Lemmy

 
  • Deutscher Titel: Lemmy
  • Original-Titel: Lemmy
  •  
  • Regie: Greg Olliver, Wes Orshoski
  • Land: USA
  • Jahr: 2010
  • Darsteller:

    Lemmy Kilmister, Phil Campbell, Mickey Dee, James Hetfield, Lars Ulrich, Kirk Hammett, Robert Trujillo, Jason Newsted, Ozzy Osbourne, Alice Cooper, Steve Vai, Dee Snider, Captain Sensible, Billy Bob Thornton, Triple H, Slash u.v.a.



Inhalt

„Sämtliche Mitglieder von Motörhead sind unverwundbar, unsterblich und mehrere Meter groß“.

So schrob es einst die Titanic in ihrem Heavy-Metal-Kompendium. Das unverwundbarste, unsterblichste und größte Motörhead-Mitglied ist unzweifelhaft Lemmy (der laut Titanic meterdicke Baßsaiten mit bloßen Händen zerreißen kann. Ich würde nie wagen zu widersprechen). Lemmy, der Mann, beim Anblick dessen Warzen die von Peter Maffay leise wimmernd zurück in die Gesichtshaut krauchen, ist ein Phänomen – er sieht nicht wirklich gut aus, gelle, er ist mit Sicherheit nicht der Rockwelt größter Sänger, sein Bühnen-Bewegungsradius ist überschaubar, er haut jeden Tag ’ne Flasche Jack Daniels weg und abgesehen von Heroin hat er jede Droge auf Gottes Erdboden mindestens probiert, wird von praktisch jedem Rockmusiker der letzten 30 Jahre Einfluss und Legende genannt, ist trotz seines unsteten Lebenswandels erfolgreich 65 Jahre alt geworden und rockt immer noch die Bühnen der Welt. Über so ’nen Kerl darf man schon mal ’ne Dokumentation drehen.

Dachten sich daher auch Greg Olliver und Wes Orshoski und begleiteten Herrn Kilmister eine Zeitlang (drei Jahre offenkundig) auf seinen Wegen. Das Resultat ist „Lemmy“, der Film, und eigentlich könnte man an der Stelle mit dem Review aufhören, denn der wahre Rockfan ist jetzt bereits unterwegs zum nächsten DVD-Laden oder Online-Shop und kauft das Dingens unbesehen.

Wenn man nun keinen harmlosen Fanfilm drehen will, ist das Ziel einer solchen Übung ja zumeist, die Person hinter dem Image zu zeigen – bei Lemmy ist das ein gewisses Problem, denn im Gegensatz zu so manch anderem Pop- und Rock-„Star“, der mit seinen Bühnenklamotten auch sein Image abstreift, ist Lemmy nun wirklich der Klischee-Rock’n’Roller aus dem Bilderbuch. Der Mann lebt sein Image, da gibt’s keinen gravierenden Unterschied zwischen der „öffentlichen“ Personality und dem privaten Lemmy, was für einen Dokumentarfilmer ein wenig, naja, frustrierend sein muss, denn so wirklich spannende Kontraste, Reibungsfelder, gibt’s bei ihm nicht wirklich. Was natürlich auch daran liegen kann, dass Lemmy nicht diesen Megastar-Status hat wie die Jungs von Metallica, die als alte Lemmy-Fans und -Kumpel natürlich auch ausgiebig zu Wort kommen, sondern halt von seiner Musik ganz passabel leben kann, aber nicht in Saus und Braus, und es daher auch nicht wirklich nötig hat, sich zu verstellen. Lemmy muss auf der Bühne nicht den Rocker markieren und sich abseits der Öffentlichkeit um seine Scheckbücher und Aktienoptionen kümmern. Insofern ist es doch wieder ganz reizvoll zu beobachten, wie Lemmy in seiner kleinen, mit Motörhead-Devotionalien vollgestopften Wohnung in L.A. haust (er wohnt offenbar ganz ordinär zur Miete und bleibt in der Bude, weil sie erstens billig ist und zweitens nah bei seiner Stammkneipe, dem legendären Musikertreff „Rainbow Bar & Grill“) und für’s Abendessen Pommes schnitzt (eine Szene, die Lemmy erst nicht gefilmt haben wollte, weil er zutreffenderweise der Ansicht war, seine Küche wäre zu versifft. Erst als die Filmemacher anboten, vorher zu einer konzertierten Putzaktion zu schreiten, ließ er sich umstimmen, blieb aber trotzdem vernehmlich grummlig) oder wie ein ganz gewöhnlicher Kunde im Plattenladen nach der Beatles-Mono-Box stöbert (da das Ding nicht vorrätig ist, vertickt die Chefin ihm schließlich „im Namen des Rock’n’Roll“ ihr Privatexemplar).

