Machucha, mein Freund

 
  • Deutscher Titel: Machucha, mein Freund
  • Original-Titel: Machucha
  •  
  • Regie: Andrés Wood
  • Land: Chile
  • Jahr: 2004
  • Darsteller:

    Matías Quer (Gonzalo Infante), Ariel Mateluna (Pedro Machuca), Manuela Martelli (Silvana), Ernesto Malbran (Father McEnroe), Aline Küppenheim (María Luisa Infante), Federico Luppi (Roberto Ochagavía), Francisco Reyes (Patricio Infante), Luis Dubó (Ismael Machuca)


Vorwort

Chile 1973, zu Zeiten der sozialistischen Allende-Regierung – den wohlbehüteten Zöglinge einer englischsprachigen Privatschule in Santiago de Chile, allesamt Junioren der wohlbegüterten Oberschicht, steht ein Kulturschock ins Haus, denn der progressive Geistliche Father McEnroe, Chef der Schule, schleust ein Rudel sozial unterprivilegierter Kids indianischer Abstammung in den Unterricht. Die Neuankömmlinge sehen sich stantepete den zu erwartenden rassistischen Anfeindungen („Kaffern!“) und sonstigen Demütigungen, die dreizehnjährigen Jungs, denen es eindeutig an grundlegenden Anstandsformen mangelt, einfallen, ausgesetzt. Gonzalo Infante, der „kleine Dicke“, der selbst von seinen Oberschicht-Kollegen bestenfalls als willkommener Banknachbar zum Abschreiben, sonst aber eher Außenseiter ist, freundet sich mit dem „Neuen“ Pedro an und lernt dadurch eine völlig neue Welt kennen – die der Armen-Ghettos am Rande der Stadt, in der die Menschen hauptsächlich damit beschäftigt sind, irgendwie zu überleben, aber dennoch ihre Lebensfreude nicht verlieren. Pedro verdient sich z.B. Kohle damit dazu, vormittags auf nationalistischen Demos Fahnen an die Demonstranten zu verhökern, um dann nachmittags die Marschierer der kommunistischen Gegendemos fahnentechnisch zu versorgen (wobei das politische Herz der Armen naturgemäß eher links schlägt). Während Gonzalos dysfunktionale Familie (Vater ständig auf Reisen, Mutter vögelt hinter seinem Rücken quer durch die Oberschicht) angesichts der politischen Lage eine Auswanderung überdenkt, erleben Gonzalo und Pedro den Alltag sowohl der reichen als auch der armen Leute – bis zu dem Tag, an dem das Militär gegen Allende putscht und alles anders wird…


Inhalt

Lateinamerikanisches Kino ist, seien wir ehrlich, im allgemeinen Minderheitenprogramm für das Baskenmützen- und Festivalpublikum und wird nur sehr selten vom Mainstream überhaupt wahrgenommen – Ausnahmen wie der letztjährige (war doch letztes Jahr, oder?) Überraschungserfolg „City of God“, in dessen Fahrwasser „Machuca“ sich vermarkten will, bestätigen eher die Regel (zumal die talentierten Regisseure dann meist sofort von Hollywood vereinnahmt werden). Wenn’s aber Filmpreise zu vergeben gibt, dann tauchen die Streifen aus Süd- und Mittelamerika gerne mal auch hierzulande auf – und auch „Machuca“ schmückt sich mit dem Titel des „offiziellen chilenischen Oscar-Kandidaten 2005“. Meinetwegen… das spricht nicht unbedingt für den Film, aber auch noch nicht grundsätzlich gegen ihn…

Trotzdem hat der Streifen ein ganz grundsätzliche Problem – zumindest, was mich angeht. Ich mag nämlich keine Filme, in denen Kinder die Protagonisten sind (ganz speziell, wenn sich die Filme an ein erwachsenes Publikum richten). Klar, ja, ich weiß, Stilmittel und so, aber das ist halt dummerweise integral damit verbunden, dass die Blagen die Hauptrollen spielen und damit praktisch permanent vor der Linse sind. Und ich hab halt bislang wenig Kinderdarsteller gefunden, denen ich zusehen kann, ohne dass sich mir die Fußnägel kräuseln oder ich Pamphlete zur Geburtenkontrolle verfasse. Leider tut „Machuca“ nicht unbedingt etwas dafür, dieses in jahrelanger Arbeit erkämpfte Vorurteil zu revidieren.

