L’ange de mort

 
  • Deutscher Titel: L'ange de mort
  • Original-Titel: L'ange de mort
  •  
  • Regie: René Rausch
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2010
  • Darsteller:

    Maria Altmann (Arlette), David Wehle (Paul), Helge Tramsen (Jochen), Steffen A. Röhrs (junger Bursche), Andreas Blankenstein (Schlägerbursche), Hannes Graubohm (Bursche mit Monokel)


Vorwort

Man betrachte nachfolgende Inhaltsangabe mit einer dicken fetten SPOILER-Warnung vor den Pupillen – ich bemühe mich, neutral zu bleiben, angesichts der Struktur des Films ist da nicht ganz so einfach.
Arlette, eine hübsche französische Austauschstudentin, findet das Wohlgefallen von Paul, der sie zu einer gepflegten abendlichen Soirée mit Speis und Trank einlädt. Der Jüngling ist Arlette nicht unsympathisch, also sagt sie ja. Das ausgekuckte Etablissement ist allerdings kein Restaurant mit Sternekoch, sondern das Vereinsheim einer eher national geprägten Burschenschaft, und die Burschis sehen Mademoiselle weniger als Gästin denn als Bestandteil des abendlichen Unterhaltungsprogramms. Aber wie das immer so ist – man sieht sich oft und gern zweimal im Leben…


Inhalt

Ich hab’s an dieser Stelle ja schon des Öfteren gepredigt (wem selbiger Sermon mittlerweile zu den Ohren rauskommt, wofür ich tiefstes Verständnis entgegenbringe, möge halt diesen Absatz überspringen), aber jenseits der Bethmänner, Walzens, Tauberts, Roses und Co. (die leider Gottes halt die, hihi, „öffentliche Wahrnehmung“, was die deutsche Independent-Szene angeht, dominieren) gibt’s eine durchaus lebendige und talentierte Riege von bemerkenswerten Nachwuchsfilmern, denen es leider oft an einer Plattform fehlt, ihre Werke einem breiten Publikum vorstellen zu können. In solchen Fällen fühle ich mich dann doch berufen, die Werbetrommel zu rühren.

Wer nicht erst seit gestern hier mitliest, weiß, dass ich die Filme aus der Werkstatt der Transcendental-Crew sehr schätze (exemplarisch verweise ich auf Es war einmal…, Dunkel – Das erste Kapitel oder Calberlah). Nun, Transcendental in der Form gibt’s leider nicht mehr, was aber nicht heißt, dass das Thema Filmerei von den Beteiligten abgehakt wäre. René Rausch z.B. hat die Zeit genutzt, um mit einigen alten Fahrensleuten wie Steffen A. Röhrs, Hannes Graubohm und Lars Dreyer (den wir hier ja auch als Review-Lieferanten kennen) einen neuen Kurzfilm auf die Beine zu stellen. „L’Ange de Mort“ (was, wie sich auch des Französischen, und ich meine ausnahmsweise mal die Sprache, nicht Mächtige sich zusammenreimen können, soviel wie „Der Todesengel“ bedeutet), Rauschs Abschlussfilm für die HdK Bremen, ist, um das vorweg zu nehmen, aus meiner Sicht ein weiterer Schritt nach vorn in Richtung Professionalität.

Zur Story selbst möchte ich gar nicht viel sagen – ich hab eh schon das Gefühl, viel zu viel ausgeplaudert zu haben, und das hab ich normalerweise nicht bei Filmen, die ich praktisch bis zur Copyright-Warnung am Abspannende nacherzähle. Rausch bedient sich konsequent nonlinearen Storyteillings, schaltet zwischen den zwei „Zeitebenen“ permanent hin und her, was zunächst ob des „Wie-warum-und-hä?“-Faktors ein wenig verwirrt, aber schon recht bald klar wird und sich schlussendlich auch hübsch zusammenfügt. Dialoge werden nur sparsam eingesetzt (es gibt eigentlich nur eine Szene, in der wirklich „viel“ gesprochen wird und auch dort sind die Lines nicht wirklich *wichtig*). Dem Film und der Geschichte sind Erklärungen zweitrangig, weswegen sich die Story zum Finale hin (öh, SPOILERhaltiges Territorium bis zum Ende dieses Absatzes voraus) durchaus einen Schlenker ins (denke ich) Übernatürliche erlauben darf, ohne dass es wirklich zu einem Bruch kommt (zumal wir uns bis dato schon zusammengereimt haben können, dass Arlette nicht ganz die harmlose französische Ersatz-Amélie ist. Es „stören“ mich eigentlich nur zwei kleinere Momente – dass Paul und seine Burschis Arlette nicht wiederkennen und der Umstand, dass sie Jochens blutige Stichwunde für primär überwältigend lustig halten, aber das kann man auch damit entschuldigen, dass sie im Scriptsinne mindestens stockbesoffen und höchstwahrscheinlich auch randvoll mit diversen anderen bewusstseinserweiternden Substanzen gestopft sind. Letztlich sind das aber auch Punkte, die nicht entscheidend für Entwicklung und Ausgang der Geschichte sind.

