Jack the Ripper lebt

 
  • Deutscher Titel: Jack the Ripper lebt
  • Original-Titel: Love Lies Bleeding
  •  
  • Regie: William Tannen
  • Land: USA/Australien
  • Jahr: 1999
  • Darsteller:

    Paul Rhys (Jonathan), Emily Raymond (Catherine Winwood), Malcolm McDowell (Malcolm Mead), Wayne Rogers (Inspector Abberline), Faye Dunaway (Josephine Butler), Noel le Bon (Emmett-Lloyd), John Corner (Constable Neal), Andrea Miltner (Mary Kelly), Robert Orr (George Lusk)


Vorwort

Das Londoner East End wird von grausamen Morden an Prostituierten erschüttert – die Polizei versteift sich auf den Gedanken, der Täter müsse in den unterprivilegierten Massen aus Whitechapel zu finden sein, eine Theorie, die dort begreiflicherweise wenig Widerhall findet. Die ausgebeuteten Arbeiter sind sehr wohl der Ansicht, der Täter müsse einer aus der reichen Oberschicht sein, die sich gern mit den billigen Nutten und dem Alkohol im East End vergnügt – es kommt zu Ausschreitungen und Attentaten auf die Gentleman-Clubs der High Society.

Dieweil ist die junge höhere Tochter Catherine Winwood bemüht, einen Job als Journalistin zu ergattern. Die Frauenrechtlicherin Josephine Butler nimmt sie bei der „Pall Mall Gazette“ unter ihre Fittiche – Butler berichtet über den „Ripper“-Fall und so wird auch Catherine in die Recherchen involviert. Ihr Herzensguter Jonathan schwingt als erfolgreicher Chirurg in der Klinik ihres Vaters das Skalpell und hilft in seiner Freizeit noch den Armen in Whitechapel. Als Jonathan die ein oder andere seltsame Verhaltensweise an den Tag zu legen beginnt und Polizei und Presse auf den Trichter kommen, der Täter könnte womöglich ob der chirurgischen Präzision seiner freischaffenden Organentnahmetätigkeit Arzt sein, keimt bei Catherine ein gewisser Verdacht auf…


Inhalt

Mit dem guten alten Jack the Ripper ist das so ’ne Sache – wenn man objektiv an die Sache rangeht, ist das Missverhältnis zwischen „Wirken“ des Serienmörders und seinem Einfluss auf die Popkultur schon reichlich krass. Mal ehrlich, für fünf lausige Opfer wäre John Wayne Gacy wahrscheinlich gar nicht erst aufgestanden, und überdies streiten die Experten ja eh heute noch, ob tatsächlich alle gemeinhin dem ollen Redjac zugerechneten Opfer auf sein Kerbholz bzw. sein Skalpell gehen. Nichtsdestotrotz hat kaum ein anderer realer Mörder so sehr die Fantasie von Autoren und Filmemachern weltweit beflügelt, was sicher daran liegt, dass zwar eine Menge Theorien hinsichtlich des Täters kursieren, jedoch noch keine wirklich mit einer befriedigenden Wahrscheinlichkeitsquote. Kein Wunder also, dass der gute Jack quasi als Urvater aller vordergründig motivationslos agierender Schlitzer der Filmgeschichte herhalten muss.

„Love Lies Bleeding“, eine amerikanisch-australische Produktion, die sich zwecks der Dreharbeiten in Prag ansiedelte, wo’s noch genügend Gassen und Winkel gibt, die einigermaßen überzeugend das ehemalige Elendsviertel Whitechapel doublen können, ist, was die simple Tätertheorie angeht, ein relativ konservativer Vertreter des Subgenres und postuliert einen erfahrenen Arzt/Chirurgen als Mörder, was zumindest ein Ansatz ist, auf den sich die meisten seriösen Vertreter der Jack-the-Ripper-Forschung halbwegs einigen können. Der Verzicht auf eine etwas abgedrehtere Variante macht aber schon deutlich, dass der Streifen aus der Feder von Tony Rush, der sich im normalen Leben als simpler Kamera-Bediener bei größeren Produktionen wie „Waterworld“, „Seabiscuit“ oder „Twister“ durchschlägt (wie heißt’s so schön: in Hollywood everyone is a writer), sich einerseits als überwiegend ernsthaft gemeintes Kriminaldrama versteht und andererseits – quasi als Existenzberechtigung, denn konservative Ripper-Plotten gibt’s bekanntlich genug – ein paar Nebenkriegsschauplätze eröffnet, die man wahlweise als interessante Abschweifung oder unnötig aufblähenden Storyballast sehen kann.

