Hard Boiled Sweets

 
  • Deutscher Titel: Hard Boiled Sweets
  • Original-Titel: Hard Boiled Sweets
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  • Regie: David L.G. Hughes
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 2012
  • Darsteller:

    Peter Wight (Jimmy the Gent), Paul Freeman (Shrewd Eddie), Scot Williams (Johnny), Ty Glaser (Porsche), Adrian Bower (Gerry), Philip Barantini (Dean), Laura Greenwood (Delta), René Zagger (Fred), Elizabeth Berrington (Jackie), LIz May Brice (Jenna), Ian Hart (Joyce), Nathaniel Martello-White (Jermaine), Danny Sapani (Leroy)


Vorwort

Verspürt Ihr auch manchmal das dringende Verlangen, zu Guy Ritchies Haus zu fahren, den Mann rauszuklingeln und ihm dann ein stabiles Brett über die Rübe zu dengeln?
Nein, ich verleugne seine Verdienste nicht – mit BUBE, DAME, KÖNIG, grAS oder SNATCH erfand er den britischen Gangsterfilm neu und brachte generell das britische Kino wieder in eine Position, das ihm sowohl kommerziellen als auch kritikerseitigen Erfolg bescherte. Vielleicht kann man sogar so weit gehen und zumindest mal theoretisieren, dass ohne Ritchies Vorarbeit auch Edgar Wright und Simon Pegg sich schwer getan hätten, Filme wie SHAUN OF THE DEAD oder HOT FUZZ realisieren zu können… Aber man muss halt auch die Schattenseiten betrachten. Die Formel, die Ritchie entwickelte und die sich grundlegend auf „kriminelle Arschlöcher bescheißen sich so lange gegenseitig, bis alle tot sind“ reduzieren lässt, rief leider ganze Heerscharen meist minderbegabter Epigonen auf den Plan und selbst Ritchie musste mit Bauchklatschern wie ROCKNROLLA und vor allem REVOLVER feststellen, dass man halt doch nur so oft zum Brunnen gehen kann, bis er ausgetrocknet ist. Ja, hin und wieder kam ein bemerkenswerter Film bei  ´rum, vor allem, wenn Filmemacher dann doch mal wagten, sich von dieser Formel wegzubewegen und im underbelly des kriminellen Bodensatzes des UK andere Geschichten zu erzählen, aber oft war’s dann doch einfach nur „more oft he same“ und auch wenn das gerne mal soliden Unterhaltungswert aufweist, wenn sich britische Gangster gegenseitig die Lebenslichter ausblasen und sich dabei in komplett unverständlichen cockney-Dialekten anblaffen, merkt man doch, dass sich das ganze Genre seit… puuh… 2000 rum nicht mehr wirklich weiterentwickelt hat.  
 
Stellt sich die Frage, ob das auch für HARD BOILED SWEETS zutrifft, einen, Überraschung, britischen Gangster-Thriller von 2012, geschrieben und dirigiert von David L. Hughes, der sich der Welt mit der Doku HIGHLY CLASSIFIED: THE WORLD OF 007, die MGM 1998 für den DVD-Release der Bond-Reihe in Auftrag gegeben hatte, vorstellte, dann aber satte 14 Jahre bis zu seinem Spielfilmdebüt, dem hier vorliegenden stolzen Werk, brauchte. Zu Film Nr. 2 waren’s dann nur noch sechs Jahre Anlauf – 2018 brachte er dann VIKING DESTINY heraus, in dem immerhin Terence Stamp den Asen-Obergott Odin spielt. Klingt beinahe schon fast nicht völlig uninteressant.
 
