- Deutscher Titel: The Guard - Ein Ire sieht schwarz
- Original-Titel: The Guard
- Regie: John Michael McDonough
- Land: Irland
- Jahr: 2011
- Darsteller:
Brendan Gleeson (Sgt. Gerry Boyle), Don Cheadle (Special Agent Wendell Everett), Liam Cunningham (Francis Sheehy), David Wilmot (Liam O’Leary), Rory Keenan (Aidan McBride), Mark Strong (Clive Cornell), Fionnula Flanagan (Eileen Boyle), Dominique McElligott (Aoife O’Carroll), Sarah Greene (Sinead Mulligan), Katarina Cas (Gabriela McBride)
Vorwort
Galway, die hinterste Provinzecke in Irland, dort, wo die einfache Bevölkerung noch Gälisch spricht, ist das Revier von Sergeant Gerry Boyle, einem trinkfesten Einzelgänger, der sich sein sexuelles Glück bei Nutten holt und, wenn die Dorfjugend sich im Suff fatal gegen die nächste Mauer nagelt, zur Wahrung des Familienfriedens Bölkstoff und Drogen verschwinden lässt.
Die mehr oder weniger beschauliche Ruhe wird durch drei Ereignisse gestört – das Auftauchen des jungen Stadtbullen McBride, der sich hierher hat versetzen lassen und mit Gerrys laxer Dienstauffassung ein paar Probleme hat, der Mord an einem unbekannten Mann, den McBride angesichts des Tatorts für das Werk eines Serienkillers hält, und eine große Einsatzbesprechung mit dem FBI-Agenten Everett, der mit der irischen Garda einen hunderte Millionen Dollar schweren Drogenschmuggelring hops nehmen will. Ein kleines Problem: Everett ist Afro-Amerikaner und dem im Tiefsten seines Herzens leicht rassistischen Gerry ist das ein wenig unheimlich. Everett könnte das im Gedanken, ein Provinzbulle wie Boyle sei für seine Operation ausgesprochen unwichtig, ignorieren, doch… einer seiner Hauptverdächtigen liegt als Gerrys bewusstes Mordopfer im Leichenschauhaus. Spricht also einiges dafür, als wäre die Bande um Francis Sheehy in Gerrys Teil der irischen Wälder am Werk. Das erfährt aus erster Hand McBride, der den Ganoven zufällig über den Weg läuft und pflichtschuldigst beseitigt wird. Gerry kann sich um die Vermisstenmeldung der Ehefrau seines Kollegen ebensowenig kümmern wie um Everetts Recherchen – die an der schroffen, abweisenden Art der Iren fulminant scheitern -, weil er seinen freien Tag hat. Und an dem besucht er nicht nur seine krebskranke Mutter, sondern assistiert auch der IRA bei einer leicht missglückten Waffenlieferung.
Dass Gerry sich für den Fall gar nicht mal so dringlich interessiert, hindert Sheehy nicht an einem kombinierten Erpressungs- und Bestechungsversuch, weiß er doch eh praktisch die komplette westirische Garda auf seiner Gehaltsliste. Da die Gangster über ihre Polizeikontakte Everett auf eine falsche Fährte setzen, könnte sich die Angelegenheit theoretisch in Jameson- und Guinness-haltiges Wohlgefallen auflösen, doch ist Sheehy Gerry weiterhin suspekt und ein bevorzugt auszuschaltendes Sicherheitsrisiko…
Inhalt
Gefeiert auf der Berlinale, beworben auf dem FFF und mit Preisen und Nominierungen nur so beworfen und von der irischen Tourismus-Kampagne „Entdecke Irland“ marketingmäßig unterstützt (obwohl die Schilderung der käuflichen irischen Polizei ja nicht so wahnsinnig positiv wirkt), ist „The Guard“ das aktuelle Aushängeschild der kleinen, aber feinen irischen Filmindustrie und nach langer, langer Anlaufphase das Regiedebüt von John Michael McDonagh, der schon im Jahr 2000 mit „The Second Death“ eine Art Vorläufer-Kurzfilm (mit einigen der hiesigen Darsteller) realisierte, aber bis auf das 2003 mit Heath Ledger in der Hauptrolle verfilmte Drehbuch über den legendären australischen Outlaw „Ned Kelly“ bislang so richtig noch nicht in Erscheinung getreten war.
