Lucky M. füllt alle Särge

 
  • Deutscher Titel: Lucky M. füllt alle Särge
  • Original-Titel: Lucky, el intrépido
  • Alternative Titel: Lucky, the Inscrutable | Unternehmen Midas |
  • Regie: Jess Franco
  • Land: Spanien/Italien/BR Deutschland
  • Jahr: 1967
  • Darsteller:

    Ray Danton (Lucky), Barbara Bold (Brunhilde), Dante Posani (Michele), Dieter Eppler (Secuaz de Gafas de Oro), Maria Luisa Ponte (Madame Linda), Rosalba Neri (Yaka), Beba Loncar (Beba), Teresa Gimpera (Cleopatra),


Vorwort

Spitzenagent Lucky M. versucht in London die Spionin „Cleopatra“ zu verhören, allerdings ist ein Killer der Gegenseite schon auf Cleos hübschen Fersen und legt sie um, während Lucky sich noch mit einem Henchman prügelt.

Luckys Boss „Erzengel“ interessiert sich nicht weiter für den Vorfall, er hat schon wieder einen neuen Auftrag für den Verkleidungskünstler, Charmeur und all-around renaissance man. Es geht um einen massiven Geldfälscherring, der sich neuerdings auf falsche US-Dollar spezialisiert hat. In Rom soll er sich mit einem Informanten treffen. Der Informant trifft auch ein, allerdings mit einem Messer im Rücken. Dennoch kann er Lucky noch einen geröchelten Hinweis geben – die Spr führt Lucky und seinen Kumpel Michele nach Albanien, wo in einer Papierfabrik die Blüten hergestellt werden sollen.

Doch die Vögel sind schon ausgeflogen und zudem geraten die Agenten ins Visier der albanischen Polizei und deren ausgesprochen attraktiver Chefin. Luckys bewährte Verführungskünste fallen auf fruchtbaren Boden und die Poliziöse lässt die Spione entkommen.

Der nächste Hinweis beordert Lucky und Michele auf die Karibikinsel Lupagan, wo Nightclubbesitzerin Miss Linda aus Kaschmir Kontakte zum Chef des Fälscherrings unterhalten soll. Lucky will sie ein wenig ins Bockshorn jagen, damit Linda ihn unfreiwillig zum Hauptquartier der Ganoven führt. Der Plan funktioniert etwas zu gut, denn der Oberbösewicht lässt Linda als Sicherheitsrisiko umlegen. Zum Glück weiß Lindas Mitarbeiterin Kunigunda aus Kötschenroda, wo das Versteck der Bande um den Oberschurken „Goldbrille“ liegt…


Inhalt

Bei der Erwähnung des Namens „Jess Franco“ bekommt so mancher Filmfreund spontan Pickel, aber man vergisst oft und gern, dass der olle Jesse, bevor er sich nur noch der Erfüllung seiner eigenen voyeuristischen Neigungen in Zelluloidform widmete, durchaus mal als Regietalent galt und von renommierten Produzenten gerne verpflichtet wurde, wenn es darum ging, schnell mal einen kassenträchtigen Kommerzreißer rauszubringen. So durfte Franco ja zwei Beiträge der „Fu Man Chu“-Reihe inszenieren und hinterließ seine Spuren auch im Kanon der Edgar-Wallace-Krimis. Eigentlich kein Wunder also, dass Jess sich auch an der in den 60ern populären Eurospy-Thematik versuchte, diesmal in Diensten von italienischen und spanischen Produzenten unter gnädiger Mithilfe der teutonischen Produzentenlegende Atze Brauner.

Überraschenderweise – sowohl für das damals aktuelle Stadium des Genres und Francos typisches Ouevre – entpuppt sich „Lucky M. füllt alle Särge“ nicht als ernsthafter Eurospy-Agententhriller, sondern als überdrehte Genreparodie. Franco ist in Sachen Komödie nicht vollkommen unbeleckt (seine ersten Filme in Spanien waren eher leichtgewichtige Angelegenheiten, und mit „Küss mich, Monster“ und „Sadisterotica“ drehte er 1969 ja zwei weitere Eurospy-beeinflusste Komödien/Parodien), aber dass „Lucky M.“ derart viel *SPASS* macht, hätte nicht mal ich als jemand, dessen Franco-Toleranzlevel höher ist als beim Durchschnitt (davon gehe ich zumindest mal aus), gedacht.

„Lucky M.“ macht sich so ziemlich über alles lustig, was irgendwie ansatzweise in die Eurospy-Ecke gepresst werden kann – sogar die gar lustigen „Superhelden“-Filme aus Bella Italia (die Eröffnungsszene in London bestreitet Lucky M. im Superheldendress mit Cape) bekommen ihr Fett weg. Luckys „Verwandlungskünste“ sind großartig (insbesondere die Szene, in der er sie dem „Orden der Erzengel“, seinem auftraggebenden Organ, erstmals demonstriert), Trampolin-Sprünge rulen okay wie in Cüneyt Arkins kühnsten Träumen, der komplett sinnfreie Plot ist auch nicht hanebüchener als bei den üblichen ernst gemeinten Eurospy-Klamotten, eine kalauernde Proto-Rainer-Brandt-Synchro (die aber, soweit man anhand Ausschnitten der englischen Synchro beurteilen kann, zumindest der humoristisch recht nahe kommt), launige Comic-Book-Attitüde mit lustigen Zwischentiteln (der Film blendet z.B. nach der Texttafel, dass wir uns in einem der eher übel beleumundeten Viertel Londons befinden, das Straßenschild „Downing Street“ ein) und Sprechblasen, die da und dort Charakteren zugewiesen werden, die vierte Wand wird gebrochen und Meta-Gags eingeflochten („Ich hab für fünf Fortsetzungen unterschrieben). Heilige Stulle, das ist quasi Deadpool 1967!