Und auch wenn in Gefahr und größter Not der Mittelweg den Tod bringt, wie Alexander Kluge lehrt (huch, sind wir heute wieder hochkulturell), liegt die Wahrheit eben doch in der Mitte – die beiden wichtigen Nebenaspekte, die „Love Lies Bleeding“ (der deutsche Titel „Jack the Ripper lebt“ ist mal wieder herzlich dämlich, dreht sich der Film doch um den Original-Ripper und die Original-Morde) anspricht, sind nicht gänzlich ohne Interesse, tragen aber letztlich ziemlich wenig zum Plot bei. Rush interessiert sich zum einen für die historisch belegten sozialen Unruhen, die die Ripper-Morde auslösten (in der Tat fand die Whitechapel-Arbeiterklasse es nur überschaubar lustig, dass die High Society sich in ihren Pubs verlustierte, die Nutten abschleppte und dann die Schuldfrage in der Ripper-Angelegenheit unbürokratisch bei den Habenichtsen verortete), zum anderen – und da verliert der Streifen seine historische Bodenhaftung ein wenig und fabuliert munter ins Blaue konstruiert er einen Zusammenhang zwischen der Mordserie und den Anfängen der gesellschaftlichen/politischen Frauenbewegung. Wir können sicherlich anhand der unerfreulichen Ripper-Verstümmelungen davon ausgehen, dass der Herr, würde er heute leben, eine Mitgliedskarte im Alice-Schwarzer-Fanclub in der Brieftasche hätte, aber – und zumindest durch die Blume scheint das die hier vertretene These zu sein – Mord, weil das Weibsvolk es wagt, berufstätig zu werden und politische Reche für sich zu reklamieren, passt meines Erachtens eher weniger zum modus operandi des Ripper und speziell des von ihm ausgekuckten Opfertyps (klar, wenn ich was dagegen habe, dass Frauen sich beruflich oder politisch engagieren, knipse ich die aus, die in der Hinsicht absolut keine Ambitionen haben, ist logisch). Problematisch ist hierbei vor allem die Vermengung von realen Personen (der britischen Feministin Josephine Butler und ihres Verlegers William Thomas Stead) mit der fiktiven Interpretation des Ripper-Falls (in dieser Filmversion ist es Steads „Pall Mall Gazette“, die die Briefe des Rippers, die historisch an die Central News Agency gingen, erhält). Ich bin mir nicht ganz einig, ob es zulässiges „movie-shorthand“ ist, historische Fakten, die für sich alleine stimmen, aber eben nicht in ihrer Kombination (Stead und Butler waren zweifellos Vorkämpfer gegen die Diskriminierung von Prostituierten und gegen die Kinderprostitution, hatten aber mit dem Ripper-Fall nichts zu tun), zu verquicken, weil es thematisch nahe liegt bzw. reizvoll ist (ein erhöhtes Interesse der beiden an dem Fall ist aufgrund ihres Engagements für die „gefallenen Mädchen“ sicher denkbar, wenn auch eben nicht belegt). Aber was soll’s – Stephen King würde mich jetzt maßregeln und darauf hinweisen, dass Filme IMMER fiktiv sind, so sehr sie auch behaupten, auf wahren Geschichten zu basieren. Darauf versteifen, dass diese feministischen Abschweifungen dramaturgisch nicht wirklich helfen (gerade weil der Streifen in anderen Aspekten auf möglichst große Authenzität setzt, z.B. hinsichtlich des „From Hell“-Briefs [wobei der ausgerechnet im Gegensatz zu dem, was der Film behauptet, nicht mit „Jack the Ripper“ unterzeichnet war]) und die Motivation des Killers, so wie vom Script gesetzt, unschlüssig erscheint, kann ich mich aber ohne weiteres…

Zudem leidet das Script unter einer extrem schwachen Hauptfigur – es liegt zum Teil auch an der Darstellerin, aber Catherine Winwood ist eine ausgesprochen uninteressante Figur, speziell dafür, dass das Script einen big deal daraus machen will, dass sie gegen alle Widerstände aus Familie und Umfeld als Journalistin arbeiten will. Im Endeffekt tut Catherine bis zum Finale (der Konfrontation mit dem Killer) eigentlich nichts sonderlich bemerkenswertes (sie lässt sich von Josephine Butler mitschleifen und greift einmal zugunsten einer Prostituierten – dem späteren letzten Ripper-Opfer – in eine Polizeirazzia ein, aber wirklich handlungsrelevant ist davon nichts (nicht mal die Auswahl des letzten Opfers, das ist mehr oder weniger reiner Zufall). Nebenfiguren wie Josephine Butler selbst oder Catherines Onkel Malcolm (in abgezählten drei Szenen professionell, aber auch nicht unbedingt mit Leidenschaft gemimt von Malcolm McDowell) tun gleich gar nichts zur Sache und in Sachen Killer lässt uns das Script immerhin zwei Möglichkeiten: Catherines progressiven Verlobten Jonathan (hervorragender Arzt, freiwilliger Armenhelfer und vorgeblich absolut damit im Reinen, dass Catherine arbeiten gehen will) und seinen Kollegen Emmett-Lloyd (inkompetentes Arschloch, Frauenfeind und Hitzkopf). Wer kann da nach allen Genre-Konventionen nur der Mörder sein? Eben.

