Live!

 
  • Deutscher Titel: Live!
  • Original-Titel: Live!
  •  
  • Regie: Bill Guttentag
  • Land: USA
  • Jahr: 2007
  • Darsteller:

    Eva Mendes (Katy), David Krumholtz (Rex), Eric Lively (Brad), Katie Cassidy (Jewel), Jeffrey Dean Morgan (Rick), Rob Brown (Byron), Jay Hernandez (Pablo), Monet Mazur (Abalone), Andre Braughner (Don), Danny Comden (Buck), Paul Michael Glaser (Network-Präsident)


Vorwort

Der amerikanische TV-Sender ABN befindet sich im Quotentief. Die neue Programmdirektorin Katy soll die im freien Fall befindlichen Ratings der Prime Time retten. Was das Problem ist, hat sie auch schon erkannt – die ABN-Reality-Shows sind öde Stinker im Vergleich zu dem, was die Konkurrenz aufbietet. Also muss man das Publikum mit etwas Neuem, Schockierenden zurückerobern. Aus einer im Meeting achtlos dahingesagten Juxbemerkung wird das Konzept: Russisches Roulette, live. Auch wenn Sender-Anwalt Don sicher ist, dass Vorstand und Aufsichtsbehörde einer Ausstrahlung nie zustimmen werden, macht sich Katy, über die gerade vom Jungfilmer Rex eine Dokumentation gedreht wird, an die Arbeit und ans Casting. Doch die Bewerber sind Müll – Goths mit Todeswunsch, Todkranke, Verlierer, niemand, für den das Publikum sich emotional engagieren würde. Rex hat den rettenden Einfall – die Siegprämie muss deutlich erhöht werden (auf 5 Mio. Dollar) und anstatt die Kohle den Hinterbliebenen des „Gewinners“ zu überweisen, solle die Überlebenden den Zaster kassieren. Jetzt kommen auch Kandidaten, die vermarktbar sind: Jewel, eine Striptänzerin mit schauspielerischen Ambitionen, der Rancher Rick, der das Geld braucht, um seine Farm zu retten, der Extremsportler Brad auf der Suche nach einem neuen Kick, Byron, ein junger schwarzer Möchtegernschriftsteller, der entgangene „Lebenserfahrung“ mit einem Fingerkrümmen nachholen will, Ex-Model und Jetzt-Performancekünstlerin Abalone sowie der schwule Latino Pablo, der sich und seine Familie aus East L.A. wegbringen will. Doch bevor „Live!“ auf Sendung gehen kann, gilt es noch etliche Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Öffentliche Empörung und negative Publicity lassen Katy kalt, wichtig sind Zulassung durch die FCC, wofür Don, zu Beginn überzeugter Gegner des Konzepts mit dem Argument der „free speech“ kämpft, und die Erlaubnis der Sender-Chefs, die einen Imageschaden fürchten. Katy setzt sich durch – um ein Uhr Nachts geht „Live!“ auf Sendung, mit sechs Kandidaten, von denen nur fünf den Abspann erleben werden…


Inhalt

„Live!“ landete eher zufällig auf meiner Lovefilm-Ausleihliste – er stand halt in der Neuheiten-Liste und da klick ich grundsätzlich alles an, was irgendwie halbwegs interessant klingt. Als die Scheibe dann bei mir eintrudelte, hatte ich längst vergessen, worum’s im Film gehen sollte, wer mitspielt und von wem die ganze Chose ist. Vielleicht gar nicht schlecht, denn so ging ich völlig unbelastet und ohne Erwartungen an die Angelegenheit heran.

Der Inhaltszusammenfassung lässt sich spielend entnehmen, dass wir es mit einer bösen Mediensatire zu tun haben, die sich und uns die Frage stellt, wo die theoretische Grenze des Reality-TV liegt und zu dem (wenig überraschenden) Schluss kommt, dass es *denkbar* keine gibt. Wenn man so will, ist die Grundidee von „Live!“ zurückzuführen auf Sheckley-Ideen, Menges „Das Millionenspiel“ oder Kings „Running Man“ mit dem Twist, dass der bloße Gedanke einer Show, in der der Kandidat möglicherweise ins Gras beißen kann, um zwei Nuancen verschärft wird – erstens gibt es garantiert einen Toten pro Spiel und zweitens verbindet das „Live!“-Konzept gleich drei beliebte Sendeformate: Gameshow, Castingshow und eben Reality TV (wenn man so will, war Mark Pirros tromatischer Deathrow Gameshow ein noch direkterer Vorläufer von „Live!“); garniert mit dem erzählerischen Dokumentations-Gimmick (im single-camera-„Stromberg“-Stil).