Dabei ist das Setting des Films für jeden auch politisch interessierten Cineasten reizvoll – das sozialistische Experiment der Allende-Regierung und sein blutiges Scheitern durch den Pinochet-Putsch (durch tatkräftige Unterstützung des CIA, da den US-Amerikanern ein weiteres marxistisches Regime neben Kuba im eigenen Hinterhof naturgemäß unangenehm war), das ist durchaus der Stoff, aus dem man Filme stricken kann und soll.

Der Film will aber ersichtlich weniger eine politisch-historische Feldstudie sein, sondern das chilenische Lebensgefühl in diesen turbulenten Zeiten portraitieren – zweifellos ein hehres Anliegen, nur eines, das ein breites Publikum außerhalb Chiles kaum ansprechen wird. Script und Film arbeiten einfach zu wenig aus, WAS genau die Problematik dieser Ära ausmacht. Man wirft dem Zuschauer hin und wieder ein Bröckchen Information hin, bemüht sich um Authenzität durch die ein oder andere zeitgenössische Nachrichtensendung, die eingebaut wird, macht aber viel zu selten deutlich, was genau die Krux in Chile 1973 war (de facto eine darniederliegende Wirtschaft, immense Inflation und ständige Streiks). Und wenn das Script dann mal versucht, deutlicher bzw. politischer zu werden, ist mir das einfach, bei aller Sympathie für eher links-von-der- Mitte-angesiedelte politische Heimaten, zu schwarz-weiß gemalt – Nationalismus/Kapitalismus böse, Sozialismus/Marxismus gut. Das allein scheint mir als Analyse der damaligen Situation einfach zu dürftig.

Und nimmt überdies keinen besonders breiten Raum ein. Zu oft verliert sich der Film m.E. in schlichter Sozialromantik, zelebriert das einfache, harte, aber „glückliche“ Leben der Indio-Abkömmlinge im Gegensatz zum im Luxus schwelgenden, aber gefühlskalten, egozentrischen Treiben der Oberschicht.

Gelegentlich gelingt Regisseur Andrés Wood eine gute, wirkungsvolle Szene (die oben angesprochene „Doppeldemonstration“ z.B.), aber viel zu oft verliert sich der Streifen in für die eigentliche Story bedeutungslosen Längen, er schafft es nicht einmal, obwohl Film und Script eigentlich deutlich dahingehend fokussieren, die Freundschaft zwischen Gonzalo und Pedro schlüssig zu entwickeln, sie scheint vielmehr einfach DA zu sein und entwickelt sich danach kaum mehr besonders weiter (außerdem schwächt sich die „Message“ m.E. schon mal dadurch ab, dass Gonzalo, bevor die „Neuen“ in die Schule kommen, selbst der Außenseiter der Klasse war, was offensichtlich als alleiniger Auslöser für die Freundschaft gedacht ist).

Der auf dem DVD-Cover gezogene Vergleich zu „City of God“ ist, gelinde gesagt, eher daneben. „Machuca“ zieht sich wie ein fader Kaugummi über seine fast zwei Stunden Laufzeit – und besonders in den ersten 60 Minuten tut sich nicht wirklich viel kinematisches – je näher der Film seinem dramaturgischen Höhepunkt, dem (beiläufig geschilderten) Pinochet-Putsch kommt und die Freundschaft der beiden Protagonisten erste Risse bekommt, weil ihnen, durch ihre jeweiligen Ältern, so richtig die Standes- und politischen Unterschiede zwischen ihren Familien klar werden (und man sich dann schon mal als „Nationalistenschwein“ oder „kommunistischer Hurensohn“ beschimpft), desto intensiver wird der Film, ohne jemals ein wirklich *packendes* Level zu erreichen. Filmisch gibt sich „Machuca“ über weite Strecken sehr konventionell, lediglich ein Kunstgriff, der zwar in gewisser Weise auch wieder recht plump ist, gefällt mir trotz seiner arg simplifizierenden Symbolik. Solange die Allende-Regierung herrscht, sind die Farben fröhlich, bunt, lebendig; nach der Machtübernahme von Pinochet weicht die Buntheit unterkühlten, abweisenden Grautönen.

