Kein Science fiction

 
  • Deutscher Titel: Kein Science fiction
  • Original-Titel: Science fiction
  •  
  • Regie: Franz Müller
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 2003
  • Darsteller:

    Arvid Birnbaum (Jörg Kasunke), Jan Henrik Stahlberg (Marius), Nicola Marischka (Anja), Heidi Ecks (Barbara), Thomas Wittmann (Hotel-Schichtleiter), Siegfried Effenberger (Mann in der Werbeagentur), Christoph Kottenkamp (Mann im Restaurant)


Vorwort

Ossi Jörg Kasunke besucht zwecks Strategiesuche für sein Geschäft ein Motivationsseminar und bringt Marius, den jungdynamischen und grenzwertig arroganten Seminarleiter, nach allen Regeln der Kunst zur Verzweiflung. Als Jörg beim Rollenspiel nach Marius Ansicht noch nicht mal in der Lage ist, mit der richtigen Einstellung durch eine Tür zu treten und auch die Sonderansprache auf wenig fruchtbaren Boden fällt, passiert’s – Marius reißt wutentbrannt die Tür auf, doch dahinter starrt ihm nicht seine Seminargruppe entgegen, sondern ein verwundertes Rudel Aktzeichner. Eine verwirrende Situation – erst recht, als Jörg feststellt, dass in seinem Reihenhaus nicht Weib und Kind auf ihn warten, statt dessen öffnet ihm ein wildfremder Mann verdutzt die Tür. Marius hat’s ausbaldowert – sobald sich zwischen ihm oder Jörg und deren Mitmenschen einen Tür schließt, sind sie „vergessen“, und entsprechend hat sich die Realität verändert. Da Marius und Jörg die einzigen sind, die sich aneinander erinnern können, schließen sie sich zu einer Not- und Zweckgemeinschaft zusammen. Zumal man die Situation auch ganz gut ausnutzen kann – Zechprellerei, Ladendiebstähle und das Klauen von Luxuskarossen direkt vom Hof der Autohändler waren nie einfacher, außerdem werden Frauen angebaggert und Passanten gegen Geld gedemütigt.
Doch der geistig eher schlicht gestrickte Jörg und der überhebliche Yuppie sind extrem gegensätzliche Charaktere, das zeigt sich, als beide ein Auge auf die hübsche Hotelangestellte Anja werfen. Jörg hat sich tatsächlich verknallt, für Marius ist sie nur eine weitere Trophäe. Und angesichts der bewussten Tür-Problematik ist es nicht so ganz einfach, überhaupt in Schlagdistanz eines romantischen Dates zu kommen…


Inhalt

Junger Deutscher Film. Das reicht normalerweise mühelos aus, um den typischen Leser meiner Website schreiend in die Flucht zu schlagen, und wäre normalerweise auch nicht unbedingt die Filmkost, mit der ich mir die Sonntagnachmittage verhagele, aber auf „Science fiction“ (der sich kurioserweise in der DVD-Auswertung „Kein Science fiction“ nennt, vermutlich, um „echte“ SF-Fans nicht in eine Fehlinvestition zu drängen) war ich scharf, seit ich im Heyne-Filmjahrbuch für den Jahrgang 2004 eine kurze Inhaltsangabe und die Darstellerliste gesehen habe. We have no Scheuklappen here.

Okay, primärer Grund für die Anschaffung, als „Science fiction“ mir neulich per amazon-Supersonderangebot vor die Flinte kam, ist die hauptrollende Betätigung von Jan Henrik Stahlberg, den schöne und intelligente Menschen aus dem superben Muxmäuschenstill kennen und schätzen. Sollte doch interessant sein, was Mux unmittelbar vor der galligen Gesellschaftssatire anstellte…

Bei „Science fiction“ handelt es sich um den Debütfilm von Franz Müller und als solchen wohl um eine Abschlussarbeit für die Filmhochschule Köln. Man kann Filmhochschulen nun für ein sinnvolles Bildungsinstitut für anstehende Filmschaffende sehen oder als Brutstätte für publikumsaverse Baskenmützenfilmer, deren Hauptbeschäftigung es in Zukunft sein wird, dem Steuerzahler per Filmförderung Knete für ihre defizitären Produkte abzuluchsen, aber gänzlich auszuschließen, dass auch in diesen Anstalten mal ein Talent gefunden wird, kann man ja doch nicht.

