- Deutscher Titel: Kontroll
- Original-Titel: Kontroll
- Regie: Nimrod Antal
- Land: Ungarn
- Jahr: 2003
- Darsteller:
Sándor Csányi (Bulcsú), Zoltán Mucsi (Professor), Csaba Pindroch (Muki), Sándor Badár (Lecsó), Zsolt Nagy (Tibi), Bence Mátyási (Gyalogkakukk), Gyózo Szabó (Schatten), Eszter Balla (Szofi), László Nádasi (Laci), Lajos Kovács (Béla)
Vorwort
Sie haben einen der undankbarsten Jobs der Welt – keiner kann sie leiden, weil sie stets zum unpassendsten Zeitpunkt auftauchen und arglose Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs mit irrationalen Fragen nach Fahrscheinen belästigen – die Kontrollettis. Auch die Budapester Metro beschäftigt ein Heer Angehöriger dieses Berufsstandes, doch selbst unter den allgemein wenig respektierten Kontis nimmt das Team um Bulcsú eine Sonderstellung als Clique extrem bedauernswerter Verliertypen ein. Der aggressive und narkoleptische Muki, der fidele Alkoholiker Lecsó, der unwissende Neuling Tibi und der überkorrekte Professor sind die erfolglosesten unter den Fahrscheinprüfern. Und als solche schlagen sie sich mit den alltäglichen Problemen ihres Jobs herum: renitenten Schwarzfahrern, prügelfreudigen Gangs, bissigen Kampfhunden, rivalisierenden Konti-Teams und natürlich ihrer absoluten Nemesis – dem „Road Runner“, einem Sprühdosen-Attentäter. Für Bulscú, der aus Versagensangst vor einer unbezeichneten verantwortungsvollen Aufgabe in den Untergrund geflohen ist und in den U-Bahn-Schächten auch sein Wohnquartier aufgeschlagen hat, kommt’s noch dicker – ein geheimnisvolles Mädchen in einem Teddybärenkostüm, das sich dem Erwerb einer gültigen Fahrkarte konsequent verweigert, zieht in ihn seinen Bann. Und zu allem Überfluss befürchtet die Betriebsgesellschaft wegen einer akuten Selbstmordwelle einen Imageverlust – doch gibt’s da jemanden, der den Überrollten schubsenderweise nachgeholfen hat…
Inhalt
Okay, die ungarische Filmindustrie gehört nicht unbedingt zu denen, die speziell in westlichen Breiten großartige Spuren hinterlassen hat (außer natürlich bei der Baskenmützen-Fraktion, die mit Sicherheit zehn ungarische Regisseure, deren Ouevre man unter keinen Umständen vernachlässigt haben DARF, aufzählen kann). Schon gar nicht im Bereich des Genre-Kinos. Und da kommt letztes Jahr beim FFF ein Film namens „Kontroll“ daher und erobert sein Publikum (mich ausgeschlossen, weil ich als Sparfuchs 2004 bekanntlich selektiv FFF sah) im Sturm.
Doch schon ein Jahr später beschert Sunfilm uns den ungarischen U-Bahn-Trip auf DVD und endlich kann meinereiner vermeintlich Verabsäumtes nachholen. Und? Hab ich damals wirklich was verpasst? Und ob!!! „Kontroll“ ist ein kleines Meisterwerk geworden, und das ist um so erstaunlicher, als es sich um das Debütwerk von Regisseur Nimród Antal (Nimród? Wow! Ich lass mich umtaufen!) handelt.