Und dann ist das ganze nicht nur gewollt lustig, sondern auch wirklich lustig – die allermeisten Gags zünden, Franco hält das Tempo enorm hoch und lässt nie Zeit für Leerlauf und auch von der rein handwerklichen Seite brennt nichts an. „Lucky M.“ ist einer der am sorgfältig gearbeitesten Franco-Filme, der sich mir bislang vorgestellt hat (vielleicht hatte er dieses Mal wirklich Produzenten, die ein bisschen stärker die Hand drauf hatten als bei frei flottierenden Franco-Werken), mit ordentlichem Aufwand, und wenn’s filmisch, sagen wir mal, etwas „abenteuerlicher“ wird, dann ist’s meist ein gewollter Gag (wie bei der „Flugzeugexplosion“). Ein einziges Mal schimmert echte Franco-ität durch, wenn der Maestro eine Szene in der reflektierenden Oberfläche einer Radkappe filmt…

Obendrauf kommt noch ein extrem beschwingter Score von Bruno Nicolai (die erste Zusammenarbeit zwischen Franco und Nicolai, nach Jesses Erinnerung dadurch entstanden, dass die Herrschaften schlicht Nachbarn waren), der permanent für Frohsinn sorgt, auch wenn er nicht direkt zum Geschehen passen will (aber dann eben als witzige Juxtaposition von Bild und Ton wirkt).

Abstriche machen muss man ein bisschen bei den Darstellern. Ray Danton, einer der zahlreichen amerikanischen Charakterdarsteller, die nach dem Zusammenbruch des Vertragsschauspielersystems ihr Glück in Europa versuchten, ist sicher nicht der größte Komödiant auf Erden, aber – als zweifacher Darsteller eines Geheimagenten in den „Codename Jaguar“-Filmen – mit ausreichend Selbstironie ausgestattet, um quasi als ein Proto-Dujardin-OSS durchzugehen. Sein Sidekick Dante Posani kommt mir irgendwie so vor, als müsste ich ihn kennen, aber da ich weder die Fumetti-Adaptionen „Kriminal“ noch „Mister X“ kenne, ist er wohl nur eine Art Giuliano-Gemma-Double, aber mit ganz guter komödiantischer Chemistry mit Danton gesegnet.

Die Damen der Schöpfung sind ganz kurios besetzt. Kunigunda (im Original „Brunhilda“) spielt Barbara Bold, die kurz zuvor in der Reinl-„Nibelungen“-Version die Hildegunt spielte (was den Gag ihres Charakternamens in der OV erklärt). Rosalba Neri hatte schon einschlägige Eurospy-Erfahrung und wurde in der Folge noch mehrfach bei Maestro Franco vorstellig (u.a. in „99 Women“ oder „Marquis de Sade: Justine“). Beba Loncar amtierte hauptsächlich in französischen und italienischen Erotikkomödien, spielte aber auch eine Hauptrolle im Vittoria-Gassman-Historienabenteuer „Brancaleone auf Kreuzzug ins heilige Land“).

Der spätere „Tatort“-Kommissar Dieter Eppler spielt eine gewichtige Nebenrolle als „Goldbrilles“ nahezu dialogfreier, dafür aber hustender Henchman, und Jess Franco selbst hat sich einen Cameo als Eisenbahn-Tramp auf den Leib geschrieben.

Die brandneue DVD von Pidax zeigt den Film hübsch restauriert (auf der Grundlage eines italienischen Masters). Ein paar in der früheren deutschen Kinofassung nicht enthaltene Szenen (zusammen vielleicht zwei-drei Minuten) wurden mangels vorzeigbaren Materials nicht in den Film integriert, sondern liegen in englischer Sprachfassung als Bonusmaterial vor (zumindest eine Szene ist ganz wichtig, da sie zeigt, wie Michele Lucky aus einer Bredouille rettet, was in der deutschen Fassung ziemlich rätselhaft bleibt).

Auch wenn’s mir vermutlich nicht jeder glauben wird – „Lucky M. füllt alle Särge“ ist tatsächlich der Jess-Franco-Film, den man seiner Familie zeigen kann und bei dem alle ihren Spaß haben werden – es ist eine hoch unterhaltsame, witzige und kompetent gemachte Eurospy-Parodie, die jeder Fan des Genres in seine Sammlung aufnehmen sollte.

4/5
(c) 2016 Dr. Acula


mm
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Stefan Krusenbaum
Stefan Krusenbaum
11. März 2018 23:25

Super Review, unglaublich kompetent vom Cineasten für Cineasten geschrieben.

Kleine Ergänzung bzw. Korrektur: Es gab meines Wissens nur einen Codename Jaguar – Film, nämlich „Der Spion, der in die Hölle ging“ (1965). Allerdings hat Ray Danton vor der Eurospy-Parodie „Lucky M. füllt alle Särge“ aus dem Jahr 1967 noch 1966 in „Höllenjagd auf heiße Ware“ den Geheimagenten in einem Eurospy-Film gegeben.

Beste Grüße
Stefan