Maniac

 
  • Deutscher Titel: Maniac
  • Original-Titel: Maniac
  • Alternative Titel: Alexandre Aja's Maniac |
  • Regie: Franck Khalfoun
  • Land: Frankreich/USA
  • Jahr: 2012
  • Darsteller:

    Elijah Wood (Frank Zito), Nora Arnezeder (Anna), Megan Duffy (Lucie), Liane Balaban (Judy), Sammi Rotibi (Jason), Genevieve Alexandra (Jessica), Jan Broberg (Rita), America Olivo (Franks Mutter)


Vorwort

Frank Zito, ein unscheinbarer und leicht sonderlicher junger Mann, betreibt Downtown L.A. einen Laden zur Restaurierung von Schaufensterpuppen – eine Tätigkeit, in der er anscheinend völlig aufgeht. Für eine Beziehung mit Weibsvolk aus Fleisch und Blut ist Frank erheblich zu schüchtern – naja, und natürlich steht da noch die Tatsache im Raum, dass er seit dem Tod seiner Mutter eine ergötzliche Vollmeise pflegt und des Nächstens auf die Pirsch geht, um Frauen zu töten und zu skalpieren – die Skalps werden dann auf Schaufensterpuppen getackert, die in Franks wilder Welt seine „Freundinnen“ mimen. Es ist nicht so, dass Frank sich nicht bewusst wäre, was er tut – er versucht durchaus, auch eine „normale“ Beziehung aufzubauen (über Online-Kontaktbörsen), doch seine dunkle Seite gewinnt im entscheidenden Augenblick stets die Kontrolle. Bis eines Tages Anna in sein Leben tritt, die hübsche französische Kunstfotografin, die sich ehrlich und wahrhaftig für Frank und seine Arbeit interessiert. Es sieht beinahe so aus, als wäre Anna diejenige, die Frank braucht, um seinen Wahn zu überwinden – doch dann stellt sich leider heraus, dass sie einen Freund hat…


Inhalt

William Lustigs „Maniac“ von 1980 ist ein uneingeschränkter Genre-Klassiker und jeder, der etwas anderes behauptet, wird von mir persönlich aus dem Kreis der (un-)zivilisierten Menschheit ausgeschlossen. Angetrieben von der überragenden Darstellung Joe Spinells (und den ausgesprochen drastischen Effekten von Tom Savini) wurde „Maniac“ zur brillanten Feldstudie des Innenlebens eines Psychopathen – kein Film für jedermanns Geschmack (und für Zensoren), aber eine Messlatte, an dem sich Serienkillergenre lange erfolglos abarbeitete (die einzigen Genrebeiträge, die in ihrer filmhistorischen Bedeutung an „Maniac“ heranreichen, dürften „Henry: Portrait of a Serial Killer“ und „Mann beißt Hund“ sein – beide haben allerdings komplett andere Ansätze. „Maniac“ ist womöglich derjenige, dessen Darstellung des Killers die „realistischte“ ist).

Die Frage, ob ein derartig bedeutsamer und einflussreicher Klassiker unbedingt ein Remake braucht, darf da schon gestellt werden. Ganz speziell, wenn die kreative Kraft hinter dem Unterfangen Kupferkünstler-extraordinaire Alexandre Aja ist, der nach seinem fulminanten Start ins Genre mit High Tension beinahe schon zu einer Selbstparodie verkommen ist – ehrlich, hat der Mann *jemals* eine eigene Idee gehabt oder wird er sich für den Rest seiner Filmemacherlebens mit dem Wiederkäuen bekannter Motive befassen? Zudem hatte mich das bisherige Opus Magnum des angeheuerten Regisseurs Franck Khalfoun, P2 – Schreie im Parkhaus, nun nicht wirklich überzeugt.