Nun rennen Iren bei mir von Haus aus offene Türen ein – ich mag das Land, ich mag die Leute, ich mag irische Musik in praktisch jeder Form und ich mag, nicht von ungefähr, schließlich sind die Iren ein ganzes Volk begeisterter storyteller, recht viel irisches Kino, vor allem, wenn es sich seine typisch irische Handschrift bewahrt. Und „The Guard“, das kann man vorwegnehmen, ist so irisch wie der St. Patrick’s Day, das pint of Guinness und der Kobold mit seinem Topf voll Gold. Denn dieweil die Iren ein durchaus herzliches Völkchen sind und man in den Landesteilen, die vom Tourismus leben, im Allgemeinen freundlich aufgenommen wird, darf man nicht vergessen, dass der metaphorische Ire an und für sich einiges durchgemacht hat und das wenigste davon war erfreulich. Dass sich dabei ein Menschenschlag herausgebildet hat, der eigensinnig, starrköpfig und Neuerungen und/oder Fremden mit gesundem Misstrauen begegnet, muss einen nicht wundern; und vor allem jenseits der Touristenzentren, gerade im Westen/Nordwesten der Insel, wo das Gälische tatsächlich noch im Alltagsleben gepflegt wird (wohingegen es in den „moderneren“ Landesteilen eine mehr oder weniger künstlich aufgepfropfte Eigenständigkeit und Unabhängigkeit beweisen soll) und wo die Menschen hauptsächlich in kleinen Dörfern leben, ist das Klima nicht nur metereologisch gesehen rauer als in Dublin oder Kilkenny.
Was heißt das für unseren Film? Wer – auch aufgrund des Trailers – einen Lachschlager erwartet, in dem ein Gag den nächsten jagt und man sich als Zuschauer tränenüberströmt auf dem Boden kugelt, ist schief gewickelt. Klar, „The Guard“ ist lustig, manchmal sogar *sehr* lustig, aber auf eine spröde, lakonische Weise, manchmal ein wenig schroff, wie die Landschaft, in der der Film spielt und die Menschen, die sie bewohnen. Folgerichtig ist es nicht die Geschichte, die das Zuschauerinteresse weckt und hält (die ist, ehrlich gesagt, eine recht banale Räuber-und-Gendarm-Story, in der sich die überraschenden Plotelemente in Grenzen halten und deren groben Fortgang man recht schnell vorausahnen kann), sondern die skurrilen und dabei trotzdem echt und natürlich wirkenden Charaktere. Allen voran natürlich Gerry Boyle, der vermeintlich hinterwäldlerische Dorfbulle, der seinen Job weniger an den Buchstaben des Gesetzes orientiert als an dem, was er für richtig hält (weswegen er dann schon mal Beweismittel beseitigen, die IRA unterstützen und internationale Ermittlungen internationale Ermittlungen sein lassen kann), doch bevor Gerry zu sehr „der grobe Klotz mit dem Herz am rechten Fleck“ wird, stellen wir fest, dass unser zunächst mal grundsympathisches Landei es für annehmbar hält, an Leichen bzw. deren Gemächten rumzuspielen, und in der Tat ein Rassist (wenn auch kein „bösartiger“, sondern ein schlicht ahnungsloser), für den alle Schwarzen aus Slums kommen müssen, ist. Und kaum haben wir uns da dran gewöhnt, zeigt McDonagh uns Gerry, wie er unter der unheilbaren Krebserkrankung seiner Mutter leidet. Gerry ist in seiner (vermeintlichen) Schlichtheit unberechenbar, und das macht ihn dann eben zum Sicherheitsrisiko für Sheehys Operation.
