Im Zeichen der Vier

 
  • Deutscher Titel: Im Zeichen der Veir
  • Original-Titel: The Sign of Four
  •  
  • Regie: Desmond Davis
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 1983
  • Darsteller:

    Ian Richardson (Sherlock Holmes), David Healy (Dr. Watson), Thorley Walters (Major John Sholto), Cherie Lunghi (Mary Morstan), Joe Melia (Jonathan Small), Terence Rigby (Inspector Layton), Cilve Merrison (Bartholomew Sholto), Richard Heffer (Thaddeus Sholto), John Pedrick (Tonga)


Vorwort

Der alte Indien-Veteran John Sholto wird von einer kryptischen Nachricht und einer Gestalt am Fenster seines Landsitzes ins Bockshorn gejagt – so sehr, dass er seinen Söhnen Bartholomew und Thaddeus von dem Schatz erzählt, den er aus Indien mitgebracht hat, und von der Tochter seines damaligen Partners, den er betrogen hat. Noch in der selben Nacht erleidet Sholto einen Herzanfall und verscheidet…

… und wenig später steht Mary Morstan in Sherlock Holmes‘ Appartment in der Baker Street und hat einen Auftrag für den Meisterdetektiv. Jemand hat ihr einen riesigen Diamanten und die Einladung für ein Treffen zugeschickt, um vergangenes Unrecht wiedergutzumachen. Mary kommt das ein wenig unkoscher vor – hat das vielleicht etwas mit dem Verschwinden ihres Vaters, einem weiteren Indien-Veteranen, vor sechs Jahren zu tun? Und mit dem rätselhaften Lageplan, der sich in seinem Besitz (und damit jetzt in Marys) befand und der mit vier Namen unterzeichnet ist? Holmes und Watson begleiten Mary zu dem Treffen – der Diamantenspender ist Thaddeus Sholto, der das schlechte Gewissen seines Vaters geerbt hat und Mary den rechtmäßigen Anteil am Schatz zukommen lassen will. Eher gegenteiliger Ansicht ist sein raffgieriger Bruder Bartholomew, doch der kann zu seiner Verteidigung nix mehr vorbringen, weil er – während Thaddeus sich mit Mary und Holmes trifft – ermordet wird. Und auch der Schatz ist weg…

Während die Polizei in Form von Scotland-Yard-Inspektor Layton Thaddeus als notorisch verdächtig verhaftet, weiß Holmes längst, dass der unschuldig ist. Der Mörder schlug mit einem Giftpfeil zu und handelt, wie die hinterlassene Botschaft verkündet, „im Zeichen der Vier“. Holmes ahnt, dass der Killer in Verbindung mit den vier Namen auf der Schatzkarte steht und dass er keine Ruhe geben wird, bis er auch den Diamanten in seinen schmutzigen Händen weiß…


Inhalt

Wir berichteten an dieser Stelle bereits über die Anstrengungen des Produzenten Sy Weintraub, 1983 eine Serie von mehreren abendfüllenden Sherlock-Holmes-Adaptionen für’s TV zu lancieren, und wie das Ganze nach nur zwei Filmen ein jähes Ende fand. Dies also ist der zweite jener TV-Filme, in denen Ian Richardson die Rolle des berühmten Meisterdetektivs übernahm (warum Donald Churchill, der den Watson im gleichen Jahr entstandenen direkten Vorgänger gespielt hatte, durch David Healy ersetzt wurde, ist mir zumindest nicht überliefert).

Statt Douglas Hickox sitzt mit Desmond Davis ein anderer britischer Routinier auf dem Regiestuhl – zwar einer, der hauptsächlich fürs britische Fernsehen arbeitete, aber zumindest das Handwerk bei Hammer lernte und mit „Kampf der Titanen“ (dem Original, versteht sich) auch einen beachtlichen Ausflug auf die große Leinwand hinlegte. Das Drehbuch besorgte wie schon beim“ Hund“ Charles Edward Pogue. Der zugrundeliegende Roman gilt mit „A Study in Scarlet“ als die Holmes-Geschichte, in der wir Leser am meisten über Holmes‘ „Innenleben“ erfahren, sein Drogengebrauch wird thematisiert und Dr. Watson lernt seine Zukünftige kennen, das alles im Rahmen eines komplexen Mord- und Betrugsspiel.