Aber noch sind wir bei HARD BOILED SWEETS – der Filmtitel erklärt sich aus dem Gimmick, dass jedem der Protagonisten eine bestimmte Süßigkeit nebst derer innewohnenden Eigenschaften zugeordnet wird. Tut nicht wirklich was zur Sache, wird im Film selbst außer durch Einblendungen nicht weiter thematisiert und… naja, so richtig *passend* sind die Charakterisierungen auch nicht, ich ignoriere das also ganz einfach…
 


Inhalt

Unser erster Protagonist ist Jimmy the Gent (Peter Wight, HOT FUZZ, BEST LAID PLANS), ein altgedienter oldschool-Gangster, und offensichtlich aufgrund des schieren Senioritätsprinzips derzeit der Obermacker der Londoner Unterwelt, dem jeder Gangster, der irgendwo ein Pfund oder zwei verdient, seinen Tribut abzudrücken hat. Bzw. war er das bis heute, aber gerade steckt er mit dem Kopf in einer Kloschüssel, und das nicht ,weil er sich übergeben muss, sondern weil er couragiert da reingestopft wird. Das ist auf dem Mist von Leroy (Danny Sapani, PENNY DREADFUL, MISFITS), seines Zeichens big black motherfucker, gewachsen, der beabsichtigt, diese lukrative Position unbürokratisch zu übernehmen. Leroy weiß allerdings auch, dass er Jimmy nicht einfach so umlegen kann – er muss erst mal dessen Kontakte rauskriegen. Deswegen wird Jimmy dazu verdonnert, eine letzte Geldeintreibe-Tour durch London und das ebenfalls tributpflichtige Umland zu unternehmen, wobei Leroy seinen rechte-Hand-Henchman Jermaine (Nathaniel Martello-White, RED TAILS, CLA’AM) als Aufpasser mitschicken wird. Jimmy ist nicht zum Oberboss der Londoner Unterwelt geworden, weil er auf der Brennsuppn daherschwommen ist  – ihm ist vollkommen klar, dass er nach Abschluss dieser Runde ein nettes retirement package in Form einer oder zweier 9-mm-Kugeln zwischen die Augen erhalten wird. Aber Jimmy blickt auch durch, dass Jermaine unter seiner tough-guy-Attitüde ein zutiefst verunsichertes Bürschchen ist… damit könnte sich etwas anfangen lassen…
 
Anderswo wird der notorisch erfolglose Profigauner Johnny (Scot Williams, WHAT THE FUCK HEISST REDIRECTED?, BACKBEAT – DIE WAHRHEIT ÜBER DIE BEATLES) nach einem sechsjährigen Stint hinter Gittern einmal mehr in die Freiheit entlassen. Die bange Frage, was er – ohne Job, ohne Kohle, ohne Wohnung – mit der nun anfangen soll, beantwortet sich von selbst. Praktisch noch auf dem Gefängnishof erwartet ihn Detective Fred (René Zagger, INTERVIEW WITH A HITMAN, DRAGONFLY) in seinem auseinanderfallenden Vauxhall Baujahr 1876 und drängt Johnny eine absolut nicht fakultative Spritztour auf. Johnny ist alles andere als begeistert, zumal er im Gegensatz zu Fred nicht davon ausgeht, dass ihre gemeinsame Vergangenheit auf unterschiedlichen Seiten des Gesetzes sie zu „Freunden“ gemacht hat, aber Fred duldet keinen Widerspruch. Der Weg führt nach Southend-on-Sea, ein Seebad in der Themsemündung, das schon erheblich bessere Zeiten gesehen hat – zu den hochwertigen Attraktionen der Stadt gehört ein maroder Vergnügungspark, eine Uferpromenade mit einer Automatenspielhalle neben der nächsten und ein umfangreiches Angebot an dienstleistungswilligen Damen des horizontalen Gewerbes. Da fragt sich Johnny schon, was er hier soll…
 
