Guayana – Kult der Verdammten

 
  • Deutscher Titel: Guayana - Kult der Verdammten
  • Original-Titel: Guyana: Crime of the Century
  • Alternative Titel: Trip in die Hölle | Guyana - Kult der Verdammten |
  • Regie: Rene Cardona jr.
  • Land: Spanien/Mexiko
  • Jahr: 1979
  • Darsteller:

    Stuart Whitman (Rev. James Johnson), Gene Barry (Congressman Lee O’Brien), John Ireland (Dave Cole), Joseph Cotten (Richard Gable), Bradford Dillmann (Dr. Gary Shaw), Jennifer Ashley (Anna Kazan), Yvonne de Carlo (Susan Ames), Nadiuska (Leslie Stevens), Tony Young (Ron Harvey), Erika Carlson (Marilyn Johnson), Hugo Stiglitz (Cliff Robson)


Vorwort

Der charismatische Reverend James Johnson, Bürgerrechtler und Vorsteher des sozialistisch geprägten „Volkstempels“, wähnt sich im Fadenkreuz einer CIA-Konspiration – erfreulich daher für ihn, dass es ihm gelungen ist, der Regierung des südamerikanischen Kleinstaats Guyana ein größeres Stückchen Land abzuringen, wo er seinen Traum einer autarken, auf Basis seiner Predigten operierenden Kommune zu verwirklichen gedenkt – Johnsontown!

Keine Sekunde zu früh, denn aufgrund (fundierter) Gerüchte, wonach der Tempel Aussteiger verfolgen und ggf. sogar ermorden lässt, beginnt sich, durch zahlreiche Eingaben „besorgter Verwandter“ inspiriert, der Kongressabgeordnete O’Brien für die Sekte zu interessieren. Johnson und rund 900 seiner ergebensten Gefolgsleute ziehen sich nach Guyana zurück, wo der schwer erkrankte Reverend aufgrund Medikamentengebrauchs zunehmend paranoider wird und ein hartes Regiment führt. Die Sektierer stöhnen unter 13-Stunden-Arbeitstagen auf den kargen Feldern der Kommune, geringste Abweichungen von Johnsons Gesetzen werden mit physischer und psychischer Folter bis hin zu angeordneten Vergewaltigungen bestraft und in den berüchtigten „weißen Nächten“ lässt Johnson seinen ultimativen revolutionären Akt, Massenselbstmord, proben.

Die Kunde von Mißhandlungen und Folter dringt auch an O’Briens Ohr und trotz einer flink von Johnson orchestrierten Image-Kampagne lässt der Politiker sich nicht davon abhalten, sich persönlich vor Ort ein Bild von der Lage zu machen. Mit einer Entourage aus Reportern und Angehörigen trifft O’Brien in Guyana ein. Johnson intendiert zunächst, den Abgeordneten abzuwimmeln, doch auf Anraten seiner Anwälte entscheidet er sich dafür, den Besuch zuzulassen und der Delegation Heile Welt vorzuspielen. Das scheint auch zunächst zu funktionieren, doch je länger O’Brien und die seinen sich unters Volk mischen, stellt sich heraus, dass es zumindest einige Unzufriedene gibt, die Johnsontown verlassen wollen. Während Johnson nach außen hin gute Miene zum für ihn bösen Spiel macht, hat er sich längst entschlossen, dass O’Briens Delegation nicht in die Staaten zurückkehren darf – und dann auch der letzte revolutionäre Akt unabdingbar wird…


Inhalt

Der Massensuizid der „People’s Temple“-Sekte in Jonestown, Guyana, gehört zu den einschneidenden Ereignissen der 70er Jahre, wenn nicht des 20. Jahrhunderts. Der Wahn des Sektenführers Jim Jones, der über 900 seiner Anhänger dazu bewegte, Gift zu trinken, hatte etwas noch nie dagewesenes und zudem den „Vorzug“, außerordentlich gut dokumentiert zu sein – viele Ereignisse, die zu dem Massenselbstmord (oder Massenmord) in Jonestown hinführten, wurden von den Reportern, die den realen Kongressabgeordneten Leo Ryan auf seiner Mission begleiteten, auf Film oder Fotos dokumentiert (inklusive des Angriffs auf Ryans Delegation, die den Politiker und vier seiner Begleiter das Leben kostete), und Jim Jones hatte die Eigenart, seine Reden, inklusive der, die er hielt, während seine An hänger zyanidversetzte Limonade zu sich nahmen, auf Cassette aufzunehmen.