Müller benutzt hier eine phantastische Grundidee, für die keine rationale Erklärung angeboten wird (wenn man metaphysisch sein will, die ein oder andere Äußerung Marius so verstehen will und den Abspannsong ins Kalkül zieht, biegen Jörg und Marius bei jeder Türschließung in ein neues Parelleluniversum ein), als Aufhänger für eine komödiantisch-satirisch angehauchtes Charakter- und Entwicklungsdrama, indem das „wie“ und „warum“ uninteressant bleibt (das Phänomen endet so plötzlich und ohne spezifischen Anlass wie es begann), sondern das „wer“ im Blickpunkt steht. Müller interessiert sich für die „Zwangsverheiratung“ von notorisch inkompatiblen Charakteren, dem knallharten erfolgsorientierten Yuppieschnösel Marius, der von Haus aus jeden anderen Menschen als seinen persönlichen Fußabtreter betrachtet, und dem intellektuell weniger gut situierten, dafür aber emotionalen (und emotional beeindruckbaren) Jörg, die – widerwillig – voneinander lernen können und müssen: während der kontaktscheue Jörg langsam, aber stetig Selbstbewusstsein entwickelt und sich vom fünften Rad am Wagen zur eigenständigen Persönlichkeit hinemanzipiert, begreift Marius – sogar noch langsamer als Jörg – den Wert von echten Gefühlen und wahrer Freundschaft, was exemplarisch am „Kampf“ um die Gunst von Anja (selbst eine „unfertige“ Persönlichkeit, die keine Ahnung hat, was sie von ihrem Leben eigentlich erwartet, sondern nur weiß, dass sie unzufrieden und allein ist) festgemacht wird.
Das ist nicht unbedingt ein taufrisches Konzept und auch keines, das zwingend im Bereich der Phantastik angesiedelt werden müsste, aber es bietet Müller die Möglichkeit, ein Script, dass ohne eine wesentliche übergreifende Story auskommen muss, mit diversen komischen Vignetten aufzufüllen – manchmal erinnern die Probleme von Marius und Jörg, speziell an Anja heranzukommen, an Bill Murrays Leiden aus „Und täglich grüßt das Murmeltier“ (und dann gab’s ja noch „50 erste Dates“ mit Drew Barrymore, dessen Gimmick auf ein ähnliches Prozedere hinauslief), jedoch, wie gesagt – einen richtigen „Plot“ im Wortsinne hat „Science fiction“ nicht, womit auch schon klar wird, dass knapp zwei Stunden eine ordentliche Strecke und mal wieder schon eine Ecke zu viel ist…

Demzufolge nehmen neben dem Selbstfindungsprozess der beiden Hauptfiguren diverse Episoden und Episödchen ohne gesteigerten Gesamtzusammenhang breiten Raum ein; es ist zwar durchaus witzig, wenn Marius und Jörg in der Tarnung französischer Investoren eine Werbeagentur besuchen, sich aufführen wie die Axt im Wald (und in Form von Marius z.B. in den Pott der Zimmerlinde pinkeln), nur „weil sie es können“, da sie wissen, dass ihre Handlungen, sobald eine Tür zugeschlagen ist, keine Konsequenzen mehr haben, aber dramaturgisch sind diese Segmente mit der eigentlichen Geschichte nicht wirklich verbunden. Trotzdem, und das muss kein Widerspruch sein, ist der Streifen unterhaltsamer (es gibt z.B. auch eine nette Szene, in der Jörg, um zu verhindern, dass Türen zuschlagen, er Schlösser breiträumig aus den Türen seines Hotelzimmers heraussägt), so lange er sich um den Plot nicht schert und versucht, aus den humoristischen Implikationen des Gimmicks Kapital zu schlagen, als in den letzten, na, ca. 40 Minuten, in denen nun das Dreiecksverhältnis im Mittelpunkt steht und langsam aufgedröselt wird, zumal Müller da auch nicht so arg viel originelles einfällt – Sauftour, eine gemeinschaftliche spontane Fahrt ans Meer mit Strandübernachtung, das ginge auch gehaltvoller. Zudem wird das Script davon geplagt, dass Jörg seine „verschwundene“ Familie immer nur einzufallen scheint, wenn Müller als Autor gerade mal dran denkt; seine traurigen Remineszenzen an seine kleine Tochter wirken unglaubwürdig, wenn Jörg andererseits hauptsächlich damit beschäftigt ist, Anja anzubaggern (zwar deutet das Script an, dass seine Ehe nicht unbedingt eine Liebesheirat war, aber zumindest an der Tochter hängt er mächtig).