Regisseur William Tannen (dessen bekannteste Werke der Kristofferson-Spätwestern „Die Grenzwölfe“ und das Chuck-Norris-Vehikel „Hero“ sein dürften) und der aus der Werbe- und Videoclip-Ecke kommt, scheint mir irgendwie mit dem Stoff wenig anfangen zu können. Jau, die Szenen im Prager „Whitechapel“ sind ganz stimmungsvoll und wenn Tannen sich, was seltener vorkommt als der Genrefreund sich erhoffen möchte, daran erinnert, dass er einen Film über den prominentesten UND einen der brutalsten Serienmörder aller Zeiten dreht und ein kleines bisschen an der Gewaltschraube dreht, entspringen ihm bzw. seiner Kamera durchaus mal Bilder, die man als „giallesk“ bezeichnen könnte, aber insgesamt ist „Love Lies Bleeding“ einfach ein wenig zu dröge, ein bisschen zu sehr wie ein Fernsehfilm wirkend, der letzte Funke will nicht überspringen (dabei ist „Love Lies Bleeding“ keine Fernsehproduktion, sondern stammt aus der Werkstatt der durchaus renommierten Filmschmiede „Village Roadshow“; interessanterweise war es sogar die letzte Independent-Produktion des Studios, das unmittelbar im Anschluss von Warner gekauft wurde, wo dann u.a. die „Matrix“-Trilogie unter diesem Banner entstand), es wirkt alles etwas bieder, ein wenig, als hätte man im Bestreben, Kostüme und Kulissen so gut wie möglich hinzubekommen, vergessen, den ganzen Krams mit der Spannung und Zeuch einzubauen, mit der Folge, dass die zwei-drei überraschend harten und blutigen Kills (nicht alle Mordtaten des Rippers finden on-screen statt) sich mit dem Ton des braven, etwas drögen Historien-Frauenrechtsdrama beißen. Trotz der handlichen Laufzeit von nicht ganz neunzig Minuten spielt sich „Love Lies Bleeding“ eher zäh und spannungslos, arm an echten Höhepunkten (die sind faktisch identisch mit den wenigen expliziten Mordszenen. ’s tut mir in der Seele weh, doch dieser Film ist wirklich einer, der ohne seine Gewaltszenen völlig zum Wegwerfen wäre).

Ein Schwachpunkt sind die wenig charismatischen Schauspieler – Emily Raymond ist besonders schwach; die TV-Aktrice, deren größte Ruhmestat eine Hauptrolle in einer hierzulande nicht veröffentlichten Adaption des Shakespear’schen „Sommernachtstraums“ ist, agiert ausgesprochen farblos und scheint des öfteren speziell von den etwas emotionaleren Ausbrüchen ihres Co-Stars Paul Rhys („Chaplin“ und lustigerweise ein paar Jahre später erneut mit dem Ripper verbandelt in „From Hell“, der sich auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert, aber wenigstens ab und zu mal etwas aus sich herausgeht) legitim verblüfft zu sein. Chemie zwischen zwei Schauspielern ist jedenfalls etwas ganz anderes. Der ehemalige „M*A*S*H“-Star Wayne Rogers müht sich als Inspector Abberline redlich, Noel Le Bon („Ritter aus Leidenschaft“, „Crackerjack 3“) ist zumindest ein überzeugend verachtenswerter Emmett-Lloyd, die Gaststars Faye Dunaway und speziell Malcolm McDowell bewegen wenig, da ihre Rollen fürchterlich unnötig sind.

Bild: Planet Media bringt den Film in okayem 1.78:1-Widescreen (anamorph) – ein Transfer ohne größere Stärken oder Schwächen, akzeptabel für die Preisklasse, in der Planet-Scheiben üblicherweise vertickt werden.

Ton: Hier gilt gleiches – wir haben die Wahl zwischen passabler deutscher Synchro in Dolby 5.1 oder dts und englischem O-Ton in Dolby 2.0.

Extras: Als Bonus gibt’s eine Bildergalerie, ein paar Bio-/Filmographien sowie eine Trailershow (aber irgendwie entzückend dämlich finde ich die beigelegte Ehrmann-Puddingwerbung in Form eines „Kinoplakats“).

Fazit: Es ist zweifellos nicht gerade einfach, der unüberschaubaren „lore“ zum Thema „Jack the Ripper“ einen neuen, originellen Beitrag hinzuzufügen – weswegen man es, wenn man nicht gerade DIE zündende Idee hat, wohl mittlerweile einfach lassen sollte. „Love Lies Bleeding“ erweckt den Eindruck eines als TV-Projekt gedachten Films, der nach dem Willen seiner Produzenten irgendwie zum Kinofilm umgestrickt werden sollte, und in den man daher einfach ein paar blutige Kills, auf das sich wenigstens die Hardcore-Horrorfans, die sich alles ansehen, was irgendwie nach blutiger Genre-Unterhaltung aussieht, angesprochen fühlen, eingebaut hat, obwohl Regisseur und Autor wohl eher eine Art kriminalistisch angehauchtes Sozial- und Liebesdrama im Auge hatten. Operation gelungen, Patient (=Film) tot – als Drama ist „Love Lies Bleeding“ zu simpel und zu dröge, als Horrorfilm viel zu langatmig; zwar mit gewisser handwerklicher Routine gewerkelt, aber insgesamt einfach vergessenswürdig.

2/5
(c) 2010 Dr. Acula


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