Herrscher einer versunkenen Welt

 
  • Deutscher Titel: Herrscher einer versunkenen Welt
  • Original-Titel: La isla misteriosa
  •  
  • Regie: Juan Antonio Badem, Henri Colpi
  • Land: Spanien/Frankreich/Italien/Kamerun
  • Jahr: 1973
  • Darsteller:

    Omar Sharif (Kapitän Nemo), Ambrose Bia (Neb), Jess Hahn (Bonaventure Pencroft), Philippe Nicaud (Gideon Spilett), Gérard Tichy (Cyrus Smith), Gabriele Tinti (Ayrton), Rafael Bardem jr. (Herbert Brown), Mariano Vidal Molina (Bob Harvey), Rik Battaglia (Finch)


Vorwort

Während des amerikanischen Bürgerkriegs gelingt einer Handvoll Gefangener (Wissenschaftler Smith und sein schwarzer Butler Neb, die für Nordstaaten-Spione gehalten werden, der Walfänger Pencroft und sein Mündel Herbert Brown, Sohn seines verblichenen Captains, und der regierungskritische Südstaaten-Journalist Spilett) die Flucht aus der Südstaaten-Hauptstadt Richmond – per geklautem Ballon. Leider geraten die Flüchtigen in einen Sturm und bruchlanden nach einigen Tagen auf einer geheimnisvollen Insel. Dank Smiths wissenschaftlicher Kenntnisse können die Schiffbrüchigen sich einigermaßen einrichten, doch wird schnell klar, dass sie auf der Insel nicht allein sind. Eine unbekannte Macht scheint unseren Helden zwar nicht feindlich gesonnen zu sein, verhindert aber durch lähmende Lichtstrahlen Exkursionen ins Innere der Vulkaninsel. Eine Flaschenpost führt die Gestrandeten mit einem selbstgebauten Boot auf die Nachbarinsel, wo sie einen verwilderten Schiffbrüchigen aufsammeln, der sich später als der Möchtegern-Pirat Ayrton outet, der nach einem missglückten Kaperversuch von britischen Seefahrern ausgesetzt wurde. Es gelingt Smith und den seinen, einen unbekannten Mann, offensichtlich einen Angehörigen der mysteriösen Inselbewohner gefangenzunehmen, doch bevor aus dem etwas herauszubekommen ist, geht er stiften. Erst als eine Bande Piraten die Insel entdeckt und die Gestrandeten angreift, gibt sich der Fremde als Kapitän Nemo zu erkennen, der hier mit der Nautilus festsitzt…


Inhalt

Die Wege des Andreas Bethmann sind unergründlich. Uns aller Bertucci bringt mit seinen diversen Labels ja meist Exploitation-Schund mit mal mehr, mal weniger Unterhaltungswert auf den Markt. Als erstes Release seiner Zwischendurch-Company „Cult Cinema International“ ausgerechnet eine ausgesprochen jugendfreie Jules-Verne-Adaption herauszubringen, zählt wohl eher zu den unerwarteten Resultaten Bethmannscher Veröffentlichungspolitik. Böswillig könnte man das damit erklären, dass Schmutzfink Bertucci jede freie Lizenz an sich reißt, wenn nur Gabriele Tinti (Trash-Exploitation-Ikone des 70er Italo-Schmodderantenkinos und zeitweiliger Gemser-Ehemann) mitspielt und erst auf den zweiten Blick bemerkte, was er da eingekauft hatte. Naja, der Schaden des Publikums soll’s nicht sein und in der Tat handelt es sich bei „Herrscher einer versunkenen Welt“ um eine nicht so oft gezeigte und dabei durchaus interessante Verne-Adaption.

Wobei natürlich CCIs Claim, es handele sich bei diesem Film um den „Director’s Cut“ Nonsens ist – „Herrscher einer versunkenen Welt“ ist kein originärer Kinofilm, sondern eine für die Leinwand-Zweitauswertung zusammengeschnittene Kurzfassung einer fünfstündigen TV-Mini-Serie – die hier vorliegende Fassung ist zwar wohl ein wenig länger als das, was in den 70ern hierzulande im Kino lief, aber wohl noch deutlich kürzer als die spanische Kinofassung, die mit rapportierten 120 Minuten die längste – der je nach Markt unterschiedlichen – Schnittfassungen darstellt.

