Je t’aime

 
  • Deutscher Titel: Je t'aime
  • Original-Titel: Je t'aime mon non plus
  • Alternative Titel: I love you, I don't |
  • Regie: Serge Gainsbourg
  • Land: Frankreich
  • Jahr: 1976
  • Darsteller:

    Jane Birkin (Johnny), Joe Dallesandro (Krassky), Hugues Quester (Padovan), Rene Kolldehoff (Boris), Gerard Depardieu, Jimmy Davis


Vorwort

Für das erste Review, das vorab nur für Patreon-Unterstützer freigeschaltet wird, sollte, so dachte ich mir, nicht einfach „Dinowolf vs. Krokoshark Teil 18“ herhalten müssen, sondern, naja, sagen wir mal… etwas gehaltvollere Ware. Warum also verlasse ich nicht mal wieder meine Komfortzone und verhebe mich an einem Sujet, für das ich geradezu elementar unqualifziert bin und mich eigentlich nur nach allen Regeln der Kunst zum Horst machen kann? Also… befassen wir uns mit französischem Kunschtfilm!

Irgendwo im tiefsten Nirgendwo gehen die Müllkutscher Krassky und Padovan ihrem Tagwerk nach. Die beiden gehen nicht nur in ihrem Beruf auf, sondern sind auch noch ein schwules Pärchen – von Padovans Standpunkt nicht unverständlich, denn Krassky ist schon ein attraktives Kerlchen. Nach Ablieferung einer frischen Ladung Unrats auf der Müllkippe (die einen reichlich wilden Eindruck macht – es sieht sowieso aus aus, als würden Krassky und Padovan ihren Job auf freiberuflicher Basis erledigen. Neue Dienstleistungsbranche?) treffen die Abfallpiloten auf ein paar nach einer Autopanne liegengebliebene männliche Angehörige der Dorfjugend und nehmen sie mit. Im Führerhaus macht Padovan gegenüber dem Oberhaupt der Mackergang eine kleine homoerotische Anspielung, worauf dem natürlich der Draht aus der Mütze springt – das hat zur Folge, dass der Mann des Lasters verwiesen wird und seine auf der Ladefläche reisenden Kumpels per Kipper abgesetzt werden. Einem der Jungs gelingt es zwar, sich am Kipper festzukrallen, aber the point is made.

Homophobe Arschgeigen mit lebensgefährlichen Späßchen zu foppen macht hungrig und so steuert Krassky einen Truckstop an, der selbst für die Verhältnisse des totalen Nirgendwo *so* abgelegen ist, dass der hypothetische Umstand, ein Fuchs würde dort einem Häschen gute Nacht sagen, mutmaßlich mehrere Wochen Gesprächsthema Nummer 1 an der Theke wäre. Der Chef des zweifelhaften Etablissements ist der schmierige alte Lappen Boris, seine einzige Angestellte ist Johnny, ein Mädchen, das aufgrund ihres androgynen Kindfrau-Looks, oder, wie sie selbst sagt „weil ich keine Titten und ’nen flachen Arsch habe“, sich diesen Namen erarbeitet hat. Krassky, der Johnny auch erst mal für einen Jungen hält, fühlt sich zu seiner eigenen Überraschung zu Johnny hingezogen, und Johnny selbst, die begreiflicherweise vor Einsamkeit und Sehnsucht nach Zuneigung eingeht, fährt auf den gut gebauten Burschen praktisch by default ab. Padovan ist verstimmt – was zum Geier findet Krassky an einer wandelnden Möse, wo er doch ihn hat? Und auch Boris ist skeptisch – sich ‚mit ner Schwulette einzulassen, macht doch für das Mädel keinen Sinn.

Nichtsdestoweniger lässt Krassky sich von Johnny zum Tanzabend in Boris‘ Scheune einladen. Die Stimmung dort kocht über – jedenfalls habe ich erheblich lustigere Beerdigungen erlebt. Während Boris den Striptease-Showteil ausruft, der von weniger graziösen Damen aus der Nachbarschaft bestritten wird, und Johnny und Krassky zu den Klängen von „Je t’aime moi non plus“ über den Tanzboden schwofen, bemerkt die zuvor geärgerte Dorfjugend das Auftauchen Padovans. Unbürokratisch als Auslöser des damaligen Streits identifiziert, wird Padovan von den Möchtegerndorfpunks ordentlich verdroschen. Zwar kann Krassky noch mit seinen Fäusten eingreifen, bevor Padovan totgeschlagen wird, das Vertrauensverhältnis – und natürlich auch die intime Liebschaft – zwischen den Mülldroschkern ist zerbrochen.

