Gestrandet

 
  • Deutscher Titel: Gestranded
  • Original-Titel: Naufragos
  • Alternative Titel: Stranded | The Shelter |
  • Regie: Maria Lidon (als Luna)
  • Land: Spanien
  • Jahr: 2001
  • Darsteller:

    Vincent Gallo (Luca Baglioni), Maria de Medeiros (Jenny Johnson), Joaquim de Almeida (Fidel Rodrigo), María Lídon (Susana Sánchez), Danel Aser (Herbert Sagan), Johnny Ramone (Lowell), José Sancho (Andre Vishniac), Paul Gibert (Nachrichtensprecher)


Vorwort

Knapp 50 Jahre nach der ersten Mondlandung hat eine internationale Weltraumexpedition den Roten Planeten Mars erreicht. Doch während des Landeanflugs geht etwas schief – die Landefähre bruchlandet energisch, Kommandant Vishniac bricht sich im allgemeinen Absturzchaos blöderweise das Genick und besteht darauf, tot zu sein. Nach Analyse der Sach- und Rechtslage eröffnen sich den fünf Überlebenden einige unangenehme Wahrheiten: ihre Kapsel wird nie wieder starten, ihr einziger an Bord des Mutterschiffs gebliebener Kollege kann ihnen nicht helfen und eine Rettungsmission von der Erde wird, wenn dort überhaupt für sinnvoll erachtet, so ungefähr zweieinhalb Jahre brauchen, bis sie eintrifft. Dummerweise, rechnet Bordingenieur Luca aus, reichen Luft, Wasser und Energievorräte höchstens für ein Jahr – zwei Menschen allerdings könnten lange genug überleben… Pilotin Susana, ihrerseits der neue Astronautenhäuptling, bestimmt undemokratisch, dass sie selbst, Astrobiologe Fidel und Geologe Herbert – im Gegensatz zu Ärztin Jenny und Ingenieur Luca – keine lebensnotwendigen Aufgaben zu vollbringen haben und daher in den sicheren Tod zu marschieren haben. Doch während Luca und Jenny in der vermeintlich sicheren Kapsel bald bemerken, dass ein Sauerstoffleck Lucas sorgsame Berechnungen komplett über den Haufen wirft, stoßen Susana und Fidel in einem geheimnisvollen Mars-Tal auf Spuren einer untergegangenen außerirdischen Zivilisation…


Inhalt

Ich weiß nicht, was um die letzte Jahrtausendwende in der Luft lag, aber es muss ein Mars-Virus gewesen sein. Neben den drei mehr oder weniger großbudgetierten Hollywoodprojekten „Mission to Mars“ (ging so), „Red Planet“ (reden wir nicht drüber) und Ghosts of Mars (Blech) machte man sich auch auf der iberischen Halbinsel, wenn auch mit deutlich geringeren monetären Mitteln, daran, Astronauten auf den Erdnachbarn zu schießen, auf dass ihnen dort etwas mehr oder weniger interessant-sehenswertes zustoßen möge.

Ein geringes Budget (man rapportiert umgerechent vier Millionen Dollar) lässt zumindest die Hoffnung zu, dass anstelle einer Special-FX-Extravaganz ein praktikables Drehbuch im Vordergrund steht, andererseits kennen wir ja alle genügend Low-Budget-SF und wissen, wie das oft und gerne endet. Erfreulicherweise schlägt „Stranded“ grundsätzlich die charakterorientierte Richtung ein und müht sich um einen realistischen Anspruch. Die von Debütschreiberling Juan Miguel Aguilera erdachten Situationen und Charaktere wirken (bis auf einigen wirklich hanebüchenen pseudowissenschaftlichen Mumpitz über Magnetfelder-Anomalien, der als Ausrede für den Absturz herhalten muss) – bis zu einem gewissen Punkt, auf den ich gleich noch eingehen werde, glaubhaft. Unsere Raumfahrer sind keine heroischen Übermenschen, die für jedes Problem eine Lösung haben und vernünftig/logisch/sachlich mit einer schlechten Lage umgehen, sondern durcheinanderplärrende, durch den Verlust ihres Kommandten völlig überforderte „Normalos“, die sich zum Teil ihren Platz in Team durch beherztes Lügen in den Eignungstests erschlichen haben und nun, 190 Millionen Kilometer von daheim entfernt, im Großen und Ganzen keine Ahnung haben, was sie tun sollen. Ingenieur Luca ist der fast hysterische Stinkstiefel, der jede ausgefallene Idee (die meist vom heillosen Optimisten Herbert kommen) sofort als unrealisierbar verwirrt, Biologe Fidel ist ein resignierter, vor Angst schlotternder Feigling, Ärztin Jenny (mit der ich ein bis zwei gravierende Probleme habe) völlig nutzlos und setzt völlig falsche Prioritäten und Ersatz-Kommandantin Susana versucht, rationale Entscheidungen zu treffen, ohne allerdings wirklich Alternativen abzuwägen. Zu Jenny sei gesagt, dass mir ihr offensiv ins Zuschauerantlitz geschlagener Religions-Tick fulminant auf die Nerven ging – nicht nur, dass ihr größtes Problem nach dem Absturz zu sein scheint, dass ihre Mitastronauten ein „christliches Begräbnis“ für den gefallenen Commandante nicht mit gleich großer Priorität behandeln als sie, nein, als die Entscheidung getroffen werden muss, wer zwangsfreiwillig sterben muss, um zwei Gefährten das Überleben zu ermöglichen, nimmt sie sich mit einem trotzig hingeworfenen „meine Religion verbietet Selbstmord“ aus der Gleichung – und kommt damit auch noch durch… das ist weder eine sonderlich christliche (schließlich verurteilt sie dadurch eine andere Person zum Tode) noch eine sonderlich, ähm, ärztliche Einstellung (schließlich sollten Doktoren ja Leben bewahren, und nicht unbedingt in erster Linie das eigene).