In der Langfassung gilt „La Isla Misteriosa“ als eine der werktreuesten Adaptionen von Werken des französischen SF-Pioniers. Die Geschichte selbst basiert auf dem Roman „Die geheimnisvolle Insel“, die sich als Fortsetzung des Klassikers „20000 Meilen unter dem Meer“ versteht (und außerdem auf Ereignisse des Romans „Die Kinder des Kapitän Grant“ Bezug nimmt). Verne selbst verhedderte sich in der Continuity der Romane und siedelt die Story zeitlich *vor* den Geschehnissen aus „20000 Meilen“ und „Die Kinder des Kapitän Grant“ an, obwohl sie von der inneren Logik her mindestens 12 Jahre nach „Kapitän Grant“ und angeblich 16 Jahre nach „20000 Meilen“ spielt. Womit wieder einmal klar wäre, dass auch die ganz großen Geister vor doofen Fehlern nicht gefeit sind…

Für eine Verfilmung als Fernsehserie bot sich der Stoff schon allein deshalb an, weil auch Verne den Roman ursprünglich als Fortsetzungsgeschichte kreiiert hatte und das Storytelling daher von Haus aus episodisch angelegt ist – die Helden erleben eine Vielzahl von in sich mehr oder weniger abgeschlossenen Abenteuern, als übergreifender Spannungsbogen dient der Umstand, dass sie auf der Insel nicht alleine sind, jemand ihnen immer wieder aus der Patsche hilft, aber unerkannt im Hintergrund bleiben will und sich durch seine überlegene Technik abschottet. Die Verfilmung bleibt in der Tat ausgesprochen eng an der Vorlage – man erlaubt sich keine großen Freiheiten mit den Figuren und der Reihenfolge der Ereignisse, nur gegen Ende vernachlässigt die Adaption das fast „anti-klimaktische“ Ende (Nemo ruft nach drei Jahren die Schiffbrüchigen zu sich, warnt sie vor einem Vulkanausbruch und verstirbt dann ohne Fremdeinwirkung) zugunsten eines zünftigen Action-Showdowns mit dem überlebenden Piraten-Kapitän. Abgesehen davon ist die Umsetzung allerdings bis in die kleinsten Details (z.B. die hier gelüftete Origin-Story Nemos) authentisch bis ins Mark und verdient sich daher durchaus das hohe Ansehen, das sie im Kreis der Verne-Kenner und -Fans genießt.

Die episodische Struktur von Vorlage und TV-Adaption macht es allerdings begreiflicherweise recht schwierig, aus dem Material einen vernünftigen abendfüllenden Spielfilm zu schneiden. Obwohl die Geschichte an und für sich flüssig erzählt wird, sind die Entscheidungen, wann und wo Schnitte anzusetzen sind, manchmal nur schwer nachvollziehbar; der Schnitt wirkt insgesamt eher konfus, sorgt für einige „WTF??“-Momente, weil dem geneigten Zuschauer notwendige Verbidnung zwischen zwei Szenen versagt bleibt, und schafft so eine leider rumplig-haklige Erzählstruktur; dem Film fehlt trotz zahlreicher „Höhepunkte“ im Storysinne ein echter filmischer Rhythmus. Das Resultat ist eine Schnittfassung, die offensichtlich stärker daran ausgerichtet ist, alle „wichtigen“ bzw. von den Regisseuren als solche erachteten Szenen (also Tricks und Action) zu beinhalten denn diejenigen, die dramaturgisch sinnvoll wären.