Nun, das wird sich klären. Zunächst aber stellen wir weitere wichtige Persönlichkeiten vor – z.B. Shrewd Eddie (Paul Freeman, fuckin‘ Belloq aus JÄGER DES VERLORENEN SCHATZES, CENTURION), seines Zeichens der offizielle Boss aller kriminellen Aktivitäten in Southend. Das ermöglicht ihm ein anständigs Luxusleben, zu dem auch das Aushalten der rattenscharfen Nutte Porsche (Ty Glaser, GESTÄNDNISSE EINER EDELHURE, ELIMINATORS) gehört, die dem alten Sack zu jeder Tages- und Nachtzeit für Blowjobs und ähnliche Verlustigungen zur Verfügung zu stehen hat. Auch Eddie macht hin und wieder seine Runde durch die Stadt, um seinen Zehnten zu kassieren und sich nach den werten Befindlichkeiten der Unterschicht zu erkundigen. Heute fällt ihm auf, dass die mittelalte Hure Jackie (Elizabeth Berrington, YESTERDAY, BRÜGGE SEHEN… UND STERBEN) keinen so ganz taufrischen Eindruck macht. Das liegt daran, kunftet Jackie aus, dass Gerry, Eddies Nr.1-Zuhälter, es mit den „freebies“ übertreibt und die ihm anvertrauten Girls zwei-dreimal am Nachmittag durchvögelt – klare Sache, dass frau dann für die zahlende Kundschaft ein bisschen ausgelaugt ist. Eddie ist sehr verständnisvoll, gibt Jackie ein paar Pfundnoten und ein paar Tage frei und lässt sich dann von seinem Bodyguard/Chauffeur/Enforcer Dean (Philip Barantini, BAND OF BROTHERS, CHERNOBYL) zum Gym bringen, in dem Gerry (Adrian Bower, THE LAST KIGNDOM, DIRTY FILTHY LOVE) Sandsäcke verprügelt und Gewichte stemmt. Dass geschäftsschädigendes Verhalten nicht geduldet wird, bringt Eddie ebenso höflich wie unmissverständlich dadurch zum Ausdruck, dem auf der Hantelbank trainierenden Gerry erst mal ins Gesicht zu pissen und ihm dann von Dean die Nase brechen zu lassen. Das wird Gerry eine Lehre sein.
 
Oder auch nicht. Denn Gerry ist eh schon nicht unbedingt eingetragenes Ehrenmitglied im Shrewd-Eddie-Fanclub, und dieses feucht-fröhliche Erlebnis stimmt ihn nicht versöhnlicher, ganz im Gegenteil. Ein Anruf bei Porsche – eins seiner Pferdchen, Eddie „nur“ auf ganz ersichtlich zwangsfreiwilliger Basis leihweise zur Verfügung gestellt – bestätigt Gerrys Vermutung, dass Eddies Laune aus einem bestimmten Grund erlesen beschissen ist – „The Man“ hat sein Kommen angekündigt. Und „The Man“ ist niemand anderes als Jimmy the Gent, der seinen Anteil an Eddies Gewinn abkassieren will. Eddie hält nun seinerseits den „fetten Juden“ Jimmy für eine ganz besonders unerträgliche, widerliche und vor allem geizige Made, die sich traditionell, wann immer er bei Eddie kassiert, bei dem übernachtet und sich auf Eddies Kosten durchfuttert, -säuft und –vögelt, letzteres bevorzugt an möglichst knusprigem Junggemüse, das Eddie zu organisieren hat. Und das genau ist der Punkt, an dem Gerrys famoser Plan einhakt. Jimmy ist, wie gesagt, alte Schule, und das bedeutet, dass er die Kohle bar einsammelt und in seinem legendären Aktenkoffer verwahrt. Da Eddie üblicherweise den Abschluss seiner Runde bildet, haben sich zu diesem Zeitpunkt im Köfferchen so ungefähr anderthalb Millionen Pfund angesammelt. Und von der Verantwortung für diese gigantische monetäre Bürde würde Gerry Eddie und Jimmy nur zu gern befreien. Möglich machen soll das Delta (Laura Greenwood, WOLFBLOOD – VERWANDLUNG BEI VOLLMOND, STRIKE BACK), Gerrys neuestes Mädchen im Stall und genau das, worauf Jimmy abfährt – Typ Kindfrau. Wenn Eddie Gerry um eine passende Dreilochstute für Jimmy angeht, wird der Delta schicken und die wird dann mühelos nah genug an den alten Knacker rankommen…
 