Keine große Überraschung also, dass diese Tragödie, die bis zum 11. September 2001 den größten amerikanischen Verlust zivilen Lebens durch eine bewußte Tat darstellte, schon bald das Interesse der Filmbranche erweckte. Ob es nun wirklich ausgerechnet der mexikanische Exploitation-Mogul Rene Cardona jr. (der mit „Survive“ schon lange vor Spielbergs „Alive“ die Geschichte des in den Anden abgestürzten Rugbyteams und damit eine andere real-life-Tragödie ausgebeutet hatte) sein musste, der seine Version der Ereignisse gerade mal zehn Monate (!) nach der Tragödie in die Kinos brachte, mag dahingestellt bleiben – ein „too soon“ war zeitgenössisch sicherlich angebracht, nun sind aber 35 Jahre vergangen und wir können und müssen den Film an seinen eigenen Meriten messen.

Und da fällt auf, dass Senor Cardona – wir erinnern uns, der Mann, der uns den unsäglichen Hai-Snuff-Schlonz Tintorera beschert hat – mit ungewohnter Sorgfalt arbeitet und überraschend dicht, streckenweise regelrecht detailverliebt, an den realen Geschehnissen bleibt. Die augenfälligste Abweichung von der Realität ist sicherlich die Änderung aller Namen, womit Cardona sich vermutlich rechtlich absichern wollte, denn dass er einen der Überlebenden oder Angehörige um Erlaubnis gefragt hat, darf getrost ins Reich der mexikanischen Fabeln verwiesen werden. Während Cardona die „Vorgeschichte“, also die Entstehung des Tempels, seine Bedeutung für die Bürgerrechtsbewegung der 60er, und die Gründe, die zu seinem Umzug nach Guyana führen, zugegeben nur anreißt und auch die politische Komponente weitgehend außer acht lässt (für Guyana war ein mit amerikanischen Staatsbürgern gefüllter „Puffer“ im umstrittenen Grenzgebiet mit Venezuela sehr opportun; außerdem machte Jones sich Hoffnungen, seine Gemeinde in die Sowjetunion umziehen zu können und stand diesbezüglich mit der sowjetischen Botschaft in Guyana in Verbindung – ohne dass die Russkis das ernsthaft in Erwägung gezogen hätten), und das Leben in Jonestown mit dem ein oder anderen Exploitation-Element aufpeppt (ob in Jonestown tatsächlich Kinder mit Elektroschocks an den Genitalien gefoltert wurden, wage ich zumindest anzuzweifeln), ist seine Schilderung, was die Chronologie der eigentlich „wichtigen“ Ereignisse rund um den Besuch der Ryan-Delegation, ihr blutiges Ende und den Massenmord/-selbstmord in Jonestown exakt, so dass sich „Crime of the Century“, wären da nicht die paar sleazigen Exploitation-Einlagen, die ein Cardona sich nicht verkneifen kann, beinahe wie ein Dokudrama spielt (wozu auch einige eher hüftsteife Performances beitragen).

Ironischerweise ist dieser semi-dokumentarische Ansatz, der in der Tat für einige eindringliche Szenen sorgt, in mancher Hinsicht auch seine größte Schwäche – retrospektiv gesehen. Denn wiewohl es 1979 dem gierigen Publikum durchaus gereicht haben mag, das „was“ und „wie“ verabreicht zu bekommen, interessiert mit ein paar Dekaden Abstand natürlich auch das „warum“, und da kratzt Cardona, natürlich auch, weil ihm vermutlich eben nur das an Information zur Verfügung stand, was mehr oder weniger „public knowledge“ war, nur an der Oberfläche. Wie aus dem charismatischen Bürgerrechtler Jones, der unbestritten in den 60er Jahren wichtige Rassenintegrations-Arbeit leistete, nicht nur den biopic-gewürdigten Schwulen-Bürgerrechtler Harvey Milk zu seinen Bewunderern zählte und Freunde bis in die höchsten politischen Ebenen hatte, der paranoide Diktator wurde, der hinter jedem Busch einen Verräter und/oder CIA-Agenten witterte und den Mord an Ryan und den anderen Delegations-Mitgliedern wenn nicht anordnete, dann zumindest tolerierte und als Anlass für seinen „revolutionären Selbstmord“ nahm (in der Tat ist eine der wenigen offenen Fragen, ob die Mitglieder des „Sicherheitsteams“ Jonestowns Ryan und seine Entourage aus blindwütigem Fanatismus oder auf Jones‘ Order attackierten – was übrigens völlig unnötig war, da Ryan beabsichtigte, einen überwiegend positiven Bericht über die Verhältnisse in Jonestown zu geben).

