Immortal

 
  • Deutscher Titel: Immortal
  • Original-Titel: Immortel (Ad Vitam)
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  • Regie: Enki Bilal
  • Land: Frankreich/Großbritannien/Italien
  • Jahr: 2004
  • Darsteller:

    Linda Hardy (Jill Bioskop), Thomas Kretschmann (Alcide Nikopol), Charlotte Rampling (Elma Turner), Frédéric Pierrot (John), Thomas M. Pollard (Horus), Yann Colette (Froebe), Derrick Brenner (Jonas), Corinne Jaber (Lily Liang), Joe Sheridan (Allgood)


Vorwort

New York, 2095 – die Menschheit, „Normalsterbliche“ und Mutanten gleichermaßen, lebt unter der „medizinischen Diktatur“, die die herrschende politische Kaste mit dem „Eugenics“-Konzern, der seine Brötchen mit Genexperimenten und Austauschorganen verdient, ausgedealt hat. Nur noch wenige Idealisten befleißigen sich eines mehr oder weniger symbolischen Widerstands. Die Wissenschaftlerin Elma Turner befasst sich mit der mysteriösen Jill, einer weißhäutigen, blau“haarigen“ jungen Frau, die unter einer Amnesie leidet und deren Körper nach Elmas Erkenntnissen gerade mal drei Monate alt ist. Der machtgierige Senator Allgood hat andere Sorgen, z.B. die gigantische schwebende Pyramide, die plötzlich über der Stadt aufgetaucht ist. In der sitzen diverse altägyptische Gottheiten und halten Gericht über den Falkengott Horus, den Schöpfer der Erde. Wegen unspezifizierter Vergehen gegen irgendwelche Götterkodixes wird Horus eine Erdwoche gewährt, seine Schöpfung vor dem Urteilsspruch noch einmal zu inspizieren. Und Horus weiß ziemlich genau, was er mit der begrenzten Zeit anzustellen hat…

Während Polizeiinspektor Froebe wenig später über einer undurchschaubaren und extrem blutigen Mordserie brütet, geschieht im örtlichen Kälteschlafgefängnis ein Unfall, der den Revoluzzer Nikopol nach fast drei Jahrzehnten auf Eis freisetzt. Davon hat er allerdings recht wenig, denn Horus sucht ihn sich umgehend als „Wirtskörper“ aus, denn für das, was ihm im Sinn steht, braucht er einen menschlichen Körper. Nikopols Flucht beunruhigt Allgood, der weiß, dass das Relikt aus der Vergangenheit über Mauscheleien zwischen ihm und Eugenics unterrichtet ist, und setzt daher einen Klon-Killer auf den vermeintlichen Ausbrecher an. Für irgendwelche Umsturzpläne hat Nikopol allerdings keine Zeit denn Horus sucht sich mit seiner Hilfe fortzupflanzen – und diejenige, die er sich ausgekuckt hat, ist natürlich keine andere als Jill, die ihrerseits in einer seltsamen Abhängigkeit mit dem geheimnisvollen John steht, der vielleicht, vielleicht auch nicht, der Wächter eines Dimensionsportals ist…


Inhalt

In den obigen zwei Absätzen lässt sich nur sehr unzureichend zusammenfassen, welch komplexe Welt der französische Comickünstler (die ordinäre Bezeichnung „-zeichner“ verbietet sich an dieser Stelle) Enki Bilal geschaffen hat. Seine diversen Bücher sind speziell in Frankreich absolute Bestseller und inspirierten, worauf noch einzugehen sein wird, so manchen SF-Film der vergangenen Jahre. 1999 wurde Bilal von einem Produzenten angesprochen, ob er seine Werke nicht selbst auf die Leinwand bringen wollte. Nach einigem Zögern stimmte Bilal zu und in mehrjähriger Arbeit, für die diverse neue Grafiksoftware entwicfkelt werden musste, entstand „Immortal“ (und feierte beim letztjährigen FantasyFilmFest Deutschlandpremiere).

„Immortal“ zählt, neben „Sky Captain and the World of Tomorrow“ und dem japanischen „Casshern“ zu den ersten praktisch vollständig am Computer erschaffenen Kinofilmen (natürlich behaupten die Franzosen im Begleitmaterial, die ersten gewesen zu sein, aber das tun die Amerikaner auch und, da bin ich sicher, dito die Japaner), geht dabei aber noch einen Schritt weiter als die Rivalen – nicht nur die Kulissen und (natürlich) die FX kommen aus dem Computer, sondern zum Großteil auch die Figuren – als wirklich *reale* Schauspieler fungieren nur Hardy, Kretschmann, Rampling und Pierrot, der Rest der Belegschaft wurde entweder mit Hilfe des Gollum-erprobten „Motion Capture“- Verfahren (bei dem die Bewegungen eines Menschen aus Fleisch und Blut auf eine computergenerierte Figur übertragen werden) oder komplett aus dem Rechner erschaffen, bei einige Figuren wurden „echten“ Schauspieler per Rotoscoping neue, computererrechnete Köpfe aufgesetzt.