Überhaupt, die Bösewichter… während mir Everett als Gerrys Partner wider Willen und Vertreter der upper class, der in Irland und mit den Iren seinen Kulturschock erlebt, beinahe zu, ähm, blass (und eindimensional) gezeichnet ist, sind die Schufte eine Schau – Liam, der Wert darauf legt, kein Psycho-, sonder Soziopath zu sein, Sheehy, der elegante Gentleman, und vor allem Clive, der von der Korruption der Polizei persönlich ebenso angepisst ist wie vom Umstand, dass man es in der Verbrecherbranche allgemein mit vertrauensunwürdigen Personen zu tun hat, und die sich sich kurz vor einem kaltblütigen Mord über ihre Lieblingsphilosophen und Lieblingsphilosophenlieblingszitate austauschen. Die Dialoge des Gangstertriumvirats sind eins der Highlights von „The Guard“.
Spaß machen natürlich auch die Dialoggefechte zwischen Gerry und Everett; solche kleine Perlen sind McDonagh wichtiger als ein rasantes Vorantreiben der Handlung. Ganz im Gegenteil, „The Guard“ befleißigt sich, obschon die Handlung gerade mal drei Tage einnimmt, eines bedächtigen, beinahe schon lethargischen Tempos, das sich der langsamen Lebensart der irischen Provinz (in der das „Eddie Rocket’s Diner“, in dem Gerry seinem Milkshake-Brainfreeze frönt, das einzige sichtbare Zeichen echter „Moderne“ zu sein scheint; vielleicht auch ein kleiner Seitenhieb dahingehend, dass amerikanische „Junk“-Kultur auch die letzten Bastionen urwüchsiger gälischer Tradition erobert) anpasst. Oft genug erzählt McDonagh durch Weglassen, durch Schnitt, und lässt den Zuschauer die Verbindung zwischen zwei durch abrupten Schnitt auseinandergerissenen Szenen selbst herstellen – das macht „The Guard“ zu ungeeignetem Futter für die Klientel, die jede, aber auch jede noch so kleine Plot- und/oder Charakterentwicklung ausbuchstabiert haben muss.
Nun, in diesem gemächlichen, doch nie langweiligen Tempo steuert McDonagh seinen Film gleichermaßen entspannt wie widerborstig auf das dann auch seiner Story angemessen aktionsgeladene Finale zu, in dem der Filmemacher dann doch Motive aus den klassischen amerikanischen buddy movies (die er bis dato stets vermieden hat) aufgreift und Action, Spannung, Komik, Melodrama und Pathos zu einem stimmigen und konsequenten Showdown verknüpft. Dass die technischen Mittel stimmen, darf man beinahe voraussetzen – Larry Smith (der immerhin bei Kubrick gelernt hat und den bemerkenswerten Bronson fotografierte) steuert großartige Bilder bei, Chris Gill (der für Neil Marshall Centurion und für Danny Boyle „28 Tage später“ und „Sunshine“ schnitt) besorgt die nicht minder hervorragende Montage. Interessant ist der Score, der überraschenderweise nicht von einem der dort praktisch auf den Bäumen wachsenden einheimischen irischen Musiker, sondern den amerikanischen alternative-country-Rockern von Calexico bestritten wird und sich nichtsdestoweniger mit seinen lakonischen, gelegentlich mal wieder an Ry Cooders minimalistische Klänge erinnernden Tönen bestens ins Gesamtgefüge einpasst.
Das alles würde ohne ein adäquates Schauspielerensemble natürlich nicht funktionieren. McDonagh hat erfreulicherweise ein solches. Brendan Gleeson („Brügge sehen… und sterben“, „Harry Potter“, „The Village“, „Troja“), durchaus jemand, der sich mit großem Blockbusterkino bestens auskennt, lässt sich bei einem verhältnismäßig kleinen Film wie diesem nicht lumpen – er muss seinen Gerry nicht zu einer Karikatur machen, braucht kein Overacting, sondern spielt ihn ganz einfach „matter-of-factly“. Resultat: anstelle eines möglichen Cartoon-Charakters erhalten wir eine lebendige, natürliche, glaubhafte Figur mit Ecken und Kanten, positiven und negativen Eigenschaften, die Gleeson ohne Übertreibung, stets mit dem richtigen „Einsatz“ auf den Punkt bringt.