Grund genug für Krassky, es allen Ernstes mit Johnny zu probieren, doch bei einer Probe-Liebesnacht versagt er – Johnny mag zwar aussehen wie ein Junge, aber biologisch ist sie nun mal ein Mädel, und ’ne Vagina törnt Krassky nicht an. Johnny beschimpft unbestiegenerweise Krassky als Schwuchtel. Er schubst sie aus dem Bett – als Johnny heulend unter der Kloschüssel durchrobbt und dabei Krassky ihr Hinterteil entgegenreckt, fällt bei Krassky der Groschen. Auch Weiber haben ja ’nen Hintereingang und rein technisch gesehen ist Analsex Analsex, egal, welches Geschlecht der/die/das Penetrierte hat. Funktioniert soweit ganz gut, abgesehen davon, dass es Johnny höllisch weh tut und ihre Schmerzensschreie die Nachbarn auf den Plan rufen (und Krasskys Vermieter hat, nachdem in der gleichen Wohnung jemand vor ein paar Monaten eine Nutte erwürgt hat, nicht schon wieder Bock auf Leichen hat) – die Investition in eine Tube Vaseline wäre womöglich hilfreich. Jedenfalls verbringen unsere Rektallover die nächste Zeit damit, ein Fleckchen zu finden, wo sie in Ruhe lautstark rammeln können, ohne andauernd von Leuten gestört werden, die durch Johnnys Kehlkopfakrobatik aufgeschreckt werden.

Padovan versucht beim einzig bekannten anderen Schwulen der Gegend zu landen, holt sich aber einen freundlichen, nichtsdestoweniger bestimmten Korb. Nachdem Krassky auf seinen Vorschlag, die Zelte hier abzubrechen und woanders neu anzufangen, nicht reagiert, bleibt Padovan nur noch eine Verzweiflungstat….


Inhalt

Serge Gainsbourg, die ewige Skandalnudel der französischen Kulturszene… hätte er nie etwas anderes gemacht als das Lied „Je t’aime mon non plus“ zu schreiben, er wäre im Kulturkanon der Welt. Gainsbourg schrieb Mutter, Vater, Bruder, Schwester, Onkel, Tante und angeheiratete Schwippcousine dritten Grades des Ficksongs 1966 für seine damalige Lebensgefährtin Brigitte Bardot und nahm das Stück 1967, nach ihrer Trennung, auch mit ihr auf, veröffentlichte es aber auf ihren Wunsch hin nicht, sondern nahm es 1969 mit seiner neuen Muse Jane Birkin auf und landete, trotz oder natürlich eher wegen der Kontroverse um heftiges Liebesgestöhne und Verbalsex, einen Welterfolg. Als Interpreten landeten weder Gainsbourg noch Birkin sonderlich bedeutsame weitere Hits, auch wenn Serge noch einige erfolgreiche Chansons für andere Künstler schrieb. Das Thema ließ den guten Serge aber nicht los und nur sieben Jahre nach dem Song folgte dann der von Gainsbourg selbst geschriebene und inszenierte Film, zu dem er selbstverständlich auch die Musik beisteuerte. Allerdings sah er davon ab, auch selbst vor die Kamera zu treten.

Nun haben der franzmännische Arthouse-Film und ich ein nicht gänzlich ungespanntes Verhältnis. Alle heiligen Zeiten nimmt er die Baskenmütze ab, lässt das Monokel fallen und zwinkert mir aufmunternd zu, es doch mal wieder mit ihm zu versuchen, dann tu ich’s, und bei der Zigarette danach sind wir uns wieder beide einig, dass es dass jetzt doch nicht wahr, wir uns ’ne Weile nicht mehr sehen und uns allgemein aus dem Weg gehen sollten. Will sagen, alles, was stärker „pour l’art“ ist als Chabrols finstere Blicke hinter die Abgründe bürgerlicher Fassaden, tut sich schwer, mein Wohlbegefallen zu finden. Mit einer Rohmer-Retrospektive kann man mich jagen, Alan Resnais Werk finde ich wesentlich unspannender als einen trocknenden Farbeimer, bevor ich mich Truffaut widme, setze ich mich lieber zwei Stunden vor die Waschmaschine und alles, was Godard drehte, nachdem er entschied, dass das Prinzip narrativer Erzählung ein unerhörtes Instrument imperialistischer Unterdrückung ist, sollte meins Erachtens unter das Kriegswaffengesetz fallen und irgendwo in einem zwei Kilometer tiefen Salzstock verklappt werden. Gibt’s noch jemanden, mit dem ich’s mir jetzt nicht verscherzt habe?

