Mathilde – Eine große Liebe

 
  • Deutscher Titel: Mathilde - Eine große Liebe
  • Original-Titel: Un long dimanche de fiançailles
  • Alternative Titel: A Very Long Engagement |
  • Regie: Jean-Pierre Jeunet
  • Land: Frankreich/USA
  • Jahr: 2004
  • Darsteller:

    Audrey Tautou (Mathilde), Gaspard Ulliel (Manech), Jean-Pierre Becker (Lt. Esperanza), Dominique Bettenfield (Angel Bassignano), Clovis Cornillac (Benoit Notre Dame), Marion Cotillard (Tina Lombardi), Tcheky Karo (Capt. Favourier), Jodie Foster (Elodie Gordes)


Vorwort

1917 werden fünf französische Soldaten wegen mutwilliger Selbstverstümmelung zum Tode verurteilt. Weil die Franzosen schon immer etwas seltsam drauf waren und offenbar Patronen Mangelware und daher nicht zu verschwenden sind, werden sie einfach ins Niemandsland zwischen den französischen und deutschen Schützengräben abgekippt, wo sie sehen müssen, wie sie zurechtkommen… Zwei Jahre nach Kriegsende erhält Mathilde, die Verlobte von Manech, dem jüngsten der Todeskandidaten, von einem Veteranen eine Schachtel mit den persönlichen Habseligkeiten der Delinquenten. Besessen von dem Gedanken, ihr Liebster könnte seine „Hinrichtung“ überlebt haben, versucht sie den genauen Umständen des damaligen Tages und den Beteiligten auf die Spur zu kommen – und stößt dabei auf Ungereimtheiten und Vertuschungen. Dennoch gelingt es ihr, die Geschehnisse zu rekonstruieren…


Inhalt

Die Erfolgskombination Jeunet/Tautou, die der Welt die grandiose „Fabelhafte Welt der Amelie“ bescherte, meldet sich mit einem Paukenschlag zurück. Die mit über 50 Mio. Dollar üppig budgetierte (und amerikanisch co-produzierte) Bescherung, der ein ach-so-cleverer deutscher Marketingstratege den dümmlichen Titel „Mathilde“ (damit auch jeder Depp merkt, dass es hier quasi um „Amelie“ geht) verpasst hat, ist, ob des Settings sicher kein großes Wunder, völlig anders als die „Fabelhafte Welt“ – und doch auch wieder nicht… macht keinen Sinn? Macht nix, ist trotzdem so.

Der primäre Unterschied zwischen den Filmen ist natürlich, dass „Amelie“ eine leichtfüßige Komödie war und „Mathilde“ (grnf) alles Mögliche ist, nur eben nicht das (trotz einiger humoresker Szenen, für die Jeunets Lieblingsschauspieler Dominique Pinon gerne mal zuständig ist) – es ist ein erschütternder Kriegsfilm, der Wahnwitz und Sinnlosigkeit des perfiden Stellungskrieges in den Schützengräben des I. Weltkriegs ungeschönt (und mit für FSK 12 durchaus drastischen Methoden) wiederspiegelt, aber auch ein komplexes und ob der Vielzahl von Charakteren nicht immer ganz übersichtliches Puzzlespiel, in dem sich die Mosaiksteine nur langsam zusammenfügen, ehe die entscheidende Frage – was geschah wirklich im Niemandsland und hat jemand überlebt? – geklärt wird. Man kann und darf der Geschichte sicher den Vorwurf machen, dass sie extrem konstruiert ist – aber sie ist präzise konstruiert und fügt sich zum guten Schluss doch logisch zusammen. Etwas übertrieben fand ich zwar den Subplot um Tina Lombardi, die Geliebte eines anderen der damaligen Delinquenten, die auf ähnlicher Mission wie Mathilde ist, dabei aber über Leichen geht, aber er stört auch nicht wirklich und gibt einen (für FSK 12-Verhältnisse ebenfalls ziemlich kruden) blutigen Effekt her. Für Freunde chronologischer Erzählweise ist „Mathilde“ nichts – die Erzählstruktur ist parallel/non-linear, d.h. Mathildes Ermittlungen und der Ablauf des schicksalhaften Tages werden nebeneinander (so, wie sich Mathildes Erkenntnisstand entwickelt), und, was den zweiten Punkt angeht, aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert, gespickt mit Flashbacks der von Mathilde ausfindig gemachten Zeugen und Beteiligten auf frühere bzw. nach dem „Hinrichtungstag“ geschehene Ereignisse. Durchaus ein Film zum Mitdenken, einfach nur so vorbeiplätschern lassen kann man den Streifen sicherlich nicht.