Wenn das alles so einfach wäre, könnt’s jeder. Und so ziemlich jeder will’s versuchen. Z.B. auch Porsche. Die ist nämlich längst zu der Schlussfolgerung gekommen, dass es angenehmere Arten gibt, ein Luxusleben zu führen, als sich dreimal täglich von einem doppelt so alten Fastgreis knattern zu lassen und ihm noch öfter die Nudel zu polieren. Sie ist mittlerweile schon dazu übergegangen, Eddie unauffällig Schlaftabletten in seine Drinks zu mixen, damit der Herr seinen Schönheitsschlaf und Porsche die Zeit findet, mit ihrem altersmäßig wesentlich kompatibleren Loverboy Dean den Matratzentango zu schieben. Beiden Teilen dieser Beziehung ist klar, dass das unmöglich ein Dauerzustand werden kann, also ist die gemeinsame Flucht in ein neues Leben schon geplant. Während Dean durchaus dazu neigen würde, sich einfach so auf Nimmerwiedersehen zu verpissen, hat sich Porsche allerdings an den Luxus durchaus gewohnt – und um diesen Lebensstandard auch gottweißwo aufrecht zu erhalten, böte es sich doch an, Jimmy the Gents bewussten Geldkoffer zu mopsen.
 
Habt Ihr Johnny und Fred vergessen? Schämt Euch… die werden natürlich die dritte interessierte Partei in diesem Possenspiel. Fred braucht nämlich Kohle. Viel Kohle, und zwar schnell. Der kühne Grund: er und sein geliebtes Weib Jenna (Liz May Brice, TORCHWOOD, RESIDENT EVIL) hätten aus unerfindlichen Gründen gern Nachwuchs, aber aus ebenso unerfindlichen, dafür aber medizinischen Gründen klappt das auf die vom lieben Gott hierfür vorgesehene Weise nicht.  Und die neue, todsichere Spezialmethode von Dr. Sowieso kostet eben reichlich Zaster, der weit außerhalb der finanziellen Möglichkeiten von Freds spärlichem Dienstgehalt liegt. Deswegen soll Johnny für ihn tätig werden und das Objekt der Begierde ist, wie nicht anders zu erwarten, Shrewd Eddie. Allerdings weiß Fred nichts von den unvorstellbaren Summen, die Jimmy mitbringen wird, ihm würden schon die 250.000 Steine, die Eddie im Durchschnitt in seinem Safe liegen hat, völlig reichen, und 50.000 davon wären die knapp kalkulierte Prämie für den, der die eigentliche Arbeit machen soll, mithin Johnny. Fred hatte an und für sich einen simplen Bruch geplant, aber Johnny winkt ab – es gibt elegantere und wesentlich weniger riskante Methoden. Als Ex-Knacki sollte es ihm ein leichtes sein, über Namedropping eines gemeinsamen kriminösen Bekannten Eddies Vertrauen zu gewinnen und seine Organisation infiltrieren zu können. Die Gelegenheit bietet sich am Abend in dem Pub, in dem Eddie seine Feierabenddrinks hinter die Binde kippt. Johnny macht sich an den Ganoven ran und alles scheint aus Freds Sicht wie am Schnürchen und von Johnny prognostiziert zu laufen – nur dass Dean nicht aufsteht, um ein Telefonat zu führen, das Johnnys Identität bestätigen soll, sondern um Fred einen Schießprügel unter die Nase zu halten… und einen Umschnitt weiter marschiert Fred, mit Eisenketten gefesselt und eine schwere Autofelge mit sich herumschleppend, in der Begleitung von Eddie, Dean und Johnny den Southend Pier entlang. Der vertrauensselige Fred war doof genug, um nicht zu realisieren, dass Johnny Eddie anstatt der vereinbarten Geschichte die vom korrupten Cop, der Eddie um seine Kohle erleichtern möchte, auf die Nase gebunden hat, und Eddie findet diese Story überschaubar lustig. In Southend werden solche Streitfragen noch auf die altmodische Weise geklärt – der betreffende Störenfried wird vom Pier ins Meer gekippt. Und das passiert auch Fred. Bzw. sollte passieren. Passiert’s aber nicht, weil Dean leider vergessen hat, den Tidenhub zu berücksichtigen und momentan ist Ebbe. Fred hängt also nur auf halbem Weg zum Strand vom Pier und jammert, weil die Kette sich verhakt hat. Johnny macht sich nützlich, entknotet die Kette, aber auch dann dengelt Fred erst mal nur auf den harten Strandboden und kreischt über seinen verletzten Rücken. Eddie kann’s nicht fassen und während Dean ratlos rumsteht, ergreift Johnny wieder die Initiative und lässt die Felge auf den Dez von Fred plumpsen. Dann gibt der endlich Ruhe.
 
