Godforsaken

 
  • Deutscher Titel: Godforsaken
  • Original-Titel: Van God Los
  •  
  • Regie: Pieter Kuijpers
  • Land: Niederlande
  • Jahr: 2002
  • Darsteller:

    Egbert Jan Weebber (Stan), Tygo Gernarndt (Maikel), Angela Schijf (Anna), Mads Wittermans (Sef)


Vorwort

Holländische Gegenwart – Stan, vernachlässigter und gelangweilter Endteenage-Sohn aus besserem Hause, macht zufällig die Bekanntschaft des lokalen Kleinkriminellen Maikel und hilft ihm aus einer Patsche. Stan freundet sich mit dem rebellischen Outsider an und spielt für Maikel auch den „offiziellen“ Freund dessen Geliebter Anna, deren Eltern von Maikel verständlicherweise gar nichts halten… nun, das alles wäre noch nicht wirklich abendfüllend, wenn Maikels Junkie-Punk-Kumpel Sef nicht eines Tages einen todsicheren Tipp für schnelle Kohle hätte – ein kleiner Überfall auf einen Hanf-Züchter. Blöderweise geht der Coup natürlich voll in die Bux und der Dope-Anbauer beisst in sein Gras, was wiederum dessen Boss, den örtlichen Crimelord Osman, auf den Plan ruft. Osman zwingt unsere Helden dazu, für ihn einen Auftragsmord zu übernehmen, und nachdem das ganz vernünftig funkioniert, folgen weitere Jobs. Das freut besonders Maikel, der mit der eingenommenen Kohle für die mittlerweile schwangere Anna ein gemütliches Häuschen einrichtet. Dumm nur, dass Anna eigentlich nicht wirklich was mit einem Mörder zu tun haben will – und so steuert die ganze Menage zielstrebig auf eine Katastrophe zu.


Inhalt

Wenn der Postbote einem die neusten Sunfilm-Scheiben in die Hand drückt, ist man ja als Filmfreund schon optimistischer als, sagen wir mal, wenn man einen Stapel Madison- oder Best-Discs geliefert bekommt. Der gesunde Optimismus wird aber bereits vom Cover-Spruch k.o. geschlagen: „Die europäische Antwort auf ‚Natural Born Killers'“ blökt es da einem entgegen. Errr… da versucht aber jemand verdammt große Fußstapfen auszufüllen (und dabei bin ich mir sicher, dass Pieter Kuijpers, der Regisseur und Co-Autor des Werks, bestimmt nicht beabsichtigte, Oliver Stone Konkurrenz zu machen).

Dieser Vergleich, mit dem der Film übrigens scheinbar weltweit vermarktet wird, kann dem Streifen natürlich gar nicht gut tun, weil „Godforsaken“ nun wirklich nichts, aber auch gar nichts mit Stones zynisch-gewalttätig-komödiantischer Mediensatire im Thrillergewand zu tun hat, sondern ein vergleichsweise kleines, beschauliches Gangsterdramachen ist, dem’s auch nicht wirklich weiter hilft, auf einer wahren Begebenheit zu basieren. Wie viele solche true-crime-Geschichten interessiert sich der Film denn auch weniger für die Action oder die Spannung, sondern mehr für das Beziehungsgewirr der Charaktere untereinander und die Frage, wie ein upper-class-kid wie Stan in die Quasi-Abhängigkeit von einer asozialen und amoralischen Existenz wie Maikel geraten konnte. Die Antwort, die Kuijpers anbietet, ist wieder mal von der stark simplifizierenden Sorte – er lastet die Schuld Stans Elternhaus an – ein an ihm völlig uninteressierter Stiefvater (Huub Stapel, der zweimal durchs Bild läuft) und eine egoistische Mutter, die fälschlicherweise davon ausgeht, dass ihre Bedürfnisse identisch sind mit denen aller anderen Familienmitgliedern – und folgert daraus, dass die wilde, rebellische Welt von Maikel eine unvermeidliche Faszination auf den gelangweilten Stan ausübt, der er sich gar nicht entziehen kann (ein bisschen ironisch ist dabei nur die Ausschmückun, dass Maikel im tiefsten seines Herzens auch nur ein kleiner verklemmter Spießer ist, der vom trauten Familienleben träumt).