Kommen wir zur großen Parallele zwischen „Amelie“ und „Mathilde“ und der liegt, im leichten Vorgriff zur Schauspieler-Beurteilung, natürlich bei Audrey Tautou. Auch wenn sie letztendlich hier einen völlig anderen Charakter spielt, so lässt sich doch eine gewisse Wesens- bzw. Seelenverwandschaft zwischen den beiden Filmheldinnen nicht abstreiten. Beide verfolgen ihre Ziele mit einer Beharrlichkeit, die schon an eine ungesunde Obsession denken lässt (und natürlich glauben beide an die „wahre Liebe“), wobei „Mathilde“ natürlich mit ganz anderen Schicksalsschlägen und anderer Tragik fertigwerden muss als „Amelie“.

Filmisch zieht Jeunet, wie bei einem solchen Budget nicht anders zu erwarten, alle Register seines Könnens. Farblich herrschen erdige Brauntöne vor, ohne dass die Farbfiltereien zu aufdringlich werden. Natürlich kommt Jeunet nicht ohne Digitaleffekte aus, von Nebensächlichkeiten wie digital animierten Spinnen (von der non-riesigen Sorte) bis hin zur großformatigen digital wizardry der beeindruckenden Schlacht(en)-Szenen (die auch mit der entsprechenden knalligen akustischen Untermalung serviert werden). Visuell also, das haben wir ja auch geahnt, keine Wünsche offen lassend – ausgezeichnete Kameraführung, exzellente Montage (mit wunderschönen „Bild-im-Bild“-Segmenten und Überblendungen). Vom Tempo her ist der Streifen eher bedächtig, aber nicht langweilig, sondern in einem durchgängig-angenehmen Rhythmus – der Streifen nimmt sich keine großen Kunstpausen, dafür aber auch keine „edge-of-the-seat“-Sequenzen.

David-Lynch-Hauskomponist Angelo Badalamenti liefert zudem einen für ihn eher untypischen Score ab – anstelle der gewohnten minimalistischen Klänge beweist Badalamenti, dass er durchaus auch einer symphonischen Besetzung etwas abgewinnen kann. Zwar verliert der Komponist dadurch etwas seinen persönlichen Stil, wirkt der Score allein daher gesehen etwas „austauschbar“, passt aber ausgezeichnet zum Film. Die Darsteller sind überzeugend – Audrey Tautou hat sich ihre Natürlichkeit bewahrt und macht ihre fast schon manische Besessenheit der Suche nach ihrem Liebsten glaubhaft. Gaspar Ulliel (kleine Rolle in „Pakt der Wölfe“) ist mir möglicherweise etwas zu blass, aber es ist halt irgendwo auch der Punkt der Story, dass Manech ein achtzehnjähriges Milchgesicht an der Front ist. In vielen Rollen finden sich alte Bekannte aus „Amelie“ wieder, so Jean-Pierre Becker und Dominque Bettenfield. Clovis Cornillac kennen badmovies.de-Veteranen aus dem ambitioniert-gescheiterten Jugenddrama „Outlaws“, hier liefert er eine sehr gute Vorstellung ab. Den internationalen Gaststar mimt Jodie Foster mit einem kurzen, aber sehr prägnanten Auftritt. Ohne Jeunets Spezi Dominique Pinon (als Audrey Taotous Onkel) geht’s natürlich auch nicht ab.

„Mathilde“ ist, schlußwortlich gesprochen, natürlich nicht „Amelie 2“, da sollte sich keiner von der deutschen Titelgebung beeinflussen lassen. Der Streifen ist in seiner Schilderung des dreckigen Stellungskriegs drastisch und, für seine Freigabe, ziemlich hart. „Mathilde“ ist auf andere Weise sehr gut als „Amelie“, wobei beiden Filmen gemein ist, dass sie den Glauben an die Hoffnung und die wahre Liebe propagieren. Und selbst, wer mit der letztendlich doch romantischen Gesinnung des Streifens seine Probleme hat, kann sich an einem komplizierten Mystery-Szenario erfreuen. Alles in allem: wieder GROSSES KINO von Jeunet und Tautou.


mm
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