„Live!“ rennt – satiretechnisch – eigentlich offene Türen ein. Ich denke nicht, dass irgendjemand bestreitet, dass a) die Produzenten einer Show sich weder vor wütenden Protestierern noch willigen Bewerbern retten könnten und b) sich alle und jeder medienwirksam das Maul zerreißen und trotzdem praktisch ebenso alle und jeder die Show ansehen würden, die einen, um sich daran aufzugeilen, die anderen, um sich rechtschaffenerweise darüber empören müssen zu können. Darüber braucht man nicht diskutieren, ebensowenig natürlich darüber, dass kein Sender auf der Welt (okay, *dafür* lege ich meine Hand nicht ins Feuer) eine solche Show ausstrahlen würde, und schon gar nicht würde irgendeine Medienaufsichtsbehörde einen Sender damit durchkommen lassen. Immerhin wird das auch thematisiert und einigermaßen logisch begründet, warum ABN die Sendung ins Programm hieven kann (die „free speech“-Argumentation ist im amerikanischen Rechtswesen in der Tat außerordentlich wichtig, aber mich hätte rein juristisch schon interessiert, *wie genau* Anwalt Don die FCC zur Freigabe der Show bewegt. Schließlich gab es m.E. schon mehrere Initiativen in den Staaten, Hinrichtungen zu übertragen, die bislang alle gescheitert sind). „Live!“ vergisst nicht, der FCC noch den Seitenhieb zu verpassen, dass Gewalt nach Ansicht der US-Medienwächter normalerweise voll okay geht, Brustwarzen aber den Untergang der abendländischen Gesellschaft verursachen („Nipplegate“ anyone?), aber bei aller berechtigten und notwendigen Satire auf Gewaltgeilheit des Publikums und Quoten- und damit automatisch Geldgeilheit der Sender war für mich beinahe interessanter (scrap that, es *war* interessanter), einen für meinen Geschmack ziemlich glaubhaften Blick hinter die Kulissen der TV-Sender zu werfen und die Arbeitsweise von TV-Produzenten auszuchecken. Ich glaube sofort und auf der Stelle, dass es in Sendern (nicht nur jenseits des großen Wassers, sondern auch hier) zugeht wie bei ABN – von der Manipulation von potentiellen Werbekunden, dem Lobbyismus (in der Show wird die Knarre vom Film-Äquivalent der NRA und einem ihrer Grüßonkel „präsentiert“) bis hin zum peinlichen selbst-auf-die-Schulter-klopfen in Pitch-Meetings für Ideen, die selbst Dreijährige hätten („wie wär’s, wenn wir zur Vorstellung der Kandidaten kurze Filme einspielen würden?“ – „Brillant! Genial! Du bist der Beste!“), hier scheint mir der Film wirklich auf den Punkt zu kommen und klar zu machen, welch hohle Nüsse eine „Unternehmenskultur“ von Ja-Sagern, qualitätsuninteressierten Schwachmaten hervorbringt (und wenn ich daran denke, was mir Kollege Wortvogel so erzählt hat… ja, ich glaube es immer mehr).

Nachdem wir eine Stunde lang miterlebt haben, wie Katy für ihre Idee kämpft und sie gegen alle Widerstände tatsächlich ins Programm bringt, dürfen wir auch der ersten „Live!“-Sendung beiwohnen und, bei Gott, Bill Guttentag hat wirklich kapiert, wie solche Shows funktionieren, wie sie aufgebaut werden, wie sie konzipiert sein müssen, um das Publikum im gewünschten Sinne zu manipulieren. Die Show hat ein großartiges Set, einen angemessen schleimig-widerlichen Moderator, die Video-Vignetten, mit denen die Kandidaten vorgestellt werden, sind effektiv (die sehen wir in der Show zwar nur im Hintergrund, weil wir immer wieder in die Regiekabine umschalten, wo die versammelte Macherschaft mitfiebert und den Einschaltquotenverlauf feiert, sind aber allesamt vorher im Filmverlauf voll ausgespielt worden), der Kandidaten-Mix ist ausgewogen, so dass jeder „seinen“ Kandidaten zum Daumendrücken findet – es ist geradezu erschreckend authentisch und drückt genau auf die richtigen Knöpfe, die eine Show zum Publikumserfolg machen (vgl. „DSDS“, „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ etc.).