Anzurechnen ist Aja und Khalfoun, dass sich durchaus bewusst waren, „Maniac“ nicht einfach „nachspielen“ zu können. Mit dem Segen von Bill Lustig (der auch einen Producer-Credit abstaubt) versuchten sie also, einen neuen Ansatz zu finden, von dem ausgehend man annähernd die gleiche schockierend-provokante Reaktion erzielen könnte wie beim Original. Ihre Lösung: den kompletten Film in POV, also mit subjektiver Kamera zu erzählen. Knifflige Geschichte, die von Filmemachern gemeinhin dosiert eingesetzt wird – bei ’ner zünftigen stalk’n’slash-Sequenz in „Freitag, der 13. Halloween“ mag das probat sein, aber ein kompletter Film? Der Phillip-Marlowe-Film „Die Dame im See“ probierte das in den Vierzigern und zeigte seinen Helden nur in Spiegeln oder anderen reflektierenden Oberflächen, wird aber gemeinhin heute als gescheitertes Experiment angesehen… Nun gut, heute sind die technischen Möglichkeiten wesentlich besser, ein neuer Versuch zweifellos erlaubt und, wenn wir ehrlich sind, ist es die logische Fortschreibung des 80er-„Maniacs“. Der war damals der erste (oder zuminest der erste als bedeutend und genreprägend wahrgenommene) Versuch, dem Zuschauer das Gefühl zu geben, Bestandteil des Mikrokosmos eines psychopathischen Killers zu sein – was liegt also näher, als dieses Konzept zu steigern und praktisch den Zuschauer *zum* psychopathischen Killer zu machen, ihn nicht nur zum den Killer stets begleitenden „Komplizen“ zu stilisieren, sondern ihn direkt „in“ das Bewusstsein des Mörders zu implantieren (mir fällt eine „nette“ Parallele zur Porno-Branche ein, in der man schon seit Jahren auf die Idee gekommen ist, den Konsumenten vom bloßen Betrachter durch POV zum „aktiven“ Teilnehmer einer Szene zu machen. Kein Wunder, dass der Jugendschutz sich in das „Maniac“-Remake nicht gerade verliebt).

Khalfoun bricht diesen strikten POV-Ansatz nur sehr selten – in Traumszenen und bei zwei Kills, bei denen die Kamera aus der Perspektive des Mörders herausschwenkt und ihn „bei der Arbeit“ zeigt. Dennoch – es bedeutet, dass Elijah Wood (der einzige „Name“ im Cast) zusammengerechnet vielleicht zwei Minuten „facetime“ hat und der Film konsequenterweise dem Zuschauer einiges abverlangt; es ist ein Film, den (und den Zugang zu dem) man sich erarbeiten muss – die moralisch zweifelhafte Belohnung: man ist unmöglich näher am Innenleben eines Psychopathen außer, man wird selbst zu einem.

Am Script haben Aja und sein Stammschreiberling Gregory Levasseur nur Nuancen verändert – das Geschehen wird von New York nach Downtown L.A. verlegt (weil New York heutzutage „zu sauber und zu sicher“ ist, aber die Atmosphäre der dreckig-verruchten Stadt, in der der Tod in jedem Hauseingang, jedem U-Bahn-Aufgang lauern kann, ein elementarer Bestandteil des Originals war. Und das Downtown L.A. nach Einbruch der Dunkelheit für jeden Menschen, der an Leib, Leben und Brieftascheninhalt hängt, Sperrgebiet ist, ist mir persönlich bekannt), Zitos Mannequin-Tick wird vom kranken Hobby zur Aufrechterhaltung eines Famiilenbetriebes umdefiniert (was die Entwicklung von Franks Wahnvorstellungen auch glaubhafter macht. Wer Zeit seines Lebens von den Mannequins umgeben war, baut die sicherlich in seine gestörte Gedankenwelt ein), an der Beziehung von Anna und Frank wird etwas geschraubt (ungeachtet der darstellerischen Leistung von Joe Spinell ist es schon ein wenig schwer zu glauben, dass Caroline Munro sich privat mit ihm treffen würde; der angle, dass Frank und Anna sich gerade über die Schaufensterpuppen kennen und schätzen lernen, ist eine Verbesserung), und SPOILER SPOILER SPOILER der Showdown ist völlig verändert (und bringt – in gewisser Weise leider – „gewohnte“ Aja-Ikonographie des nur noch in Unterwäsche gekleideten Mädchens auf der Flucht vor dem Killer. Le seufz). SPOILERENDE.

