- Deutscher Titel: Malastrana
- Original-Titel: La corta notte della bambole di vetro
- Alternative Titel: Short Night of Glass Dolls | Unter dem Skalpell des Teufels |
- Regie: Aldo Lado
- Land: Italien/BR Deutschland/Jugoslawien
- Jahr: 1971
- Darsteller:
Ingrid Thulin (Jessica), Jean Sorel (Gregory Moore), Mario Adorf (Jacques Versain), Barbara Bach (Mira Svoboda), Fabijan Sovagovic (Prof. Karting), José Quaglio (Valinski), Jürgen Drews (Straßensänger)
Vorwort
Gregory Moore, amerikanischer Journalist auf Auslandsstation in Prag, hat ein Problem. Das Problem ist – er liegt in der Leichenhalle und wird allgemein für mausetot gehalten, doch sein Hirn fühlt sich verhältnismäßig prächtig. Moore hat daher wenig Lust darauf, aufgeschnitten und eingegraben zu werden, doch kann er sich in keiner Weise verständlich machen. Also versucht er, ersatzweise zu rekonstruieren, wie er in diese fatale Lage gekommen ist…
Gregory ist in ein hübsches einheimisches Mädel namens Mira verliebt und trägt sich mit dem Gedanken, die nette kleine Tschechin zu seiner nächsten Station, London, mitzunehmen, was in sozialistischen Gefilden nun eher nicht ganz so einfach ist. Er hofft daher auf Unterstützung einflussreicher Bekannter, z.B. dem Advokaten Valinski, auf eine dessen Parties er Mira dann auch mitschleift. Mira sorgt für großes Hallo unter den diversen Würdenträgern, auf weniger Begeisterung stößt sie bei Gregorys Kollegin und Ex Jessica, die sich nicht von ungefähr für jüngeres Gemüse entsorgt fühlt. Gregory und Mira verbringen eine Liebesnacht, aus deren postkoitalen Träumen der Schreiberling von seinem Freund und Kollegen Jacques geklingelt wird, weil vorgeblich eine heiße Story anliegt. Die entpuppt sich als Luftnummer, und als Gregory in seine Wohnung zurückkommt, findet sich dort nur ein miraförmiges Luftloch. Da ihre Klamotten noch vollzählig angewesend sind und Mira wohl kaum splitterfasernackt durch Prag rennen wird, geht Gregory von Foulspiel aus, womit er allerdings ziemlich allein auf weiter Flur steht. Junge Mädchen machen schon mal Unsinn, Valenksi will gehört haben, dass Mira auf der Party von einem bevorstehenden Trip nach Moskau gehört hat, und überhaupt soll sich Gregory mal nicht so haben.
Natürlich lässt er den Ratschlag des Polizeiinspektors, die Sache ruhen zu lassen, links liegen und ermittelt mit Valinski, Jacques und Jessica auf eigene Faust. Die Investigation ist recht unergiebig, bis Gregory auf den Gedanken verfällt, Miras Verschwinden könnte mit anderen ungeklärten Vermisstenfällen hinsichtlich junger hübscher Frauen zusammenhängen. Ein Informant, von dem Gregory sich wertvolle Tipps eröffnet, wird ermordet und kann nur noch einen kryptischen Hinweis murmeln, mit dem unser Held zunächst nichts anzufangen weiß. Just, als Gregory gewillt ist, die Schnitzeljagd aufzugeben, stößt Jacques zufällig auf einen entscheidenden Clue – hinter der Fassade des so langweilig wirkenden Gesellschaftsklubs „99“ scheint sich mehr zu verbergen als gedacht.
Dieweil Gregorys Verstand sich der Lösung des Rätsels nähert, nähert sich auch das scharfe Skalpell der Autopsie…
Inhalt
Ein recht ungewöhnlicher Giallo aus der Werkstatt von Aldo Lado, bekannt von solch glorreichen Werken wie „Night Train Murders“ oder dem unsterblichen „Kampf um die 5. Galaxis“. Kann man zumindest letzteren ohne großen Widerspruch in die Trash-Schublade packen und den zuvor genannten unter die „Last House on the Left“-Nachklapps, so verdient sich der hiesige Streifen mit seinem gewohnt poetisch-sinnfreien Giallo-Titel schon mal einen Anerkenntispunkt für Seriösität.