Abschweifung: Ich weiß, das ist nicht der Punkt des Films, aber wo ich schon mal dabei bin… wenn ich meckern möchte, dann darüber, dass die Grundidee „Russisches Roulette“ mir nicht wirklich praktikabel für eine TV-Show erscheint. Wir haben 6 Kandidaten, die der Reihe nach schießen. Was ist, wenn der erste sich schon die Rübe wegpustet? Blenden wir dann für die Restlaufzeit ein Testbild ein? Was wäre, wenn nach fünf Kandidaten noch keiner tot ist? Kann man davon ausgehen, dass der letzte, der sein Todesurteil also schon in Händen hat, sich als fairer Sportsmann erweist und sich die Kugel trotzdem durch den Kopf jagt? Oder erschießt ihn der Moderator im Weigerungsfall? Etwas fraglich ist auch, ob eine TV-Show, deren Ausstrahlung unklar ist, in der Tat diesen Fan-Hype erleben würde, dass sich vor der Premiere bereits Fan-Clubs für die einzelnen Kandidaten gebildet haben. Wäre ich Produzent, würde ich a la „DSDS“ Casting-Shows vorschieben, damit sich „Charaktere“ bilden können, um die sich Fans scharen können. Abschweifung Ende.

Unter Ausblendung dieser show-formalen Probleme ist „Live!“ (die Gameshow) wirklich effektiv, tatsächlich spannend und ich nahm mit gewisser Befriedigung zur Kenntnis, dass Verlierer der Show der Kandidat war, den ich hierfür im Auge hatte (ich bin ein schlechter Mensch). Auch der Aftermath der Show ist weitestgehend glaubwürdig (praktisch alle fallen sich vor Begeisterung über den Quotenerfolg in die Arme, mit einer Ausnahme, was ein Twist-Ende und einen recht bösen, wenn auch nicht ganz logischen Epilog erlaubt).

Stilistisch hält Bill Guttentag, der normalerweise „ernsthafte“ Dokumentationen dreht, den mockumentary-Ansatz voll durch. So manch andere gefakete Doku krankt daran, dass es Szenen gibt, bei denen unter keinen Umständen eine Kamera dabei sein konnte (sowas gibt’s in „This is Spinal Tap“ und um so mehr in „Fear of a Black Hat“). „Live!“ besteht tatsächlich nur aus den single-camera-Shots des „Doku“-Kameramanns, den von Rex produzierten Einspielern für die Kandidaten, Interviews, Ausschnitten aus TV-Sendungen und eben der Live-Sendung der Show (und für den einzigen Punkt, an dem dem Script keine Rechtfertigung für die Kamera einfällt, bedient man sich eines geschickten, dramaturgisch schlüssigen Kunstgriffs, Kate mit einer versteckten Kamera auszurüsten). Das Tempo ist hoch, bereits erwähnt habe ich, dass die Inszenierung der Gameshow an sich ausgesprochen spannend ist, womit bewiesen wäre, dass ein mockumentary auch ernsthaft gespielt und inszeniert werden kann (auch und gerade wenn es sich um eine Satire handelt). Es sei allerdings angemerkt, dass manche Rezensenten den Look des Films für zu glatt halten, aber wenn nicht die Welt des Fernsehens eine steril-künstliche ist, welche dann?

Dem dokumentarischen Anspruch folgend gibt’s auch keinen Score, sondern nur „Live“-Musik (in Form einer Karaoke-Party) und eingespielte Musik in den Video-Vignetten o.ä.

Der Todesschuss wird völlig un-graphisch erledigt, die FSK 16 ergibt sich somit aus der Thematik.

