfäden zum Finale hin, zunächst ein wenig schwerhändig wirkend, aber doch schlüssig, wieder zusammengeführt werden. Als erklärtem Fan von Serienkiller- und Polizeiermittlungsfilmen (dass ich mit „CSI“ in all seinen Inkarnationen nicht viel anfangen kann, muss an der zu poppigen Machart und der oftmals vertretenen reaktionären Moral der Serien liegen) empfand ich den erstgenannten Plot durchaus als den wichtigeren und besseren, andererseits sorgt die Parallelhandlung dafür, dass sich der Streifen nicht zu sehr an gängigen Vorbildern orientieren muss (auch wenn die „Gauner-legen-sich-gegenseitig-aufs-Kreuz“-Plotte nicht wirklich originell ist, aber es ist halt auch ein Storykonstrukt, das bewährt ist und meistens funktioniert).
Und so funktionieren die diversen Genreversatzstücke auch hier bestens – durch das Zeitlimit entsteht ein automatischer Spannungsbogen, der Nebenplot um Sylvain und Vigo erlaubt spannende Situationen, wenn die Polizeiermitttlungsarbeit (die übrigens erfreulicherweise mal kompetent geschildert wird) droht, Überhand zu nehmen. Der Umgang mit dem heiklen Thema Kindesentführung (in A Promise Kept auf dummstmögliche Art umgesetzt) ist behutsam und dennoch intensiv.
Lässlich sind einige kleinere Story-Goofs – da stellt das Spurensicherungsteam schon mal glasklar fest, dass die Scheinwerfer am Unfallfahrzeug aus gewesen sein müssen, obwohl wir als Zuschauer gesehen haben, dass Vigo und Sylvain im letzten Moment das Licht eingeschaltet haben; und da hat einer der Täter plötzlich eine geklaute Polizeiakte, ohne dass wir wissen, woher er die hat (ich setzte da zunächst aufs falsche Pferd und eine vorher eingeführte Nebenfigur, die im Polizeipräsidium arbeitet, aber dann müssten sich die Beteiliten doch erkannt haben?).
Nicht zufällig dürfte die Gegenüberstellung verschiedener Familien- und „Beziehungsentwürfe“ sein; Lucie ist alleinerziehende Mutter von Zwillingen (deren Vater ein one-night-stand war, der von seinem Glück nichts weiß, weil Lucie eigentlich mit Männern – aufgrund ihres Traumas – nicht kann), ihre (Adoptiv-) Mutter hat jeden Abend ’nen anderen Kerl im Bett, Sylvain ist der zwar einerseits glückliche, aber aufgrund seiner unbefriedigenden sozialen Situation unzufriedene Familienvater, Vigo der zynische Einzelgänger ohne Anhang (und, ohne zuviel spoilern zu wollen, erlaubt sich der Streifen noch ein paar leider für meinen Geschmack ziemlich klischeebeladene – und für die Aufdröselung der Story sogar wichtige – Ausflüge ins Reich der Sadomaso-Anhänger und des Lesbentums. Speziell der letzte Punkt war kurz davor, mir den Film im Schlussakt ein wenig zu verleiden, da er dazu angetan scheint, gleichgeschlechtliche Liebe als eine Art psychopathenzüchtende Perversion darzustellen – und dass der Film die wohl krampfhafteste Masturbations-Duschszene der Filmgeschichte aufweist, möchte ich an der Stelle nicht verschweigen, obwohl ich mich, ganz Voyeur, auch nicht zu laut beschweren darf).
Filmisch erledigt Lot den Job effektiv, ohne sonderlich innovativ zu werden – schwarz-weiß-Flashbacks in die traumatische Kindheit eines Protagonisten sind nicht die neueste Erfindung, aber eben auch ein im Genrekontext immer wieder gern genommenes Stilmittel. Wenn Lot seinem Werk erlaubt, ungeniert im Zitatenschatz der Serienkillergeschichte zu wildern, gelingen ihm durchaus eindringliche und eindrucksvolle Aufnahmen (speziell das Finale ist, obwohl man es wirklich nicht originell nennen kann, erstaunlich intensiv).
Das effekttechnisch „Härteste“ an „Melody’s Smile“ sind kübelweise ausgeschüttete Tier-Eingeweide (die aber auch nichts anderes darstellen sollen) und bizarre „Körperskulpturen“, die sogar einen kleinen plotpoint darstellen.
Die darstellerischen Leistungen sind grundsolide – Melanie Laurent als Lucie ist angemessen intensiv und intim in ihrer Darstellung (und erfreut, wie gesagt, Voyeure durch eine völlig überflüssige, aber immer wieder gern genommene Duschszene), Eric Caravaca (Moreno, im Arthouse-Schlager „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ zu sehen gewesen)) hat es aufgrund einer eindimensionaler angelegten Rolle etwas schwer, ein eigenes Profil zu entwickeln, kommt aber sympathisch rüber. Jonathan Zaccai (Vigo) präsentiert sich als gut aufgelegter eiskalter Fiesling (auch wenn seine Wandlung vom Nobody zum Master Criminal etwas sehr plötzlich kommt; andererseits ist er durch seinen Bruder kriminalistisch-technisch vorbelastet, so dass man ihm zumindest die ausgeklügelte Methodik abkaufen kann) und erinnert mich irgendwie an eine jüngere Ausgabe von William H. Macy. Gilles Lelouche (Sylvain) liefert in der Rolle des stets am Rande der Panik balanciereden Familienvaters, der eigentlich nur für Frau und Kind ein sorgenfreies Leben, aber nicht auf Kosten von Leichen, gewährleisten will, eine ausgezeichnete Vorstellung ab.
Fazit: Auch „Melody’s Smile“ erfindet das Thema des Serientäter-Thrills nicht neu, entwickelt aber eine nicht zu übersehende enorme Spannung und schafft es sogar, mich mit der Klischee-Darstellung bezüglich SM und Lesben durch ein ausgezeichnetes, wirkungsvolles Finale zu versöhnen. Die Psychologie einzelner Figuren mag dann und wann fragwürdig sein, aber Lot (sein eigener Drehbuchautor) hat keine Schwierigkeit damit, dieses und andere kleine Probleme durch eine größtenteils konventionelle, aber packende Inszenierung zu überspielen. Der Film mag vielleicht ein paar Jahre zu spät dran sein, um auf der großen Serienkill-Welle noch erfolgreich mitzuschwimmen, aber Genrefans sollten hier mal reinsehen. Für einen Film, in den ich mit absolut keinen Erwartungen reingegangen bin, hat er mich bestens unterhalten.
3/5
© 2008 Dr. Acula