Herkömmlichen Genre-Schubladen entzieht sich „Kontroll“ von Anfang an. Im weitesten Sinne sind die Vorschläge der IMDB, die da „Comedy“, „Mystery“ und „Thriller“ lauten, zutreffend. Aber auch wieder nicht. Der Film ist lustig, aber keine Komödie, hat allein schon durch das Setting und die Gestalt des geheimnisvollen Killers Mystery-Elemente, ohne darauf herumzureiten und ist, obwohl er kaum plakativ-reißerische Momente hat und die Thriller-Elemente nicht primär verfolgt, spannend. Vom Feeling her fiele mir als Vergleich allenfalls Lars von Triers geniales „Hospital der Geister“ ein, das auch von skurrilen und dennoch sympathisch-glaubhaft-verschrobenen Charakteren zuhauf bevölkert wird und in dem neben einer durchgängigen „Haupthandlung“ zahlreiche „Nebenkriegsschauplätze“ eröffnet wurden (formal trennen das „Hospital“ und „Kontroll“ keine Welten, sondern ganze Galaxien). Die zentrale Handlung des Films kreist um Bulcsú, den ein undefinierbares Versagenstrauma zum freiwilligen Exil in die Metro getrieben hat, und der, durch äußere Ereignisse angestoßen, einen Selbstfindungsprozess durchmacht. Obwohl Bulcsú der wichtigste Charakter des Films ist und „seine“ Geschichte den Film am meisten interessiert, bleibt genügend Raum für die weiteren Figuren, die mit all ihren Macken, aber trotz ihrer Fehler und menschlichen Schwächen immer wieder mit Sympathie und einem Augenzwinkern gezeichnet sind (mit ein-zwei plotbedingten Ausnahmen. Ganz ohne „Böse“ geht’s auch in Ungarn nicht). Dabei ist Platz für Situationskomik, lustige Dialoge und Slapstick genauso wie für Tragikomik und reine, unverfälschte Tragik. Antal und sein Co-Scripter Jim Adler stilisieren dabei die unterirdische Welt der U-Bahn als einen Mikrokosmos, der im Filmverlauf nicht für eine Sekunde verlassen wird. Manches wirkt dabei leicht surreal übersteigert, vieles dagegen aus dem Leben gegriffen; feinsinnige Alltagsbeobachtungen vermischen sich mit purer Fiktion und ergänzen sich dabei formidabel.
Apropos „formidabel“. In dieser Vokabel steckt ja schon das Wort „Form“ drin und formal ist „Kontroll“ nichts anderes als eine Augenweide. Im Vergleich zum jüngsten anderen U-Bahn-Thriller, dem deutsch-britischen Halbfiasko „Creep“, zeigt „Kontroll“ auf, was man kinematisch aus der einmaligen Atmosphäre der U-Bahn-Stationen, -Schächte und -Tunnel alles machen kann. Und hier ist das Wort, ganz im Gegensatz zu den Konsorten, die das Anwerfen einer Trockeneismaschine für den Gipfel atmosphärischen Filmemachens halten, „Atmosphäre“ mal wirklich angemessen formuliert. Großartige Kameraführung, atemberaubende Bildkompositionen, subtil eingesetzte Symbolik, schlicht und ergreifend großes KINO, was Antal und sein kongenialer Kameramann Gyula Pados da abliefern. Dem Vernehmen nach hat Antal einen Background als professioneller Werbefilmer und Musikvideo-Regisseur und das merkt man dem Film im positiven Sinne an. Jede Einstellung sitzt perfekt, optisch-kameratechnisch macht kein Hollywood-Blockbuster „Kontroll“ auch nur das Allergeringste vor, ohne dass „Kontroll“ dabei, was ein nicht auszuschließendes Risiko bei Neon-Hochglanzoptik, und um solche handelt es sich hier, darstellt, in seine Visualität selbstverliebt erscheint. Die Kinematographie drängt sich trotz ihrer Perfektion nicht auf, überstrahlt nicht die menschlichen Charaktere und die Geschichte (bzw. die Geschichten, „Kontroll“ ist nichts für Freunde des klassischen stringenten Erzählkinos, auch wenn auf Mätzchen wie non-lineare Erzählweise völlig verzichtet wird). Das Tempo, das Antal wählt, ist genau richtig – er widersteht der Versuchung, auf vordergründige Action zu setzen (eine an und für sich gut vorbereitete „Actionszene“, in der Bulcsú ein „Schienenrennen“ mit seinem Rivalen Gonzo veranstaltet, blendet Antal z.B. komplett aus, um die lakonische Unterhaltung zweier Nebencharaktere zu verfolgen), sondern verlässt sich – völlig zurecht – auf die ausgezeichneten Charaktere und die suggestive Wirkung seiner Bilder. Das macht „Kontroll“ zu keinem Reißer, aber zu einem sehr angenehm konsumierbaren Film – man hat als Zuschauer tatsächlich noch die Zeit, in die Atmosphäre des Films einzutauchen – wer allerdings Hollywood-Blockbuster-geschädigt ist und für den alle dreissig Sekunden was rappeln oder explodieren muss, der dürfte sich mit „Kontroll“ relativ schwer tun. Er erfordert eine gewisse Bereitschaft, sich auf seine im besten Sinne Eigentümlichkeit einzulassen, ohne dabei kopflastig zu sein.
Dazu gesellen sich ein effektiver Schnitt und ein sehr passender, elektropoporientierter Soundtrack. Wer ein FX-Feuerwerk erwartet, sitzt im falschen Film. Außer einigen sudeligen Make-up-Effekten ist da nichts, was einen Bluthund froh machen würde, und das ist in diesem Fall auch absolut gut so (zwar gibt es einige gewalttätige Szenen, aber die werden größtenteils off-screen gehandhabt).