Zuständig für die Verfilmung waren dabei keine großen Lichter – der Franzose Henri Colpi arbeitete hauptsächlich für’s Fernsehen (offensichtlich kam ihm seine Jules-Verne-Erfahrung mit Unterwasseraufnahmen aber später zupass, um einige Folgen von Jacques Cousteaus TV-Serie schneiden zu dürfen), seine größten Ruhmestaten verdiente er sich allerdings als Cutter – u.a. schnitt er Alan Resnais „Hiroshima mon Amour“ und „Letztes Jahr in Marienbad“, David Hamiltons Softsex-Klassiker „Bilitis“ und das „Geschichte-der-O“-Sequel „Fruits of Passion“ (mit Klaus Kinski). Sein spanischer Kollege Juan Antonio Bardem hat nichts von internationaler Bedeutung im Köcher, allerdings werden wohl einige seiner in den 50er Jahre entstandenen Sozialdramen wie „Muerte de un ciclista“ hochgeschätzt. Nun gut, ich kann nicht alles kennen.

Die Regieleistung der beiden Herren ist anhand der Kinofassung nur schwer einzuschätzen – fraglos ziehen die Regisseure großen Nutzen aus der faszinierenden und vielfältigen Landschaft der kanarischen Inseln, die von tropischen Regenwäldern, zerklüfteten Küsten bis hin zu karger vulkanischer Mondlanschaft alles bietet, was das Herz des Abenteuerfilmers begehrt und legen hohes Augenmerk auf fantasievolle Gestaltung der (leider aufgrund der Vorlage nur wenig ins Bild gerückten) technischen Gizmos Nemos – ob das die Taucheranzüge seiner Crew sind, die „Laserstrahler“ auf der Insel oder das Design und Interieur der Nautilus selbst, das ist aller Ehren wert und muss sich nicht hinter der viel bekannteren Hollywood-Verfilmung der „20000 Meilen“ mit Kirk Douglas verstecken. Trotz der Zerrissenheit durch den Kino-Schnitt schlägt der Streifen eine insgesamt flotte Gangart an – „Action“ gibt’s zwar nur in der Auftaktphase (die Flucht aus Richmond) und der Schlacht mit den Piraten, zwischendurch halten die verschiedenen kleinen Abenteuerepisoden das Tempo aber recht hoch. Verzichten können hätte man aber auf die Tagebuch-Narration durch Spilett, die meistens nur noch mal verbal wiedergibt, was wir eh schon sehen (zumal man sich fragen mag, WIE Spilett denn genau Tagebuch führt… dass er Schreibwerkzeug dabei hat, wird nie gezeigt. Vielleicht hat er auch nur ein gutes Gedächtnis). Auf der Minus-Seite verbucht der Film einige lächerliche visual effects für die Ballonreise – das sieht dann doch eher nach Augsburger Puppenkiste denn echter, aufwendiger Kino- bzw. TV-Arbeit aus.

Zu den Darstellern – Omar Sharif als Kapitän Nemo ist ein Glücksgriff, gerade aufgrund des hier auch aufgedröselten ethnischen Hintergrunds Nemos (Sharif ist zwar irgendwie „generally ethnic“ und wurde demzufolge als Araber, Inder oder Russe gecasted, je nach Bedarf); man nimmt ihm die Herkunft der Figur ab. Aufgrund seiner Spielleidenschaft und des daraus resultierenden steten monetären Bedarfs hätte Sharif zwar vermutlich auch herzlich gerne eine Parkuhr gespielt, doch in „Herrscher einer versunkenen Welt“ ist er einfach treffend besetzt und liefert, obwohl mit sehr wenig screentime gesegnet, eine gute Leistung ab. Eine „20000 Meilen“-Verfilmung mit Sharif als Nemo wäre sicher interessant gewesen.