Man inspiziert den Kadaver, aber da gibt’s natürlich noch ein loses Ende irgendwohin zu knüpfen. Eddie weiß Johnnys Einsatz wohl zu schätzen, aber… er weiß jetzt zu viel. Sieht schlecht aus für unseren entlassenen Knacki, aber dann wendet sich das Blättchen und Eddie erschießt statt dessen Dean, weil er verständlicherweise dessen Performance in dem gerade absolvierten Vorgang als mangelhaft beurteilt. Damit wäre eine Stelle in Eddies Organisation frei geworden und Johnny wird spontan eingestellt. Deans terminale Kündigung des Arbeitsverhältnisses wirft nun aber wieder einen Schraubenschlüssel in den sauberen get-rich-quick-Plan Porsches. Und Johnny himself… nun, der denkt gar nicht daran, für Eddie den Ersatz-Handlanger zu spielen, der hatte nur keinen Bock darauf, den Großteil der zu klauenden Moneten Fred auszuhändigen. In der Nacht, in der Eddie wieder mal von Porsche schlafen gelegt wurde, macht sich Johnny auf die Suche nach dem Safe, wird dabei aber von Porsche geweckt.  Die ist flexibel genug, um Johnny als einen potentiellen Ersatz für den leider ausgefallenen Dean zu begreifen und gibt ihm auch zu verstehen, dass es sich lohnt, auf Jimmy the Gent und dessen Koffer zu warten…
 
Der indes hat über die bisherige Dauer der Eintreibe-Tour Jermaine schon ordentlich mürbe gemacht und ihm zahlreiche Zweifel ins Ohr gesetzt. Leroy traue ihm nichts zu, halte ihn künstlich auf einer Handlanger-Position, und mache sich auch an Jermaines Mädchen ran. Der junge Nachwuchsgangster ist für derlei Einflüsterungen arg empfänglich – wo seine Loyalitäten jetzt im Falle eines Falles liegen, wird noch zu ergründen sein
 
Jedenfalls erreichen Jimmy und Jermaine endlich Eddies bescheidene Hütte. Der Gent lässt sich nach Kassieren seines Anteils erst mal ausführen und überrascht Eddie dabei durch bislang ungeahnte Spendierhosen. Und natürlich verlangt es Jimmy auch nach einer angemessen jungen Penisummantelung. Gerry präsentiert Delta, die den Wunschvorstellungen des Altgauners auch entgegenkommt. Jimmy pfeift sich vier Viagra ein – das wird eine lustige Nacht, wenn auch vielleicht nicht für Delta, aber Nutten halten zusammen. Porsche verabreicht Eddie das gewohnte Schlaftablettchen und auch Jimmy bekommt eine Pille ab, die dafür sorgten wird, dass Delta auch am nächsten Morgen noch sitzen können wird. Während Eddie und Jimmy also den Schlaf der Ungerechten pennen, schreitet Johnny zur Tat und schleicht sich in Jimmys Zimmer… und hier werden sich so ziemlich alle Beteiligten treffen und die meisten von ihnen auch ihr Schicksal finden…
 
