Hitler

 
  • Original-Titel: Hitler
  •  
  • Regie: T.L.V. Prasad
  • Land: Indien
  • Jahr: 1998
  • Darsteller:

    Mithun Chakraborty (Siddhant Kumar Sharma), Shilpa Shirodkar (Sheila S. Sharma), Manek Bedi (Amar Sharma), Deepti Bhatnagar (Priya Seema), Sadiya Siddiqui (Priya), Monish Bahl (Monty Bhalla), Arun Bakshi (Inspektor Bakshi), Hermant Birje (Vicky Roy), Anil Dhawan (Kishorilal), Satyendra Kapoor (Daulatram), Raghuvaran (Ankush Roy)


Vorwort

Siddhant Kumar Sharma (Mithun Chakraborty, OMG: OH MY GOD!, GURU, JAILAAD) ist Knastdirektor irgendwo in Indien (nun, der Herkunft des Films nach in der Gegend von Madras, jetzt Chennai) und gilt sowohl bei Knackis, Personal als auch Familie als harter Hund, mit dem unschön süße Rosenfrüchte zu knabbern ist. Aus diesem kühnen Grunde hat er sich auch den (wenig? Es IST Indien…) schmeichelhaften Spitznamen „Hitler“ eingefangen. Zu seinem aktuellen Intimfeind entwickelt sich gerade, ohne dass Siddhant davon sonderlich viel spitzkriegt, der Gangsterboss Ankush Roy (Raghuvaran, MUDHALVAN, KADHALAN), dessen Henchmen Tiger gerade die Vorzüge von Siddhants behördlicher Gastfreundschaft genießt und den Ankush gerne wieder auf Freiersfuß herumstapfen sehen möchte. Für diesen Zweck hat er sich auch einen von Siddhants Untergebenen eingekauft, der doch bitte Tigers Zellentür mal offen lassen soll und dann geflissentlich in eine andere Richtung kuckt, wenn der Insasse Fersengeld gibt. Das würde sogar funktionieren, passte Siddhant auf seinen Knast nicht auf wie der sprichwörtliche Schießhund und spränge nicht persönlich von der Gefängnismauer, um Tiger erst ordentlich aufs Maul zu hauen und ihn dann eigenfüßig in die Zelle zurückzuschleifen. Siddhant ist auch nicht dumm, sondern hat einen ausgeprägten Verdacht, wer da dem Knastologen zu einem Ausflug verhelfen wollte und verhaut auch den käuflichen Officer nach Strich und Faden, bevor er ihn suspendiert.

Mit ähnlich harter Hand wie seinen Knast führt Siddhant auch seine Familie, bestehend aus seiner Ehefrau Sheila (Shilpa Shirodkar, HUM, APRADHI), einer ehemaligen Top-Rechtsverdreherin, einem vielleicht achtjährigen Sohn sowie einer ganzen Geschwisterbaggage – zwei attraktive Junghühner und Amar (Manek Bedi, MASEEHA, LOC: KARGIL), seinen jüngeren Bruder, der zu Siddhants Verdruss keiner geregelten Arbeit nachgeht, sondern lieber mit seinem besten Kumpel Monty (Mohnish Bahl, BAAGHI: A REBEL FOR LOVE, EENA MEENA DEEKA) nutzlos abhängt und an seiner Shahrukh-Khan-Doppelgänger-Nummer feilt. Nun, jedenfalls glaubt Siddhant, dass er auch hier mit aller hitlerischen Autorität herrscht, doch kaum ist der Familienernährer außer Haus, tanzen die Familienangehörigen auf dem Tisch, und das ist teilweise wörtlich so zu sehen. Schwesterlein Priya ist Michael-Jackson-Fan und groovt zu dessen Songs ab (lustigerweise zu „Bad“, während der Fernseher, der angeblich Quell der Töne ist, das Video zu „Remember the Time“ abspult), der Sohnemann trainiert unerlaubt Karate und hat schon einen schwarzen Gürtel, Sheila und die namenlose andere Schwester spielen unanständigerweise Brettspiele und Amar, naja, der ist je jenseits von gut und böse. Mit Hilfe des abgestellten Polizeibeamten, der für den einem Mann seiner Position zustehenden Personenschutz sorgt, haben Siddhants Blutsverwandte sogar ein Alarmsystem ausgeknobelt, das rechtzeitig bei Erscheinen des Herrn Direktors anspringt und den Hausbewohnern Gelegenheit gibt, ihre unerwünschten Aktivitäten rechtzeitig einzustellen und heile Welt zu spielen.