Ansonsten fallen Andrés Wood aber kaum großartige Mittel ein, den Film visuell abwechslungsreich zu gestalten. Positiv ist die gelungene musikalische Untermalung zu erwähnen.

Auf der Darstellerseite sollte ich mich, angesichts der kindlichen Hauptdarsteller, eigentlich vornehm zurückhalten. Matías Quer erinnert mich (zu seinem persönlichen Pech) leider frappierend an einen beliebigen child actor in einem 80er-Fulci-Horror (eine Verbindung, die das zu erwartende durchschnittliche „Machuca“-Publikum vermutlich eher nicht sehen wird) – schauspielerisch ist er seinem wesentlich frischer und natürlicher daherkommenden „Kollegen“ Ariel Mateluna deutlich unterlegen. Die eigentlich wichtigste Rolle spielt Manuela Martelli als Silvana recht sympathisch. Aline Küppenheim ist eine angemessen verachtenswerte Kapitalistentussi, Ernesto Malbran überzeugt als idealistischer Paffe ebenfalls. Als Gaststar steuert Federico Luppi, einem Horror-Publikum aus Guillermo del Toros Vampir-Allegorie „Cronos“ bekannt, nichts sonderlich erwähnenswertes bei.

Bildqualität: Da brennt bei Sunfilm normalerweise nichts an. „Machuca“ präsentiert sich in in anamorphem 1.85:1-Widescreen, der Transfer kann aber nicht völlig überzeugen. Es treten einige Pixelfehler auf, die Kompression könnte manchmal besser sein und auch die Schärfewerte wissen nicht immer zu überzeugen Das ist sicherlich teilweise beabsichtiges Stilmittel, um die Bilder dokumentarischer wirken zu lassen, hätte aber trotzdem besser geregelt werden können.

Tonqualität: Kein Surround-Fest, das ist bei Arthaus-Kino ja meist vorab klar, wird geboten – für Sunfilm fast schon erstaunlicherweise nur zwei Tonspuren finden sich auf dem Datenträger: deutsche Synchron- und spanische Originalfassung jeweils in Dolby 5.1. Weil’s mir heute nicht nach einer konzentrierten Geistesleistung stand, bevorzugte ich die angenehm synchronisierte, kristallklare und gut abgemischte deutsche Tonspur. Deutsche Untertitel gibt’s natürlich.

Extras: Die Ausstattung ist annehmbar, aber nicht weltbewegend. Knapp 17 Minuten kann man den Dreharbeiten in einem Making-of der unkommentierten Sorte beiwohnen, etwa 6 Minuten dauert ein Interview mit Regisseur Andrés Wood. Original- sowie deutscher Trailer, Andrés Woods Biographie in Texttafelform und die Sunfilm-Trailershow runden das Angebot ab.

Fazit: Es tut mir ja irgendwie in der Seele weh, aber wieder mal habe ich es mit einem sicherlich herzensgut gemeinten Stück Betroffenheitskino zu tun, bei dem sich bei mir die gewünschte Betroffenheit einfach nicht einstellen will. Im Gegensatz zu z.B. „Beijing Bicycle“ interessiert mich hier zwar durchaus die grundlegende Problematik bzw. Epoche, aber nicht in dieser Umsetzung. Seine politischen Aussagen sind mir zu einfach, seine Dramaturgie zu beliebig, seine Story zu sehr belangloses Jugenddrama (ohne Überraschungsmomente) denn wirkliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Ganz sicher ist „Machuca, mein Freund“ ein Film, der dem chilenischen Publikum als Spiegel der eigenen gesellschaftlichen Vergangenheit mehr gibt als einer internationalen Zuschauerschaft. Vielleicht sollte man Filme, für die man entweder „dabei gewesen“ sein muss oder einfach einen stärkeren persönlichen Zugang zur Thematik braucht, dann doch dem Festivalpublikum vorbehalten (ich würde ja auch nicht „Sonnenallee“ einem durchschnittlichen Chilenen vorsetzen und damit rechnen, dass er kapiert, worum’s da geht). Vielleicht ist „Machuca“ ja auch nur wieder nicht „mein“ Film, also könnt Ihr, so ihr gern ’ne Baskenmütze trägt, auf die Bewertung deutlich was draufschlagen.

2/5
(c) 2005 Dr. Acula


mm
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