„Spektakulär“ ist da eigentlich nur der Einblick in Lemmys Familienleben – auch wenn Mr. Kilmister Single aus Überzeugung ist („entweder Liebe oder Rock’n’Roll“, stellt er klar), so hat er doch mindestens einen Sohn, und mit dem pflegt er ein herzliches Verhältnis. Es fällt zugegebenermaßen recht schwer, sich Lemmy als treusorgenden und liebenden Vater vorzustellen, aber die Gefühle sind offensichtlich echt. Ansonsten plaudert Lemmy unbefangen über seine Drogenerfahrungen (was Lesern seiner Autobiografie nun auch nichts grundlegend neues verraten wird… und falls Du, lieber Leser, diese noch nicht gelesen haben solltest, dann erfahre, dass laut Lemmy Speed die ideale Musikerdroge ist, da sie Dich auf einem konstanten Level ohne ups und downs hält. Und wer bin ich, Lemmy zu widersprechen?), jammt mit Dave Grohl und Billy Bob Thornton und wird von den Filmemachern ins Studio und natürlich auch auf Tour begleitet.

Natürlich kommen massenweise Weggefährten, Freunde und Verehrer des Warzenmanns zu Wort. Von den Bandkumpeln seiner ersten „richtigen“ Band, der Merseybeat-Combo „The Rocking Vicars“ über die Kollegen von Hawkwind und aktuelle und frühere Motörhead-Mitglieder (interessanterweise bleibt „Philthy Animal“ Taylor, der langjährige Drummer der Band, außen vor, im Gegensatz zu „Fast“ Eddie Clarke, dem ersten festen Klampfenmann), selbstredend die Metallicas (plus Jason Newsted), Steve Vai, Henry Rollins, Slash, Matt Sorum, Ozzy, Joan Jett, Scott Ian, Alice Cooper, Dee Snider, Captain Sensible, Sebastian Bach, Nikki Sixx und Ice-T, natürlich auch die legendäre Road Crew, Wrestler Triple H (für den Motörhead die Erkennungsmusik spielen), Tattoo-Künstlerin Kat von D etc. Bemerkenswert ist, dass wirklich kaum jemand ein böses Wort über Lemmy verliert – alle schätzen seine Ehrlichkeit, seine Freundlichkeit und Zugänglichkeit. Negative Schwingungen verspürt man höchstens bei den Hawkwind-Überlebenden (und auch Lemmy blickt auf die unerfreulichen Umstände seines unzeremoniellen Rauswurfs während einer Nordamerika-Tournee mit einem Rest an unverhüllter Bitterkeit… „ich wäre immer noch bei dieser Band“, grummelt er, aber die werten Bandkollegen behaupten noch heute, wegen seines „irritable behaviour“ – als einziger „speed freak“ in einer Gruppe, die sich an „organische“ Drogen wie Peyote oder Pilze hielt – wäre der Rausschmiss unausweichlich gewesen) und während der Schilderung einer „Fehde“, die Lemmy mit den britischen Glamrockern von „The Darkness“ führt (weil er in einer Plattenkritik einen ihrer Hits als „novelty song“ abgekanzelt hatte).

Was dem Streifen ein wenig fehlt, ist eine Art durchgängiger Narrative – wir steigen quasi „irgendwann“ ein und ebenso „irgendwann“ wieder aus, galoppieren dabei durch diverse Stationen Lemmys Lebensgeschichte (wobei komischerweise die Gründungsphase von Motörhead reichlich kurz kommt), sind bei Radiointerviews, im Probenraum und auf der Bühne dabei (inklusive mehrerer ausgespielter Songs, so z.B. ein Auftritt Lemmys mit Metallica in Nashville, Motörhead-Gigs aus Berlin und Russland sowie eine Show der „Head Cats“, einer Allstar-Band, die neben Lemmy aus Mitgliedern der Stray Cats und der Ramones besteht, in L.A.), alles gut gefilmt und geschnitten, aber ohne rechten dramaturgischen Zusammenhang. Okay, es kann nicht bei jedem Rock-Documentary den „glücklichen“ Zufall geben, dass die betreffende Band gerade auseinanderbricht (wie bei Joe Berlingers „Some Kind of Monster“ über die ausgesprochen schwere Geburt des Metallica-Albums „St. Anger“), ein gewisser roter Faden würde dem Streifen aber eine greifbarere Struktur geben (im Umkehrschluss heißt das allerdings, dass man „Lemmy“ problemlos auf mehrere Sitzungen verteilen kann, ohne den Überblick zu verlieren).