Psychologie und Motivation bleiben unverändert – seit Norman Bates selig ist nun mal Mama an allem schuld… aber es funktioniert nach wie vor, und durch den Kunstgriff, den Film quasi komplett in Franks Kopf stattfinden zu lassen, kann dieses Thema vergleichsweise subtil durch Visionen, Alpträume, Erinnerungsfragmente des Protagonisten angerissen werden, genauso wie seine fortschreitende Unfähigkeit, Realität und Wahnvorstellung voneinander zu trennen, durch die POV-Methode eleganter eingebaut werden kann.

Mit Aja, Khalfoun und Kameramann Maxime Alexandre („Haute Tension“, „The Hills Have Eyes“, „The Crazies“) am Steuer ist klar, dass „Maniac“ 2012 nicht diesen „gritty-edgy“-Look hat wie das Original. Sicher ist das immer noch low-budget-cinema, aber poliert und ohne formale Ecken und Kanten, selbst in den Passagen, die in den übelsten Ecken von L.A. spielen, bleibt der Film glatt und gelackt. Alexandres Kameraarbeit ist bemerkenswert (besonders die Sequenzen, in denen die Kamera quasi aus Frank „herausfährt“ und vom Protagonisten zum Beobachter wird, sind technisch glänzend gelöst); auch Khalfouns Dramaturgie (die meiner Meinung nach in „P2“ gar nicht funktionierte) hat sich stark verbessert – es scheint Khalfoun zu liegen, dass „Maniac“ per defintion nicht primär die Spannungsschiene fahren muss: wir wissen alle, dass die Chose übel ausgehen muss und können uns daher auf das „wie“ konzentrieren. Khalfoun treibt die Geschichte mit aller Konsequenz voran; gut, manchmal strapaziert es etwas die suspension of disbelief, wie unbemerkt die Frank-Kamera sich an ihr Opfer schleichen kann (allerdings ist zumindest eines seiner Opfer eine der dümmsten Frauen des Universums. DIe, die er auf dem Parkplatz erledigt, falls Ihr später vergleichen wollt), aber es ist auf den Punkt hin inszeniert. Da hat es Khalfoun – auch in der Uncut-Fassung – gar nicht nötig, exzessiv in Gore zu schwelgen. Jau, die Skalpierungen sind immer noch heftig, aber in einer Killszene, als Frank etwas die Beherrschung verliert und sein Opfer förmlich zerhackt, erlaubt er sich, auf Frank zu bleiben. Was dem Film im Vergleich zum Original fehlt, ist ein Äquivalent zur Shotgun-Szene mit Tom Savini, aber diese Wirkung wäre, wo heute jeder bessere Amateurfilm eine Kopfexplosion hinbekommt, auch nicht mehr zu erzielen (aber Frank darf auch einen Kerl umlegen, allerdings im Zweikampf). Im Finale gibt’s allerdings in getreuer Tradition eine Ultra-Gore-Sequenz. Die Sudeligkeiten werden überwacht von KNB EFX und sind daher technisch nicht zu beanstanden. Es gibt sicher eine Menge Filme mit quantitativ und qualitativ expliziteren Schmoddereien, aber die klare Identifikation der Kamera mit dem Täter macht den Film nicht nur für den Zuschauer psychologisch „härter“, sondern macht es auch nicht ganz unverständlich, warum die FSK die Heimvideoversion (im Gegensatz zur Kinofassung) nicht mit einer Freigabe herausgeben wollte; hier gibt’s weder eine Distanzierung von den noch eine ironische Brechung der Gore-Einlagen.

Auch wenn man sicherlich ein Argument dafür finden könnte, ein POV-Film solle ohne begleitenden Score auskommen, das, was ein gewisser (und mir völlig unbekannter) französischer Composer namens „Rob“ ist aber nicht verkehrt – speziell eine Handvoll Songs, die den Geist des 80er-Retro-Synthpop a la Daft Punk atmen, gefallen und wirken trotz des kontemporären Settings passend.