 
Yeah, was ich oben geschrieben habe, stimmt schon – auch HARD BOILED SWEETS ist am Ende des berühmten Tages nur wieder einer dieser „jeder hintergeht jeden und am Ende haben sich die meisten eine Kugel oder zwei  eingefangen“-Klopper. Wie gesagt, prinzipiell ist das natürlich auch eine irgendwie unkaputtbare Geschichte und es ist fast unmöglich, das ohne einen gewissen Unterhaltungswert durchzuziehen (dass es aber nur *fast* unmöglich ist, bewiesen meine speziellen Freunde Helene Cattet und Bruno Forzani mit LET THE CORPSES TAN. Argh, wie ich dieses selbstgefällige Art-Gewichse hasse) – auch HARD BOILED SWEETS macht objektiv wenig falsch, spult die richtigen Beats routiniert runter und hat gegenüber manch anderem Genrevertreter sogar zwei Vorteile: Zum einen spielt sich der Film erfreulich ernst – die Charaktere reißen keine Witze, lassen das Treiben nicht zur Farce verkommen. Klar, allein aus dem Storykonstrukt heraus entwickeln und ergeben sich Situationen mit komischem Potential (die Beseitigung von Fred kann man nur mit einem gehörigen Schuss schwarzen Humors goutieren), aber echte, beabsichtigte Jokes gibt’s nicht (nur einen, und der ist nicht lustig gemeint – Gerry, der selbstverständlich genau weiß, wer ihn bei Eddie verpfiffen hat, erzählt ihn Jackie: „Was sagt man zu einer Hure mit zwei blauen Augen?“ Jackie weiß die Antwort: „Nichts, weil man es ihr schon zweimal erklärt hat.“). Zum Zweiten weiß der Film auch, dass man sein zweifelhaftes Willkommen nicht überstrapazieren sollte und wirft nach 80 Minuten den Nachspann an. Das ist kurz genug, um niemandem gesteigert auf den Senkel gehen zu können.
 
Aber richtig mitreißen kann der Film dann eben doch auch nicht… dafür haben wir eben die grundlegende „jeder gegen jeden“-Story schon viel zu oft gesehen und es ist halt so, neue Ideen hat HARD BOILED SWEETS nicht zu bieten. Die Charaktere kennen wir alle schon – die berechnende Bitch, die sexgeilen alten Säcke, die skrupellose „neue“, gewaltbereitere Gangstergeneration, den Ex-Knacki, der gegen seinen Willen wieder in irgendeinen Scheiß-Job verwickelt wird, den kriminellen Cop, das Zuhälter-Arschloch usw.  Das sind alles vertraute  Genre-Archetypen, die in den unterschiedlichsten Konstellationen schon durch so viele todsichere Dinger, an deren Ende üblicherweise nur der Tod sicher war, gehetzt wurden, dass es auch talentierteren Schreiberlingen/Regisseuren als Hughes schwer fallen würde, irgendetwas Überraschendes, Innovatives mit ihnen anzustellen. Hughes versucht es, wie oben schon gesagt, mit dieser Süßigkeiten-Allegorie und dem Kunstgriff, dass die meisten Hauptfiguren sich selbst durch einen voice-over vorstellen dürfen, aber das hilft dem Film und seiner Story auch nicht weiter. Wenn man ein Abschweifen von der Formel konstatieren will, dann das, dass Hughes seine vier aufgebauten Plotlines nicht komplett zusammenlaufen lässt, sondern die Erwartungshaltung des Zuschauers zumindest dahingehend leicht unterläuft, zwei der Pläne bereits relativ früh – so Mitte des zweiten Aktes – durch die Platzverweise für die Charaktere Fred und Dean zu verunmöglichen, wodurch sich die weiteren Beteiligten dieser zwei Handlungsstränge notgedrungen zusammentun müssen, bevor sich ihr Handlungsstrang mit den restlichen Plotlines verschneidet. 