Während Ankush einen rivalisierenden Gangsterboss mit einem ferngesteuerten, sprengstoffgefüllten Spielzeugauto ausschaltet (der hat DIRTY HARRY V – DAS TODESSPIEL gesehen!), begeben sich Monty und Amar sich eines schönen Tages zu einem Bewerbungstag im Unternehmen des reichen Industriellen Daulatram (Satyenda Kapoor, DON, SHOLAY), werden aber von dessen schöner Tochter Priya (die könnten sich auch mehr als einen Frauennamen ausdenken…, diese wird dargestellt von Sadiya Siddiqui, SHABD, SSSHHHH… KOI HAI) abgeschmettert, noch bevor sie überhaupt ihre Bewerbungsmappen abgeben können. Das betrachtet speziell Amar als eine bodenlose Gemeinheit erster Kajüte, die man(n) nicht einfach so übergehen kann. Mit Hilfe eines befreundeten Diebes (der sich persönlich für die indische Inkarnation von Michael Jackson hält, ich schätze Anil Dhawan, HONEYMOON, SHIKAAR) plant er, Priya zur Vermittlung einiger grundsätzlicher Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu entführen. Dieweil der Dieb sich mit dem mitgebrachten Chloroformlappen mehrfach selbst betäubt, stellt Amar fest, dass die Idee offenbar schon andere – und besser vorbereitete – Kollegen hatten. Als Priya von einer Horde Bewaffneter in einen Jeep gezerrt werden soll, kicken bei Amar unerwarteterweise Heldengene ein und er, unterstützt von Monty, schreitet zur Vertrimmung der Kidnapper. Zu Amars Bestürzung ist Priya relativ undankbar, denn… die Entführung hatte sie selbst eingefädelt, um ihrem Geizkragen von Vater einen größeren Geldbetrag aus dem Daumen zu lutschen. Da Amar das nun erfolgreich durchkreuzt hat, muss sie sich etwas anderes einfallen lassen, und so verkleidet sie sich als Sikh inklusive Turban und Vollbart, um ihren Vater ganz persönlich aus dem Geldkoffer zu beklauen. Das wiederum funktioniert prächtig, und weil wir in einem indischen Film sind, bedeutet das zwangsläufig auch, dass Priya und Amar sich unsterblich ineinander verliebt haben.

Nun kann speziell in Indien der Frömmste nicht in Frieden lieben, wenn es irgendwem anders nicht gefällt. Und „nicht gefallen“ tut der neue Liebesbund in erster Linie Daulatram, der die sich anbahnende Beziehung, wie auch immer, mitbekommen hat und nun bei Siddhant auf der Matte steht, auf dass der gegenüber seinem jüngeren Bruder ein bis mehrere Machtworte spricht, denn das Verhältnis eines anerkannten Rumtreibers und Losers wie Amar mit einer reichen Erbin wie Priya kann ja nur darauf hinauslaufen, dass Amar auf die Kohle scharf ist – ein Argument, dem sich Siddhant auch auf Basis seiner eigenen Erfahrungen mit dem Familienschwarzschaf nicht gänzlich verschließen kann und daher versucht, kraft seiner familienoberhauptlichen Wassersuppe einen Riegel vor die Liebesfrucht zu schieben.

Dieweil hat der Kriminaloberinspektor Wieheißternoch (mutmaßlich Johnny Lever), von mir ob seiner Frisur auch Inspektor Megamullet genannt, ein Problem – er ist nämlich hochgradig korrupt und ein erheblicher Bestandteil der umfänglichen Lohnliste von Ankush, aber ein interner Ermittler ist ihm auf die Schliche gekommen. Der Inspektor fordert bei Ankush einen Gefallen ein, und der ist nur zu gern bereit, seinen Lieblingskiller Vicky Roy (Hernant Birje, ADVENTURES OF TARZAN, JUNGLEE SHERNI) auf den Ermittler zu hetzen. Vicky sticht den Beamten tot, wird aber vom zufällig vorbeicruisenden Siddhant auf frischer Tat ertappt und festgenommen. Ein Grund mehr für Ankush, nicht zum eingetragenen Ehrenmitglied im Hitler-Fanclub zu mutieren.