Nun sagt man den beiden in Bezug genommenen Konkurrenzprodukten nach, über all ihre Technikverliebtheit und das Schwelgen in den neuen FX-Möglichkeiten vergessen zu haben, auch eine interessante Geschichte zu erzählen und so ganz kann sich auch Bilal das Problem nicht umschiffen, dass die fantastische Bilderflut aus dem Mikroprozessor die Story zu erdrücken droht, obgleich er schon mal auf Nummer Sicher ging und aus seinen hochkomplexen, vielschichten Comicvorlagen nur Motive aufgriff, gesellschafts- und politikkritische Implikationen weitgehend außer Acht liess und sich bewusst auf eine ungewöhnliche Liebesgeschichte als zentralen Plot konzentrierte. Was der Story selbst nicht unbedingt hilft… Denn ganz kann Bilal nicht aus seiner Haut – er reißt viele Punkte an, erstellt Querverweise auf sein Comic-Schaffen, die dem „normalen“, nicht vorbelasteten Zuschauer unverständlich bleiben, klärt zu selten auf. Viel zu oft wirft er dem Publikum einfach nur ein paar Brocken hin, was manchmal so wirkt, als wäre er sich darüber klar, dass die eigentliche Liebesgeschichte nicht genug Substanz für einen abendfüllenden Film hätte und daher mit ein paar mehr oder weniger unaufgelösten Subplots Laufzeit schindet – die ganze Systematik der zukünftigen Gesellschaft mit ihrem Klassen- und Ebenensystem, den Konflikten zwischen „reinen“ Menschen, gentechnisch Veränderten und Mutanten, die politisch-wirtschaftlichen Verstrickungen, das alles bleibt äußerst vage – ein wenig mehr Hintergrund wäre nicht schlecht gewesen, auch auf die Gefahr hin, den Film dann inhaltlich etwas überladener zu machen.

Auch die zentrale Geschichte, ebenjene um Horus (die Mythologie der Gottheiten etwas stärker auszuformulieren, wäre auch nett gewesen), Jill und Nikopol, hat ihre Probleme. Warum sich auch Nikopol in Jill verliebt, wird nie klar, genausowenig, warum sich Elma Turner so speziell für sie interessiert (abgesehen davon, dass sie für sie ein untersuchenswerter wissenschaftlicher Sonderfall ist).

Bilal selbst empfiehlt mehrfaches Ansehen des Films – möglicherweise macht wiederholtes Ansehen in der Tat den Film in seinen Feinheiten verständlicher, das muss ich noch ausprobieren.

Angesichts der optischen Grandezza, die „Immortal“ zelebriert, kommt man selbstverständlich nicht umhin, an den ein oder anderen Genreklassiker erinnert zu werden. Vom Vergleich mit Fritz Langs legendärem „Metropolis“ fühlt sich Bilal, so dem Bonusmaterial zu entnehmen, geschmeichelt – auch wenn, wie er ausführt, sich nicht bewusst an „Metropolis“ orientert habe, bestätigt er doch gewisse formale wie auch inhaltliche Ähnlichkeiten. Nicht von der Hand zu weisen sind auch, speziell in der Gestaltung des zukünftigen New York, Übereinstimmungen mit „Blade Runner“ und, ganz besonders, „Das fünfte Element“ (schon allein aufgrund der im 50er- Jahre-Look gehaltenen „fliegenden Autos“). Nun ist es sicher nicht verwegen zu behaupten, dass „Das fünfte Element“ als Geisteskind eines Franzosen sich seinerseits selbst heftig bei Bilals Comic bedient hat (sah doch der ganze Besson-Film wie eine Comic-Verfilmung aus) und im Zusatzmaterial wird behauptet, dass Bilals Comic auch älter ist als „Blade Runner“, somit also auch Ridley Scott bei ihm geklaut habe – da ich, man vergebe mir, nicht weiß, von wann Bilals erste Bücher datieren, enthalte ich mich hierzu einer abschließenden Bewertung. Faktum ist jedenfalls, dass „Immortal“ insofern das Pech hat, eben die „offizielle“ Adaption der Comics zu sein, im *FILM* allerdings mit dem Makel kämpfen muss, zu spät dran zu sein, um die präsentierte Version der Zukunft (die sozusagen einen Mix aus der düsteren „Blade Runner“- und der knallbunten „Fünfte Element“-Zukunft darstellt) als originelle und eigenständige Vision darstellen zu können (und einige Shots, die man selbst beim besten Willen nur als aus „The Matrix“, öh, „entlehnt“ bezeichnen kann, hätte sich Bilal sicherheitshalber entweder sparen oder vielleicht doch etwas anders umsetzen sollen. Gleiches gilt für „blaue und rote Pillen“ als Plot Device). Visuell ist „Immortal“ zweifellos ein Erlebnis – die beinahe vollständig computergenerierten Kulissen, Sets und Backdrops (lediglich zweieinhalb Sets wurden auf herkömmliche Weise in Handarbeit gezimmert) sind atemberaubend, aber (und das ist das „aber“, das bis jetzt noch auf jeden Film aus dem Rechner zutrifft) stets als computeranimierte Bilder erkennbar (allerdings bezeichnen auch die beteiligten Computerwizzards den Film aus ihrer Sicht als „Animationsfilm“, in dem halt mehr oder weniger zufällig noch ein paar echte Menschen rumlaufen. Das ist wenigstens ehrlich).

