John Carpenter – Fürst der Dunkelheit

 
  • Deutscher Titel: John Carpenter - Fürst der Dunkelheit
  • Original-Titel: Big John
  •  
  • Regie: Julien Dunand
  • Land: Frankreich
  • Jahr: 2006
  • Darsteller:

    John Carpenter, Larry Franco, Debra Hill, Alan Howarth, Keith Gordon, Austin Stoker, Adrienne Barbeau, Peter Jason, Mel Sloan, Jean-Baptiste Thoret, Nicolas Saada


Vorwort

John Carpenter hat in seiner langjährigen Regiekarriere viel erlebt – von seinen kultisch verehrten Anfängen mit Dark Star und Assault on Precinct 13, ikonische Genre-Meilensteine wie „Halloween“, „The Fog“ oder „Die Klapperschlange“, kommerzielle Bauchklatscher wie „Das Ding“ und „Big Trouble in Little China“, Auftragsarbeiten wie „Christine“, unabhängig entstandene Lebenszeichen wie „Fürsten der Dunkelheit“ und „Sie leben!“ bis hin zu leidlich erfolgreichen, aber von Fans und Kritikern mehrheitlich als nicht mit seinen Klassikern zu vergleichenden Vehikeln wie „Vampires“ und „Ghosts of Mars“. 2006 besuchte der französische Filmemacher Julien Dunand Carpenter in Hollywood, um über das bewegte Filmleben des Kettenrauchers zu plaudern und sprach auch mit einigen alten Weggefährten wie Larry Franco, Carpenters langjährigem Regieassistenten und Co-Produzenten, Adrienne Barbeau, seiner ehemaligen Ehefrau oder der noch vor Veröffentlichung des Films verstorbenen Debra Hill. Dazu gesellen sich Analysen und Kommentare zweier französischer Filmtheoretiker.

In knapp 75 Minuten eine umfassende Dokumentation über Carpenters Schaffen zu packen, ist ein Ding der Unmöglichkeiten, Dunand versucht’s daher erst gar nicht und verzichtet auf einen echten systematischen Ansatz. Carpenters Fernseharbeiten wie „Elvis“ oder „Das unsichtbare Auge“ bleiben außen vor („Elvis“ findet aber wenigstens Erwähnung, wenn’s um Carpenters Zusammenarbeit mit Kurt Russell, den Big John übrigens als extremen politischen Rechtsausleger outet – „wie Attila, der Hunne“), ebenso wie das gefloppte „Dorf der Verdammten“ und selbst „Dark Star“ ist nicht mehr als ein Chronologie geschuldeter Startpunkt – ernstlich beginnt Dunand die Auseinandersetzung mit dem Thema Carpenter bei „Assault on Precinct 13“, ohne dabei wirklich chronologisch vorzugehen (so packt er „Das Ding“ und „Big Trouble in Little China“ zusammen in einen Komplex ‚Carpenter scheitert mit großen Studiofilmen‘).


Inhalt

Aus Kostengründen (nehme ich an) verzichtet Dunand weitgehend auf Filmausschnitte – lediglich „Die Klapperschlange“ und „Flucht aus L.A.“ werden mit bewegten Bildern gewürdigt, ansonsten beschränkt sich die Doku auf Promotion- und Still-Fotos; da das Werk sich aber auch offenkundig weniger an Carpenter-Novizen denn -Fans richtet, geht der Regisseur wohl zurecht davon aus, dass sowieso jeder die betreffenden Streifen zur Genüge kennt.