Pogue hält sich bei seiner Adaption recht dicht an Sir Arthur Conan Doyles Roman – er strafft die Handlung da und dort (im Roman erhält Mary Morstan über Jahre hinweg jährlich eine wertvolle Perle, im Film einmalig einen Diamanten, um den Plot in Gang zu setzen), eliminiert den Holmes-Privatkram und weitgehend die Romanze zwischen Mary Morstan und Dr. Watson (es bleibt nur eine kurze Szene stehen, die andeutet, dass Watson bei Mary gerne mal eine Tasse Tee trinken würde, ähempt-hempt), und bringt dafür auch noch Thaddeus Sholto, der im Buch überleben durfte, um die Ecke.
Das Mystery selbst und seine Mechanismen bleiben aber unangetastet und damit über jeden Zweifel praktisch automatisch erhaben, die Umsetzung ist aber ein wenig fragwürdig. „Im Zeichen der Vier“ spielt sich nicht als Whodunit – wir als Zuschauer sind von Anfang an darüber im Bilde wer was (und im Groben sogar warum) verbricht. Natürlich macht es auch Spaß, Holmes dabei zuzusehen, wie er die Denksportaufgaben, deren Lösung wir schon kennen, knackt (inklusive eines der „lesser“ locked-door-mysteries, das sich Holmes in seiner Karriere stellt), es ist jedoch nicht sonderlich *spannend* (ja, obwohl es die „Columbo“-Formel ist).
Aber die Holmes-Geschichten sind nun mal in erster Linie Mysteries und wenn man ihnen das Mystery wegnimmt, bleiben nur die Charaktere. Die sind dann zum Glück spot-on getroffen. Es ist schön, dass Ian Richardson, der ziemlich nahe an meiner Idealvorstellung von Sherlock Holmes ist, dieses Mal nicht nur im Hintergrund die Strippen zieht, sondern durchgängig in Action ist (und sogar *in Action* ist), der Darstellerwechsel auf der Watson-Position macht sich nicht negativ bemerkbar und auch wenn bei den Nebendarstellern jemand von der GRÖSSE eines Brian Blessed fehlt, sind alle glaubwürdig und wirken wirklich wie einer Doyle-Geschichte entsprungen.

Die Dialoge sind ebenso stimmig wie das Zeitkolorit des spätviktorianischen London gut getroffen wird – und doch zündet „Im Zeichen der Vier“ nicht so sehr wie „Der Hund von Baskerville“. Davis muss mit dem ein oder anderen „materialbedingten“ dramaturgischen Durchhänger zurechtkommen (es gibt eine Stelle, an dem Holmes sein Hauptverdächtiger abhanden kommt und der erst durch die Baker Street Irregulars, Holmes‘ bezahlte Bande von Straßenkindern, wiedergefunden werden muss. Da kann sich naturgemäß nicht viel tun, und obwohl Davis diese Passage über eine Montage zu tarnen versucht, entsteht ein wenig Leerlauf; an der Stelle hätte es sich wohl angeboten, ein paar der „persönlichen“ Elemente aus dem Roman einzubauen), hin und wieder ist der Schnitt ein wenig unglücklich (wiewohl die Kameraarbeit von Denis Lewiston [„Madhouse“, „Frankensteins Spukschloss“] gediegenem TV-Standard entspricht), doch stellt sich – dem „Bonus-Mord“ zum Trotz – kein echter Zug ein, keine Dringlichkeit. Alles, wie es sich für eine britische Fernsehproduktion nun mal gehört, sehr professionell, sehr detailverliebt und mit großer Seriösität umgesetzt, aber als „Krimi“ eher eine Enttäuschung.

Zudem auch ideologisch ein paar Probleme auftreten – so spielt der Streifen ein bisschen in der Welt der „carnies“, der Rummelplatz-Freakshow-Kraftmensch-Schausteller. Das ist bekanntlich eine Subkultur, der bis in die heutige Zeit gewisses Misstrauen entgegengebracht wird (es sind im weitesten Sinne „Fahrende“, die auf gewisse Weise mit „legalem Betrug“ ihr Geld verdienen, die „anders“ aussehen, ihre eigene „Sprache“ haben und denen man deswegen beinahe grundsätzlich alles mögliche zutraut) und in diese Kerbe haut auch „Im Zeichen der Vier“ an einer Stelle leicht unangenehm – der Täter überredet die carnies, Holmes anzugreifen und der hält sich die Attackierer nach anfänglichen Schwierigkeiten mit einer brennenden Fackel „wie Tiere“ vom Hals. Das hat ein bissl was Untermenschen-Thematisches.
Ich würde das normalerweise nicht großartig behandeln, weil das leicht überinterpretiert wird, aber es gibt da noch eine weitere Figur – Tonga, den Helfershelfer des Täters, einen kannibalischen Zwerg von einer vorderindischen Insel. Und auch wenn ich einem hundertdreißig Jahre alten Buch keinen Rassismus andichten möchte (es ist letztendlich ein Spiegel seiner Zeit und der damals vertretenen Ansichten, siehe die Otfried-Preußler-„Negerkönig“-Debatte), einem dreißig Jahre alten Fernsehfilm kann ich das wohl. Und die Darstellung eines augenscheinlich in blackface agierenden Kleinwüchsigen mit spitz geschliffenen Zähnen, der rohes Fleisch (das ihm sein Meister in einer Art Fallgrube zuwirft) frißt, nur in tierischen Grunz- und Kreischlauten kommuniziert und tierische Bewegungsabläufe hat, *ist* rassistisch. Ich glaube, es wäre auch 1983 nicht schwer gewesen, die durchaus der Vorlag entlehnte Figur deutlich weniger animalisch-nichtmenschlich umzuschreiben (oder gleich ein dressiertes Tier aus ihr zu machen) – nicht zu verkennen ist allerdings, dass Tonga und sein Aussehen für einige Momente sorgen, die *fast* in den Horror-Bereich einchecken.

