I Am Thor

 
  • Deutscher Titel: I Am Thor
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  • Regie: Ryan Wise
  • Land: USA
  • Jahr: 2015
  • Darsteller:

    Jon Mikl Thor, Mike Favata, Steve Price, Rusty Hamilton, Keith Zazzi, Lou Ferrigno, John Fasano, Jason Douglas, Bruce Duff, Katherine Elo, Hell Hofer, Joe Keithley, Michael „Thundergeek“ Pilmer, Nik Turner


Vorwort

Jon Mikl, 1953 in Kanada geboren, entwickelt früh eine Faszination für drei Dinge – Superhelden, Bodybuilding und Rock’n’Roll. Mit 14 gründet er seine erste Band, „The Ticks“, beteiligt sich erfolgreich an Bodybuilding-Wettkämpfen und wird „Mr. Canada“ und „Mr. USA“. Mikl strebt eine Karriere im Showbiz an – sein gestählter Body verhilft ihm zur Mitwirkung im Musical „Naked Waiters“, bis seine Position von einem Schwarzen mit weniger definierten Muskel, dafür aber anderen, äh, Argumenten, gestohlen wird. Mikl verlegt sich wieder auf die Musik und arbeitet seinen neuen Bühnencharakter „Thor“ aus – Spandexhöschen und Cape, Strongman-Acts und „Muscle Rock“. Bekanntheit erringt er durch einen Auftritt in der Merv-Griffin-Show, in der er 1976 sein Spezialkunststück, das Aufblasen von Wärmflaschen bis zum Zerplatzen, vor Millionenpublikum vorführt. Sein Debütalbum „Keeping the Dogs Away“ wird zum Renner in Kanada und verhilft ihn zu einem Deal mit dem Majorlabel RCA, das Großes mit ihm vor hat. Streitigkeiten zwischen seinem Management und dem Label, das in einer Entführung Thors gipfelt, um den lästigen Künstler von Vertragsverhandlungen fernzuhalten, lassen den Deal und eine geplante Riesen-Arena-Tour scheitern. Der Versuch einer Zusammenarbeit mit dem Manager von Bruce Springsteen scheitert ob dessen esoterisch angehauchten Versuche, Thors lyrisches Konzept zu ändern. Ersatzweise mit Motörheads Manager verbunden, reist die Band erstmals nach Europa und feiert im Marquee in London Triumphe. Nachdem die Promotion aber verstärkt auf die Person Jon Mikl Thors konzentriert wird, verliert er seine Band und verlegt sich auf eine Filmkarriere in Horror-B-Movies. Nachdem dieser Karriereplan aber ebenfalls im Sand verläuft, erleidet Thor depressiv einen totalen Nervenzusammenbruch inklusive Selbstmordversuch und zieht sich nach Kanada ins Privatleben zurück.

Nach zehn Jahren fühlt Thor aber wieder das gewisse Zwicken und macht sich an ein Comeback – das zerstört zwar seine Ehe, aber der Rock’n’Roll-Virus ist stärker. Mit stetig wechselnden Begleitmusikern – die meistens früher oder später das Handtuch werfen, weil sie vergeblich auf Bezahlung hofften – tingelt Thor durch kleine Clubs, spielt vor einer Handvoll zahlender Gäste, bietet aber dennoch stets immer seine volle Show im Kostüm, mit Thor-Hammer, Eisenbieger- und Wärmflaschennummer. Mit Hilfe seines Fanclubchefs „Thundergeek“ und der Macht des Internet versucht er neue Fanschichten zu erschließen, erscheint auf Comic-Cons (to the bewilderment of the visitors), ruiniert dabei aber zunehmend seine Gesundheit bis hin zu einem Schlaganfall. Aber Thor lässt sich nicht unterkriegen, und nach all den Jahren erfolglosen Dauertourens deutet sich eine Wende an, als Thor die Einladung erhält, auf drei großen Metalfestivals in Skandinavien aufzutreten… eine Chance, die sich Thor, trotz wachsender Selbstzweifel, nicht entgehen lässt und dafür auch seine Original-Band wieder zusammentrommelt…


