Global Metal

 
  • Deutscher Titel: Global Metal
  • Original-Titel: Global Metal
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  • Regie: Sam Dunn, Scot McFayden
  • Land: Kanada
  • Jahr: 2008
  • Darsteller:

    Tom Araya, Kerry King, Max Cavalera, Rafael Bittencourt, Bruce Dickinson, Marty Friedman, Lars Ulrich


Vorwort

Kollege G besprach vor einiger Zeit sehr wohlwollend die Doku Metal – A Headbangers Journey, in der Sam Dunn, ein kanadischer Metalfan, Ursprüngen und Entwicklungen des Heavy Metal auf die Spur ging. Basierend auf für ihn überraschende Reaktionen aus distinkt un-metallisch scheinende Flecken auf Gottes Erdboden entschied sich Dunn für ein Nachfolgeprojekt, um in eben jenen entlegenen Winkeln der Welt die jeweiligen Metal-Szenen zu besuchen und die lokalen kulturellen Einflüsse auf die Szene zu erforschen.


Inhalt

Zunächst geht’s direkt von Wacken aus, eher weniger überraschend, nach Brasilien, wo, noch weniger überraschend, Sepultura exemplarisch für die Entwicklung des einheimischen Metals im Mittelpunkt und durchaus berechtigterweise stellvertretend für die rasende Entwicklung stehen, die die harte Musik in Brasilien seit dem Ende der Diktatur 1985 genommen hat – von eindrucksvollen Aufnahmen vom ersten „Rock in Rio“-Festival bis hin zun den „Grandes Galerias“, einem ganzen Heavy-Metal-Einkaufszentrum in Sao Paulo. Max Cavalera gibt zum Besten, wie seine Band – nachdem man auf einem Destruction-Cover gesehen hatte, wie ein Metalhead nunmal aussehen MUSS – aus Batterien „Patronengurte“ improvisierte, und Rafael Bittencourt von Angra verbucht einen großen Lacher mit der trockenen Feststellung, dass es aus heutiger Sicht sehr seltsam ist, dass man mal Whitesnake sehen wollte…

Weiter geht die Reise nach Japan, wo Dunn der Frage nachgeht, inwieweit die traditionelle strenge, uniforme japanische Kultur die Szene beeinflusst, und feststellt, dass der Anfang der 70er importierte Metal wie ein Kulturschock über das Land brach (mit Ausnahme von Kiss, die aufgrund ihres Make-ups als in der Tradition des kabuki-Theaters gesehen wurden und es deswegen ein wenig leichter hatten). Neben einem offensichtlich nicht ganz solide recherchierten Ausflug in die Visual-Kei-Szene (die Dunn als eigenständige Musikrichtung interpretiert, obwohl, wie der Name schon sagt, es hier eher um ein vom musikalischen Stil unabhängiges visuelles Image geht), der mich dringlich angemahnt hat, nach Musik von X-Japan zu suchen, sind hier vor allem Szenen aus einer Rockbar für gesetztere Herrschaften drollig, in der 50jährige anzugtragende Businessmen zu Deep Purple mitgröhlen und Luftgitarre spielen (und selbstverständlich gibt’s auch albern kichernde Schulmädchen im Metal-Outfit). Außerdem wird die Frage geklärt, was aus Ex-Megadeth-Klampfer Marty Friedman geworden ist – der ist in Japan seßhaft geworden, ist dort regelmäßiger Gast in Variety-Shows und macht lustig-doofe Projekte wie „Death Panda“ (ein Metalsong mit Anime-Video, dessen Vocals von einem 48köpfigen Schulmädchenchor bestritten werden).

Interessanter wird’s mit den nächsten Stationen – zunächst steht Indien auf der Reiseroute, wo Metal noch ein vollkommen neues Phänomen ist und dort im Gegensatz zu z.B. Brasilien keine „Arme-Leute“-Musik ist, sondern speziell von der gebildeten oberen Mittelschicht gelebt und geliebt wird, die sich mit den traditionellen Strukturen der indischen Gesellschaft und ihren Bollywood-Idealen nicht abfinden wollen, trotz der Problematik, dass es kaum Auftrittsmöglichkeiten gibt und Metal-Konzerte notgedrungen gleich neben Hochzeiten in Hotels stattfinden. Hier herrscht noch echte Aufbruchsstimmung.

