Lifeless

 
  • Deutscher Titel: Lifeless
  • Original-Titel: Lifeless
  •  
  • Regie: Ralf Möllenhoff
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2011
  • Darsteller:

    Ralf Möllenhoff (Allan Poemah), Heidi Pauer (Fabrime Neustedt), Rocco Finamore (Joe), Lothar Baltrusch (Kommissar), Luke Romero Möllenhoff (Allans Sohn), Sonja Imping (Allans Frau), Roland Riemer (Geistlicher), Detlef Klewer (unheimlicher Anwohner), Carsten Grunwald (Assistent des Geistlichen), Oliver Peick (Kreatur), Tanek Seranek (Leichenbeschauerin), Gregor Vinyl (Fotograf), Melanie Rausch (Vampyr), Marc Noll (Junge in der Gasse)


Vorwort

Eigentlich will der deutsche Schriftsteller Allan Poemah nur im Kreise von Weib und Kind in der gemieteten Hütte in Kroatien sein neuestes Werk zu Papier bringen. Aber, wie’s in phantastischen Filmen nun mal gerne passiert, noch ehe Allan die ersten Kapitel runtergerattert hat, verschwinden Ehebesen und Taschengeldgierschlund spurlos direktemang aus dem Vorgarten des Hauses. Guter Rat ist teuer und z.B. bei der örtlichen Gesetzeshüterbrigade völlig unerschwinglich – ob die Vermissten sich nur in den Wäldern verlaufen haben, einer der zahlreichen in der Gegend operierenden Banden von Drogenschmugglern oder irgendwelchen vom Balkankrieg übriggebliebenen Freischärlern in die Hände gefallen sind, wagt der Kommissar nicht zu vermuten und einen Finger zu rühren gedenkt er völlig unabhängig davon nicht. Dabei hatte Allan sogar einen wunderbaren Vorzeigeverdächtigen – den durch den Bürgerkrieg leicht derangierten Nachbarn, von dem Allan sich überhaput nicht sicher ist, ob er mit seiner Axt wirklich nur Holz hackt. Doch nach einer kleinen tätlichen Auseinandersetzung ist es der Herr Nachbar, der Allan erfolgreich bei der Polente anzeigt.
Der Schriftsteller flüchtet in den Untergrund, doch er findet zumindest zwei potentielle Verbündete – den italienischen Rumtreiber Giovanni „Joe“ Amato und eine deutsche Einwandererin, deren Ehemann selbst vor Jahren auf ähnlich mysteriöse Weise verschwand.
Im Zuge seiner Ermittlungen auf eigene Faust stößt Allan auf eine Vampir-Legende, die sich um vor Jahrhunderten eingemauerte Pest-Opfer, die sich in unterirdische Tunnelsysteme zurückgezogen haben, dreht und die dafür sorgt, dass man frisch Verstorbene in diesen Breiten fünf Tage lang aufbahrt, um ihnen im Bedarfsfall noch schnell den Pflock durch’s Herz jagen zu können. Ist seine Familie am Ende doch Opfer übernatürlicher Vorfälle geworden oder sind’s doch eher weltliche Übeltäter? Dass jemand Allans Nachforschungen kritisch gegenübersteht, ergibt sich spätetens, als Joe brutal ermordet wird…


Inhalt

Zunächst mal muss ich mich bei Ralf Möllenhoff für die Review-Verspätung entschuldigen – war nicht so geplant, aber wie üblich, wenn ich eh schon nicht gerade in meiner besten Phase bin, hab ich dann auch noch den mir zugedachten Screener verbummelt (zum Glück muss Ralf so etwas vermutet haben und schickte mir unaufgefordert noch ein Release-Exemplar nach). Aber was lange gärt usw. Stammleser erinnern sich noch an mein Nerves-Review (der Streifen hat mittlerweile einen offiziellen Vertriebspartner gefunden und kann also ohne großere Umstände der eigenen Sammlung zugefügt werden) und Anhänger des deutschen Indie-Horrorfilmtums womöglich an seine durchaus wohlgelittene Romero-Hommage „Dead Eyes Open“ (die es sogar über das Große Wasser und in den Troma-Vertriebskatalog geschafft hat).