Technisch ist der Film auf dem typischen Level aktueller Dokumentationen – es ist nicht der „cinema verité“-Stil der „Kunst“-Dokumentarfilmer, aber stellenweise schon relativ intim, wobei Olliver und Orshoski sich persönlich stark zurückhalten. Man mag es einerseits schätzen, wenn die Dokumentierer sich vordergründig auf die Beobachtung beschränken, andererseits wünscht man sich manchmal auch, dass sie etwas stärker nachfassen, schon allein, weil Lemmy von sich aus nicht gerade ein sprudelnder Quell der Redseligkeit ist, sondern sich, speziell bei etwas angefressener Stimmungslage, jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen lassen muss. Dritterseits jedoch ermöglicht gerade diese Zurückhaltung einige regelrecht bewegende Momente, in denen man erkennt, dass Lemmy, obwohl er von sich behauptet, mit seinem Leben als alter Rocker, der nichts anderes gelernt hat, im Reinen ist, doch manchmal darüber nachdenkt, ob es „gerecht“ ist, dass ein James Hetfield sich den Schwanz vergolden lassen kann, wenn er lustig ist und Dave Grohl ein Platindrumkt kaufen könnte, sich über Lemmys Legendenstatus auslassen, aber er selbst in einer vollgestopften, leicht siffigen Mietswohnung haust und als Freizeitbeschäftigung im Rainbow vor’m Videospielautomaten hockt, Jackie-Colas säuft und sich von Touristen begaffen und fotografieren lässt (dies aber klaglos). Das wirkt manchmal schon melancholisch, weil man auch als Nicht-Motörhead-Fan begreifen sollte, dass Lemmy wohl auch deswegen im Rentenalter noch rockt, weil das Leben, so pathetisch es klingen mag, ihm sonst nichts außer Einsamkeit bietet (wenn man zynisch sein will, könnte man auch auf die Idee kommen, dass Lemmy zwar als Metal-Ikone gilt – auch wenn Motörhead für mich keinen Heavy Metal spielen, sondern einfach schnellen, lauten Rock’n’Roll; nicht von ungefähr bezeichnet Lemmy Chuck Berry und Little Richard als seine Haupteinflüsse -, aber „berühmter“ wäre, hätte er sich wie so viele seiner Rockergenossen irgendwann in den wilden 70ern mit ’ner Überdosis ins Rocknirvana geschossen).

Bild: Mir liegt die BluRay von Entertainment One vor – bei einer Doku herrscht zwar jetzt meines Erachtens nicht unbedingt die Pflicht vor, sich auf das neuere Medium zu stürzen, aber wenn die BR nicht viel mehr kostet als die DVD und darüber hinaus noch den Vorteil bietet, dass das umfangreiche Extramaterial nicht auf ’ner zweiten Scheibe gelagert werden muss, greife ich dann doch gerne zur aktuellen Technik. „Lemmy“ präsentiert sich in feinem anamorphen 1.85-1-Widescreen – zu meckern gibt’s da nichts, das ist ziemlich perfekter Videolook.

Ton: Ausschließlich englischer Ton in dts 5.1, deutsche Untertitel können zugeschaltet werden (interessanterweise werden einige von Lemmys Lines englisch untertitelt. Der Knabe nuschelt aber auch teilweise wirklich enorm…).

Extras: Da punktet die Scheibe natürlich ohne Ende – keine Frage, da der Film selbst ein Lemmy- und kein Motörhead-Film ist, mussten viele Statements für die Filmfassung radikal gekürzt werden. Die uneditierten Langfassungen diverser Gespräche finden sich im Bonusmaterial, so z.B. das Interview mit Fast Eddie Clarke, der Probenraum-Chat mit Dave Grohl und das Rehearsal mit Metallica vor dem Nashville-Gig, das Kneipengespräch mit Billy Bob Thornton oder das Interview mit Triple H (der einige coole Anekdoten zum Besten gibt und den ich nach diesem Interview glatt sympathisch finden könnte, hätte ich mich nicht schon vor Jahren entschlossen, ihn nicht zu mögen…). Ebenso gibt’s ausführlichere Statements von Motörhead-Gitarrenmeuchler Phil Campbell und -Trommeltier Mickey Dee, ein Portrait der Road Crew (inklusive einer von dieser ausgesprochen kompetent heruntergeprügelten Version von „We are the Road Crew“), ein Feature mit Interviews zu Lemmys „softer“ Seite, ein kurzes „Making-of“, in dem die Regisseure ungezwungen über die Entstehung einiger Szenen plaudern, Metallicas Auftritt zu Lemmys 50. Geburtstag und, selbstverständlich, auch über ’ne halbe Stunde Motörhead live – insgesamt über drei Stunden Bonusmaterial, eine wahre Fundgrube vor dem Herrn.

Fazit: Wenn Lemmy einstmals diese Welt verlassen wird, wird der Rock’n’Roll-Quotient der Menschheit beträchtlich absinken, soviel ist mal klar. „Lemmy“ ist ein liebevolles, manchmal anrührendes, vielleicht etwas unfokussiertes Portrait eines der letzten richtigen Rock’n’Roller mit Leib und Seele, gegen den eigentlich alle heutigen Rock- und Metalstars nichts anderes sind als elende Poser. Es mag filmisch nicht perfekt sein, da dem Streifen einfach ein wenig die Struktur, ein Narrative fehlt, aber es macht auf jeden Fall viel Spaß – dem Motörhead-Fan sicherlich etwas mehr, doch auch diejenigen, die nicht unbedingt jeden Tag „Overkill“, „Ace of Spades“ oder „Orgasmatron“ auflegen, können mal reinschauen, sie bekommen auf jeden Fall einen interessanten Film über einen der letzten Rock-Dinosaurier vom ganz alten Schlag, der seinen Weg stur und unbeirrt weitergeht und den man dereinst wohl mit den Stiefeln voran von der Bühne tragen wird. Das verdient einen kleinen Sympathiebonus und damit vier von fünf Silberscheiben.

4/5
(c) 2011 Dr. Acula


mm
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