Danach geht’s nach China, wo Metal zunächst von einem US-stämmigen Chinesen mit seiner Band Tang Dynasty eingeführt wurde und später durch massenhaft illegal importierte „cut-out“-CDs populär wurde; man möchte es kaum glauben, aber scheinbar ist man in China als Metal-Fan nur vergleichsweise vernachlässigbaren Repressalien ausgesetzt und trotz der Texte der einheimischen Bands, die Korruption und Machtmissbrauch anklagen, ist die KP wohl mit den Metallern im Reinen; man kann auf Musikschulen sogar das Shredden auf der E-Gitarre lernen…

Kontrovers wird’s beim Abstecher nach Indonesien, dem Land mit der weltweit größten muslimischen Bevölkerung – zu Zeiten der Suharto-Diktatur war Metal ein No-Go, die einzigen großen Konzerte endeten jeweils in mittelschweren Katastrophen – ein Sepultura-Konzert wurde gewaltsam von der Ordnungsmacht aufgelöst, ein späterer Metallica-Gig führte zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Jakarta (Videomaterial gibt’s von beiden Auftritten und es ist schon sehr mit gewissem Gänsehauteffekt zu beobachten, wie Metallica auf der Bühne „Creeping Death“ spielen und im Hintergrund die Feuer der Straßenschlachten brennen…). Nach dem Rücktritt von Suharto geht’s mit der harten Musik aufwärts – und offenbar auch mit der öffentlichen Akzeptanz, so hat ein junger Metal-Fan kein Problem damit, mit einem Rammstein-Shirt zum Gebet in die Moschee zu gehen. Dafür entblödet sich die bekannteste einheimische Band Tangarok (oder so ähnlich) nicht, ihren Song „Destroy Zionism“ im Interview mit dem Statement zu untermauern, dass die Vernichtung des Zionismus notfalls auch durch Zerstörung des Staates Israel erfolgen muss, um auf eine Nachfrage Dunns (der sich wundert, wieso der Frontmann dann eine Armbinde mit durchgestrichenem Hakenkreuz trägt) kleinlaut rumzudrucksen, dass man ja nichts gegen Juden an sich habe, nur gegen ihr System.

Ideale Überleitung für den Sprung nach Israel, wo die Bands ob des ganz realen Terrors vielleicht noch ein bisschen härter sind als anderswo, aber auf okkulte Horror-Lyrics gerne verzichten, weil die Realität erschreckender ist. Die Musiker von z.B. Abad und Salem setzen mit ihrer Aussage, dass sie mit ihrer Musik eher „Licht“ bewirken wollen, einen denkwürdigen Kontrapunkt zu den bisherigen Kulturen, wo Metal ein Ventil für die Unzufriedenen ist, ihre Agressionen, ihren Hass, also die „Dunkelheit“ herauszulassen. Außerdem erfahren wir, dass Salem Ärger mit der Politik hatten, weil sie Slayers „Angel of Death“ coverten (und den Song keineswegs als Holocaust-Verherrlichung sehen) und vom norwegischen Oberbekloppti Varg Vikernes mit einer Briefbombe beehrt wurden.

Dann geht’s weiter nach Dubai, wo das einzige Metalfestival des nahen Osten („Desert Rock“) stattfindet, mithin also die einzige Chance für Metal-Fans aus dem Iran, aus Saudi-Arabien, aus dem Libanon, aus Ägypten usw. ist, mal richtig die Sau rauszulassen. Dunn interviewt Fans, die von ihren Erfahrungen mit Religionspolizei und anderweitiger Ordnungsmacht berichten, außerdem gibt’s Aufnahmen vom einzigen jemals genehmigten Metal-Konzert in Teheran, wo die Band SDS Morbid-Angel- und Slayer-Cover spielte, unter der Auflage „keine Vocals“ (weil: zu agressiv).

Zum Schluss reist Dunn zurück nach Indien, wo in Bangalore das erste große Metal-Konzert überhaupt stattfindet und der Doku-Macher sich unter 30.000 völlig ausgeflippte Inder mischt, die Iron Maiden huldigen…

Filmisch gibt sich „Global Metal“ als sehr traditionelle Doku – klassische „Reise-Aufnahmen“ wechseln sich mit Interviews und Live-Musik ab, wobei sowohl Fans, Journalisten und Musiker zu Wort kommen und musikalisch sowohl prägende „Star“-Auftritte (wie die erwähnten „Rock in Rio“- oder Metallica-Shows) als auch solche der einheimischen Bands gezeigt werden. Keine große Filmkunst, aber sympathisch nah an den Akteuren, manchmal vielleicht etwas zu unkritisch aus Fan-Perspektive, aber das liegt in der Natur der Sache – Dunn ist Fan und es wäre vermutlich zu viel verlangt, an der ein oder anderen Stelle etwas heftiger nachzuhaken (bei Lars Ulrich z.B., dem Dunn aber immerhin ein relativierendes Statement zum Napster-PR-Debakel abringt und natürlich bei den indonesischen Idioten). Und, heissa, Tom Araya ist alt geworden, der gute Mann sieht inzwischen aus wie ein gemütlicher Hippie-Opa…

