Hell

 
  • Original-Titel: Hell
  •  
  • Regie: Tim Fehlbaum
  • Land: Deutschland/Schweiz
  • Jahr: 2011
  • Darsteller:

    Hannah Herzsprung (Marie), Lars Eidinger (Phillip), Stipe Erceg (Tom), Lisa Vicari (Leonie), Angela Winkler, Yoann Blanc, Marco Calamandrei, Christoph Gaugler


Vorwort

Al Gore hatte doch Recht – Global Warning existiert. Im Jahr 2016 ist die Temperatur so stark angestiegen, dass aus Deutschland eine praktisch unbewohnbare Gluthölle geworden ist. Wer ungeschützt in die Sonne tritt, kann nach zwei Stunden seiner Epidermis adieu sagen, da hilft auch keine Sonnenmilch mit Lichtschutzfaktor 5000. Marie, ihre kleine Schwester Leonie und Phillip, Besitzer eines funktionierenden Automobils und daher populär, haben daher eine Zweckgemeinschaft gegründet. Sie wollen in die Alpen kacheln, in der vagen Hoffnung, dass im Hochgebirge erträglichere Lebensumstände vorherrschen.
Bei einem Tankstopp gabelt das Trio Tom auf – was zunächst nach dem Austausch gröberer Gewalttätigkeiten aussieht, entwickelt sich rasch zur Erweiterung der Reisegruppe, Toms mechanische Fähigkeiten kann Phillip, dem die eher praktischen Aspekte des Überlebens in der Hitzehölle nicht so liegen, gut gebrauchen.

Doch schon wenig später stehen unsere Helden vor einem Problem – ein Strommast o.ä. quer über der Straße und im Abgrund daneben ein Autowrack, ergo potentiell plünderbare Ressourcen. Das set-up erweist sich jedoch als Falle – während Marie, Phillip und Tom am Wrack herumwerkeln, wird Leonie überfallen und entführt. Dieweil Phillip durchaus dafür wäre, die Angelegenheit mit einem bedauernden Schulterzucken abzuhaken und weiterzuzockeln, schlägt sich Tatmensch Tom auf Maries Seite. Das Camp der Angreifer, die mehrere Gefangene mit sich führen, ist schnell gefunden, doch Toms verwegener Befreiungsplan scheitert an Phillips genereller Unentschlossenheit. Resultat: Nu ist auch Tom in den Händen des unbekannten Feindes. Marie gibt nicht auf; der verletzte Phillip entdeckt spät seine Heldengene und begleitet sie, muss aber aufgrund seiner Verwundungen passen. Marie schleppt sich alleine weiter und in eine Kirche, wo sie auf eine Bäuerin trifft, die ihr Hilfe anbietet und sie auf ihren Hof bringt. Der allerdings birgt ein sinistres Geheimnis…


Inhalt

Wir hatten’s ja grad erst mit dem erfreulichen Thema deutscher Genrefilm. „Hell“ wirbt damit, dass niemand geringeres als Kaputtmachguru Roland Emmerich seinen Namen als „executive producer“ dafür hergegeben hat; er stand Tim Fehlbaum aber auch mit Rat und Tat zur Seite – man kann ausgiebig darüber streiten, ob man als ambitionierter junger Genre-Filme unbedingt mit dem Radaubruder, der „wir machen irgendwas kaputt und packen dazu noch ein bissl Spielberg-Familiengedöns“ zum Mantra erhoben hat, in Verbindung gebracht werden soll, es ist aber nicht wegzudiskutieren, dass ein Name wie Emmerich Türen öffnet – sowohl bei Geldgebern und potentiellen Distributoren als auch bei Mainstream-Kinopublikum (und in der Tat vertreibt mit Paramount Pictures ein Major-Studio „Hell“).

Zunächst mal ist ein wahrscheinliches Titel-Missverständnis aufzuklären. „Hell“ spricht sich entgegen der Vermutung von 98,5 % des FFF-Publikums inkl. moi nicht englisch aus, sondern meint schlicht und ergreifend „hell“ im Sinne von „nicht dunkel“ (die Doppeldeutigkeit nimmt Fehlbaum aber sicher gerne mit). Und damit ist auch schon mal eins gesagt – „Hell“ ist tatsächlich ein „heller“ Film und damit schon mal rein optisch ein reizvoller Kontrast zum gängigen düster-finsteren-schwarz-wie-die-Nacht-Horrorkintopp (auch wenn Fehlbaum im Q&A scherzhaft erwähnte, sein Arbeitstitel für ein eventuelle Sequel wäre „Dunkel“. Man unterrichte Henrik Röhrs).