Also eher Psychodrama mit ein paar harschen Gewalteinlagen (dazu aber gleich noch) denn Nonstop-Gewaltorgie a la Stones „NBK“. Als Psychodrama steht und fällt „Godforsaken“ latürnich mit seinen Charakteren. Und da liegt der Hund in der Pfanne begraben – ich weiß ehrlich nicht, warum ich eineinhalb Stunden meines Lebens mit diesen… Idioten verbringen sollte. Wenn der Film tatsächlich eine akkurate Zustandsbeschreibung des holländischen Kleinstadtlebens ist, dann Gnade Gott den Käserollern, dann sind die ja wirklich alle (noch, hähä) blöder als ich eh schon dachte. Trotz aller Bemühungen von Regisseur (und auch der Darsteller) ist keine einzige Figur wirklich nachvollziehbar. Wieso Maikel, ein Vollprolet wie er im Buche steht, so faszinierend auf Stan wirkt, wird nie wirklich deutlich – genausowenig, wieso Anna sich zuerst in Maikel verliebt, dann aber Stan zu ihrer Vertrauensperson erwählt. Vor allem Anna ist überhaupt ein sehr nerviger Charakter. Die Geschichte mag angesichts der geschilderten Probleme mit den Charakteren einfach nicht zünden, anstatt irgendwie gebannt vor der Glotze zu sitzen und mit ihnen zu leiden, wünscht man der ganzen Blase eigentlich ein schnelles Ende von Händen eines Killerkommandos o.ä. Es gibt leider nur sehr sehr sehr wenige Szenen, die ansatzweise Emotionalität oder eine Chemie zwischen den Charakteren verbinden (mir fällt eigentlich nur die Szene ein, in der Maikel Stan bei der Beerdigung seines leiblichen Vaters tröstet).

Bezüglich Peter Kuijpers ist zumindest, was das Regiehandwerk angeht, der Vergleich mit Oliver Stone, von der rein technischen Seite her, nicht ganz unangebracht. Zwar lässt Kuijpers den Streifen in einem geradezu marternd langsamen Tempo dahinplätschern (ich sag nach einer Viertelstunde erstmals leicht entnervt auf die Uhr), beweist aber immerhin Virtousität im Umgang mit den verschiedensten Stilmitteln – „konventionelle“, manchmal sogar „stylishe“ Aufnahmen kontrastieren mit griesligen-verwaschenen Rückblenden, hektischem Handkameraeinsatz in monochrom-dokumentarischem Look usw. (das besorgte Label Sunfilm klebt in Booklet dann auch vorsichtshalber den Hinweis, dass die verwaschen-grobkörnige Optik kein Preßfehler, sondern künstlerisches Stilmittel ist). Wie’s halt oft so ist – und speziell bei einem Director, der seinen ersten abendfüllenden Spielfilm abliefert – der gute Wille allein bzw. der technisch gekonnte Einsatz solcher Mätzchen macht noch nicht automatisch einen guten Film, im Gegenteil, des beginnt mit fortschreitender Laufzeit eher zu nerven, und genervt ist man eigentlich eh schon durch den ausufernden Voiceover-Kommentar aus Stans Sicht, der praktisch jede dialogfreie Sekunde mit Erklärungen zulabert – da wäre weniger mal wieder wirklich echt mehr gewesen.

Der Soundtrack bleibt hauptsächlich dadurch im Gedächtnis, als so ziemlich die komplette Hitsträhne der „Vengaboys“ durchgenudelt wird.

Die Schauspieler sind zweifellos bemüht und talentiert. Egbert Jan Weeber zieht seine Rolle aber zu sehr als klassisches „teen-angst-kid“ mit versteinerter Miene durch, dagegen wirkt Tygo Gernarndt („Soul Assassin“) schon lebhafter. Angela Schijf (in Holland ein Star aus der dortigen „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“-Variante) ist hübsch anzusehen, kann aber mit einem entsetzlichen Charakter (wenn der wirklich aus dem wahren Leben übernommen ist, na dann servus…) nicht wirklich Pluspunkte sammeln. Wie schon angedeutet, kuckt Hollands großer Kinostar Huub Stapel für ein-zwei Momente als Stans Stiefdad kurz vorbei.