Inhalt

Der Rock’n’Roll schreibt die unterschiedlichsten Geschichten – Storys vom Übernachterfolg, über große Comebacks, aber auch die Tragödien im kleinen und großen Maßstab. Ein Beispiel für die letzte Kategorie sind z.B. die kanadischen Metaller von ANVIL, die seit über dreißig Jahren befreit von jeglichem kommerziellen Erfolg über die Bühnen der Welt rocken und sich – auch in Form einer Band-Dokumentation, die erfolgreich in den Programmkinos lief – nicht unterkriegen lassen und unbeirrt ihr Ding durchziehen, was man wahlweise bewundern oder als fortgeschrittene Realitätsverweigerung schon fast krankhaft nennen kann. Jon Mikl Thor hat der Combo um Lips immerhin eins voraus – er mochte nie einen großen Radiohit gehabt haben, aber in den 70ern und 80ern kauften tatsächlich Leute seine Platten (in Kanada reichte es für Gold- und Platinauszeichnungen) und man kann, auch nach Ansicht dieser Doku, tatsächlich der Ansicht nachhängen, dass Thor nicht minder talentiert war als so manche Fönfrisur, die mit ein paar Gitarrenakkorden in den 80ern zum Multimillionär wurde, aber durch die ständigen Probleme mit seinem regelmäßig wechselnden Management nie den Status erreichte, der möglich erschien.

Klar kann man Thor belächeln – andererseits haben Bands wie Manowar Thors Image (das selbst stark von Alice Cooper beeinflusst war) ja nur verfeinert (oder vergröbert, je nach Standpunkt) und sich damit dumm + dusslig verdient, also hatte der Kanadier ohne Zweifel die richtige Idee, seinen kompletten Act um diesen strongman-Barbaren-Charakter zu bauen. He could’ve really been big, man…

Das auch, weil – wie auch die Doku zeigt – Thor durchaus keine schlechten Songs auf der Pfanne hat. Da haben Leute mit weniger musikalischem Können in den 80ern groß abgeräumt (auch wenn man natürlich einräumen muss, dass Thor ein erheblich besserer Frontman denn Sänger ist). Aber natürlich muss man sich auch im Falle Thor die Frage stellen, ob’s im Großen und Ganzen nicht vernünftiger gewesen wären, die zahlreichen verpassten Chancen als Wink des Schicksals zu begreifen und ein Thor-Comeback, wenn überhaupt, dann als Hobby zu betreiben, denn ehrlicherweise muss man ja auch konstatieren – geschrieen hat nach mehr Thor nun auch nicht wirklich jemand.

Die Dokumentation von Ryan Wise, der bis dahin sein Tagwerk mit Horror-Webserien verbrachte, rekapituliert Vergangenheit, Gegenwart und einen Ausblick auf die Zukunft der Thor-Karriere in einer recht konventionellen Weise (aber zumindest chronologisch und mit einem klaren Narrativ, und dafür bin ich in solchen biographischen Dokus immer), beginnt mit Thors erstem großen Auftritt bei Merv Griffin, um von da aus kurz Jugend und vorhergehende Projekte abzuarbeite. Danach geht’s durchaus logisch weiter mit der Entwicklung des Thor-Charakters und der Band, dem ersten Europa-Trip und Thors Filmkarriere nebst Auseinanderfallen der Band. Nach dem Interludium des Privatiers John Mikl Thor begleiten wir dann über mehr als zehn Jahre die Comeback-Versuche Thors, angespornt von seinem Fanclubchef Thundergeek (der für mich etwas creepy rüberkommt und nicht immer der beste Einfluss auf Thor zu sein scheint), wobei das Leben des (erfolglosen) Tourmusikers ungeschönt dargestellt wird – da erzählt ein Club-Kartenabreißer von sechs verkauften Tickets für die Show, da wird die Schönrederei von Thor deutlich, der von einer „großen Arena-Show“ spricht, wenn die Band nicht mehr als ein größeres Wohnzimmer von vielleicht vierzig-fünfzig Gästen bespielt, Thors Auftritt auf der Comic-Con (insbesondere seine Begegnung mit seinem früheren Bodybuilding-Rivalen Lou Ferrigno, der sich sichtlich fragt, wer der Bekloppte in dem Barbaren-Kostüm ist, der ihn da anlabert), Thors Versuche, nach einem mäßig besuchten warm-up-Gig für die Euro-Festivals beim Monsterpalooza-Festival T-Shirts und CDs an den Mann zu bringen, das hat alles etwas Tragikomisches, da wünscht man manchmal, man könnte Thor an die Hand nehmen und sagen: „Okay, Junge, du hast es versucht, kudos, aber… es klappt nicht. Behalte ein bisschen Restwürde und call it quits.“