Es trifft sich daher günstig, dass Ankush auch mit Daulatram zusammenarbeitet und so Zeuge wird, wie Amar und Monty Daulatram aufsuchen (ohne vorher einen Termin ausgemacht zu haben… also muss einer von Daulatrams Leibwächtern verprügelt werden) und Amar doof genug ist, Daulatram mit einem Messer zu bedrohen und dies mit allgemein unheilsschwangeren Prophezeihungen hinsichtlich der persönlichen Zukunft Daulatrams, sorgt der nicht dafür, dass die Verhältnisse zwischen ihm, Priya, Amar und Siddhant wieder gerade gerückt werden, garniert. Amar und Monty ziehen wutig ab. Daulatram will jemanden anrufen, erreicht aber nur den Anrufbeantworter, und wird auch vom Hinterlassen einer Nachricht abgehalten, weil Ankush auftaucht und sich die Geschehnisse brühwarm erzählen lässt. Dass er nonchalant fragt „mit DIESEM Messer?“, als er es mit einem Taschentuch in der Hand aufhebt, versteh ich sogar ohne Hindi-Kenntnisse. Daulatram ist persönlich und menschlich enttäuscht, als Ankush ihm das Messer zweimal in die Plauze rammt. Aber immerhin ruft der böse Bursche noch persönliche die Polizei…

Die braucht, obwohl indisch und daher zumindest nach üblicher indischer Filmlogik nicht mit überaus auffälliger Kompetenz gesegnet, nicht lange, um einen Hauptverdächtigen zu finden, wimmelt es doch auf der Tatwaffe nur so vor Amars Fingerabdrücken. Naja, und dass er und Monty einen Streit mit dem Opfer hatten, und Amar auch ein sehr persönliches Motiv, das alles steht außer Frage. Zu Siddhants Verdruss – denn der glaubt an die Unfehlbarkeit des Systems und das altbekannte Motto „Verdacht bedeutet Schuld“ – entschließt sich Sheila persönlich, ihren angeheirateten Neffen zu verteidigen. Das macht sie auch gut und zerlegt vor Gericht die Anklage in ihre reinen Indizien-Bestandteile, staunt aber Bauklötze, als der Staatsanwalt einen Überraschungszeugen in den Stand ruft – den mitangeklagten Monty, und der, mittlerweile selbstverständlich von Ankush gekauft, verblüfft Verteidigerin und Verteidigten mit einer exaltierten Schilderung der bösen Missetat von Amars Hand. Das Urteil ist in Stein gemeißelt: Schuldig wie die Sünde, ab in den Knast, und zwar in den von Siddhant, und Amar braucht sich gar nicht einzubilden, dass er von seinem Bruderherz eine Sonderbehandlung bekommt, höchstens NOCH härtere Bestrafungen, so z.B., nachdem Amar unmittelbar nach Einzug in seine neue Wohnung eine brutale Schlägerei mit Vicky angefangen hat.
Ankush ist aber noch lange nicht fertig – mir entgehen hier zwar mangels Hindi-Kenntnissen ein paar Feinheiten seiner Motivation, aber jedenfalls begeht er den strategischen Fehler, einen Mordversuch an Priya (der Geliebten, nicht der Schwester) zu unternehmen. Der Versuch, sie mit einem Kleinbus zu überfahren, ist aber nur halb erfolgreich und befördert das Frauenzimmer nur ins Hospital. Die Kunde dringt trotzdem an Amars gestresstes Ohr und das bedeutet ohne Weiteres, dass er zwecks allgemeiner Blutwurschtrache ausbrechen muss. Zu Siddhants persönlicher Schande gelingt die Flucht und Amar beginnt, sich durch die bekannten Mitglieder Ankushs Organisation zu prügeln, u.a. den suspendierten Knastwärter vom Beginn. Siddhant nimmt persönlich die Verfolgung auf und jagt seinem Bruder sogar eine Kugel in den Arm – was ihn bei seiner Restfamilie nicht populärer werden lässt.