Den ursprünglichen Sinn seines Vorhabens, nämlich eine Untersuchung der kulturellen Eigenheiten auf die jeweilige Metal-Szene, verliert Dunn ein wenig aus den Augen, aber das kann man, denke ich, verzeihen – lediglich in Brasilien (wo mit den Muckern von Sepplultra, Angra und Dorsal Atlantica auch kompetente Gesprächspartner zur Verfügung stehen und speziell Sepultura ein exzellentes Beispiel für eine Metalband sind, die spätestens ab „Roots Bloody Roots“ keine Scheu davor hatte, traditionelle Indio-Elemente in ihre Musik aufzunehmen) und China (wo der Gründer von Tang Dynasty ausführlich Rede und Antwort steht) gibt’s eine echte Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Metal-Bewegung, aber es macht nicht viel aus, da der Enthusiasmus der einheimischen Fans in Indien, Indonesien und im nahen Osten regelrecht ansteckend wirkt; speziell für jemanden, der wie meinereiner eigentlich erst zur harten Musik stieß, als sie bereits gewisse gesellschaftliche Akzeptanz erreicht hatte, ist es wie eine Zeitreise in die Aufbruchsstimmung der frühen 80er in Europa und das unter verschärften Bedingungen (schließlich war es selbst zu bleiernsten Zeiten in diesen Breiten, zumindest im Westen, hähä, eher unwahrscheinlich, wegen Tragen eines Metal-T-Shirts oder unanständig langer Haare gravierendere Konsequenzen als böse Blicke und einen Anschiss von den Erzeugern zu kassieren).

Der Soundtrack ist über jeden Zweifel erhaben – von „Fight Fire with Fire“ über „Overkill“, „Two Minutes to Midnight“ bis „Fear of the Dark“ gibt’s Klassiker von Metallegenden und einige der vorgestellten „Exotenbands“ machen neugierig (Tang Dynasty, X-Japan und Salem fallen mir da als erste ein); schade, dass Dunn über die Live-Performances auch gerne mal drüberlabert.

Die DVD kommt aus dem Hause Universal, ist in Punkto Bild- und Tonqualität so perfekt, wie eine kleine Doku es nur sein kann, und bietet wahlweise deutsche oder englische Sprachfassung (letztere mit festen deutschen Untertiteln für nicht-englische Statements). Extras gibt’s außer dem Trailer nicht.

„Global Metal“ macht eines deutlich – Heavy Metal IST ein weltweites Phänomen, ein Ventil, das völlig unabhängig vom kulturellen Background seiner Protagonisten und/oder Fans funktioniert und offensichtlich bei vielen jungen Menschen einen Nerv trifft; die Beispiele Japan, Indien und Israel machen deutlich, dass es sich dabei nicht um ein reines „Unterschichtphänomen“ handelt – dort sind die klassischen „Unzufriedenen“ aber eben nicht die „gewöhnlichen“ materiell Unterprivilegierten wie in Dritte-Welt-Ländern wie Indonesien oder Brasilien, sondern diejenigen, die von verkrusteten Gesellschaftsstrukturen ausgegrenzt werden. Bis auf wenige Ausnahmen (eben die indonesischen Spacken) machen mich enthusiatische Menschen wie die jungen Inder oder Araber, die sich trotz aller Repressalien für ihre Musik, für ihren Lebensstil und damit beinahe schon zwangsläufig für Freiheit und Toleranz einsetzen, stolz, Metal-Fan zu sein. Und wenn wir das nächste Mal in den Plattenladen marschieren, um die neue Metallica-oder-was-auch-immer-CD zu kaufen (oder sie downzuloaden, ähem), sollten wir für ein paar Sekunden an diese Fans denken, die für ihre Musik noch wirklich kämpfen müssen – eine beeindruckende Dokumentation, die gleichermaßen humorvoll wie nachdenklich machend Facetten der Metal-Subkultur beleuchtet, die dem normalen Durchschnittsfan nicht oder nur unzureichend bewusst sind. „Global Metal“ mag insgesamt nicht so erhellend sein wie „Metal – A Headbanger’s Journey“, ist dennoch faszinierend und damit ein Pflichtkauf für den aufgeklärten Metalhead ist’s allemal. Buy it.

4/5
(c) 2009 Dr. Acula


mm
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