Wer „Nerves“ gesehen hat, ahnt, dass Möllenhoff im Gegensatz zu manch anderem Protagonisten des einheimischen Indie-Horrors nicht damit zufrieden ist, alle Jahre wieder seinem Fleischermeister einen Besuch abzustatten, zehn Pfund Innereien zu erwerben und dann mit ein paar Kumpels plus Kamera in den Wald zu marschieren; die bizarre sort-of-Adaption der Poe-Geschichte „The System of Dr. Tarr and Prof. Fether“ setzte weniger auf eine geradlinige Story und nicht (nur) auf abgfeimte Sudel- und Splatteranlagen, sondern gestaltete die Sache als eine Art Puzzle aus absurden Bildern und Stimmungen, quasi, als würden David Lynch und David Cronenberg gemeinsam eine Low-Budget-Lovecraft-Verfilmung stemmen (ich erwähnte im „Nerves“-Review, dass die Umsetzung der Geschichte stärker an den alten Cthulhu-Kuschler erinnert denn an seinen morbiden Vorgänger). Folgerichtig entfernt sich Möllenhoff mit „Lifeless“ noch weiter vom bodenständigen Horror hin zum undurchschaubaren Mystery-Thriller, dessen Haupteinflüsse unzweifelhaft Nicolas Roegs Klassiker „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ (der Charakter „Joe“ referenziert diesen Film explizit in einer kurzen Rede, in der er seine Herkunft aus Venedig erklärt), der sich eines ähnlichen Szenarios bedient, und Dreyers surreales „mood piece“ „Vampyr“ sind. Daraus folgt: nix für Fans von „Violent Shit“ oder Dämonenbrut, Möllenhoff hat eben anderes im Sinn als der durchschnittliche Gorebauern-Belieferer.

Wie schon in „Nerves“ ist das, was wir in unserem jugendlichen Leichtsinn gemeinhin „Plot“ nennen, zweitrangig – wer definitive Antworten auf aufgeworfene Fragen erwartet, wird von „Lifeless“ frustriert werden; auch hier geht es Möllenhoff primär um die Erzeugung einer surreal angehauchten, bizarren Atmosphäre. „Lifeless“ ist sicherlich weniger „schräg“ um der Schrägheit Willen als „Nerves“, will sagen, Möllenhoff arbeitet weniger mit bewusst abseitiger Imagery, ist wesentlich, hm, „introspektiver“ als der Vorgänger. „Lifeless“ klebt – for better or worse – an der Person des Protagonisten (die wenigen Sequenzen, in denen wir nicht unmittelbar an Allans Seite sind, reißen dann auch relativ hart aus dem Flow des Films heraus), dessen Abgleiten in eine gepflegte Paranoia und seine zunehmene Schwierigkeiten, zwischen Realität und Wahnvorstellung zu unterscheiden, von Möllenhoff schon fast unangenehm direkt, intim umgesetzt wird.
Einen durchgängigen roten Faden, eine stringente Dramaturgie wird man da nicht nicht finden, ebensowenig wie einen echten Spannungsbogen oder eine Temposteigerung zum Finale hin. Allan irrt im Zustand zunehmender Verzweiflung durch kroatische Kleinstadtgefilde, trifft da und dort jemanden, der ihm ein weiteres Stück des Puzzles auseinandersetzt, ohne dabei wirklich etwas zu erklären, macht Entdeckungen, die vielleicht oder auch nicht mit dem Verschwinden seiner Familie zu tun haben. Nein, ein großer Plot ist das wirklich nicht, aber es ist eben auch eine sehr persönliche, intime, quasi aus subjektiver Sicht des Progagonisten geschilderte Geschichte, und dafür Allan selbst in seiner Situation wenig bis nichts Sinn ergibt, ist das eben auch so im Film. Muss man nicht mögen, kann man aber, zumal Möllenhoffs Inszenierung recht geschickt den gewollten „traumwandlerischen“ Effekt hinbekommt.