Aber es gibt Hoffnung – unser diebischer Jacko-Imitator bricht mal wieder in eine Villa ein, und justament in die, deren Besitzer Daulatram vor seinem gewaltsamen Ableben angerufen hat. Und zum Diebesgut gehört ein gewisser Anrufbeantworter, den Jacko Jr. dem hinsichtlich der Herkunft von Haushaltselektronik indiskriminierenden Ehefrau des gerade mit Hehlerware befassten Inspektors Bakshi (Arun Bakshi, IT’S ROCKING: DARD-E-DISCO, MY FRIEND GANESHA), vertickt. Beim sich pflichtschuldigst einstellenden Ehestreit schaltet sich die Wiedergabefunktion des Geräts ein und, lo and behold, der Apparat hat treudoof Ankushs Mordtat aufgezeichnet. Bakshi geht mit der Cassette bei seinem Freund Siddhant hausieren und der schnappt sich umgehend Ankush. Die Aufnahme ist einigermaßen überzeugend, doch Inspektor Megamullet kontert damit, dass die Cassette (was entweder ein wüster Continuity-Goof ist oder ein Zeichen von Ankushs manipulativen Fähigkeiten… oder ich krieg einfach wieder was aufgrund der Sprachbarriere nicht mit) auch Amars vorhergehende wüste Drohungen aufgezeichnet hat und damit weiterhin weder ein Schuldbeweis hinsichtlich Ankush noch ein Unschuldsbeweis für Amar erbracht ist. Doof das.

Und Ankush ist jetzt ernstlich sauer. Er lässt Priya und Amar (der irgendwo bei einem befreundeten Doktor versteckt war) entführen und hat Siddhants Familie in ihrem eigenen Haus festsetzen und mit Höllenmaschinen verzieren lassen. Siddhant möchte doch bitte zur Klärung der Sachlage in einem von Ankushs Verstecken vorbeischauen. Gesagt getan. Ankush verlangt nicht weniger, als dass Amar und Siddhant gegeneinander kämpfen und sich idealerweise dabei gegenseitig umbringen…


Inhalt

Indischer Radaufilm. Ein immer wieder erfreuliches Thema. Bevor wir ins Detail gehen, müssen wir wieder ein mal ein paar Basics klarstellen – HITLER ist kein Bollywood-Film, bekanntlich gilt diese Bezeichnung nur für Erzeugnisse der Filmindustrie aus Mumbai/Bombay, sondern ein Kollywood-Film, wie sich Filme aus der tamilisch-sprachigen Studios aus Chennai/Madras nennen, und fiel auch dort nicht einfach vom Baum, sondern ist seinerseits ein loses Remake der ein Jahr älteren Telegu-Produktion gleichen Namens. Und selbst das ist nicht hundertprozentig akkurat, alldiweil HITLER zwar im tamilischen Kollywood entstanden ist, sein Star aber der „Bengal Tiger“ Mithun Chakraborty ist, wie sein Spitzname schon sagt, der Superdupermega-Star des Bengal-Kinos.