Ebenso bleibt auf der Strecke, wie Jones (im echten Leben mit einer Mischung aus natürlichem Charisma, begabter Rhetorik, Gehirnwäschetechniken und schierer Gewalt) seinen Tempel *so* führen konnte, wie auch die Charakterisierung einiger der etwas näher beleuchteten höherrangigen Tempelmitglieder (u.a. Jones Ehefrau, die im Gegensatz zur filmischen Darstellung offensichtlich 110-prozentig hinter ihrem Gatten stand, auch wenn der sich gerne durch die halbe weibliche Kommune vögelte) etwas neben der Spur liegt.

Wie schon gesagt, Cardona wäre nicht er selbst, würde er nicht ein paar spekulative Elemente einbauen (das geht los beim Mord an einem Sektenaussteiger, der ziemlich splattrig wird, und setzt sich über die Folter- und Bestrafungsmethoden, die in der gezeigten Form nicht belegt sind, fort), aber wenn man sieht, wie Hollywood im Allgemeinen mit „wahren Geschichten“ umgeht, darf man dem Mexikaner die Übertreibungen für sein gewohntes Exploitation-Publikum eigentlich verzeihen, weil er eben in der Essenz verblüffend authentisch vorgeht – was übrigens auch für das Set Design gilt, das Jonestown, soweit man von existierenden Aufnahmen ausgeht, überzeugend echt nachstellt.

Filmtechnisch ist „Crime of the Century“ sicher keine spezielle Erwähnung wert – Cardona ist in seinen allerbesten Momenten ein halbwegs brauchbarer Handwerker, jedoch sicherlich weder „auteur“ noch Ästhet. Sein überwiegend unspektakulärer „Abfilm“-Stil kommt dem semidokumentarischen Flair des Films einigermaßen entgegen (eine Abweichung von diesem Stil erlaubt er sich lediglich im Finale, in dem’s dann auch mal ein bisschen psychedelisch wird), aber wenn Szenen eindringlich und memorabel werden, liegt das sicher nicht primär an Cardonas Arbeit, sondern an der schieren Unbegreiflichkeit des Abgebildeten. Alles ist zweckmäßig-funktional – aber das ist vielleicht schon ein bisschen mehr, als wir vom Maestro anhand unserer Erfahrungswerte erwarten durften.

Der Score von Jimmie Haskell, unterstützt durch einige Songs von Nelson Riddle und Bob Summers, passt sich dem an – zumeist unauffällig. Was Sex und Gewalt angeht, muss ich einschränken, dass die mir vorliegende italienische DVD die 102-minütige „Exportfassung“ beinhaltet und nicht die etwa zehn Minuten längeren mexikanischen Uncut-Fassung, die speziell in den Folter- und Bestrafungsszenen (und der angeordneten Vergewaltigung eines unautorisiert föckelnden Liebespärchens) deutlich expliziter ist. Die internationale Version ist durchaus fernseh-vorzeigbar (die in der CMV Trash Collection erschienene deutsche DVD-Fassung entspricht dem internationalen, mithin unvollständigen Cut, hat aber – zumindest laut Cover-Angabe – ein inkorrektes Bildformat).