Don Cheadle („Iron Man 2“, „Hotel Ruanda“, „L.A. Crash“) hat das Problem, dass sein Charakter im Vergleich zu Gleesons Figur etwas zu glatt, zu stromlinienförmig geschrieben ist; Cheadle, der von dem Projekt offenkundig überzeugt genug war, um als executive producer einzusteigen, agiert sicherlich gut, aber nicht so vielschichtig und natürlich wie Gleeson – er wirkt eben mehr wie ein Schauspieler, der eine Rolle spielt.
Ich erwähnte, dass die Schurken ganz besondes viel Spaß haben. David Wilmot („The Tudors“, „Middletown“) als durchgeknallter Nietzsche-Fan ist schon nicht schlecht, aber der von mir eh mittlerweile hochgeschätzte Liam Cunningham („Centurion“, Harry Brown, The Tournament, „Dog Soldiers“) und ganz besonders Mark Strong („John Carter“, „Robin Hood“, „Kick-Ass“, „Dame, König, As, Spion“, „Green Lantern“) sind eine echte Schau, wobei beide trotz der Gangster-Rollen durchaus gegen ihr etabliertes tough-guy-Image spielen.
Fionnula Flanagan („The Others“, „Lang lebe Ned Devine!“, „Die göttlichen Geheimnisse der Ya-Ya-Schwestern“) und Rory Keenan („Die Herrschaft des Feuers“, „Earthbound“) wissen in ihren Nebenrollen ebenfalls zu überzeugen.
Bildqualität: Ascot Elite legt den Streifen auf BluRay in wunderschönem 2.35:1-Widescreen vor – Kontrast, Farben, Schärfe, alles erste Sahne, nur leider gibt’s ein paar kleine Masteringfehler in Form von Wisch-Effekten, die sicher nicht sein müssten.
Tonqualität: Deutscher und englischer Ton in dts-HD 5.1; die deutsche Synchronfassung ist von Sprach- und Sprecherqualität ausgezeichnet, allerdings für meinen Geschmack gegenüber dem Original in den „rassistischen“ Ausbrüchen Gerrys leicht entschärft .
Extras: Da lässt sich der Publisher nicht lumpen – Making-of, deleted und extended scenes, Outtakes, behind-the-scenes, Interviews, Audiokommentar, Trailer plus der bereits erwähnte der ganzen Chose lose zugrundeliegende Kurzfilm. Das ist praktisch das nonplusultra.
Fazit: „The Guard“ wird nicht jedem gefallen – er ist bedächtig inszeniert, lebt von seinen dem Schauplatz perfekt angepassten Charakteren, den lakonischen, aber oft um so pointierteren Dialogen und den Stimmungeneiner abgeschiedenen, von der hektischen „Moderne“ noch weitgehend unberührten Provinz. Da die Werbekampagne den Film und seine Hauptfigur in die Nähe von Peter Sellers und den „Pink Panther“-Filmen rückte, kann man kaum verurteilen, dass manch einer enttäuscht war, keine Slapstick-Komödie, sondern eine ruhig erzählte, vergleichsweise sperrige Tragikomödie serviert zu bekommen, die weder an ihrer vordergründigen Kriminhandlung noch am Servieren von Schenkelklopfern am laufenden Band interessiert ist. Es ist, und damit schlage ich gekonnt den Bogen zur meinem zweiten Absatz, tatsächlich ein Film wie die Gegend, in der er spielt – eigentümlich, widerspenstig, ein wenig langsamer als der Rest der Welt, doch wer sich darauf einlässt, wird bemerken, dass es genau diese Eigenschaften sind, die ihn auf seine Weise liebenswert machen. Und für Irland-Fans ist der Streifen sowieso essentiell…
4/5