Schon vor ein paar Jahren räsonnierten der Wortvogel und ich, seinerzeit bei der Ansicht von Virus Undead über die Möglichkeiten, die ein Großer Apokalyptischer Actionfilm made in Germany böte; Fehlbaum immerhin erfüllt mit seinem Debütfilm die Optionen „groß“ (weil Major-Backing), deutsch und apokalyptisch – „Action“ ist jetzt nicht unbedingt sein Ziel (wenn man Fehlkamp einen kleinen konzeptionellen Vorwurf machen kann, dann den, dass „Hell“ sich nicht ganz klar ist, welches Genre er primär bedienen möchte – er hat SF-, Horror- und „gewöhnliche“ Thriller-Aspekte und versucht bewusst, keines der Elemente gänzlich in den Mittelpunkt zu schieben, um, so die durchaus erklärte Absicht, mainstreamkompatibel zu bleiben, d.h. Zuschauer anzulocken, die im Normalfall eben keine Genrefilme kucken). Die Welt, die er aufbaut, ist faszinierend (auch wenn Global-Warming-Skeptiker vermutlich Magengeschwüre davontragen) – ich hätte vielleicht die Story vielleicht noch ein paar Jahre weiter in die Zukunft geschoben (knappe fünf Jahre sind mir ein wenig knapp für den totalen Zusammenbruch), aber das ist schon Beckmesserei.

Was mir gefällt, ist die Konsequenz, mit der Fehlbaum sein Konzept auch optisch umsetzt – es mag gewöhnungsbedürftig sein, aber die teilweise extreme Überbelichtung der Außenaufnahmen macht die Gluthölle des „Hell“-Universums förmlich spürbar ; es ist ein fraglos brachiales künstlerisches Mittel, aber wer behauptet, dass man mit einem Vorschlaghammer keine Kunst schaffen könne, sollte mal kurz in sich gehen… – manchmal ist „mehr“ tatsächlich „mehr“ und Fehlbaum gelingt’s mit seiner starken Betonung des „Hell = Hitze“-Konzepts tatsächlich ein wesentlich „greifbareres“ apokalyptisches Flair zu schaffen als mit ’nem achtlos drübergeklatschten leichten Sepia-Filter; es macht deutlich, dass wir’s hier nicht mit einer „handelsüblichen“ menschengemachten Apokalypse zu tun haben, sondern die Natur schlechthin (wenn auch mit gütiger Mithilfe unsererseits) den Lebenshahn zugedreht hat.

Ein weiteres Plus sind die Charakterzeichnungen, die erstaunlich klischeefrei ausfallen. Fehlbaum vermeidet trotz der Dreiecks- (eigentlich Vierecks-)Beziehung die Falle, die übliche Liebesbeziehung einzuführen. Ja, Tom und Philip sind Konkurrenten um die Alphamännchen-Position, aber sie sind auch ausgesprochen pragmatisch (es ist Philip, der erst auf die Idee kommt, Tom mitzunehmen), und Maries Verhalten ist ebenfalls geprägt von Zweckmäßigkeit (sie hat keinerlei emotionales Interesse an Philip und ist demzufolge auch ohne weiteres bereit, ihm Tom vorzuziehen, als sich herausstellt, dass der „Neue“ als Tatmensch ein wesentlich „praktischerer“ Gefährte ist), ein echtes persönliches Interesse hat sie einzig und allein an Leonie. Das macht das Charaktergeflecht vielleicht ein wenig unzugänglicher, aber, hüstel, „realistischer“. Dazu passt auch, dass die Dialoge vergleichsweise lakonisch gehalten werden: es ist eine Welt, in der quasi „alles gesagt“ ist und man sich in der Kommunikation auf’s Wesentlich beschränken kann und muss.

Natürlich gibt’s auch Dinge, die mir nicht so gefallen – da ist zum einen die etwas schwerhändige Symbolik (die entscheidende Stelle, an der Marie sich *allein* aufmachen muss, um Leonie zu finden, und den verletzten Philip zurücklässt, entfaltet sich, man möchte fast sagen „natürlich“, bei Durchquerung eines Tunnels – es ist ’ne griffige Metapher, aber es ist auch eine recht abgegriffene und offensichtliche), zum anderen, dass Fehlbaum für die Antagonistenposition dann doch wieder nichts anderes einfällt als eine Gruppierung, die sich nur graduell von Backwoods-Hillbillies unterscheidet (EXTREMSPOILER: die Gruppe, die den Hof betreibt, ist auch für das Kidnapping zuständig – Frauen werden als potentielle Paarungskandidaten für die virilen Söhne des Hofs gebraucht und Kerle als Fleisch). Das ist zwar in sich durchaus schlüssig und erscheint auch im Kontext des hiesigen Universums nicht völlig abwegig, es ist dann aber dann halt doch wieder eine Geschichte, die wir schon oft gesehen haben, nur von einem anderen, sicher sehr viel interessanteren Backdrop; anstatt einer Survival-Story, in die man einiges an Ambivalenz packen könnte, bekommen wir dann die altbewährte, schwarz-weiß-gemalte Gut-gegen-Böse-Nummer, die zwar immer noch funktioniert, zumal Fehlbaum sie auch wirklich auf eine unspektakuläre Weise clever inszeniert, ich hatte aber – womöglich wider besseren Wissens – auf etwas, naja, „neueres“ gehofft. Was ich ihm allerdings hoch anrechne – Fehlbaum schielt zwar sicherlich auch auf internationale Vermarktungschancen, aber er verpasst dem Film nicht krampfhaft einen „inneren“ internationalen Anspruch, es ist tatsächlich ein Film mit „deutscher“ Identität (da passt auch der Einsatz von „99 Luftballons“, einem der wenigen definitiv als „deutsch“ zu identifizierendem internatiolen Hit als eine Art stimmungssetzendes „leitmotif“).