Wer nun beim Titel HITLER eine erstrangige Geschmacklosigkeit und ein Trash-Feuerwerk erwartet, der wird einigermaßen enttäuscht. Wiewohl den Hindus in der Hinsicht einiges zuzutrauen wäre, da der Gröfaz auf dem indischen Subkontinent immer noch ein einigermaßen gutes Standing hat (selbst Mr. Passive Resistance Gandhi sah in Nazi-Deutschland einen potentiellen Verbündeten gegen den gemeinsamen Feind des britischen Empire), hat der Film letztendlich keinerlei Bezüge zu Nazi-Ideologie oder Führer-Verehrung – „Hitler“ ist schlicht der (keineswegs durchgängig und primär von seinen Feinden verwendete) Spitzname des Protagonisten Siddhant, weil er eben ein harter Bursche ist, beruflich und privat ein strenges Regime führt und 110 % auf Gehorsam und Diszplin Wert legt. Man kann also auch und gerade als Teutone guten Gewissens auf die Glotze stieren, es macht für den Film im Endeffekt keinen Unterschied, ob er HITLER, SIDDHANT oder KLAUS-BÄRBEL heißt.
Und was Story, Umsetzung und filmische Machart angeht, ist HITLER eigentlich ein recht „gewöhnlicher“ indischer Film. Das Lieblingsgenre indischer Produzenten ist bekanntlich „masala“, und das bedeutet schlichtweg die schiere Verweigerung, einen Film einem spezifischen Genre zuzuordnen, sondern wie ein Koch unterschiedliche Gewürze verwendet (daher kommt die Bezeichnung auch) unterschiedlichste Genre-Impulse und Stilmittel zu einem für das einheimische Publikum bekömmlichen Eintopf zusammenzubrauen. In Kollywood wird alles sicher etwas simpler und billiger gemacht als in Mumbai, aber das Prinzip ist identisch – man nehme bevorzugt eine Liebesromanze und umgebe die dann mit Elementen aus Krimi, Thriller, Melodrama, Komödie und Action (einer der international erfolgreichsten Bollywood-Filme, ICH BIN IMMER FÜR DICH DA, der Shahrukh Khan auch hierzulande zum namhaften Star machte, spielt sich auch für zwei Stunden seiner monumentalen 4-Stunden-Laufzeit als flockige High-School-Rom-Com, um dann für den Rest zum hochoktanigen Actionfilm zu mutieren) – dabei haben die Produzenten und Regisseure immer noch das Problem, dass sie sich im Rahmen des für die indische Gesellschaft tragbaren moralisch Vertretbaren bewegen, sowohl was Gewaltdarstellung als auch Erotizismen angeht (man ist auf beiden Gebieten sicher in den letzten zwei Dekaden flexibler geworden, aber gerade im Mainstream-Bereich gibt’s halt nach wie vor Dinge, die „nicht gehen“, z.B. dass zwischen Männlein und Weiblein mehr stattfindet als ein zarter Kuss).

Dies vorangestellt, nun zum Film. Wie schon gesagt, im Großen und Ganzen ist das ein handelsüblicher masala, eine Nummer kleiner als das, was aus Mumbai kommt, aber sich grundsätzlich an den gleichen Tropes und zu erwartenden plotpoints entlanghangelnd. Amar gibt den Shahrukh-Khan-Ersatz als der Jungspund, der sich nicht an die verknöcherten Rituale und antiquierten Rollenvorstellungen der ihm überstellten Autoritätsperson (hier ausnahmsweise mal halt nicht der strenge Vater, sondern der strenge große Bruder) zu halten gedenkt und dadurch Ärger nicht nur für sich selbst, sondern auch für sein Umfeld produziert, Priya die schöne junge Frau von außerhalb des Amar zustehenden sozialen Zirkels, in die er sich nach anfänglichen Missverständnissen verlieben darf, Siddhant ist, wie erwähnt, die Autoritätsfigur, die zunächst versucht, die Rebellion zu unterdrücken, sich aber dann, als der Zusammenhalt der Familie ernstlich in Gefahr gebracht wird, eines besseren besinnt und den wahren Feind, Ankush, den fiesen Gangster, ausmacht. Es ist, wie im indischen Film üblich, eine, wenn auf das Wesentliche heruntergebrochen, simple Geschichte, die aber auf möglichst komplizierte Weise, mit dem Maximum an Charakteren und einer Vielzahl von Umwegen und zu überwindenden Obstakeln erzählt wird. Während indische low-budget-Filme, die sich darauf beschränken, nur ein Genre zu beackern (oder wenigstens nur eins mit der üblichen Romanze zu kombinieren), im Allgemeinen so schlicht gestrickt sind, dass man ihnen auch ohne einen Funken Sprachkenntnis mühelos folgen kann, so wird’s bei einem amtlichen masala-Film mit seinen Subplots und den sich erst im Schlussakt ergebenden Querverbindungen zwischen den Handlungssträngen und den Charakteren, da schon schwieriger, und ich muss zugeben, dass ich bei HITLER die Hilfe eines IMDb-Userreviews brauchte, um einige mir ansonsten unverständliche Plotschlenker nachvollziehen zu können, und auch mit dieser Hilfestellung ist mir nicht alles ganz klar geworden. Das gehört aber zum Berufsrisiko, wenn man sich an Filme wagt, die nur in ihrer Originalsprache verfügbar und man diese nicht beherrscht.