Es hatte sich bei einigen Transcendental-Kurzfilmen schon angedeutet, dass in dieser Crew mehr steckt als nur die übliche Bande Gleichgesinnter, die Spaß dran hat, im Wald ein paar bekannte Horrormotive nachzuspielen (und wenn man an die Werke von Lars Dreyer kennt, der ja ebenfalls mit dem Team assoziiert ist, weiß man, wie nah am Arthouse der gebaut hat), und auch René Rausch beweist in seinem Solowerk, dass hier echtes visuelles Gespür vorhanden ist, dass er die Kunst des Storytelling über Bilder, Stimmungen und Eindrücke beherrscht, nicht alles in Text- bzw. Dialogform ausbuchstabieren muss und oberflächliche Effekte nicht braucht. Kameraführung (besorgt von Lars Dreyer) und Schnitt sind für Indie-Verhältnisse geradezu herausragend (speziell in der ersten Hälfte des Films mit den ständigen Wechseln der Zeitebene – wobei die Idee, diese Zeitebenen optisch zu unterscheiden, in denen die „Gegenwart“ mit kräftigen Farben gezeichnet wird, während die „Vergangenheit“ in blasser, düsterer Optik daherkommt, nicht absolut neu ist, aber eben auch durchaus wirksam).
Überdies stellt der Streifen auch klar, dass man auch bei wenig Geld in der Portokasse nicht in den Wald ziehen muss, um Bäume und Farne zu fotografieren – „L’Ange de Mort“ pflegt ein eher urbanes Setting, kommt ohne große Exteriors aus (außer im Finale) und bedient sich ansonsten einfacher, greifbarer Mittel wie einem Uni- oder Schulcampus, dem Vereinsheim eines Schützenvereins (das das HQ der Burschenschaft spielt) oder eines Stadtbusses. Das kostet alles nicht teuer Geld, hebt das Produkt dann aber doch gleich über den durchschnittlichen Teutonen-Indie-Hobel.
Für die Splatter- und/oder Horror-Crowd ist „L’Ange de Mort“ eher uninteressant – die ein-zwei blutigen Effekte sind durchaus okay gewerkelt (inklusive ein paar passabler Digitaleffekte) , aber es tut für die Geschichte nicht wirklich etwas zur Sache, dass es suppt und splattert (was wiederum nicht heißt, dass es nicht gewalttätig zugeht. Eine Szene, in der Arlette von den Burschis verprügelt wird, ist recht heftig) – kurz und anglophil gesagt, it gets the point across, wer seine Independent-Filme aber ausschließlich nach Menge und Kreativität blutiger Kills aussucht, muss „L’Ange de Mort“ nicht auf seinen Einkaufszettel malen (lassen). Vom Pacing/Tempogefühl her hat Rausch die Sache voll im Griff, auch hinsichtlich der „Sollbruchstelle“, in der die rationale Handlung den Turn ins Phantastische nimmt – die knapp 20 Minuten sind die ideale Länge für das Konzept, ohne große Erklärungen und Erzählungen zu arbeiten. Ein exzellenter Score des Indie-Komponisten-Papsts Michael Donner rundet die Angelegenheit charmant ab.

Loben darf man auch durchaus die Darsteller, speziell natürlich die Hauptakteure Maria Altmann und David Wehle, die hier aufgrund der spärlichen Dialoge viel über nonverbalen Ausdruck erledigen müssen und das ausgesprochen souverän. Man merkt’s, das sind nicht ein paar Kumpel des Filmemachers, sondern ausgebildete Schauspieler mit Bühnenerfahrung (was auch für Helge Tramsen in der drittwichtigsten Rolle des Jochen gilt).

„L’Ange de Mort“ ist kommerziell derzeit nicht erhältlich, es empfiehlt sich, auf Renes Facebook-Seite die Augen offen zu halten…

Fazit: Schön, schön – „L’Ange de Mort“ entpuppt sich als kompakter, stimmungsvoller Arthouse-Thriller, der ein durchaus bekanntes Thema strukturell geschickt variiert, technisch absolut überzeugt und auch mit guten schauspielerischen Leistungen aufwarten kann – jedenfalls eine kaum zu ignorierende Visitenkarte für professionelle Arbeiten (das will ich zumindest mal schwer hoffen, möchte ich doch mal „ich hab’s schon immer gesagt, aus dem wird noch was“ sagen können).

4/5
(c) 2011 Dr. Acula


mm
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