- Deutscher Titel: Loft
- Original-Titel: Loft
- Regie: Erik van Looy
- Land: Belgien
- Jahr: 2008
- Darsteller:
Koen de Boew (Chris van Outryve), Filip Peters (Vincent Stevens), Matthias Schoenarts (Filip Williams), Bruno Vanden Broucke (Luc Seynaeve), Koen de Graeve (Marnix Laureys), Veerle Baetens (Ann Marai), Tine Reymer (Barbara Stevens), An Miller (Ellen van Outryve), Charlotte Vandermeersch (Vicky Willems), Wine DIerickx (Elsie Seynaeve), Maaike Cafmeyer (Miriam Laureys), Marie Vinck (Sarah Delporte)
Vorwort
Luc kommt eines Morgens, schwer bewaffnet mit Einkaufstüten, in ein schickes Loft und kriegt die Krise – im Bett liegt eine nackte und überdies ausgesprochen tote Frau, mit Handschellen ans Bett gefesselt und mit aufgeschlitzten Pulsadern. Kurz gesagt – eine schöne Sauerei. Hastig ruft Luc seine Kumpel Vincent (Architekt), Chris (Psychologe), Filip (Chris‘ Halbbruder und professionelles Arschloch) und Marnix (Suffkopp) an. Die fünf Männer im mittleren Alter, allesamt mehr oder weniger glücklich verheiratet teilen sich nämlich, auf Vorschlag von Vincent, der das Haus entworfen hat, das Loft als heimliches Versteck für außereheliche Schäferstündchen. Da nur die fünf Freunde über Schlüssel verfügen, verstärkt sich schnell der Verdacht, dass einer von ihnen für die schöne Bescherung verantwortlich ist. Selbstredend will’s aber keiner gewesen sein – klar ist nur, dass der Gang zur Polizei versperrt ist, nicht nur weil nicht auszuschließen ist, dass (mindestens) einer lügt, sondern dann notgedrungen auch das süße kleine Geheimnis des Fremdgehbunkers aufgedeckt und so manches Leben zerstört werden würde. Verzweifelt versuchen die Männer herauszufinden, was in der letzten Nacht wirklich passiert ist und wie zum Teufel es dazu kommen konnte…
Inhalt
Erik van Looy, der uns vor einigen Jahren schon mit dem superben The Alzheimer Case begeisterte (und solltet Ihr nicht begeistert gewesen sein, sucht Euch ’ne hübsche Ecke und schämt Euch ein-zwei Jahre), meldet sich zurück und blickt wieder einmal furchtlos in die Abgründe der vermeintlich biederen belgischen Gesellschaft. Unter leider nur mäßigem Zuschauerzuspruch feiert „Loft“ nun auf dem FFF Deutschlandpremiere und der Doc saß mit allerhöchsten Erwartungen im Parkett…
Und es hat sich wieder einmal gelohnt – „Loft“ ist ein grandios-verschachtelter Thriller, dessen Erzählweise – zugegeben – an „Die üblichen Verdächtigen“ erinnert (nur die Methodik, nicht der Inhalt, alles, was in „Loft“ gezeigt wird, ist auch „passiert“). Aus dem framing device der Polizeiverhöre der Beteiligten entspinnt sich die eigentliche Geschichte praktisch ausschließlich in Flashbacks aus den unterschiedlichen Perspektiven der Protagonisten, werden falsche Fährten ausgelegt, den ausgefeilten Charakteren immer wieder neue Motivationen, neue *Motive* untergejubelt, die (da der Streifen geschickt lange offen lässt, *wer* das Opfer ist) eine Vielzahl möglicher Abläufe plausibel erscheinen lassen. Jeder der fünf Hauptcharaktere hat seinen Background, seinen character arc, wird in das zunehmend komplexer werdende Verwirrspiel hineingezogen. Kompliment an den bislang nur im Comedy-Bereich tätigen Screenwriter Bart de Pauw, der ein großartiges Händchen dafür hat, „echt“ wirkende Figuren zu schreiben, sie in vermeintlich spekulative, aber nachvollziehbare Situationen zu bringen, ihnen glaubhafte Affären anzudichten und dabei die Auflösung fast schon unerträglich lange hinauszuzögern. Mit leichter Hand erweitert de Pauw das Spielfeld vom bloßen „Ehefrauen betrügen“ um Prostitution (bis hin in höhere politische Kreise – Chris‘ Geliebte ist die bezahlte Mätresse des Bürgermeisters von Antwerpen), Voyeurismus, Sadismus, Trunksucht, Korruption und Erpressung (nachdem Vincent Filips Schwiegervater, einen mächtigen Bauunternehmer, beim Seitensprung ertappt, ist er auf einmal ganz weit vorn bei der Auftragsvergabe für neue Projekte, muss aber sanft, aber bestimmt nachkarten, damit der reiche Sack das nicht vergisst), scheinbar nebensächliche Bemerkungen werden zu wichtigen Hinweisen für die Lösung des Rätsels – „Loft“ ist ein Film, den man aufmerksam verfolgen sollte, in dem auch kleine Details, ein Blickkontakt hier oder da, relevant sein können und werden. Trotz der beachtlichen Laufzeit von 2 Stunden geht dem Streifen auch nie die Luft aus – immer wieder kitzelt de Pauw einen neuen Twist aus dem oberflächlich so beschränkt wirkenden Szenario, ohne dabei jemals die Glaubwürdigkeit des Plots zu strapazieren. Lediglich das Finale, das sich ein wenig zu deutlich den Konventionen zeitgemäßer US-Thriller unterordnet, fällt ein wenig aus dem Rahmen, aber insgesamt ist „Lofts“ Story so dicht, so schlüssig, so packend, dass es mich arg wundern würde, wenn nicht schon ein Rudel Hollywood-Produzenten in Belgien ob der Rechte für ein US-Remake Schlange steht (und sollte dem nicht so sein, müssen sich die Hollywood-Strategen schon fragen lassen, ob sie einen potentiellen Hit nicht erkennen, wenn er ihnen die Klöten langzieht).