Wie so oft gelang es mexikanischen Produzenten, ein auf den ersten Blick erstaunliches Starensemble zu versammeln – aber das war 1979 sicher nicht anders als heute, ein paar Tage verhältnismäßig „leichter“ Arbeit und die Aussicht auf Urlaub in Acapulco (wo der ganze Kram gedreht wurde) lockte den ein oder anderen großen Namen in eine Schnellschuss-Exploitation-Produktion. Stuart Whitman, dem’s in der Hinsicht eh vor nix grauste, weil er die Schauspielerei in dieser Phase seiner Karriere primär des Geldes wegen betrieb, kommt mit schwarz gefärbten Haaren und Sonnenbrille erstaunlich dicht an den echten Jim Jones heran – hätte sicher nicht geschadet, wenn er ein wenig mehr Herzblut in die Performance gelegt und nicht nur Jones‘ Aussehen, sondern auch seine Persönlichkeit kopiert hätte… Seinen Widersacher O’Brien/Ryan gibt Gene Barry, ein Fernsehstar der 60er und 70er („Bat Masterson“, „Amos Burke“, „Gene Bradley in geheimer Mission“), der Genrefreunden aus „Kampf der Welten“ bekannt sein dürfte. Barry geht die Sache recht ernsthaft an, auch wenn sein Charakter (wie praktisch alle anderen auch) „underwritten“ bleibt. John Ireland („Spartacus“, „Delta III“, „Miami Golem“) bleibt recht unauffällig, Joseph Cotten („Citizen Kane“, „Der dritte Mann“, „Magnificent Andersons“, „Concorde Inferno“) holt sich als einer von Johnsons Anwälten einen leicht verdienten Scheck ab, Bradford Dillman („Dirty Harry III/IV“, „Piranhas“, „Feuerkäfer“) kam wohl auch selten mit weniger darstellerischem Einsatz zu monetärer Entlohnung (maximal zehn Lines). Mit einer dezenten Nebenrolle wird der unvermeidliche Mexploitation-Star Hugo Stiglitz abgespeist.

Die Damenwelt wird vertreten durch Jennifer Ashley („Tintorera“, „Samen des Bösen“, „Chained Heat“) als Jones‘ rechte Hand, Yvonne de Carlo („The Munsters“, „Die zehn Gebote“) als seine Liason zur guyanischen Regierung und die in Bayern gebürtige Nadiuska (Conans Mutter im Original-„Conan der Barbar“, „Spezialkommando Feuervögel“, „Black Platoon“) als O’Briens Assistentin. Ashley ist dabei eine der wenigen, die den Fanatismus der Jones-Anhänger auf den Punkt bringt.

Bildqualität: Mir liegt die auf 999 Exemplare limitierte italienische DVD von Cult 70 vor. Der Film wird in eher rustikalem 1.85:1-Widescreen (anamorph) präsentiert – da ziehen sich doch einige Laufstreifen durch’s Bild und die Schärfe ist allenfalls mittelmäßig. Immerhin ist der Print relativ frei von Verschmutzungen oder Defekten. Von limitierten Editionen ist man hierzulande sicherlich sorgfältiger bearbeitetes Material gewöhnt, aber zum Anschauen langts und so teuer ist die Disc dann auch nicht.

Tonqualität: Englischer und italienischer Ton jeweils in Dolby 2.0 – die englische Version ist etwas dumpf und matschig, aber erträglich. Eine kurze Passage (während der Bestrafung des Liebespaars) liegt aus unerfindlichen Gründen nur auf Italienisch vor, aber großartige lyrische Gemmen entgehen dem Nicht-Romanisierten dabei nicht. Untertitel sind nicht vorhanden.

Extras: Gibt’s keine.

Fazit: „Guyana: Crime of the Century“ ist sicher insgesamt etwas besser als sein Ruf – es ist keine tiefschürfende Aufarbeitung der Vorfälle und der Person (und des Personenkults um) Jim Jones – wer so etwas erwartet, sollte zur US-TV-Miniserie „Guyana Tragedy: The Jim Jones Story“ mit Powers Boothe greifen, die dafür den Beschränkungen des Mediums Fernsehfilm unterliegt). Als halbdokumentarische Nachstellung der Geschehnisse – mit ein paar sensationalistischen Elementen – geht der Film allemal okay und darf sich fraglos eine der besten Rene-Cardona-jr.-Arbeiten nennen (nicht, dass der Threshold da so hoch läge). Man kann und darf es sicher moralisch verwerflich oder zynisch finden, so schnell einen cash-in-Reißer auf den Markt zu werfen, wie Cardona es tat, aber dafür ist der Streifen seriöser und, dare I to say it, „würdevoller“ als man erwarten konnte. Einen Blick wert, speziell, wenn man an „true crime“-Geschichten interessiert ist.

3/5
(c) 2014 Dr. Acula


mm
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