An Elijah Wood schätze ich sehr, dass er im Nachgang zum „Herrn der Ringe“ immer wieder gezielt Rollen aussucht, die seinem Frodo-Image zuwiderlaufen – sei es als stummes Monster in „Sin City“, Fußball-Schläger in Hooligans oder hier; zumal Frank Zito in der POV-Version eine sehr schwierige Rolle ist, die Wood praktisch nur über seine Stimme, sein Atmen oder die Bewegungen seiner Hände zum Leben erwecken muss, da er eben fast nie im Bild ist – das gelingt ihm (wobei ich begreiflicherweise die englische Originalsprachfassung als Maßstab heranziehe) hervorragend. Mit diesen größtenteils unvisuellen MItteln gelingt ihm das Portrait eines Verrückten, der aber nicht abgrundtief „böse“ ist, sondern auch „nur“ auf der Suche nach einem glücklichen und zufriedenen Leben ist, von seiner Psychose aber nicht losgelassen wird. Nora Arnezeder („Safe House“, und demnächst in der Neuverfilmung der romantischen Historienromanreihe „Angelique“ als Titelfigur am Start) wirkt natürlich-sympathisch, leidet aber darunter, dass sie im Finale etwas zu sehr zum simplen final girl relegiert wird – den großen bleibenden Eindruck, wie ihn z.B. Cecile de France hinterließ, kann sie hier nicht machen. Sie ist halt nicht die Hauptfigur. In hervorgehobenen Opferrollen finden sich Megan Duffy („Little Athens“) und Jan Broberg („Slaughter of the Innocents“, „Der Club der Detektive“, „Everwood“).

Bildqualität: Ausgezeichneter 2.40:1-Transfer (anamorph), gestochen scharf, kontrastreich, farbecht.

Tonqualität: Deutscher Synchronton in DTS 5.1 oder Dolby Digital 5.1, englischer O-Ton in Dolby Digital 5.1. Die deutsche Synchro ist gut ausgefallen, trotzdem würde ich, schon allein Elijah Wood zuliebe, die O-Ton-Fassung bevorzugen (optionale Untertitel sind vorhanden).

Extras: Ein kurzes, leider sehr nichtssagendes Promo-Making-of (schade, denn gerade hier wären auch mal technische Aspekte, gerade zum Dreh mit subjektiver Kamera, interessant gewesen) und Video-Interviews mit Wood, Arnazeder, Khalfoun und Aja, dies ich leider auch ein bisschen mit den Snippets aus dem Making-of überschneiden. Außerdem gibt’s den deutschen, den US-, sowie den 1980er-„Maniac“-Trailer (mit letzterem eröffnet die Scheibe sogar). Der Hauptfilm wird mit einer kurzen Begrüßung von Bill Lustig gestartet.

Fazit: Man kann sicher immer noch darüber streiten, ob ein „Maniac“-Remake wirklich nötig war, aber wenn’s schon eines gab, bin ich doch ziemlich froh, dass es dieses ist – es ist wesentlich besser als gedacht. Sein neuer Ansatzpunkt, rein aus Killer-POV zu erzählen, ist zwar gewöhnungsbedürftig und für Gelegenheitskucker vermutlich recht anstrengend, jedoch, wie gesagt, letztlich die folgerichtige Konsequenz aus dem Original. Michael Haneke würde daraus, und aus der Tatsache, dass ich zumindest diese Weiterentwicklung des Originals für eine positive Idee halte, seine üblichen (falschen) Schlüsse ziehen, doch dichter an die derangierte Psyche eines Wahnsinnigen wird man wohl kaum im Rahmen eines Unterhaltungsfilms kommen können. Ein Film, der beweist, dass ein Remake, auch wenn man die Geschichteim Wesentlichen unverändert lässt, seine eigene Sprache finden und den Zuschauer damit packen kann. Empfehlung (aber kuckt nach der Uncut-Version unter dem „Cinema Extrem“-Banner von Ascot Elite)!

4/5
(c) 2013 Dr. Acula


mm
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