Man würde sich eventuell (d.h. ich auf jeden Fall) eine bessere Technik wünschen. Möllenhoff kommt ja von der Super-8-Filmerei und ist sichtlich gewohnt, mit einfachen Mitteln zu arbeiten und obschon ich momentan nicht weiß, ob „Lifeless“ wie „Nerves“ auf DV gedreht wurde, sieht er mir rein von der verwendeten Technik aus wie ein leichter Rückschritt zum Vorgänger auf. Kann daran liegen, dass das von Möllenhoff verwendete Gimmick, mit der Kamera quasi an Allans Kopf zu kleben (und überhaupt auf extrem dichte close-ups zu setzen), von Haus aus etwas hektisch und anstrengend wirkt und der vergleichsweise raue Look nicht gerade hilft (mir persönlich war’s optisch sogar etwas zu anstrengend für Sichtung in einer Sitzung; dass ich eine Pause einlegen musste, lag nicht am Film selbst, sondern an seiner technischen Umsetzung). Sicherlich ist diese aufdringliche Kameraführung gut dazu geeignet, den immer derangierter werdenden Seelenzustand der Hauptfigur zu unterstreichen, aber gerade weil Möllenhoff erneut einen echten Kennerblick für wirklich coole Locations (teils on location in Kroatien, teils in heimischen Gefilden) hat, würde man sich (okay, ich mir) manchmal wünschen, es würde mehr visueller Nutzen daraus gezogen. Aber andererseits eben ist die Absicht nicht, großes episches Scope zu zelebrieren, sondern eben die fragile Innenwelt der Hauptfigur auszuloten, weswegen ich’s aus künstlerischer Sicht schon verstehe. Bonuspunkte verleihe ich für eine schick gestaltete Alptraumsequenz.

In Sachen Gore und Splatter hält sich „Lifeless“ weitgehend zurück, zumindest FSK-16-tauglich. Headhunter FX, die auch schon die kompetenten Make-ups für „Nerves“ gezaubert haben, steuern allerdings trotzdem ein-zwei angemessen eklige Masken und eine ordnungsgemäße gedärmintensive Ausweidung (im Filmsinne an einer Leiche vorgenommen, daher wohl für die Sittenwächter tolerabel) bei.

Schauspielerisch macht Ralph Möllenhoff, der sich unbürokratisch die Hauptrolle auf den Leib geschneidert hat, keine schlechte Figur (wie überhaupt seine bisher von mir gesichteten Werke erfreulich von der Pseudo-Teenager-Schule so manches Genre-Kollegen abweichen). Wird man nicht mit Robert de Niro verwechseln, ist aber für ’nen Indie-Horrorfilm tragbar. In wichtigen Nebenrollen amtieren Roland Riemer („Nerves“) als undurchschaubarer Priester, Detlef Klewer durchaus eindrucksvoll als chronisch verdächtiger unheimlicher Nachbar und Rocco Finamore mit durchaus sympathischer Ausstrahlung.

Bildqualität: Gut, dass mittlerweile das Release-Exemplar noch reinschneite, das macht nämlich doch einen etwas hübscheren Eindruck als der Pressescreener, der vermutlich inzwischen von einem der Hunde als Beißring verwendet wird (ein Rudel Haustiere macht das Reviewerleben nicht einfacher). 4:3-Vollbild, solide Schärfe und Kontrastwerte, mit gelegentlichen Nachwischern. Für ein Indie-Projekt voll in Ordnung.

Tonqualität: Deutsch Dolby Digital 2.0 – nichts, was die Anlage ausreizen würde, aber auch nicht ohrenfolternd.

Extras: Aus Zeitgründen konnte ich mir die Bonusfeatures nicht mehr zu Gemüte führen, geboten wird jedenfalls ein hübsch gestaltetes Making-of nebst Slideshow (insgesamt knapp 23 Minuten) sowie eine Trailershow bisheriger Möllenhoff-Titel.

Fazit: Möllenhoff ist sicherlich einer der eigenwilligsten deutschen Indie-Filmer und der schiere Wille, nicht einfach nur den dreiunddrölfzigsten Wald- und Wiesensplatter herunterzukurbeln, nötigt mir höchsten Respekt ab. Als Indie-Variante von „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ ist „Lifeless“ ein ambitioniertes Projekt und macht sicherlich mehr richtig als falsch – ich bin kein großer Freund des visuellen Gimmicks der extremen close-ups (auch wenn ich verstehe, welcher Gedanke dahinter steht); die ein oder andere technische Unzulänglichkeit ist aufgrund der Ultra-Low-Budget-Herkunft des Streifens sicherlich entschuldbar, auf jeden Fall ist Möllenhoff, auch wenn mir „Nerves“ vielleicht einen Tacken besser gefallen hat, auf einem guten Weg, den ich mit Freude weiter verfolgen werde. Für Freunde deutschen Indie-Horrors empfehlenswert.

3/5
(c) 2011 Dr. Acula


mm
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