Die „Überraschung“ am Script von „Stranded“ liegt darin, dass wir uns nicht, wie angesichts des Szenarios zu erwarten (und von zahlreichen SF-Filmen bereits durchgezogen) hauptsächlich mit der Frage „wer darf leben/wer muss sterben“ befassen. „Stranded“s Script ist zweigeteilt – die ersten vierzig Minuten behandeln den Absturz, seine unmittelbaren Folgen und die Versuche der Crew, sich der neuen Situation anzupassen, bis Luca mit seinen verheerenden Berechnungen daher kommt und nach kurzer Diskussion nicht nur beschlossen wird, dass, sondern auch wer zur Sicherung der Überlebenschancen für zwei Crewmitglieder auf eine Selbstmordmission gehen muss. Das komplette „Drama“ dieser nicht ganz ungewichtige Frage wird auf wenige Minuten reduziert und kaum wirklich durchdiskutiert (allerdings muss man zugeben, dass die Auswahlkriterien nachvollziehbar sind – ist nicht der Fehler der Argumentation, dass die beiden ausgekuckten Überlebenden die unsympathischten Typen sind). Die zweite Filmhälfte wird dann einerseits mit Jenny und Luca und ihren nicht sonderlich ergreifenden Erlebnissen in der Raumkapsel (auch unter der Maßgabe, dass Lucas Überlebensplan sich durch das Sauerstoffleck schnell erledigt hat) und dem vermeitlichen Todesmarsch ihrer Gefährten verbracht. In dieser zweiten Hälfte verliert das Script deutlich an Dampf, selbst die Entdeckung des von einer ausgestorbenen Mars-Zivilisation angelegten Höhlensystems bringt nicht viel Fahrt in die Plotte – mehr, als dass die verbliebenen Protagonisten durch hieroglyphenverzierte Gänge stapfen, große Augen machen und Platitüden wie „das sehen zu dürfen, war alles wert) murmeln, passiert hier nämlich auch nicht – zu seinem Glück verabschiedet sich „Stranded“ in seiner Schlussphase nicht ganz in solchen mythologisch verbrämten Unsinn wie „Mission to Mars“, aber nur knapp. (SPOILER) Den verbliebenen Figuren eine überlebenstaugliche Enklave mit Sauerstoff, Wasser und potentiell nahrungstauglichen Algen hinzustellen, erlaubt zwar ein einigermaßen ambivalentes – denn von einer „Rettung“ im Wortsinne kann nicht die Rede sein – Ende und der Verzicht auf „richtige“ Erklärungen unterstreicht durchaus den gewollten realistischen Anspruch (denn im echten Leben würde ein zusammengewürfeltes Team eben höchstwahrscheinlich NICHT alle Rätsel lösen), aber es ist unbefriedigend, eine Antiklimax und vor allen Dingen – da man als Zuschauer ab dem Moment, in dem Susana und Fidel das sauerstoffgefüllte Höhlensystem entdecken, auf die „Pointe“ schließen *muss* – nicht sonderlich spannend (SPOILERENDE).