Die Schauspieler, zu deren Vita ich jetzt nichts großartiges ausführe, da die wenigsten von uns Experten für den ungarischen Film sein dürften und es, das sag ich jetzt einfach mal so, auch relativ schwer sein dürfte, anderweitiges Filmmaterial der Herrschaften hierzulande zu sichten, leisten vorzügliches. Sándor Csányi (grr, ich hasse ungarische Namen, da kriegt man ja ’nen Knoten in den Fingern) verkörpert Bulcsú ideal als Mischung zwischen Sympathieträger und abweisenden „ich-lass-nichts-an-mich-ran“-Typ. Sein kurioses Team (die einzelnen Namen aufzuführen, erspare ich mir ebenfalls, auch aus chiropraktischen Gründen) verbindet eine ausgezeichnete Chemistry; bis in die kleinsten Nebenrollen ist die Besetzung ausgezeichnet und die gebotenen Leistungen ebenso.
Bildqualität: Selbstverständlich präsentiert Sunfilm, die dem Film eine Doppel-DVD-Edition im extrem schickem Pappschuber spendiert haben, im anamorphen 1.85:1-Widescreen. Der Transfer ist völlig frei von Verschmutzungen und Störungen, könnte für meine Begriffe aber einen Tacken mehr Schärfe vertragen – Kantenübergänge sind bei höheren Zoomfaktoren doch etwas weich. Der naturgemäß eher düstere Film ist mir auch insgesamt ein wenig zu dunkel auf Scheibe gebannt worden, ein wenig Grundhelligkeit mehr hätte mich gefreut. Der Kontrast an sich ist aber gelungen, die Kompression bietet keinen Anlaß zum Tadel. Insgesamt ein „gut“, aber kein „sehr gut“.
Tonqualität: Hier gibt’s bei Sunfilm traditionell kaum was zu meckern. Die deutsche Synchro findet sich in Dolby 5.1 und dts auf der Scheibe, dazu der ungarische Originalton ebenfalls in Dolby 5.1 (optionale Untertitel sind natürlich dabei). Bekanntlich bin ich ein O-Ton-Spezl, selbst wenn der O-Ton in einer exotischen Sprache wie Ungarisch gehalten ist. Die Tonmischung ist dabei ausgezeichnet, Dialoge, Toneffekte und Score stehen im optimalen Verhältnis zueinander, kristallklarer Ton ist dabei garantiert.
Extras: Während sich auf Disc 1 nur die obligatorische Trailershow findet, landet das Bonusmaterial auf der zweiten Disc. Neben dem Originaltrailer gibt’s ein gut sechzehnminütiges Making-of (kommentiert und untertitelt), drei Storyboard-Sequenzen (mit Gegenüberstellung der tatsächlichen entsprechenden Filmszenen), etwas nichtssagende Produktionsnotizen auf fünf Texttafeln, Biographien für Antal und Hauptdarsteller Csányi sowie, das Herzstück, gut 25 Minuten deleted scenes, wobei der Löwenanteil dieser Szenen aus alternativen oder erweiterten Takes besteht, nur eine einzige Szene wurde quasi komplett entfernt. Insgesamt ist das ganze zwar nett, aber jetzt auch nicht SOOO viel, dass es dafür unbedingt einen zweiten Silberling gebraucht hätte.
Fazit: „Kontroll“ wird in der Tat dem guten Ruf, der ihm vorauseilt, voll und ganz gerecht. Es handelt sich um eine echte Wundertüte von Film, die jedem Freund des etwas schrägen Genrekinos wie Öl runtergehen sollte. Wer ein Faible für skurrile Charaktere und leicht absurd-abseitige Geschichten hat, dürfte mit „Kontroll“ eine wunderbare Beziehung eingehen. Der Film hat alles: Witz, Tiefgang, eine Komponente des Unheimlichen und eine grandiose Optik. Es steht zu hoffe, dass Nimród Antal uns in Zukunft mehr davon serviert – „Kontroll“ macht jedenfalls einen unbändigen Spaß und wird daher von mir hiermit heiliggesprochen. Die DVD von Sunfilm punktet durch den schönen Schuber und den ausgezeichneten Ton, muss sich leichte Abstriche in der Bild-Note gefallen lassen und ist trotz des Doppel-DVD-Treatments nicht so voluminös ausgestattet, wie man es angesichts der beigelegten Bonus-Scheibe erwarten könnte.
4/5
(c) 2005 Dr. Acula