Z.B. Sheilas Turn als Anwältin vor Gericht, wenn HITLER für zehn Minuten noch einen Schwenk ins courtroom drama nimmt – dass sie dafür qualifiziert ist, * können * wir als dem Hindi-Idiom nicht mächtige Zuschauer nicht wissen, und daher sind wir gelinde überrascht… aber das ist auch ein Beispiel dafür, wie unbefangen masalas mal für ein paar Minuten das Genre komplett wechseln, aber das zumindest fürs einheimische Publikum mit der ein oder anderen vorhergehenden Dialogzeile anteasern.

Da HITLER mit einer Laufzeit von 137 Minuten für einen masala-Film noch auf der einigermaßen kurzen Seite eintickt, muss der Film seinen Genregalopp glatt noch ein wenig flotter veranstalten als die größeren und längeren Cousins aus Mumbai. Praktisch jede Szene hat einen anderen Ton als die zuvor, da folgen Action, Familienkomödie, Slapstick, Thriller, Liebesgeplänkel und Melodrama im Fünf- bis Zehnminutenrhythmus aufeinander und bis zum kataklysmischen Mord an Daulatram, der Amar in die Schuhe geschoben wird und ungefähr zur Halbzeitmarke geschieht, befleißigen sich die beiden Haupthandlungsstränge auch zwei komplett unterschiedlicher Charakter-Sätze, nur verbunden dadurch, dass Siddhant notgedrungen in beiden Strängen auftaucht. Das würde man heutzutage, wäre HITLER eine Pay-TV-/Streaming-Serie, selbstbewusst „horizontales Storytelling“ nennen – man sieht’s, die Inder waren der westlichen Erzähl-Entwicklung mal locker zwei Jahrzehnte voraus…

In seinen „dramatischen“ Phasen gibt sich HITLER dabei insgesamt recht konventionell – erfahrene Bollywood-Strategen werden sich schnell wie zuhause fühlen und das Overacting zu schätzen wissen; in den humoristisch angelegten Sequenzen erkennen wir einmal mehr, dass der Asiate an und für sich, ob er nun aus Indien, China oder Vietnam kommt, ein Herz für den eher schlichten Slapstick hat (was dann aber wieder den Vorteil mitbringt, dass der gerne auch wortlos und über kulturelle Kontinentalgrenzen hinweg verständlich bleibt). Handwerklich ist das soweit ganz ordentlich, gelegentlich sogar mit dem Auge für eine eindrucksvolle Einstellung oder zwei, und wenn die Song & Dance-Nummern ausgepackt werden (fünf an der Zahl), muss man sich eh nicht grämen, die können auch regionale indische Filmemacher im Schlaf; wobei hier ganz bemerkenswert ist, dass die Musical-Einlagen überwiegend für comedic purposes genutzt werden (Siddhants und Sheilas große Nummer z.B. handelt davon, wie Siddhant versucht, sich nach einem Streit mit der Familie ob seiner drakonischen Haushaltsregeln bei seiner Holden wieder einzuschleimen, eine andere zeigt den Traum von Amars prä-priyanischer Freundin, wie sie mit ihrem Schwarm herumpoussiert, eine dritte die Früchte von Montys einträglichem Verrat, nämlich seiner Verlustierungen im Kreise zahlreicher süßer Hindu-Babes).

