
- Original-Titel: Love God
- Regie: Frank Grow
- Land: USA/Japan
- Jahr: 1997
- Darsteller:
Will Keenan as Larue
Shannon Burkett as Helen
Kymberli Ghee as Kathleen / Kali
Kerri Kenney as Darla
Michael Laurence as Victor
Dale Soules as Connie
Yukio Yamamoto as Dr. Noguchi
Vin Knight as Christian
Christine Holt as Red Haired Hooker
Vorwort
Abt. Midnight Movies mit Jorge #003
Ich hab ja gesagt, dass die Midnight Movie Sessions eine ergiebige Ausbeute an Badmovies mit sich bringen. Aber keine Sorge, zum Wochenende gibt es auch wieder ein „normales“ Review. Heute aber tauchen wir ab in die Untiefen des New Yorker Underground-Kinos der 90er-Jahre. LOVE GOD wurde seinerzeit für seine Festivalrunde vom digitalen Medium auf 35 mm Film gezogen, war damit der erste Film dieser Art, der auch auf dem Sundance Filmfestival in das Programm aufgenommen wurde (das snobistische Festival-Kuratorium hatte ansonsten stets wert darauf gelegt, dass in jedem Fall auch auf Film und nicht auf Video gedreht wurde). Er hat über die Jahre tatsächlich so etwas wie ein „cult following“ aufbauen können, obwohl er eigentlich überhaupt nicht erhältlich war. Damit ist er interessant genug, um mal genauer unter die Lupe genommen zu werden, und ich kann euch sagen, das war ein wilder Ritt!
Inhalt
Da die Irrenhäuser des Landes chronisch überbelegt wie auch unterfinanziert sind, werden kurzerhand ein Drittel aller Patienten, ob nun vollständig gesundet oder nicht, aus ihrer stationären Behandlung entlassen. Auch Larue, der unter einem gestörten Verhältnis zum geschriebenen Wort leidet – er liest zwanghaft alles, was ihm vor die Glotzerchen kommt und zerstört es danach -, wird von seinem Therapeuten Dr. Noguchi in eine Übergangseinrichtung, die Pension „Love Hotel“ in Manhattans Hell’s Kitchen, überstellt. Als erste Amtshandlung in Freiheit setzt Larue seine Medikation ab und legt sich einen Jahresvorrat an Kaugummi zu. Er macht hier Bekanntschaft mit seinen neuen Nachbarn, der Tatortreinigerin Connie und ihrer taubstummen Tochter Helen, die unter dem extremen Sauberkeitsfimmel ihrer überfürsorglichen Mutter leidet. Die hyperaktive Helen ist sofort fasziniert vom eher introvertierten Neuankömmling in der Nachbarschaft. Der Straßenzug vorm „Love Hotel“ ist das Revier der Prostituierten Kathleen, die sich für die indische Gottheit Kali, hört den ganzen Tag über die Stimme von Shiva in ihrem Kopf und versucht durch Morde an Freiern zu diesem, ihrem Ehemann zurückzufinden. Und dann gibt es noch ein Scheiße-Monster der Liebe, dass sich durch vornehmlich durch die Kanalisation bewegt und auch die Bewohner des „Love Hotel“ heimsucht…
What’s the deal?
Frank Grow, der Schöpfer von LOVE GOD, ist von Beruf eigentlich Cutter (was man dem Film ansieht; Experten zählten hier auf 82 Minuten mehr als beachtliche 3.700 gesetzte Schnitte) bei TV-Shows wie DER BACHELOR, CONTAINER WARS oder BEAR GRYLLS. Da er dieser Profession seit Anfang der 2000er zu folgen scheint, könnte ich mir gut vorstellen, dass das hier vielleicht eine erweiterte Version seiner Abschlussarbeit an der Filmhochschule darstellen könnte (die Informationslage zum Film ist wirklich sehr, sehr dünn). Wie es aussieht, ist auch japanisches Geld hier eingeflossen. Außerdem könnte die Besetzung von Troma-Regular Will Keenan (TROMEO & JULIA, TERROR FIRMER) in der Hauptrolle auf eine Nähe von Grow zur Kaufman-Schmiede hindeuten. Jedenfalls erinnern der schmierige Look und die kruden Ekeleffekte schon stark an deren Produktionen. Grow verbindet hier trashige Horror-Elemente rund um die Halluzinationen des wegen der Absetzung seiner Medikamente etwas neben sicht stehenden Larue, der serienmordenden Kali und das toilettentieftauchende Monster, mit sehr viel schwarzen Humor, grotesken optischen Einfällen, hinduistischen wie auch tantrischen Motiven und einer sich zart entwickelnden Love-Story. Anfangs erschlägt der Film uns fast mit schnellen Schnittfolgen und collagenartig aufgearbeiteten Szenerien, bis alle Charaktere und die schräge Situation etabliert sind, aufgrund derer sich dann die Geschichte entwickeln kann. Hingegen zu den Werken aus dem Hause Troma hält sich LOVE GOD noch relativ zurück, was den Einsatz von Gore und Splatter angeht, auch scheint es Grow nicht darum zu gehen, einfach um des Schocks willen mit Ekeleffekten um sich zu werfen. Die Verbindung von Liebe, Sex, Gewalt und Fäkalien ist bestimmt nicht jedermans Sache, doch hier arbeitet die schlechte Bildqualität für den Verbleib unseres Abendessens im Magen – wenn man nicht wirklich etwas explizit erkennt, ist es auch nicht so widerlich. Der gleiche Umstand hilft auch den zwar schon recht erstaunlichen, aber auch eher zweckmäßigen Creature F/X. Sowieso schreit das Ganze hier durch seinen Look, seinen Humor, seine Attitüde ganz laut „Underground!“, benimmt sich wie ein Elefant im Porzellanladen und untermalt das Ganze noch mit fast 2 Dutzend dröhnender Songs von New Yorker Bands.