Die Interaktion zwischen menschlichen und rein aus dem Computer stammenden Figuren wird möglichst gering gehalten. Über weite Strecken des Films sind Horus und Nikopol die einzigen Charaktere aus ihrem jeweiligen Lager, die „miteinander“ spielen müssen, lediglich im Schlussakt bekommen’s dann auch die Rampling und Hardy mit reinen Rechnergeschöpfen zu tun. Das ist auch gut so, denn obwohl die computeranimierten Charaktere „lebendiger“ wirken als z.B. in „Final Fantasy“, wird doch kein Zuschauer der Täuschung unterliegen, es mit „echten“ Menschen zu tun zu haben (zumindest, was die „reinen“ Computerfiguren angeht. Bei einigen menschlichen Nebenfiguren, die man mit Rechnerpower „nur“ ein wenig optisch aufgemotzt hat, kann man fast schon ins Grübeln kommen). Cineastische Abschweifung: Als „Purist“ bin ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt WILL, jemals reale und computeranimierte Akteure nicht mehr voneinander unterscheiden zu können (auch wenn das den Vorteil hätte, dass man die Pitts und Gibsons dieser Welt dann nicht mehr mit zweistelligen Millionengagen zu-, äh, -werfen müsste und das Filmen zumindest in der Hinsicht wieder preisgünstiger würde). Die Wandlungsfähigkeit der Schauspieler, die mal diesen, dann wieder einen komplett gegenläufigen Charakter verkörpern können, macht doch einen der Hauptreize des Films aus – wen man sich als Regisseur für jede Rollengestalt praktisch wie aus dem construction kit den passenden Computercharakter downloaden kann, macht das die Sache doch langweilig.

Im Umgang mit den visuellen und technischen Möglichkeiten erweist sich Bilal als nicht gelernter Filmemacher erstaunlich versiert – ironischerweise sind es gerade die Aspekte seiner Geschichte, die nach seinem Willen eigentlich nicht im Vordergrund stehen sollen, die filmisch die ergiebigsten sind, dank einer schon fast pedantisch zu nennenden Detailverliebtheit (wie z.B. kleine holographische Helferlein, die als Putzteufel oder Seifenhalter o.ä. dienen) und einer phänomenalen Rasanz in den Actionszenen (die Verfolgungsjagd der „Luftautos“, die an Laufschienen hängen, sucht ihresgleichen). In den dem Regisseur dem Vernehmen nach wichtigeren Szenen, eben der Schilderung der seltsamen Dreiecksliebesbeziehung zwischen Horus, Nikopol und Jill, geht Bilal dagegen die Luft aus – nicht mal so sehr dem Regisseur Bilal, der sich auch hier redlich müht, sondern dem Autor Bilal (siehe oben).

Die musikalische Untermalung gefällt größtenteils – der Score wird recht zurückhaltend eingesetzt, dafür werden einige Songs gewinnbringend im Filmverlauf plaziert (u.a. steuert auch Julie Delpy ein Liedchen bei).

Die wenigen echten Schauspieler machen ihre Sache recht gut – Linda Hardy gibt die fraglile, fremdartig-exotische Schönheit Jill mit dem richtigen Maß Zurückhaltung und Verwirrtheit, Teutonen-Recke Thomas Kretschmann („Stendhal Syndrom“, „Blade 2“) den Nikopol ebenfalls überzeugend. Die ausgezeichnete Mimin Charlotte Rampling („Zardoz“) hat insgesamt recht wenig zu tun, punktet aber durch schiere Präsenz.