Wie es im Hindi-Film üblich ist, übergibt Regisseur T.L.V. Prasad (JAILAAD, MAZAA MAZAA – DER TRAUM EINER FÜNFZEHNJÄHRIGEN) für die reichhaltigen Actionszenen den Staffelstab an einen spezialisierten Action-Director, und an der Stelle springt HITLER dann mutig über den Hai, verlässt die Gefilde eines „gewöhnlichen“ masalas und entert das deliriöse Land des Megatrash – die Fights sind wirklich nur noch mit Kampfszenen aus 70er-Jahre-Türk-Action zu vergleichen. Wüst grimassierend jumpen, kicken und punchen unsere Helden in Zeitlupe, verfehlen die Stuntdoubles ihrer Gegner um ganze Armlängen, haben in jedem kleinen Finger die Kraft einer Dampframme (selbst, wenn ein Gegner nur am Hemdkragen gepackt wird, fiedelt die Tonspur die Schlaggeräusche einer mittleren Atombombenexplosion ein), werden Gegner meterweit durch die Luft geschleudert… und wenn nicht mano-a-mano kombattiert wird, dürfen auch die automatischen Waffen ausgepackt werden. HITLER ist kein Nonstop-Actionfeuerwerk, verteilt seine Kampfszenen und shoot-outs aber geschickt genug über seine Laufzeit, um den Freund großartiger Debil-Action permanent bei der Stange zu halten (eine halbe Stunde reserviert HITLER sicherlich zusammengerechnet für seine Kloppe). Da macht HITLER dann richtig, richtig Laune…

Schauspielerisch werden dünne Bretter gebohrt, auch wenn Hauptdarsteller Chakraborty ein Megastar des Bengal-Kinos ist (aber, hey, wir wissen alle, wie „gut“ Chiranjeevi ist, und der wird in seiner Heimat gottgleich verehrt) – er kann gut finster aus tiefen Augenhöhlen herausstieren, den sollte man eigentlich als Schurken besetzen… Manek Bedi geht, wie gesagt, als Shahrukh-Khan-Imitator durch, und zieht sich in seinen Actionszenen noch einigermaßen passabel aus der Affäre. Er hat sein Glück heute eher hinter der Kamera als Produzent (u.a. der Seifenoper HITLER DIDI – die haben’s damit) gefunden. Raghuvaran ist ganz prima als der schurkische Ankush – dem fehlt nur ein Schnurrbart, an dem er diabolisch zwirbeln kann (dafür trägt er eine Nickelbrille, und per Hindi-Film-Logik ist ihm daher nicht zu trauen. Was hätte Mahatma Gandhi dazu gesagt?). Generell sei gesagt, dass die indische Männer-Haartracht 1998 offensichtlich immer noch (oder erst jetzt) Vokuhila war – Mullets, Mullets, Mullets wohin das Auge blickt…

HITLER ist auf einer dieser wunderbaren 3-Filme-für-49-Rupien-Ultra-Cheapo-DVDs von „Eagle“ erhältlich (umgerechnet also etwas mehr als 1 Euro). Dafür bekommt man natürlich wieder nur einen Pappumschlag und knapp 7,5 Stunden Film auf eine DVD-5 gepresst, man kann sich also vorstellen, wie das aussieht. 2.35:1-Widescreen in non-anamorphem Letterbox, aber größtenteils noch relativ watchable, lediglich in den großformtigeren Actionszenen des Showdowns geht der Kompression dann doch amtlich die Luft aus und es darf das gute alte Klötzchenspiel gespielt werden… Der Film teilt sich die Scheibe mit den Chakraborty-Kloppern COMMANDO (leider kein Remake des Arnie-Klassikers) und GUNDA (die generelle Qualität der DVD ist SO toll, dass mein PC-DVD-Laufwerk die Scheibe als „leere DVD“ identifiziert. Soviel zu selbst erstellten Screenshots…)

HITLER war also am Ende doch nicht der von mir vielleicht erhoffte Ultra-Trash-Hammer – dafür ist der Streifen dann doch ein relativ konventioneller indischer Multi-Genre-Streich; das smorgasbord aus Krimi, Actionfilm, Liebesromanze, Komödie und Gerichtsdrama mag nicht jedermanns Sache sein, speziell nicht in einer Fassung ohne wenigstens englische Untertitel, aber die Actionszenen reißen’s allemal raus, die bringen viel Spaß für den Fan grandios gelarsulrichter (wir wissen: „larsulrichen“ – eine Tätigkeit mit großem Selbstbewusstsein, aber in sehr minderer Qualität ausüben) Fights und Shoot-outs. Insofern: für den fortgeschrittenen Hindi-Trashologen eine vorsichtige Empfehlung.

© 2019 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 7

BIER-Skala: 6


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