Besonders lustig
– Gerade anfangs gibt es kurze Einblendungen von Texttafeln zwecks Exposition, die aus dem Off schon recht wahnwitzig schnell vorgelesen werden.
– In Zwischensequenzen, u.a. auch zu den Texttafeln, gibt es Computer-Animationen zu sehen, die hinduistische Gottheiten, Sex-Idole, Monstren und unheimliche Masken zum Vorbild haben.
– Als Dr. Noguchi mit der Auszubildenden Darla den verwirrten Larue zum „Love Hotel“ fahren, steigt ganz spontan eine Transnutte zu ihnen ins Auto, als sie an einer Kreuzzung halten; Dr. Noguchi ist ganz angetan und will ihn/sie sofort besteigen, was aber Darla unterbindet.
– Die Nutte Kathleen/Kali überkommt immer beim Sex der Drang, einen Mann, also den Mann, mit dem sie gerade Sex hat, zu töten; sie reißt dann einen Opferdolch hoch, der kurz aufleuchtet, als wenn ihn ein göttlicher Schlag trifft.
– Wir begreifen schnell, dass der derjenige, der die Texttafeln vorliest, Larue ist, denn er hält dies mit dem geschrieben Wort, das ihn vor die Augen kommt, genauso – schnell lesen und dann zerstören.
– Tatortreinigerin Connie und Tochter Helen tragen außerhalb ihrer Wohnung immer Ganzkörperschutzanzüge, ihre Wohnung ist mit Plastikfolie zugehängt und das Sagrotanspray gehört zu ihrer Standardausrüstung.
– Am zweiten Tag im „Love Hotel“ bekommt Larue einen Mitbewohner – den unter Turette leidenden Victor, der eigentlich im Zimmer über ihn wohnte, was aber zusammengekracht ist.
– Larue kaut andauernd Kaugummi, baut daraus dann eine phallische Statue, von der er halluziniert, dass sie mit ihm redet (erinnert ein wenig an die Kakerlaken-Schreibmaschine in NAKED LUNCH).
– Wenn Helen auf Larue trifft, überkommt sie immer der Drang, ihn zu reinigen, am liebsten, indem sie ihn ableckt.
– Das Monster greift seine Opfer vorwiegend aus der Toilette an, während diese auf dem Pott sitzen.
– Dr. Noguchi ist davon besessen, das Monster zu fangen, um sich von ihm in einen Love God verwandeln zu lassen.
– Das Maul des Monsters sieht aus wie eine Vagina; wenn es seine Opfer ausspuckt, sehen sie irgendwie aus wie ein überdimensionaler Tampon.
– Im Kopf von Larue lebt tatsächlich ein kleines Monster, das seine Sehschwäche und seine Zwangsstörung verursacht, welches er sich am Ende aus dem Kopf schießen will.
– Es gibt eine Postcredit-Szene, in der die vom Monster ausgespuckten Love Gods Sex mit ihm haben.
Was gibt’s sonst noch zu sagen?