Leider verarbeitet „Science fiction“ seine mit Abstand beste, weil satirisch treffendste Phase gleich zu Beginn, wenn Müller den Schwachsinn der ach-so-beliebten Motivationsseminare auseinander nimmt und Marius seine Schüler zu (leider ziemlich realistischen) Albernheiten, wie „die Kraft eines Raumes“ zu spüren und „das innere Licht“ zu finden, anhält. Da trifft er ziemlich ins Schwarze, wohingegen der nachfolgende Hauptfilm mehr oder minder vorhersehbar, was die Charakterentwicklungen angeht, abgespult wird.

Technisch ist der Streifen ausgesprochen schlicht – vermutlich auf Digital Video gedreht, viel Handkamera, gerne auch zappelig, mittelmäßiger Ton, der gelegentlich schon mal Dialoge „verliert“, weil Nebengeräusche überlagern. Ich hab schon Hochschulfilme gesehen, die deutlich „kinematischer“ waren, aber ich gehe mal (den mitgelieferten Audiokommentar noch nicht gehört habend) davon aus, dass ein gewisser naturalistisch-halbdokumentarischer Look zumindest nicht unbeabsichtigt ist (zumal einige der Aufnahmen in Fußgängerzonen für „versteckte Kamera“ sprechen bzw. für leibhaftige Passanten als un- bis halbfreiwillige Statisterie). Da ausschließlich on location gedreht wurde, wirkt der Streifen natürlich sehr authentisch; in einigen Montagen wird pfiffig und temporeich geschnitten – ein wenig mehr Mut zu flotterer Gangart, schnellerem Schnitt hätte dem ganzen Film ganz nicht geschadet, teilweise ist es schon recht statisch, Fernsehspiel-artig und könnte einen Tritt in den Allerwertesten gebrauchen.
Insgesamt kann man Müller eine solide, aber nicht herausragende Inszenierung bescheinigen – er fällt nicht massiv aus dem Rahmen und dirigiert seinen Film nicht, wie man es bei manchem Jung-„auteur“ befürchten muss, am mutmaßlichen Publikumsinteresse vorbei, auch wenn komödiantische und dramatisch-ernstgemeinte Passagen sich nicht immer die Waage halten und, wie schon angedeutet, eine gewisse Straffung „Science fiction“ sicherlich nicht geschadet hätte (dito auch ein etwas besserer und vor allen Dingen besser auf die jeweiligen Situationen abgestimmter Score).

Spezialeffekte sind trotz des phantastischen Themas nicht zu vermelden und dank der FSK-6-Freigabe bleibt auch die einzige angedeutete Sexszene züchtig (aber immerhin können wir erahnen, dass Frau Marischka sich oben frei macht. Sehen dürfen wir’s aber leider nur von hinten). Dafür ist die Sprache relativ derbe (wer also befürchtet, dass die psychologische Entwicklung des Juniors durch die Vokabeln „ficken“ oder „Wichser“ ernsthaften Schaden nimmt, sollte doch lieber aus Bussi Bär vorlesen. Andererseits wird jedem Sechsjährigen, der was auf sich hält, „Science fiction“ eh viel zu langweilig sein).