Selbst Thor scheint das, wenn schon nicht einzusehen, dann zumindest zu realisieren, wird über die Jahre wieder zunehmend depressiver (auch wenn er immer noch bemüht ist, seinen Fans eine gute Show zu bieten und die, die auftauchen, sich auch angemessen bespasst fühlen) und die Sinnhaftigkeit des ganzen Unterfangens zu hinterfragen. Dann kommt die Skandinavien-Festivaltour, die katastrophal beginnt (Thors Gepäck samt Bühnenkostüm geht verloren, die Band soll als erste Combo des Tages spielen und der Tag entpuppt sich als total verregnet), sich aber zum dramatischen Wendepunkt entwickelt – Thor und seine Mitstreiter werden in Finnland als die Metal-Götter gefeiert, für die sie zumindest Jon Mikl sie hält, und umjubelt, und spielen beim dritten Festival sogar als Headliner. Und wirklich, es hat etwas zutiefst Befriedigendes, wenn Thors Geschichte mit diesem „Happy End“ ausklingt (auch wenn man natürlich der Realität Tribut zollen muss und feststellt, dass Thors Karriere in der Folge auch nicht wirklich abhob, aber er tourt weiter regelmäßig und bringt ebenso regelmäßig neue Alben heraus)…

Wise erzählt das mit den klassischen Doku-Mitteln – zeitgenössischen Ausschnitten aus Film und Fernsehen, Heimvideos, mehr oder minder legal mitgeschnittene Liveaufnahmen und Interviews mit Thor himself, seinen Bandgenossen, Weggefährten, Fans, Freunden und Journalisten. Er verzichtet auf einen Kommentar, lässt die O-Töne vor sich sprechen und setzt sie lediglich ab und an durch Texteinblendungen in gewissen Kontext. Dadurch wirkt die Doku gleichermaßen ein wenig unkritisch, andererseits freilich auch authentisch, weil wir das Gefühl haben, dass, was die Interviewten von sich preisgeben, geben sie freiwillig, wollen es sich von der Seele reden. Steve Price, Thors Gitarrist, gibt freimütig zu, dass ihm etwaiger künstlerischer Wert der Songs oder das Charakterkonzept völlig wurscht waren, er hatte Zeit, der Band beizutreten und wurde bezahlt, damit war das für ihn okay…. Wie gesagt, Thundergeek kommt mir etwas unkoscher vor, wie jemand, der sich an die Rockzipfel eines abgehalfterten Stars heftet, um das eigene Ego zu bauchpinseln und irgendwie „famous by association“ werden zu wollen.

Thor selbst kommt als sympathischer Gemütsmensch rüber, der mit seiner Stage-Persona als „echter Mensch“ nicht viel zu schaffen hat, offensichtlich ein wenig zur Naivität neigt, aber durchaus jemand, mit dem man ein oder fünf Bierchen schlürfen möchte (auch wenn er das nicht mehr darf…) – eine Art durchgängiges Thema des Films ist, dass Thor ein so dermaßen schrecklich netter Typ ist, dass wirklich kein Mensch etwas substantiiert Negatives über ihn sagen kann oder will…

Studio Hamburg packt die Doku in ein schickes 3-Disc-Mediabook, das den Hauptfilm auf Blu-Ray und DVD beinhaltet, sowie auf einer Bonus-DVD die Zussatzdoku „An-THOR-Logy“, die (mit optionalem Audiokommentar) die „klassischen Jahre“ anhand der ungeschnittenen Clips, die auch in „I Am Thor“ verwendet werden, detaillierter beleuchtet. Ein umfangreiches Booklet ist natürlich Mediabook-Standard, und einen hübschen THOR-Aufnäher bekommt man auch noch mitgeliefert (damit hab ich jetzt tatsächlich drei Thor-Patches. Ich muss mir echt wieder ne Kutte machen…).
Bild- und Tonqualität sind adäquat, aber natürlich kein High-End-Anlagen-Austestmaterial. Persönlich wäre mir anstatt der „An-THOR-Logy“ die Soundtrack-CD lieber gewesen, aber mei, man kann nicht alles haben.

Für Fans des kanadischen Muskelmanns ist die Doku natürlich Pflicht, Heavy-Metal-Fans mit einem Hang zur Nostalgie sollten ebenfalls reinkucken, ebenso wie ein jeder, der ein Herz für „lovable losers“ hat. Macht Spaß, ist laut, und geht manchmal sogar ans Herz…

© 2018 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 2

BIER-Skala: 7


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