Frank Grow wusste wohl schon sehr gut, was er tat. Die Kameraführung ist beispielhaft, alles scheint auf den Punkt genau das festzuhalten, was später zu sehen sein sollte. Die grelle Beleuchtung und seine präzise gesetzten Schnitte kaschieren sehr gut die wohl spartanischen Produktionsbedingungen. Das bringt dann im besten Fall eine unglaubliche Dynamik in die Szenenfolgen. Die Computer-Animationen der surrealen Zwischensequenzen erinnerten mich an die X-Mix Videos auf MTV aus den frühen 90ern. Das sieht zwar eher billig aus, hat aber in Verbindung mit den kryptischen Botschaften und der krachenden Beschallung durchaus Charme. Die erste Hälfte des Films ist eine wahre Tour de Force aus religiösen Versatzstücken, surrealen Bildkompositionen, dem typisch New Yorker Panoptikum schräger Figuren und Ereignisse. Wenn Grow dann aber dazu übergeht, sich mehr auf die Geschichte von Larue zu konzentrieren, was mit der Absetzung seiner Medikation erst einmal etwas gesetzter vonstatten geht, verliert LOVE GOD ein wenig seiner Wucht, seiner faszinierenden Unruhe. Zum Finale hin kann sich der Film dann aber wieder deutlich steigern. Ein Lob verdient sich nicht nur Grow mit seiner Crew hinter der Kamera, technisch ist das, trotz merklich beschränkten Möglichkeiten, schon sehr ausgereift, immer auch die Restriktionen irgendwie zum Vorteil nutzend (was aber nicht immer gelingt, das ist stellenweise dann auch kumpelhaft unperfekt), sondern auch der Cast vor der Kamera, die dafür sorgen, dass dies nicht zu einem schrägen Klamauk verkommt. An erster Stelle ist hier natürlich Will Keenan zu nennen, der seinen Larue überzeugend rüberbringt. Sein Blick durch die viel zu dicken Brillengläser verrät das Chaos im Kopf des nun auf sich allein gestellten, zwangsgestörten Sonderlings. Genauso agiert das Mutter-Tochter-Gespann aus Dale Souls und Shannon Brackett mit angemessener Übertreibung, ohne komplett ins Nervige zu kippen. Yukio Yamamoto als durchgeknallter Therapeut Noguchi erweist sich in seinen wenigen Szenen als kleines Comedy-Highlight. Das Alles hat natürlich auch seine Ecken und Kanten, das muss aber auch so sein.
Wo oder wie kann mit dem Dreck ich mein Aug‘ beschmutzen?
Die Erhältlichkeit von LOVE GOD, abseits der üblichen Bootleg-Klitschen oder auf den bekannten Video-Plattformen (hier gilt wieder – wer suchet, der findet), gestaltet sich, wie schon eingangs erwähnt, als eher schwierig. Er ist 1997 über einige nordamerikanische Festivals getourt und lief anschließend wohl auch in einigen Programm-Kinos, aber eine Veröffentlichung auf VHS, DVD oder gar Blu-ray ist mir nicht bekannt. Die besten Erfolgsaussichten hat man wahrscheinlich, eine VPN-Verbindung vorausgesetzt (für Deutschland oder die EU hab ich da nicht viel Hoffnung), auf einer der gängigen Streamingplattformen wie Mubi oder Amazon Prime. Es gibt ja entsprechende Websites, über die man sich über die Verfügbarkeit solcher Filme auf dem Laufenden halten lassen kann.
Was am Ende übrig bleibt
Ja, das war wirklich ein wilder Ritt. Wir haben gestaunt, gelacht, uns ab und an mal angeekelt abgewendet, aber langweilig ist LOVE GOD, selbst im etwas drögeren Mittelpart, eigentlich zu keiner Sekunde gewesen. Die Emanzipation von Larue (von Fremdbestimmung durch staatliche Obhut und tägliche Medikation wie auch der zwanghaften Verhaltensstörung selbst) und Helen (von der Fremdbestimmung ihres Lebens durch ihre selbst zwanghafte Mutter) durch die Liebe zueinander als Katalysator ist natürlich ein wenig mit dem Holzhammer vorgetragen (genauso wie die Gegenüberstellung des Kloaken-Monsters und der heruntergekommenen Gegend mit dem Ordnungsfimmel von Connie & Helen), aber das ist ja auch dreckiges Underground-Kino und kein Arthaus-Schlonz, das geht schon in Ordnung so. Das Drumherum ist dabei dann auch der eigentlich Star, denn LOVE GOD birst fast vor bizarren Szenarien und schrägen, witzigen, manchmal auch ekligen oder schönen, jedoch stets relativ kruden Einfällen. Und ja, das ist durchaus auch der Stoff, aus dem gemeinhin Kultfilme gemacht sind. Das muss nicht perfekt sein, sondern eben den richtigen Nerv treffen. Bei uns würde ich jetzt nicht so weit gehen, aber wir sind mit quasi null Erwartungen in den Film gestartet und wurden überraschend gut unterhalten. Das ist dann auch erst einmal das Schönste daran.
BOMBEN-Skala: 5
BIER-Skala: 7
Review verfasst am: 12.03.2025