Was stimmt, sind die darstellerischen Leistungen. Jan Henrik Stahlberg nutzt – vermutlich unwissentlich – seinen Marius als einen durchaus überzeugenden „Mux“-Probelauf. Es wundert mich eigentlich, dass Stahlberg nach „Muxmäuschenstill“ nicht die Karriere gemacht hat, die ich ihm zugetraut hätte (immerhin – er ist wesentlicher Mitwirkender bei dem „Bluewater“-Projekt, das durch seinen Terrorismus-Hoax vor einigen Monaten in die Schlagzeilen kam); es gibt wenige deutsche Darsteller, die die Schublade „charmante Drecksau/grundmieses Arschloch/Vollpsychopath“ glaubhafter besetzen können als er, ohne zu blanker Übertreibung greifen zu müssen. Auch in „Science fiction“ geht er in der Rolle des voll von sich überzeugten Widerlings und Manipulators voll auf; wobei ihm ähnlich wie in „Muxmäuschenstill“ (dort Fritz Roth) mit Arvid Birnbaum („Neger Neger Schornsteinfeger“, „Die Hitzewelle – Keiner kann entkommen“) ein kongenialer Fußabtreter zur Verfügung steht (es fällt in der Tat auf, dass die Figurenkonstellation erstaunliche Ähnlichkeiten mit „Mux“ aufweist). Birnbaum überzeugt als der verunsicherte, leicht zu beeinflussende und ohne „self esteem“ agierende Ossi, der in einer „Leistungsgesellschaft“ nie angekommen ist.
Nicole Marischka (aus dem berühmten Familienclan), zu sehen gewesen u.a. in „Die Wolke“ oder „Hitler – Aufstieg des Bösen“, liefert als Frau zwischen zwei Männern (wobei relativ schnell deutlich wird, dass ihre Anja Jörg als „Kumpel“ schätzt, aber lieber mit Marius ins Bett steigt) ebenfalls eine durchaus glaubwürdige Performance.

Bildqualität: EpiX präsentiert den Film in anamorphem 1.85:1-Widescreen. Die Bildqualität ist aufgrund sicherlich nicht übermäßig hochwertigem Ausgangsmaterial gut durchschnittlich; die Schärfewerte könnten besser sein, dito die Kompression, Kontrast und Farben sind allerdings okay, Verschmutzungen oder Defekte sind nicht zu verzeichnen.

Tonqualität: Ausschließlich deutscher Dolby 2.0-Ton, der, wie oben erwähnt, ein wenig darunter krankt, dass die Dialoge manchmal von Nebengeräuschen übertönt werden. Deutsche und englische Untertitel werden mitgeliefert.

Extras: Audiokommentar, Trailer, deleted scenes, eine „Probeszene“ sowie der Abspannsong in Originalfassung und Remix sorgen für ein insgesamt recht passables Paket.

Fazit: Ich weiß nicht recht, welche Erwartungen ich ursprünglich an den Film gestellt hatte – ich ging jedenfalls nicht davon aus, einen neuen Klassiker deutschen Genrekinos zu bekommen und wurde daher auch nicht enttäuscht. Vielleicht macht Müller im Bestreben, aus seinem Film ein hochschulkompatibles Beziehungsstück zu machen, für das man von seinen Dozenten gute Noten kriegt, nicht genug aus der Prämisse, die immerhin eine recht kreative Variation des „Groundhog Day“-Themas ist. Aus der Idee müsste mehr herauszuholen sein als sie für einige (zumindest auch einige gute) witzige Situationen und Grundproblem einer Dreiecksbeziehung zu verwenden; da fehlen mir etwas die psychologischen Implikationen (vor allen Dingen mit der radikalen Trennung von ihrer ursprünglichen „Realität“ gehen mir die Protagonisten etwas zu leichtfertig um). Insgesamt ist „Science fiction“ aber kein schlechter Film, der nicht zu verkopft an die Sache herangeht und nicht vergisst, hauptsächlich ein Publikum unterhalten zu wollen. Mit vielleicht 20 Minuten weniger Laufzeit und etwas stringenterer Erzählung hätt’s besser sein können, aber ich hab mich mit „jungem deutschem Film“ schon wesentlich weniger amüsieren müssen.

3/5
(c) 2010 Dr. Acula


mm
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