Bildqualität: Sunfilm legt „Immortal“ in anamorphem 1.85:1-Widescreen vor, dass der Herkunft des Bildmaterials aus dem Rechner durchaus den notwendigen Tribut zollt. Der verschmutzungs- und störungsfreie Print besticht mit angenehmer Detail- und Kantenschärfe (der Übergang zwischen rein digital entstandenem und auf herkömmlichem 35-mm-Film gedrehtem Material ist, technisch bedingt, manchmal schon noch erkennbar), gutem Kontrast und einer zuverlässig arbeitenden Kompression.

Tonqualität: Entgegen meiner Angewohnheit, den O-Ton (übrigens, obwohl es sich um eine grundsätzlich französische Produktion handelt, englisch) zu bevorzugen, widmete ich mich dem Film mal zur Abwechslung mit der deutschen Synchro (ja, ich hatte Mitgucker). Auch ohne mein superbes eigenes Audioequipment kann ich festhalten, dass der deutsche Dolby 5.1-Ton sehr differenziert und exzellent abgemischt ist. dts-Fans finden sogar eine dts-ES-Spur auf der Scheibe, der Originalton bedient sich des Dolby 5.1-Verfahrens.

Extras: Sunfilm legt „Immortal“ in einer hervorragend ausgestatteten Doppel-DVD-Edition vor. Während die erste Disc in treuer Tradition der Sunfilm-Doppelscheiben neben dem Hauptfilm nur die übliche Trailershow beinhaltet, wird auf Scheibe 2 nicht gekleckert, sondern geklotzt. Der Reigen der Extras beginnt mit einem 36minütigen Making-of, das sich erfreulicherweise trotz gelegentlicher diesbezüglicher Tendenzen nicht zu einem reinen Promo-Pseudo-Making-of entwickelt, sondern tatsächlich einiges an wissenswerten Informationen und Interviews (u.a. mit Hardy, Kretschmann, Bilal und dem Produzenten) bietet. In einer weiteren dreißigminütigen Featurette wird ausführlich auf die Effektarbeit eingegangen – die vermittelten Infos sind teilweise ein wenig redundant, aber im „spezialisierten“ Beitrag natürlich detaillierter. Weiter geht’s mit einem dreizehnminütigen Interview (auf Deutsch) mit Thomas Kretschmann, in dem dieser sich über seine Eindrücke über Bilal und die Schwierigkeit des Drehs auslässt. Nächster Programmpunkt ist ein vierzigminütiges Gespräch zwischen Bilal und seinem Co-Drehbuchautoren Serge Lehmann über Science fiction an sich – die beiden Herren philosophieren munter und ungebremst drauflos (man würde sich vielleicht einen Moderator wünschen). Nach einem gut achtminütigen Besuch in Bilals Atelier schließt sich eine zwanzigminütige Diskussionsrunde an, in der sich Bilal Publikumsfragen stellt, eine weitere siebenminütige Featurette vermittelt Eindrücke von der Premiere (und auch hier beantwortet Bilal ein paar Fragen). Neben dem Trailer und zwei Teasern finden sich als besonderes Gimmick noch 18 unveröffentlichte Stücke aus dem Score auf der Scheibe (erfreulicherweise auch mit einer „Play All“-Funktion. Das ist eine Ausstattung, die kaum Fragen offen lässt (einzig ein Audiokommentar könnte dieses Paket noch abrunden). Thumbs up!

Fazit: Es ist irgendwie ein Kreuz mit den Filmen aus dem Rechner – auch „Immortal“ kann sich dem „style over content“-Syndrom nicht ganz entziehen. Die optische, visuelle Überbordetheit des Films schlägt die vergleichsweise leise Liebesgeschichte, die der Regisseur und Autor in den Mittelpunkt stellen will, mühelos k.o. Allerdings gibt es wahrhaft üblere Vertreter dieser Machart – auch der nicht durch Kenntnis der Comics vorbereitete Gelegenheitszuschauer wird erkennen, dass Balil ein gigantisches Konzept für sein Universum im Hinterkopf (bzw. zwischen Comicbuchdeckeln) hat, in dem Stoff für so manchen cineastischen Augenschmaus steckt. Der Zugänglichkeit der Materie hätte es vermutlich nicht geschadet, wenn Bilal auf eine eher actionlastigere Geschichte gesetzt hätte (da die Action-Elemente des Films seine überzeugendsten Argumente sind), andererseits ehrt es den Mann, dass er anstelle plakativer SF-Action auf eine weniger oberflächliche, manchmal *fast* berührende Story anpackt, um „sein“ Universum filmisch aufzuarbeiten – das war sicher nicht der einfachere Weg. Auch wenn Bilals Unterfangen nicht ganz geglückt ist – ein allein wegen seiner visuellen Meriten erlebenswerter Bilderrausch ist „Immortal“ allemal. Sunfilm liefert eine bildschöne DVD-Umsetzung ab.

3/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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