Herzstück der Doku sind also die Interviews – John Carpenter selbst wird hauptsächlich während einer Autofahrt durch L.A. befragt (mit Zwischenstopps am Hauptdrehort von „Halloween“, dem Kino, das J.C. während seiner Filmstudentenzeit frequentierte und dem Studio, in dem er die meisten seiner Scores aufnahm). Carpenter gibt sich gut gelaunt und ersichtlich leicht amüsiert über die Aufmerksamkeit aus Frankreich (wo er spätestens seit „Die Mächte des Wahnsinns“ nicht mehr nur als passabler Horrorwerkler, sondern als einer DER großen amerikanischen Regisseure gefeiert wird), beklagt sich gleichermaßen über den amerikanischen Hang zur Anti-Intellektualität wie die europäische Tendenz, sich und das Filmgeschäft im Besonderen zu ernst zu nehmen (über seine Erfahrungen als Präsident einer Festivaljury stellt er angesichts der verbitterten Kämpfe hinter den Kulissen fest: „Verdammt, die brauchen Drogen!“), bestätigt seine Vorliebe für Western (wenig überraschend schätzt er Howard Hawks, hält aber John Ford für überbewertet und unnötig sentimental und verehrt Sam Peckinpah) und überrascht mit Huldigungen für Roman Polanski und Claude Lelouch.

Bezüglich seiner Filme ist er offen und freimütig – zwar ist er letztlich mit allen seinen Werken zufrieden, gibt aber auch ohne weiteres zu, dass manche eben nur in die „ganz okay“-Kategorie fallen (so hält er z.B. den Umstand, dass „Christine“ nicht besser wurde, glasklar für seinen Fehler), wobei das Format der Doku, in dem der Interviewer selbst nie in Erscheinung tritt, sondern ausschließlich die O-Töne sprechen lässt, die ein oder andere kritische Nachfrage vermissen lässt (und es gäbe im Carpenter’schen Ouevre ja schon den ein oder anderen Ansatz für eine „what the hell were you smokin?“-Frage).

Tiefschürfendere private Einblicke bleiben aus, ebenso umkurvt der Film weitgehend die Feststellungen zu Carpenters Arbeitsbeziehungen mit seinen Stammkräften (mit Ausnahme der kurzen Bemerkungen über Russell und einen wirklich emotionalen Moment, in dem Carpenter im Gedenken an Donald Pleasence den Tränen nahe ist).

Die weiteren Gesprächspartner sind, wenn man akzeptiert, dass die „ganz großen Namen“ einer kleinen französischen Fernsehdokumentation nicht zugänglich sind, recht gut gewählt. Austin Stoker berichtet über seine Versuche, Carpenter ein Sequel zu „Assault“ anzudienen, Adrienne Barbeau spricht über die Enttäuschung nach dem Release von „Das Ding“, der peinlicherweise in direkter Konkurrenz zu „.E.T.“ antrat, Larry Franco beschäftigt sich mit Carpenters Problemen mit dem Studio bei „Big Trouble“ und Alan Howarth (der sichtlich noch immer der gemensamen Arbeit mit J.C. Nachtrauert) naheliegenderweise über die Arbeitsweise beim Scoring der Filme (Carpenter selbst bezeichnet sich als von Bernard Herrmann beeinflusst). Peter Jason (Nebendarsteller in vielen Carpenter-Filmen) und Keith Gordon (Hauptdarsteller in „Christine“) sind sich darüber einig, dass Carpenter-Sets von einer sehr familiären und entspannten Atmosphäre gekennzeichnet sind (wie Gordon es sinngemäß ausführt, ist es schwer, am Set „Druck“ zu empfinden, wenn der Regisseur sich Zeit nimmt, das Mikro des Tonmanns zu verstecken). Auch hier gehen die Informationen nicht so stark in die Tiefe, wie man es sich wünschen würde, was in den Einschränkungen der knappen Laufzeit begründet sein dürfte.