So, den größten Kritikpunkt muss ich aber jetzt anbringen – Sunfilm bringt „Godforsaken“ leider in einer rüde beschnittenen Fassung auf den deutschen Markt (mir ist eine ungeschnittene Laufzeit von mindestens 95 Minuten kolportiert worden, das riecht also nach weit über 10 Minuten Schnitten) – ich gehe mal stark davon aus, dass es sich hierbei um blutige Gewaltausbrüche handelt (da Sunfilm sich normalerweise nicht scheut, auch JK-geprüfte Sachen zu veröffentlichen, ist fast davon auszugehen, dass diesem Film das „strafrechtlich unbedenklich“-Zeugnis verweigert wurde) – nicht, dass ich ernstlich der Ansicht bin, der Film an sich würde dadurch deutlich verbessert, aber es muss dem interessierten Publikum schon gesagt werden, dass man sich die vom Regisseur gewollte Fassung also aus dem Ausland besorgen muss.
Anmerkung: Die Existenz einer längeren Fassung konnte ich bislang nicht verifizieren!

Bildqualität: Nachdem ich mich von dem mittleren Tobsuchtsanfall erholt hatte, den Sunfilm-Scheiben traditionell auslösen, wenn ich sie mal wieder versehentlich in den falschen Player stopfe (Stammleser wissen ja – mit Sunfilm-DVDs hat meine Player-Landschaft so ihre liebe Müh und Not) und bereits nach 16 Minuten den ersten Totalfreeze beheben muss, lässt sich ansonsten gegen die Scheibe nicht viel sagen. Der anamorphe 1.85:1-Widescreen-Transfer kommt störungsfrei daher, hat mit keinem der eingesetzten Stilmittel von bewußter Grobkörnigkeit über Weichzeichnung bis zum hektischen Handkameragezappel Schwierigkeiten, ist ordentlch scharf, bietet gute Farben und einen ausgezeichneten Kontrast. Die Kompression verrichtet ihren Dienst problemlos.

Tonqualität: Auch an Tonspuren herrscht wie üblich kein Mangel. Deutscher und holländischer O-Ton in Dolby Digital 5.1 und Surround 2.0 sind selbstverständlich, für die deutsche Fassung liegt auch ein dts-Track vor, wobei „Godforsaken“ mal wieder kein großartiges Surround-Spektakel ist, bei dem sich ein dts-Treatment förmlich aufdrängt. Ich bleib beim (natürlich optional untertitelbaren) holländischen 5.1er-Track (weil ab und zu holländisch anhören und mitraten, was man wirklich versteht, lustig ist), der voll zufriedenstellend ist. Ausgezeichnete Sprachqualität, völlige Rauschfreiheit, angenehmer Mix von Dialog-, Effekt- und Musikton.

Extras: Das ist leider etwas mager – mehr als eine Fotogalerie und den Originaltrailer hat Sunfilm (neben der diesmal aber sehr sparsam ausgefallenen) Trailershow nicht zu bieten. Schade, da zumindest ein Making-of existiert.

Fazit: „Godforsaken“ ist in seiner vorliegenden Form ein ziemlich ödes, durch gelegentliche Gewalteinlagen „aufgepepptes“ Psychodrama mit uninteressanten, da nicht nachvollziehbaren Charakteren, dass sich die Vergleiche zu „Natural Born Killers“ allenfalls in der ungeschnittenen Fassung verdienen könnte, und auch das bezweifle ich, da Regisseur Kuijpers zwar durchaus mit ungewöhnlichen Stilmittteln umgehen kann, sie aber nicht der Handlung unterordnen bzw. als klare Aussage definieren kann (wie es z.B. eben Stone kann). Der Punkt, den Kuijpers offensichtlich zu machen wünscht, ist zu offensichtlich (und zu schnell gemacht), als dass der Film wirklich fesseln könnte. Da die Scheibe zudem a) gekürzt und b) mager ausgestattet ist, kann ich eine Kaufempfehlung guten Gewissens nicht aussprechen (siehe Anmerkung oben).

2/5
(c) 2004 Dr. Acula

originally posted: before 2006


mm
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Silke
Silke
24. Januar 2020 9:55

„mir ist eine ungeschnittene Laufzeit von mindestens 95 Minuten kolportiert worden“:
von wem und wo gibt es diese angeblich längere Fassung? die holländische DVD hat dieselbe Spieldauer wie die deutsche, wie es aussieht…
danke