Natürlich würde das beste Script nicht viel nützen, wenn es keinen Regisseur findet, der es adäquat umsetzt. Erik van Looy ist zum Glück der richtige Mann am richtigen Ort – dass er verschobene, nicht lineare Erzählperspektiven beherrscht, bewies er schon beim „Alzheimer Case“. Da besteht keine Gefahr, dass van Looy sich in der komplexen Erzählstruktur, die nicht nur überwiegend per Flashback, sondern meist sogar per Flashback IM Flashback operiert, verheddert. Zugleich wahrt van Looy auch das richtige Maß an Distanz zu seinen Figuren – er widersteht der Versuchung, aus seinen Protagonisten „Helden“ zu machen, denen man es gönnt, ungeschoren davonzukommen; er macht den Zuschauer nicht zum Komplizen (schon allein, weil wir uns erarbeiten müssen, was warum mit wem vorgefallen ist), sondern zum Beobachter, lässt nie vergessen, dass schon allein die ganze *Idee* eines Gemeinschafts-Fremdgeh-Hideouts für von ihren Frauen genervte Ehemänner moralisch falsch ist, macht aber auch deutlich, dass selbst Menschen, die glauben, „unkorrumpierbar“ zu sein, in geeigneter Situation die Contenance verlieren und sich in Affären stürzen bzw. in solche hineinmanipuliert werden können, wenn der „Manipulator“ sich hiervon einen Vorteil verspricht (hmpf, es ist nicht einfach, über „Loft“ zu schreiben, ohne wesentliche Plotverdrehungen auszuplaudern, und bei „Loft“ möchte ich einfach mal aus Prinzip nicht spoilern).
Von den technischen und handwerklichen Aspekten ist „Loft“ auf europäischem Top-Niveau. Die Kameraführung von Danny Elsen (der auch schon den „Alzheimer“-Fall fotografierte und auch für „Temmink“ oder Dominique Derudderes „Die Bluthochzeit“ die Kamera schwang) ist ohne Makel, verzichtet auf Gimmicks, sondern überlässt der Geschichte und den Charakteren die Hauptrolle, gleiches gilt für den Schnitt sowie die musikalische Untermalung von Wolfram de Marco („Die Bluthochzeit“, „Das Papstattentat“). „Loft“ kommt – ich weiß, wiederkehrendes Thema bei meinen diesjährigen FFF-Reviews – ohne größere Härten aus, vielleicht vergleichbar mit einem etwas „dreckigeren“ „Tatort“, es dürfte wohl auf eine 16er-Freigabe hinauslaufen.
Das Schauspielerensemble passt sich dem hohen Niveau von Drehbuch und Regie klaglos an – Koen de Bouw kennen wir schon als Kommissar Vincke aus „The Alzheimer Case“, er ist hier als Psychodoktor Chris das, was einer positiven Identifikationsfigur noch am nächsten kommt und erfüllt diese Rolle ausgezeichnet, ist aber im direkten Duell klarer zweiter Sieger gegen den grandiosen Filip Peeters („Zodiak – Der Horoskop-Mörder“, „Tannöd“, „Wilde Engel“ – man sieht’s, Herr Peeters ist auch in Deutschland gern und oft beschäftigt), der als Vincent Stevens Dreh- und Angelpunkt der Ereignisse ist und eine ungeheuer charismatische, eindringliche und in allen Nuancen überzeugende Vorstellung abliefert. Chapeau. Matthias Schoenaerts weiß als durchgeknallter koksender Drecksack Filip gleichfalls zu gefallen, Bruno Vanden Broucke als der sanfte, leicht zu verunsichernde Luc und Koen de Grave als Alki Marnix fallen gegenüber dem genannten Triumvirat leicht ab, liegen aber ebenfalls noch klar über dem Durchschnitt speziell europäischer Genrekost. In den wesentlichen Frauenrollen liefern Veerle Baetens (mit dem gewissen „junge-Sandra-Bullock“-Charme, für den ich immer extrem anfällig bin) und Marie Vinck keinerlei Grund zur Beanstandung.
Fazit: Ich bin mal wieder in Eile (sogar so in Eile, dass ich’s Review nicht fertigbekommen habe, ehe ich aus dem Haus musste), daher in aller gebotenen Kürze: reingehen, falls Ihr noch die Möglichkeit habt, ansonsten die DVD unbedingt vormerken. Mit „Loft“ stellt Erik van Looy erneut unter Beweis, dass „Thriller“ heutzutage nicht nur eine andere Ausrede für das möglichst kreative Abmurksen von Leuten sein muss, sondern dass es immer noch möglich ist, Spannung aus einem „simplen“ whodunit zu ziehen, wenn man es nur geschickt genug aufbaut, viele Lösungen möglich erscheinen lässt, und am Ende eine konsequente, stringente und völlig schlüssige Geschichte hat. Großes Spannungskino, mindestens ebenso gut wie der „Alzheimer Case“ und ein Fest für Freunde des verzwickten, doppel- bis dreifachbödigen Gehirnwindungsverknoters. Mein bisheriges Jahrgangshighlight und ein klarer Fall für die Bestnote.
5/5
(c) 2009 Dr. Acula
Review verfasst am: 01.10.2009