Hughes unterläuft die Erwartungshaltung des Publikums auch mit einer völligen Verweigerung an einen Charakter, für den wir aktiv die Daumen drücken können. Normalerweise ist in der Bande Arschlöcher, die sich gegenseitig beschubsen und killen, ja einer dabei, der ein bisschen sympathischer ist als der Rest und zu unserem Helden, naja, Antihelden, zu einer Identifikationsfigur wird. HARD BOILED SWEETS verzichtet darauf. Gut, MEGASPOILER VORAN, ich vermute, der Grundgedanke ist, dass wir auf Seite der Frauen, also von Porsche und Delta, sein sollen, weil die von den Männern wie Dreck behandelt werden, und wenn sie am Ende gewinnen, das ein feministisches Statement, ein symbolischer Akt des „women’s lib“ sein soll, aber… dann hat sich der Film die falschen role models dafür ausgesucht. Porsche ist eine manipulative Bitch, die sich mit Freuden demütigen lässt, solang dabei für sie ein Luxusleben rausspringt, und Delta ist eine so leere Chiffre, ohne jeden Hintergrund, dass man auch einen lebensgroßen Pappaufsteller von Alicia Silverstone zu CLUELESS-Zeiten an ihrer Stelle in den Film hätte schieben können – jedenfalls macht’s nicht den Eindruck, als wäre Delta mit ihrem Abgleiten in Prostitution und Kriminalität merklich unglücklich oder dazu gezwungen worden. Hm, naja, anno 2020 wäre das vermutlich ein gefeiertes Beispiel für wokeness, weil Frauenrollen in der modernen Popkultur ja jede negative Charaktereigenschaft zelebrieren können, für die Männerfiguren (zu recht) gesteinigt werden, also war Hughes da 2012 vielleicht einfach seiner Zeit voraus…

Sei’s drum. Filmisch reißt HARD BOILED SWEETS keine Bäume aus – ist alles nicht besonders schlecht, aber auch nicht besonders gut gefilmt, und insgesamt sieht mir Southend-on-Sea für das „Shithole“, dass es sein soll, noch zu sauber und anständig aus. Hughes hat keine großen set pieces, die Klimax ist sogar eher kammerspielartig, wenn sich fast alle Figuren in Jimmys Schlafzimmer treffen und gegenseitig totschießen. Alles ganz nett, aber weder „gritty“ genug, um durch die Rohheit zu punkten, dann aber auch nicht slick genug, um als Hochglanzthriller durchzugehen. Es ist dieses Niemandsland des „meh“, in dem der Film sich praktisch ständig aufhält. Das gilt auch für die Musik, auch wenn ich da zumindest anrechne, dass der Film weder auf den ironischen Einsatz von Pop-Oldies noch auf den auch in solchen Fällen oft genommenen modernen Hip-Hop setzt.

Der Streifen ist dann auch nicht sonderlich brutal – ja, im Finale gibt’s dann ein paar Blutigkeiten (aber auch einen ziemlich mies getricksten Headshot), und trotz des praktisch ständig referierten Themas Prostitution zieht sich nicht mal eine Statistin aus, die FSK 16 ist also völlig okay.

Die Schauspieler sind größtenteils okay. Niemand spielt sich um Kopf und Kragen, weder im positiven noch im negativen Sinn. Laura Greenwood und die Veteranen Freeman und Wight sind wohl die mit den besten Leistungen, Ty Glaser und vor allem René Zagger machen es sich am gegenteiligen Ende des Spektrums gemütlich, der Rest liegt irgendwo dazwischen.

Die Blu-Ray von Sunfilm bietet ordentliches Bild und soliden Ton, wobei der O-Ton mit Untertiteln sich der die Wahl des aufgeklärten Konsumenten sein sollte. Immerhin gibt’s mit Making-of, Deleted Scenes und Hughes‘ vorhergehendem Kurzfilm ein solide Extra-Abteilung.

Aber am Ende ist HARD BOILED SWEETS dann doch eine filmische Nichtigkeit – kompetent genug gefilmt, jedoch ohne Überraschungsmomente. Das vertreibt 80 Minuten lang plausibel die Zeit, ohne zu nerven, doch, und da hat der Film dann vielleicht doch was mit seinen titelgebenden Süßigkeiten zu schaffen, am Ende hat der ganze Schmu wenig Nährwert.

© 2020 Dr. Acula
 


BOMBEN-Skala: 5

BIER-Skala: 5


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