Sei’s drum – es ist Fehlbaums erster Langfilm, da darf man keine Wunderdinge erwarten, und, da bin ich wirklich mal geneigt zu sagen „für einen deutschen Film“ macht „Hell“ aus den sicherlich beschränkten finanziellen Möglichkeiten einiges – die Ausstattung ist detailliert, die Locations sind großartig, die Kameraarbeit (Markus Förderer zum ersten Mal in verantwortlicher Position bei einem abendfüllenden Film) beeindruckt streckenweise. Im Mittelpart (der ein wenig unter der „wir-laufen-durch-den-Wald“-Krankheit leidet, aber in minderschwerem Stadium) könnte für meine Begriffe etwas mehr Tempo, ersatzweise eine leichte Straffung vertragen (die man hätte nutzen können, um die Machtstrukturen auf dem Hof im dritten Akt ein wenig stärker zu beleuchten), im direkten Vergleich zur „Urban Explorer“-Konkurrenz, bei der ich dem Abspann förmlich entgegenfieberte, macht „Hell“ eine mehr als nur gute Figur.

„Hell“ kommt ohne große Spezialeffekte aus, Fehlbaum geht’s nicht um Gewaltdarstellungen, sondern um die apokalyptische Stimmung per se.

Was Fehlbaum seinen deutschen Genrekollegen voraus hat, ist ein exquisiter Cast. Hannah Herzsprung („Der Baader Meinhof Komplex“, „Der Vorleser“) gibt die spröde, auf ihre Schutzrolle für Leonie fixierte Marie ausgezeichnet; Stipe Erceg („Der Baader Meinhof Komplex“, „Die fetten Jahre sind vorbei“) ist einer der wenigen deutschen (bzw. deutschsprachigen, ist ja gebürtiger Kroate) Schauspieler, denen man tatsächlich den Sprung zum „Actionhelden“ zutrauen könnte und daher als der tatkräftige, entschlussfreudige Tom ideal besetzt.
Lars Eidinger („Code Blue“, „Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden“) weiß als sein „weiches“ Gegenstück ebenfalls zu überzeugen und Lisa Vicari („Hanni & Nanni“) gefällt als Leonie ebenfalls (zumal sie sehr gut mit Herzsprung harmoniert).
Ein echter Casting-Coup ist allerdings die Verpflichtung der renommierten Autorenfilm-Actrice und nicht minder renommierten Brecht-Darstellerin Angela Winkler („Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, „Die Blechtrommel“, „Messer im Kopf“, „Bennys Video“) für die Antagonistenposition, die sich zum ersten Mal in ihrer Karriere in die „Niederungen“ des Kommerzfilms begab (Fehlbaum hatte dann beim Q&A auch einige amüsante Anekdoten zu erzählen). Ohne großes overacting, mit einer eher minimalistisch-effektiven Vorstellung jagt sie dem Zuschauer kalte Schauer über den Rücken.

Fazit: Dass „Hell“ den Publikumspreis der Nürnberger FFF-Ausgabe gewann, ist sicherlich leicht übertrieben, da spielt wohl auch rein, dass man einen deutschen Film auch mal etwas besser finden will als er ist (und auch, dass Fehlbaum seinen Streifen persönlich vorstellte. Wir Nürnberger werden ja mit Festivalgästen nicht gerade überversorgt). Eine positive Überraschung ist „Hell“ aber zweifellos – ein originelles Konzept, optisch prägnant umgesetzt, tolle Schauspieler und ein Script, das nicht alle, aber zumindest einige Genre-Klischees gekonnt umschifft ergeben zusammengerechnet den besten deutschen Genrefilm seit, seit, na, mindestens seit „Anatomie“. Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung für den „großen“ deutschen phantastischen Film – wenn „Hell“, was ich als Berufspessimist nicht glaube, an den Kinokassen abräumt und ein Sequel sich lohnenswert erscheint, würde es mich freuen, wenn Fehlbaum seine apokalyptische Vision etwas breiter erzählen dürfte. Gute drei von fünf Punkten und die Bitte: geht ins Kino, unterstüzt gut gemachte deutsche Genrefilme.

3/5

(c) 2011 Dr. Acula


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