Das beginnt beim ungewöhnlichen und angsteinflößenden framing device, in dem unser katatonischer Held hoffen muss, das Rätsel zu lösen, bevor ein Pathologe Hand anlegt und ihn zum Wohle der Wissenschaft filettiert – mit diesem Kunstgriff hält Lado das Zuschauerinteresse hoch, obwohl er die eigentliche Geschichte sehr behutsam und langsam entwickelt (modernen Sehgewohnheiten nicht sehr entgegenkommend). Was anfänglich die Neugier des Zuschauers („wie zum Geier kommen wir an den Punkt?“) befriedigt, wird zum Ende hin immer drückend spannender, wenn wir Augenzeugen werden, wie Ivan, ein Freund Gregorys und Arzt in just diesem Krankenhaus, verzweifelt versucht, ihn zu reanimieren, weil er ahnt, dass Greg nicht SO tot ist, wie er aussieht, und dann mit ansehen müssen, wie unser Held in das OP-Theater gerollt wird, um desinteressieten Medizinstudenten als Anschauungsexemplar zu dienen – und sich dieser Tatsache voll bewusst ist. Das allein würde schon einen guten Horrorfilm abgeben…
Und doch ist es eben nur die Rahmenhandlung für den eigentlichen Plot (nicht ohne geschickt mit diesem verknüpft zu werden). Die „wirkliche“ Story zieht Lado als Thriller auf. Ohne echte Horror- oder auch nur Gialloelemente jagt Gregory seiner verschwundenen Geliebten nach, sucht nach Hinweisen, landet immer wieder in Sackgassen und wird, wie sich das für einen Gialloprotagonisten allerdings gehört, selbst zum Verdächtigen. Dabei spritzt Lado nicht mit Kunstblut und geizt auch über weite Strecken mit der genretypischen Nudity – graphische Gewaltszenen gibt es nicht und auch wenn’s mal eine Sexszene gibt, inszeniert Lado sie im Vergleich zu seinen Genregenossen sehr zurückhaltend. Wäre da nicht die Rahmenhandlung, die uns daran erinnert, dass wir’s hier nicht mit einer Folge „Derrick“ zu tun haben, man könnte „Malastrana“ glatt für einen „ganz normalen“ Krimi halten, bis der Film so zwanzig Minuten vor Schluss eine scharfe Abbiegung ins „left-field“ nimmt (nicht ohne das aber vorbereitet zu haben, wenn man aufmerksam zugesehen hat).
Eine SPOILER-Warnung ist, denke ich, angebracht.
Lados Thema ist der Generationenkonflikt, die Rebellion einer aufmüpfigen, experimentierfreudigen Jugend gegen die verknöcherten „ist-schon-immer-so-gewesen“-Strukturen der Alten, die die Jungen gefügsam halten müssen, um ihre Macht zu erhalten. Insofern ist der Kniff, die Geschichte in Prag (verständlicherweise immer dann, wenn die eigenen Darsteller durchlaufen müssen, von Ljubljana oder Zagreb gedoublet) anzusiedeln (obschon der Klub 99, wie wir erfahren, weltweit Filialen hat), schon eine nette subversive Nummer, hatte die CSSR gerade erst leidgeprüft erfahren müssen, was passiert, wenn man verkrustete Strukturen aufbrechen will – wenn man so will, ist „Malastrana“ ein pessimistischer Kommentar zum Prager Frühling und seiner Niederschlagung (der italienische Genrefilm bzw. viele seiner Protagonisten sahen sich ja explizit als politisch, und meist sehr weit links im Spektrum – so gesehen ist Lado einer der ersten, der sich von linksradikalen Positionen ein wenig frustriert abzuwenden scheint). Während der Film es erst im Schlussakt offen legt, worauf er abzielt, gibt es genügend Hinweise darauf, wohin der Hase laufen könnte – schon Valinskis Party ist eine Altherrengesellschaft vor dem Herren, bei einem späteren Privatkonzert ist das geriatrische Publikum grotesk geschminkt, und selbst bei Gregorys Beziehung zu Jessica spielt das Thema herein. Jessica ist mindestens in Gregorys Alter (er ist knapp 40), wenn nicht ein wenig älter, und durchaus pikiert, dass er sie durch einen heißen Twen ersetzen will (und bei aller Freundschaft – auch wenn Ingrid Thulin durchaus MILFig ist, gegen Barbara Bach in der Blüte ihrer Jugend kann sie nur verlieren, ähm) und aus ihrer Sicht eine gute Sache ruiniert.
SPOILERENDE
Es ist also durchaus ein cleveres Garn, das Lado – mit einem unvergesslichen Finale – spinnt, und doch – ganz vom Hocker haut mich der Film dann doch nicht. Das liegt einerseits an Lados für meine Begriffe *zu* zurückhaltenden Inszenierung, zumal er halt kein Optik-Guru vom Schlage Bava oder Argento ist, und andererseits an Jean Sorel („Belle de Jour“), dem es trotz Pornoschnäuzer ein wenig an der leading-man-Ausstrahlung fehlt, von Mario Adorf (als Jacques) in den gemeinsamen Szenen mühelos an die Wand gespielt wird und auch gegen Jose Quaglio („1900“) den Kürzeren zieht. Es ist die Krux mit so vielen Euro-Horror-Filmen, Giallos oder Thrillern der späten 60er und frühen 70er, dass ihre Helden farblose Kleiderständer sind (see: Taylor, Jack), die mit dem Material, das sie spielen dürfen, nicht mithalten können.
Bergman-Charakter-Akteurin Ingrid Thulin (eine interessante Wahl) genießt übrigens Top-Billing; man glaubt allerdings, bei ihr ein gewisses Unwohlsein mit der Rolle (und Sorte Film) zu spüren. Barbara Bach ist leider nur kurz im Film, aber natürlich in jeder Sekunde anschmachtenswert…
Maestro Ennio Morricone steuert den Score bei, der ohne große memorable Themen auskommt, sich aber sehr elegant in den Film einfügt.
Summa summarum: ein sehenswerter Giallo, der sich von den Genrekonventionen wohltuend abhebt, aber einen charismatischeren Hauptdarsteller und eine etwas straffere Inszenierung verdient hätte.
3,5/5
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