Mit Sharif erschöpft sich allerdings der Cast schon in Sachen „internationaler Wiedererkennungswert“. Der Rest des Ensembles besteht aus routinierten, aber nicht wirklich bedeutsamen Mimen aus europäischen B- bis C-Klasse-Filmen. Der Amerikaner Jess Hahn verdingte sich seit 1953 in französischen, später italienischen Fetzern und staubte gelegentlich kleinere Rollen in größeren Filmen wie „Topkapi“ oder „What’s new, Pussycat?“ ab. Philippe Nicaud, gut beschäftigter französischer Akteur, spielte 1963 neben Louis de Funes in der wunderbaren, aber leider kaum mehr gezeigten Komödie „Quietsch-quietsch, wer bohrt denn da nach Öl?“ und 1987 in der Franz-Antel-Verfilmung des Lebens von Walzerkönig Johann Strauss in einer kleinen Rolle den Jacques Offenbach (in einem kuriosen Werk, in dem u.a. ansonsten noch Audrey Landers, John Phillip Law, Oliver Tobias und Zsa Zsa Gabor mitwirkten… aus Trash-Erwägungen sollte ich mich nach dem Ding mal umschauen). Gérard Tichy (in Deutschland geboren, mit französischem Namen, nichtsdestotrotz Spanier) kämpfte sich durch Sandalenfilme, Eurospy-Heuler, Italowestern, Jess-Franco-Werke („Marquis de Sade: Justine“), Erotikfilme („Der letzte Harem“), Paul-Naschy-Werwolf-Kram („The Werewolf and the Magic Sword“) bis hin zu Ultra-Trash aus der Werkstatt von Armando de Ossorio („Hydra“). Gabriele Tinti kennen die Exploitation-Fans natürlich aus zahlreichen D’Amato- und/oder „Black Emanuelle“-Filmen (und ich glaube, es ist nicht gesund, wenn man den selbst als ausgemergelt-verwilderten Schiffbrüchigen sofort erkennt). Alle, auch Ambroise Bia als Neb und Regisseurs-Sohn Rafael Bardem jr. als Herbert, erledigen einen zufriedenstellenden Job – keiner ragt heraus, keiner fällt ab. Die Piraten-Fraktion wird durch Mariano Vidal Molina („Potato Fritz“ – der mit Paul Breitner) und Rik Battaglia („Nobody ist der Größte“, „Mannaja“) vertreten.

Bildqualität: CCI legt den Film in anamorphem 1.77:1-Widescreen vor. Der Transfer ist hübsch – kaum Defekte oder Verschmutzungen, schöne, lebendige Farben und gute Schärfe- und Kontrastwerte. Da CCI-Scheiben ja mittlerweile in die Grabbeltisch-Klasse gerutscht sind, kann man sehr zufrieden sein.

Tonqualität: Es gibt nur deutschen Ton in Dolby Digital 2.0 – eine Originalsprachspur hat vermutlich, kennen wir doch den Herstellungsprozess von europäischen Co-Produktionen mit internationalem Cast, eh wohl nie existiert. Der Dialogton ist sehr gut verständlich, rauschfrei, Musik und Soundeffekte platzieren sich im Feld des guten Durchschnitts.

Extras: Es finden sich neben zwei Kino-Trailern der Super-8-Trailer, zwei Bildergalerien (eine mit Screenshots, die zweite mit publicity stills) und der Werberatschlag als selbstablaufende Galerie an.

Fazit: „Herrscher einer versunkenen Welt“ ist einer dieser Filme, die einen trotz aller offensichtlichen Schwächen (die in diesem Fall größtenteils daran liegen, dass man die TV-Serie ziemlich verhackstücken musste, um einen Kinofilm draus zu stricken) irgendwie verjüngen – man fühlt sich wieder wie Acht oder Zehn, als man einen Film wie diesen aus rein grundsätzlichen Erwägungen abgefeiert hätte wie nix Gutes (wenigstens, wenn man wie der Doc zu den älteren Semestern gehört und sich noch daran erinnern kann, Kram wie „König Salomon’s Schatz“ im Kino gesehen zu haben). In einer Zeit, in der die Jugend durch „Power Rangers“ und ähnlichen Dünnpfiff natürlich verdorben ist und einen altmodischen Abenteuerfilm nicht als Spaß erkennt, wenn er ihnen die PSP wegnehmen und auf der Nase rumtanzen würde, wirkt der Streifen freilich altbacken und unspektakulär (gibt ja noch nicht mal coole Monster). Wer allerdings noch in der Lage ist, sein inneres Kind auszugraben, kann auch an einem harmlosen Abenteuer-Romp wie diesem (der zudem, wie gesagt, mit das werkgetreueste sein dürfte, was je nach Jules Vernes Feder verfilmt wurde) seine Freude haben. Die TV-Serie wäre wohl die noch bessere Alternative, aber man muss halt nehmen, was man kriegt – und das ist Abenteuer-Spaß aus der guten alten Zeit.

3/5
(c) 2008 Dr. Acula


mm
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