Nun ist Gainsbourg nicht Truffaut – sicher ist er „Künstler“, aber einer, der seine Kunst nie für die Kritiker und Feuilletonisten machte, sondern weil’s ihm taugte. Und ein Herz für die terriblen Infanten hab ich halt nun doch. Dazu kommt freilich auch das Interesse an der bangen Frage, wie man einen Song, der nicht mehr als einen Liebesakt darstellt, in einen abendfüllenden Film verwandelt. Gainsbourg entscheidet sich für das klassische love triangle mit dem Twist, dass sich eine Frau – selbst wenn sie reichlich androgyn ist – in eine mehr oder weniger glückliche schwule Beziehung drängt, ohne es eigentlich zu wollen, denn dass Johnny bis zur finalen Eskalation realisiert, dass sie sich hier in etwas halbwegs Funktionierendes drängt und Padovan nicht nur Krasskys Kumpel, sondern sein Liebhaber ist, sie also etwas das „Problem“ ist, erzählt der Film nicht. Rein oberflächlich vom Storytelling-Aspekt her betrachtet, hält Gainsbourg die Geschichte in einem konventionellen erzählerischen Rahmen. Meet-cute im Truckstop, beiderseitiges Interesse, vorsichtige Annäherung, Hindernis, Lösung, Eifersucht, Katastrophe (und weil wir ein Drama haben, fehlt der Versöhnungs-Epilog. Am Ende, postuliert Gainsbourg, hat jeder verloren, zuvorderst die Emotion der Liebe an sich).

Wir wären aber nicht im französischen Kunstkino, wenn alles so einfach wäre. Da ist zunächst ein mal das Setting – dass der Streifen in Amerika angesiedelt ist, lässt sich nur aus einem kurzen Dialogfizzel im letzten Filmdrittel schließen – aber die Geographie ist auch völlig unwichtig, wir befinden uns in den quintessentiellen „badlands“. Eine langweiligere, flachere, ödere Gegend, die stärker zum Pulsadernschnitt reizt als jeder Shoppingmall-Parkplatz zu finden, dürfte eine reichlich schwierige Aufgabe sein. Alles, aber wirklich alles ist desolat, heruntergekommen, kaputt, schmutzig, deprimierend, schmierig, abstoßend – ich habe italienischere Mad-Max-rip-offs gesehen, die ihre postapokalyptische Landschaft deutlich lebens- und liebenswerter gestalten. Aber bei Gainsbourg ist das natürlich Metapher – das Äußere repräsentiert das Innere, und wie die Landschaft sind auch die Charaktere kaputt, zerbrochen, schmutzig, deprimierend, desolat, schmierig, abstoßend – Johnny und mit Einschränkungen Krassky sind die einzigen „Hoffnungsschimmer“ in dieser trostlosen, hässlichen Welt, in der selbst das vermeintlich Schöne eklig ist (vgl. die Striptease-Sequenz), aber auch sie sind bereits beschädigt – Johnny, weil „unschuldig“ noch weniger, Krassky aber schon spürbar. Padovan ist schon voll kaputt – und dementsprechend auch die Beziehung zwischen ihm und Krassky nicht wirklich gesund (wobei sich das nicht auf die Homosexualität bezieht, die Gainsbourg als etwas selbstverständliches, aber unverstandenes darstellt, sondern auf den Umgang miteinander) – zwischen Padovan und Krassky gibt es keine Zärtlichkeit, weder körperlich noch verbal. Sie haben zwar durchaus mal Spaß zusammen, aber nicht auf intimer Ebene, sondern wenn’s darum geht, gegen die Welt zusammenzuhalten (man ahnt, dass dieses Paar nicht wirklich aus Liebe, sondern aus praktischen Erwägungen zusammengefunden hat – wer in dieser Welt schwul ist, hat nicht viel Auswahl). Mit Johnny erlebt Krassky erstmals LIebe auf einer tieferen, nicht-körperlichen Ebene und in einer Welt, in der alle echten Gefühle ausgemerzt zu sein scheinen, kann ein solches Erweckungserlebnis nicht glücklich enden (zumal es eben auch noch die Schwierigkeit gibt, dass Krassky mit Johnny nur anal verkehren kann und wir ahnen, dass dies Johnny nicht ewig befriedigen wird).