Recht amüsant sind die Äußerungen der beiden französischen Filmtheoretiker, die sich – begreiflicherweise – überwiegend mit der Rezeption des Carpenter-Schaffens in Frankreich befassen und auch kurz die versuchte politische Vereinnahmung des Maestros als „linker“ Regisseur thematisieren (leider wird auch auf diesen Punkt nur unzureichend eingegangen, denn es wäre schon interessant, Filme wie „Die Klapperschlange“ nebst Sequel, die man durchaus als links-anarchistisch bezeichnen kann, mit „Das Ding“, quasi dem ultimativen rechten „don’t trust anyone“-Paranoia-Schocker von der politischen Aussage her, zu vergleichen. Carpenter selbst würde vermutlich abwinken, weil ihm, wie auch hier von ihm ausgesagt, eine „Botschaft“ völlig unwichtig ist und es ihm vielmeh rum die Erzeugung von Emotionen beim Zuschauer geht, aber wir Analytiker dürfen ja gern mal in Heuhaufen herumstochern, von denen die Aufschichter nicht mal ahnten, dass sie eine Nadel reingeworfen haben). Die beiden Franzosen kritisieren ausdrücklich Carpenters Spätwerk als vergleichsweise unbedeutend, innovations- und risikolos.

Von der filmtechnischen Umsetzung her ist „Big John“ einfach – die Interviewsequenzen stehen unkommentiert für sich alleine, einziger filmischer „Kniff“ ist die „Vorstellung“ der Interviewpartner in Form kurzer, künstlich auf „alt“ getrimmter „home movie“-Schnippsel. Als kleines Gutzi gibt’s ein paar Behind-the-Scenes-Aufnahmen vom „Ghosts of Mars“-Dreh, der zeigt, dass Carpenter auch gerne selbst noch die Kamera in die Hand nimmt. Den Score steuert, im bewährten 80er-Jahre-Carpenter-Stil, Alan Howarth himself bei.

Bildqualität: Epix legt die Dokumentation in 4:3-Letterbox (ca. 1.78:1) vor. Die Bildqualität ist recht gut, allerdings muss hier natürlich nichts spektakuläres umgesetzt werden.

Tonqualität: Augen auf im Straßenverkehr – wer, wie ich, gewohnheitsmäßig deutsche Untertitel abschaltet, sollte das lassen. Zwar gibt Epix als Sprache Englisch an (eine Synchronisation bzw. ein Übersprechen erfolgte nicht), die Herren Franzosen sprechen aber, Überraschung, en francais. Wer’s also mit der Sprache unserer linksrheinischen Nachbarn nicht so hat, sollte tunlichst die Untertitel eingeschaltet lassen (auch, weil die Interviewpartner nur durch Einblendungen in der UT-Spur namentlich vorgestellt werden). Abgesehen davon ist der Ton zweckmäßig und gut verständlich.

Extras: Neben einer Carpenter-Biographie in Texttafelform werden wir mit einer Bildergalerie und, in PDF-Form für’s DVD-PC-Laufwerk, Auszügen aus einem Buch über den Meister bedacht.

Fazit: Auch wenn „Big John“ sich aufgrund seiner eher auszugsweisen Beschäftigung mit der langen Karriere seines Subjekts, wie schon gesagt, dem Fan stärker andient als dem Neuling, empfiehlt sich die Dokumentation doch mehr als nette Ergänzung zur Carpenter-Sammlung denn als definitiver Überblick über Carpenters Schaffen – zu viel bleibt ausgeblendet (welchen Einfluss Carpenter selbst auf ganze Generationen Horror-Regisseure ausübte, wird überhaupt nicht angesprochen; auch fehlen Querverweise auf „zeitgenössische“ Regiekollegen), die Anekdoten Carpenters und seiner Weggefährten sind durchaus informativ und amüsant, hinterlassen aber den Eindruck, dass nur an der Oberfläche gekratzt wird. Vielleicht wäre „Big John“ als Extra auf einer DVD- oder BluRay-Veröffentlichung besser aufgehoben denn als stand-alone-Release, aber wenn amazon oder andere Retailer das Ding mal wieder für drei Euro rauskloppen, macht der Carpenter-Fan wenig verkehrt. Es bleibt aber der nagende Verdacht, dass Carpenter eine detailliertere, ausführlichere Dokumentation verdient hätte, und so, wie der alte Zausel qualmt, sollte sich ein berufener Filmemacher da vielleicht ranhalten…

3/5
(c) 2010 Dr. Acula


mm
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