Abgesehen von dieser geschmacklichen Entgleisung gibt’s nichts, worüber man (oder die FSK) sich groß echauffieren könnte. Die FSK 12 passt also.

Es bleibt schlussendlich hauptsächlich an den Darstellern hängen, den Film über seine dramaturgischen und strukturellen Minuspunkte zu retten und bei einem soliden britischen Ensemble gibt’s da normalerweise keinen großen Grund zur Sorge, auch wenn neben dem erwähnt souveränen und extrem treffend besetzten Ian Richardson, der den Holmes mit genau dem richtigen Touch gerechtfertigter Arroganz spielt, nicht unbedingt die allererste Riege aufgefahren wird.

David Healy (ein guter Watson) könnte dem geneigten Fan aus Supergirl bekannt vorkommen und hatte einen kurzen Gast-Run in „Dallas“. Überwiegend war er der gebürtige Amerikaner aber als stereotyper Yankee im britischen TV aktiv (schon überraschend, dass er dann eine so ur-britische Rolle wie Watson abkriegt und dann auch noch ansprechend bewältigt).

Cherie Lunghie, eine etwas unauffällige Mary Morstan (aber ihre romantischer Subplot mit Watson fällt ja unter den Tisch) hatte in „Excalibur“ ihren ersten großen Auftritt (als Guenevere), später war sie in „Mission“ und Kenneth Branaghs „Frankenstein“ vor der Kamera. Heutzutage agiert sie wieder primär im britischen Fernsehen.

Veteran Thorley Walters gibt als Major Sholto (im Vorspann übrigens lustigerweise „Captain Sholto“ genannt) schnell den Löffel ab – er hatte schon selbst ein paar mal den Watson gespielt, war auch für Hammer in „Frankenstein schuf ein Weib“ oder „Circus der Vampire“ im Einsatz, gab sich in Kenneth Connors zweitem „Caprona“-Film die Ehre und, last but not least, beehrte in „16.50 Uhr ab Paddington“ auch noch eine andere britische Krimi-Ikone…

Seine Filmsöhne geben Clive Merrison („Heavenly Creatures“, „Der englische Patient“ und ein umtriebiger Bühnen-Sherlock Holmes) und Richard Heffer („DIe Mars-Chroniken“, „Colditz“), wobei besonders Heffer überzeugen kann.
Joe Melia, ein hauptamtlicher Comedian, spielt einen angemessenen Schurken, der glaubt, in gewisser Weise für Gerechtigkeit zu sorgen – seine wohl bekannteste Rolle dürfte die des beklagenswerten Mr. Prosser aus der ersten Folge der „Anhalter“-Fernsehserie sein.
Den Aushilfs-Lestrade Inspektor Layton verkörpert mit Terence Rigby („Der Morgen stirbt nie“, „Elizabeth“, „Funny Bones“) ein weiterer zuverlässiger Charakterdarsteller aus dem schier unerschöpflichen britischen Fundus.

Bildqualität: „Im Zeichen der Vier“ liegt mir als Bestandteil von Best Entertainments „Best of Sherlock Holmes“-Box im Paket mit dem „Hund“ und der 50er-TV-Serie vor (diese Box ist wohl mittlerweile auch als BluRay zu haben). Der 4:3-Print hat sicherlich schon mal bessere Zeiten gesehen und könnte kräftigere Farben, deutlichere Schärfe und eine Prise weniger Körnigkeit vertragen, ist aber insgesamt noch gut ansehbar.

Tonqualität: Ausschließlich deutscher Dolby 2.0-Ton. Die ZDF-Synchro ist sprechertechnisch gut ausgefallen (die Hauptrollen sprechen Harry Wüstenhagen und Wolfgang Völz).

Extras: Keine.

Fazit: Mit dem großartigen „Hund von Baskerville“ kann Weintraubs zweiter Holmes-Film trotz eines erneut blendend aufgelegten Ian Richardson nicht mithalten – der Ansatz, den Kriminalfall offen auszuspielen, ist der Spannung abträglich und Davis ist trotz soliden Handwerks nicht der Regisseur, der das durch eine pfiffige Inszenierung ausgleichen könnte – es ist gediegene TV-Kost, aber eben auch nicht mehr. Da ich, wie gesagt, Richardson für einen der besten Film- und Fernseh-Holmes halte, rate ich trotz der erwähnten Schwächen und des rassistischen Ausfalls zur Einverleibung des Films in die persönliche Sherlock-Holmes-Sammlung (und da die beste Möglichkeit dazu der Paket-Kauf mit dem „Hund“ ist, spricht ja auch so nicht viel dagegen). Es ist halt nur nicht sonderlich „thrilling“…

3/5
(c) 2013 Dr. Acula


mm
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