Die Darsteller erledigen einen guten Job – Eva Mendes („Hitch – Der Date-Doktor“, „2 Fast 2 Furious“, „Ghost Rider“), der die Sache offenbar so am Herzen lag, dass sie als Produzentin einstieg, überzeugt als knallharte Powerfrau, die jeden, der ihr im Weg steht, überzeugen kann oder abserviert. David Krumholtz („Numb3rs“, „Superbad“) liefert als Dokumentations-Regisseur, der tiefer in die ganze Sache hineingezogen, als er wollte, und vom Beobachter zum Beteiligten wird, eine ausgezeichnete Vorstellung ab. Die Kandidaten sind, pardon the pun, perfekt gecasted: Eric Lively („American Pie“, „The Butterfly Effect 2“, „24: Redemption“) als kalifornischer Sunnyboy, Katie Cassidy („When a Stranger Calls“, „Black Christmas“) als naive Cheerleader-Dummtussi, Jeffrey Dean Morgan („Grey’s Anatomy“, „Supernatural“, „P.S. I Love You“) als verzweifelter Familienvater, Rob Brown („Coach Carter“) und Jay Hernandez („Hostel“, „Hostel 2“, „Quarantine“) als Minderheiten-Vertreter und Monet Mazur („Voll verheiratet“ und in „Stoned“ immerhin Anita Pallenberg) als durchgeknallter Kunst-Freak – das ist eine solide Mischung von patenten Akteuren, die ihre (gewollt eindimensionalen) Charaktere auf den Punkt bringen. Andre Braugher (dessen Charakter, der Anwalt Don, mir am ehesten Kopfzerbrechen bereitet. Er ist von Anfang an strikt gegen die Show, dann wedelt Katy einmal mit einem Verfassungskommentar und er ist bekehrt…), bekannt aus „Fantastic 4: Rise of the Silver Surfer“, „Poseidon“ und „The Mist“, agiert akzeptabel, aber nicht herausragend. Paul Michael Glaeser („Starsky & Hutch“) absolviert einen Cameo als Sender-Chef und angeblich (aufgefallen ist er mir nicht) ist Rap-Megastar 50 Cent auch irgendwo mal im Bild.

Bildqualität: Kinowelt legt den Streifen in ausgezeichnetem anamorphen 1.78:1-Widescreen vor, ohne Defekte und Störungen, gestochen scharf, mit überzeugenden Farben, aber dafür aber auch mit einem extrem nervigen Kopierschutz, der auch Screenshots verhindert, da die Scheibe vom PC nicht erkannt wird.

Tonqualität: Deutscher und englischer Ton, die deutsche Synchro ist makellos und bügelt sogar einen Dialogfehler im englischen Original aus (obwohl das auch ein „deliberate error“ gewesen sein kann, da verwechselt Katy mal eben die Könige Ludwig XIV. und XVI. als Beispiel für Todesschauspiele in der Vergangenheit).

Extras: Trailer, zwei Making-of-Featuretten und eine Filmographie von Eva Mendes.

Fazit: Wenn „Live!“ ein Problem hat, dann, dass seine Satire zu offensichtlich ist, bzw. das Ziel seiner Satire so gewaltig groß ist, dass selbst ein hundertjähriger Blinder mit Parkinson im Endstadium es nicht verfehlen könnte, was sie allerdings auf der anderen Seite auch nicht falscher macht. Extreme Reality- und Gameshows sind moralisch und gesellschaftlich verwerflich (noch ist m.W. niemand bei einer solchen Show gestorben [aber immerhin gab’s nach „American Idol“ schon einen Bewerber-Selbstmord], aber sage keiner, dass z.B. das RTL-Dschungelcamp zumindest Verletzungen seiner Kandidaten – die’s aber zumeist auch nicht besser verdient haben, ähempt – willentlich in Kauf nimmt, viele, bevorzugt japanische Gameshows nur das Ziel zu haben scheinen, Kandidaten zu demütigen u.ä.), aber *wir* (als Gesellschaft) schauen trotzdem und gerade deswegen hin (denn wer freut sich nicht, wenn Daniel K. in Kakerlaken ersäuft wird). Ist die letzte Grenze wirklich nur mehr eine formaljuristische, spielt Ethik in Programmplanung und -konsum wirklich keine Rolle mehr? Und was, wenn tatsächlich ein Gericht eine solche Sendung gestatten würde? Die letzte halbe Stunde von „Live!“ macht macht schmerzhaft deutlich, dass man sich all dieser Umstände bewusst sein kann und *trotzdem* eine Sendung wie diese ansehen könnte/würde, worüber man schon mal nachdenken sollte. Abgesehen von den moralischen Fragen liefert „Live!“ aber auch einen gleichermaßen erheiternden wie schlimmste Befürchtungen bestätigenden backstage-Blick auf die Entwicklungs- und Entscheidungsträger in der TV-Industrie, und noch abgesehener davon ist der ganze Streifen boshaft lustig. Daher (und auch dank der guten bis hervorragenden schauspielerischen Leistungen): Empfehlung des Hauses, well worth a look or two.

4/5
(c) 2009 Dr. Acula


mm
Subscribe
Benachrichtige mich zu:
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments