Haus der 1000 Leichen

 
  • Deutscher Titel: Haus der 1000 Leichen
  • Original-Titel: House of 1,000 Corpses
  •  
  • Regie: Rob Zombie
  • Land: USA
  • Jahr: 2000
  • Darsteller:

    Sid Haig (Captain Spaulding), Bill Moseley (Otis Driftwood), Karen Black (Mother Firefly), Sheri Moon (Baby Firefly), Chris Hardwick (Jerry Goldsmith), Erin Daniels (Denise Willis), Jennifer Jostyn (Bill Hudley), Tom Towles (Lt. Wydell), Matthew McGrory (Tiny Firefly), Robert Allen Mukes (Rufus R.J. Firefly jr.), Dennis Fimple (Grandpa Firefly)


Vorwort

Kino muß wieder zum Erlebnis werden, sagte der Doc, und machte sich auf zu einer Feldexkursion in die unerforschten Gegenden der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam (was tut man nicht alles, wenn der ausgekuckte Film in Berlin schon nicht mehr läuft, bis man mal kurz gezwinkert hat). Nach der gut einstündigen Anreise per S-Bahn lernten wir (Forums-Regular razor war mit von der Partie) die Freundlichkeit und Service-Orientierung der UCI-Mitarbeiter kennen (die schüchterne Frage, ob man eine Viertelstunde vor Vorstellungsbeginn vielleicht schon in den Saal könnte, wurde mit einem gekeiften „da ist noch die Reinigungskraft drin, oder wollen sie vielleicht auf Popcorn sitzen“ beantwortet – der Doc als Menschenkenner schob sicherheitshalber zur Fragestellung gleich razor vor… das fünf Minuten später beim Kartenabriß hingezischte „Vielspass“ kam sicher auch aus tiefstem Herzen der Mitarbeiterin) und dann schaffte es der Vorführer-Azubi/Reinigungs-Kassen-Popcornverkäufer-Vorführer/nächstbeste Penner vom gleich um die Ecke liegenden Bahnhof es auch, gut sechs Minuten (oder anders ausgedrückt die komplette Prolog-Sequenz des Films) zu brauchen, bis er den Ton so hingepfriemelt hatte, dass er sich nicht nach zwölfte-Generation-Ferro-Musikcassetten-Kopie anhörte (jaja, das ist Multiplex-Standard, da freut man sich immer wieder). Okay, auch das ging vorbei, und damit also zum Film (das Abenteuer der Rückreise schildere ich später…)

30. Oktober 1977 (ergo: kurz vor Halloween) – vier amerikanische Teenager sind irgendwo in der Pampa unterwegs und begehen den strategischen Fehler, die mageren Benzinvorräte an der Tanke von Captain Spaulding aufzufüllen. Der stets im Clowns-Make-up herumlaufende Bizarro-Captain unterhält nicht nur eine Zapfsäulenanlage, sondern auch ein Obskuritätenmuseum und einen „Murder Ride“, eine Art (muskelkraftbetriebener!) Geisterbahn, die durch ein paar nachgestellte Serienkiller-Szenen (Ed Gein & Co.) führt. Besonders die örtliche Legende von „Dr. Satan“ hat’s Jerry und Bill, den männlichen Teenager-Vertretern, angetan und auf besonderen Wunsch malt der Captain widerstrebend eine Karte, die zu dem Baum führen soll, an dem der experimentierfreudige Mad Surgeon aufgeknüpft wurde. Eine mitgenommene Anhalterin und eine nicht ganz zufällige Reifenpanne (natürlich mitten in der Pampa, bei Nacht und Regen) später – und selbstverständlich in Unkenntnis der Tatsache, dass justament in dieser Gegend fünf Cheerleader spurlos verschwunden sind – finden sich unsere vier Freunde auch schon der Gastfreundschaft der ganz leicht verschrobenen Familie Firefly und derer ganz persönlicher Art der Halloween-Feier ausgesetzt. Und die Fireflys sind nicht geneigt, ihre unfreiwilligen Gäste wieder ziehen zu lassen. Besonders Otis ist ein kreatives Kerlchen, wenn’s darum geht, fröhlich zu foltern, äh, „arbeiten“…


Inhalt

Extremmucker Rob Zombies Langfilmregiedebüt (nachdem er schon einige seiner eigenen Musikvideos bzw. der Vorgängerband White Zombie inszeniert hatte) wurde, insbesondere nach Zombies oft und gern getätigter Ankündigung, mindestens den härtesten Film aller Zeiten auf die Beine stellen zu wollen, von Horror-Fans weltweit mit Spannung erwartet. Die sieben Millionen US-Dollar schwere Produktion saß aber nach Fertigsstellung erst mal drei Jahre in der Warteschleife, weil Zombies Gewaltexzesse – nicht ganz überraschenderweise – auf wenig Gegenliebe bei der allmächtigen MPAA und dem produzierenden Studio stießen. Erst nach Kürzung um satte siebzehn Minuten für ein R-Rating und dem Einstieg des halbwegs mutigen Independent-Vertrieb Lion’s Gate gelangte der Streifen tatsächlich in die Kinos und wurde (mit einem Einspielergebnis von etwas über 12 Mio. Dollar) vom Großteil der kinogehenden Audience mit sträflicher Nichtachtung belegt (ich schätze, das liegt auch daran, dass ganz besonders die Horror-Crowd eine ausgesprochene „da-wart-ich-auf-die-DVD“-Mentalität entwickelt hat; und Mainstream-Appeal hat House of 1000 Corpses nicht wirklich.

Überraschenderweise erlebt der Streifen tatsächlich eine deutsche Kinoauswertung. Ist der Streifen nun das ganze Aufhebens, das man vor seiner Veröffentlichung während der langen langen Wartezeit auf den Release um ihn machte, nun wert? Ein klares und entschiedenes Jein ist mal wieder die passende Antwort. Zombies Streifen riecht nach Ambition, aber stellenweise auch nach Einfallslosigkeit. Das Script, mit dem wir uns traditionsgemäß zuerst befassen wollen, ist nämlich nicht wirklich der Rede wert – durchgeknallte Backwood-Familien mit Hang zur Amateur-Chirurgie sind nun nicht gerade die allerneueste Erfindung und obwohl die einzelnen Charaktere der mordenden Sippschaft durchaus lustig sind, fällt Rob Zombie über weite Strecken nicht viel mehr ein als eine zwar amüsante, aber wenig weltbewegende Nummernrevue – manche Passagen werden durch augenzwinkernden und selbstironischen Humor aufgelockert, aber nach dem hier selbstverständlich nicht verratenen „turning point“ der Story verkommt der Film doch zu einem relativ reinrassigen und wenig substantiellen Effekt-Showcase im plakativen und wirklich keinen gesteigerten Sinn ergebenden Finale (gut, es gibt jede Menge „cool images“, aber keinen wirklichen narrative mehr in den letzten gut 20 Minuten). Zombie versucht zwar, mit einigen Genreklischees zu spielen, aber für einen eher parodistischen Ansatz, der dem Streifen nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätte, hat das zu wenig Tiefgang. Nichtsdestotrotz weist der Streifen einige gefällige, witzige Dialoge auf.

Jaja, hör ich Euch schon wieder lästern, scheiß‘ auf die Story… ich komm‘ gleich dazu. Rob Zombie, der Regisseur, nutzt so ziemlich jedes Stilmittel, dass die moderne Filmemacher-Trickkiste hergibt – digitale Verfremdungen, Farbfilter, Wechsel des Filmmaterials, Einbau von dokumentarisch wirkenden Clips und zusammenhangloser Zwischenspielchen, was fast den Eindruck erweckt, House of 1000 Corpses wäre ein Film von Oliver Stone zu seiner Natural Born Killers-Phase – bis auf Zeichentrick bedient sich Zombie wirklich jedes von Stone entdeckten Mittels. Natürlich nicht mit der Virtousität des Polit- und Provokateur-Filmers, aber man kann das Bestreben Zombies anerkennen, nicht einfach nur einen billigen Metzler auf die Beine zu stellen, sondern auch die technischen Möglichkeiten auszureizen. Im Vergleich zu Stone bei NBK fehlt es ihm natürlich an einer Aussage, an einem Punkt, den er damit rüberbringen will, aber es hält den Streifen „interesting to look at“ (wobei die ein oder andere Möglichkeit auch mal verschenkt wird). Gelegentlich überkommt Zombie ein fast schon Taratino’esques Gespür für den Einsatz gnadenlos passend-unpassender Musikeinspiele (zwar bestreitet Zombie den Soundtrack auch nahezu im Alleingang, aber für funky disco von den Commodores ist immer noch Platz). Kameraführung und Schnitt sind ausgezeichnet und die Sets, vor allem im Finale, angemessen alptraumhaft.

Jaja, ich weiß, das interessiert Euch auch alles nicht die Bohne, Ihr wollt wissen, ob die Suppe fließt… Tja, und da muß ich Euch zu einem gewissen Grad enttäuschen. Aufgrund des aufoktroyierten R-Ratings bleibt der Streifen die vom Buschfunk über Jahre kolportierte Härte vielfach schuldig – ja, es gibt genügend blut- und gorehaltige Szenen, die den Splatterfreund bei Laune halten, aber der FSK-16-freigegebene Wrong Turn liegt fast auf ähnlichem Gewaltniveau (zumal House of 1000 Corpses auch hier oft und gern schnelle Schnitte einsetzt). Trotzdem streift die Kamera manchmal schwelgerisch über verstümmelte (und gern auch spärlich bis unbekleidete Frauen-) Leichen. Man mag sich trotzdem fragen, was einem an Effekt-Orgien entgangen ist. Die bizarre Freakshow im Finale zeigt ebenfalls das Können der Special-Make-up-FX- und Prosthetics-Künstler. Dem FX-Freund wird also durchaus was geboten, wenngleich der reinen Splatter-Crowd vielleicht das Tempo des Films ein wenig zu zurückgenommen vorkommen wird.

Durchaus Spaß machen die schauspielerischen Leistungen. Sid Haig (Spider Baby, The Big Doll House, The Big Bird Cage) ist bekanntlich eh einer meiner absoluten Exploitation-Kino-Lieblinge und ihn in einer aktuellen Produktion sehen zu dürfen, ist schon wieder irgendwo ein Privileg. Sein Captain Spaulding ist eines der darstellerischen Highlights – mir wäre eine noch größere Rolle für Haig lieber gewesen (vielleicht erhört Rob Zombie mich und baut die Rolle im Sequel The Devil’s Rejects aus). Ebenfalls mit Gusto agiert Karen Black, die sich im gesetzten Alter wohl endgültig mit ihrem festgezurrten Image als Horror-Ikone arrangiert hat. Bill Moseley (mit reichlich Horror-Erfahrung aus Mamba, Army of Darkness, TCM 2 und The Convent kann als Otis ebenfalls – auch dank der recht spritzigen Dialoge – überzeugen und des Zombies mittlerweile Angetraute Sheri Moon ist nicht nur absolut easy on the eye, sondern auch mit Spaß und Einsatz bei der Sache. Wie bei Horrorfilmen üblich, ist die Opferfraktion, bestehend aus Chris Hardwick, Erin Daniels, Jennifer Jostyn und Rainn Wilson nicht halb so charismatisch und talentiert wie die der Bösewichter, wobei Chris Hardwick sich noch am gefälligsten aus der Affäre zieht und einige Lacher verbuchen kann.

House of 1000 Corpses ist – bei aller Liebe und Sympathie, denn dass Zombie sein Herzblut an diesen Film vergossen hat, schimmert trotz der heftigen Kürzungen durch – eines nicht: ein Horror-Klassiker, an den man sich in zwanzig, dreißig Jahren noch erinnern wird. Es ist aber, besonders für Horror-Geeks, die mehr als nur eine selbstzweckhafte Blutorgie erwarten, ein recht kurzweiliges Vergnügen mit einigen guten Gags, überzeugender Effektarbeit und gut aufgelegten Darstellern, die entweder ein tiefschürfenderes, weniger klischeeorientiertes Script oder aber den Willen zur full-fledged-Parodie verdient hätten. Und um den Bogen zur oben angedeuteten Bemerkung zu schließen: ’ne Stunde Fahrtzeit ins Kino ist vielleicht ein wneig übertrieben – wartet auf die DVD 🙂

Tja, womit wir (nach dem Verweis darauf, dass das Potsdamer Kinopublikum es erstaunlicherweise mühelos schafft, noch prolliger zu sein als das Berliner) zum Abenteuer „Rückkehr nach Berlin“ kommen wollen. Nachdem man sich auf dem um Mitternacht enorm unterhaltsamen Potsdamer Hauptbahnhof eine halbe Stunde die Beine in den Bauch steht, um auf die S-Bahn (und die LETZTE) nach Berlin zu warten und feststellt, dass diese auch ganz bestimmt nicht dahin fährt, wo man hin will, lotet man die Alternativen aus – U-Bahn fährt in einer Metropole wie Berlin um halb zwei keine mehr, S-Bahn ooch nicht. Also hoffen, dass der baustellenbedingt eingerichtete Schienenersatzverkehr vom S-Bahnhof Charlottenburg zum Zoo tatsächlich noch verkehrt, damit man von dort einen Nachtbus chartern oder zu Fuß (machbar) nach Hause latschen kann. Tatsächlich stand am S-Bahnhof auch ein beleuchteter und mit „S 7 – SCHIENENERSATZVERKEHR“ ausgeschilderter Bus rum. Der Fahrer pennt den Schlaf der Ungerechten. Weder auf zartes Anklopfen an die Scheibe noch auf HEFTIGES Anklopfen an die Scheibe noch lautstarken Zuruf reagiert der schnarchende Driver – vermutlich steht der heute noch an der ecke. Nach kurzem Brainstorming und in Anbetracht der Kälte und des einsetzenden Nieselregelns (add insult to injury, man kennt das ja) entschied ich mich, anstelle eines halbstündigen Fußmarsches doch lieber ein Taxi ranzuwinken und mich für 6 Euro (man hat’s ja) in die Heimat kutschieren zu lassen. Ich sag doch: Kino muß wieder ein Erlebnis werden…

4/5
(c) 2001 Dr. Acula


mm
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