Ohne Symbolik und Philosophie kommt auch Gainsbourg nicht aus – der Film beginnt damit, dass ein Rabe blutig gegen die Windschutzscheibe des Mülllasters klatscht (und wenig später spielen Padovan und Krassky mit dem Kadaver). Padovan trägt als „foreshadowing“ ständig eine Plastiktüte als Fetisch-Spielzeug mit sich herum, und bei einem romantischen Date mit Johnny an der Müllkippe versteigt sich Krassky in pseudophilosophischen Unsinn, wonach das Wegbringen und Aufschütten von Müll spirituell in etwa das gleiche wäre wie das Begräbnis eines Menschen und der Müllberg wie der mystische Fluss Styx sei. Das sind dann genau die Momente, an denen Arthouse-Filme ins publikumsferne und intellektuelle Predigen geraten, an der metaphorischen filterlosen Zigarette saugen und den Zuschauer vielsagend mit einem „ist doch so, oder?“ anschauen, und mich dann punktgenau an dieser Stelle verlieren. „Je t’aime mon non plus“ versteigt sich zum Glück nicht so oft in derartige Schwafeleien – Gainsbourg hasst sein Publikum offenbar nicht (oder zumindest nicht SO sehr) – mit knapp 85 Minuten macht’s Serge relativ kurz und schmerzlos und obwohl der Film sicher auch keinen großartig fesselnden Narrativ vorlebt, gelingt es ihm zumindest leidlich, das Zuschauerinteresse präsent zu halten.

In Sachen Skandalpotential ist der Streifen aus heutiger Sicht (obwohl z.B. im Vereinten Königreich erst 1993 freigegeben) nicht aufregend – der gerne mal als Vergleich herangezogene „Letzte Tango von Paris“ war da sicher Aufsehen erregender, schon allein durch die Mitwirkung eines anerkannten Weltstars wie Brando. Die Sexszenen (rein hetero, was man Gainsbourg möglicherweise vorwerfen kann) und Janes lautes Schreien, das einen heftigen Kontrast zu ihrem gutturalen Stöhnen auf der Single bildet, waren sicherlich anno 1976, als Analsex im Mainstream immer noch ein heikles Thema war, ein reguläres Publikum geschockt haben, aber 2017 lockt das auch niemanden mehr von YouPorn weg (sonderlich erotisch sind sie nicht, aber das ist auch nicht der Sinn der Übung).

Der Score ist oftmals ein wenig deplaziert, aber in diesem Fall, wenn Gainsbourg z.B. fröhliche Country-Musik zur Müllentsorgung juxtaposiert, sicher künstlerlisch beabsichtigt. Bis der Titelsong zum ersten Mal angespielt wird, dauert’s gut 30 Minuten und dann untermalt er programmatisch jede Sexszene (Gainsbourg verwendet zwei unterschiedliche, aber jeweils rein instrumentale Versionen des Songs).

Die Hauptdarsteller sind gut – Jane Birkin ist natürlich die einzig denkbare Besetzung für Johnny, gibt sich erwartungsgemäß freizügig und wirft all ihren Kindfrau-Charme in die Waagschale. Durchaus positiv überrascht war ich von Joe Dallesandro (den der Schundologe aus „Andy Warhols Frankenstein“ und „Dracula“ kennt), der Krassky durchaus Tiefe gibt. Hugues Quester („Drei Farben: Blau“, „Es ist nicht leicht ein Gott zu sein“) bringt Padovan durchaus auf den Punkt. Als Johnnys schmieriger Boss gibt sich René Kolldehoff („Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle“, „Der Soldat von Oranien“) die Ehre, und einen amüsanten Gastauftritt mit drei Szenen und zwei Zeilen Dialog absolviert Gerard Depardieu als Schwuler, der ob seines reihenweise Liebhaber ins Krankenhaus bringenden Riesenschwengels auf Pferde umgestiegen ist.

Mir liegt die britische DVD von Optimum Releasing vor. Bild- und Tonqualität sind akzeptabel, aber nicht weltbewegend (1.66:1 ansmorph, französisch mono mit engl. Untertiteln), Bonusmaterial gibt’s leider überhaupt nicht.

Im Endeffekt ist „Je t’aime mon non plus“ schon ein irgendwie typisch französischer Arthouse-Film – etwas zugänglicher und flotter als die meisten seiner enervierend langwierigen Kollegen und zumindest nicht von sich behauptend, irgendwelche elementaren Enthüllungen zur conditio humanis zu bringen, die über „love sucks“ hinausgehen, aber immer noch sperrig, distanziert und nicht unanstrengend. Die schauspielerischen Leistungen sind bemerkenswert, weswegen mein Daumen sanft nach oben irrlichtert, wer sinnliche Fickstimmung erwartet, sollte aber doch lieber die Single auf Endlos-Play auflegen…

(c) 2017 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 5

BIER-Skala: 5


mm
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