Eins allerdings ist als ungewöhnlich anzumerken – Genrefilme, speziell SF-Filme und noch spezieller doch eher „hardware-orientierte“ SF-Filme aus Frauenhand sind selten. Unter dem Pseudonym „Luna“ verbirgt sich Hauptdarstellerin María Lídon und liefert im Vergleich zu ihren männlichen Rivalen einen handwerklich passablen Job ab. Die ersten, praktisch ausschließlich in der klaustrophobischen Enge der Raumkapsel handelnden vierzig Minuten sind durchaus packend, da Lídon ihren durchaus souverän agierenden Darstellern und den Charakterkonflikten die Bühne überlässt und die sich einstellenden Kontraste von „wild rumbrüllende Wut“ bis „stille Resignation“ die gewünschte, halbdokumentarische Wirkung nicht verfehlen. Spannungshinderlich ist allerdings, und hierfür verdienen sowohl Drehbuchautor Aguilera als auch Regisseurin Lídon eine Tracht Prügel, der aufdringliche voice-over-Kommentar aus Susanas Perspektive, der nicht nur von Anfang an schmerzlich klar macht, dass sie überleben wird (was speziell freilich dem „Todesmarsch“ einen Großteil der Spannung nimmt) als auch rein stimmungstechnisch nicht von Vorteil ist, wenn ruhige Szenen, in denen die Crew ihren Aktivitäten nachgeht, zugetextet werden. In der zweiten, der „Marsch“-Hälfte hätte der voice-over zumindest eine dramaturgische Berechtigung, da wir hier viele Szenen aus „Helmkamera“-Sicht miterleben (weil die drei Wanderer ihre Erlebnisse für die Nachwelt aufzeichnen), *wenn* er sich dann auf einen, äh, „Live-Kommentar“ beschränken würde und nicht aus Susanas „Rückschau“ erfolgen würde – das macht den realistisch, „dokumentarischen“ Ansatz kaputt, zumal der voice-over selbst zu 99 % aus Käse der ungenießbareren Sorte besteht. Dabei hätte der Ansatz, die Geschehnisse des „Marsches“ *nur* aus Helmkamera-Sicht zu zeigen, durchaus etwas reizvolles (sozusagen ein „Blair Witch Project“ in space, was eine Idee ist, die ich hiermit spontan erfunden habe und mich darüber wundere, warum eigentlich noch niemand darauf gekommen ist) – in der Tat hat „Stranded“ in dieser Phase einen effektiven Shot (SPOILER: als Susana die erste Leiche eines Marsbewohners entdeckt SPOILERENDE), aber, wie gesagt, der Film hält diesen Ansatz nicht durch und wechselt munter zwischen Doku-Ansatz und herkömmlicher Kameraführung hin und her. Lídon versucht offensichtlich, eine Art „Operation Ganymed“/“Unternehmen Capricorn“-Flair – nur ausnahmsweise eben mal AUF dem fremden Planeten und nicht auf der Erde – herzustellen, was ihr nicht völlig gelingt.

Optisch ist „Stranded“ nicht sonderlich abwechslungsreich, aber immerhin gibt die vulkanische Landschaft Lanzarotes plus roter Farbfilter eine sehr echt wirkende Marsoberfläche her. Wissenschaftliche Fakten wie die geringe Marsgravitation werden zwar angesprochen, aber nicht filmisch umgesetzt (das wäre unter dem Budget vermutlich nicht möglich gewesen), großartige Production Values sind nicht zu vermelden. Das Raumschiffinnere sieht recht realistisch aus, das unterirdische Höhlensystem der Marsianer lebt von Set-Recycling, aber das machen ja auch andere, größere Filme. Abstriche müssen bei den (wenigen) Weltraum-CGI gemacht werden, die auch 2001 nicht state-of-the-art waren und sehr nach (nicht sonderlich aufwendigem) Videospiel wirken, aber die FX sind für den Film ja auch nicht wesentlich. Make-up- oder horrible Effekte gibt’s nur in Form der nicht übermäßig einfallsreichen Marsianer-Leichen.

Der Cast ist für eine Low-Budget-Produktion aus Spanien gar nicht mal so übel. Vincent Gallo („Arizona Dream“, „Truth or Consequences, N.M.“, „Freeway II – Confessions of a Trickbaby“), der sich seinen claim to fame schon dadurch verdient hat, sich im von ihm selbst inszenierten „The Brown Bunny“ von Chloe Sevigny legitim, äh, Oralsex angedeihen gelassen zu haben, ist als aufbrausender Luca zunächst angemessen widerlich und unsympathisch, um seine „Schwäche“, seine Resignation im Schlussakt wirken zu lassen. Die Zusammenarbeit mit Lídon gefiel ihm offensichtlich gut genug, sie 2006 in „Moscow Zero“ (wo, wie sich die Kreise schließen, „Red Planet“-Bezwinger Val Kilmer auch mit von der Partie war). Maria de Medeiros („Pulp Fiction“, „Henry & June“) ist leider eine jener Aktricen, die mich durch bloße Existenz nerven – eine von denen, die meinen, durch unschuldiges Kullern mit den großen Augen und allgemein dümmlichem Gesichtsausdruck als „irgendwie süß“ über die Runden zu kommen. Audrey Tautou käme damit vielleicht durch (aber die kann nebenher auch noch schauspielern), de Medeiros… nein, eher nicht. Dass ich zudem auch noch ihren Charakter nicht leiden mag, kommt erschwerend hinzu. Womöglich wäre es sinnvoller gewesen, Lídon, die als Susana eine solide schauspielerische Leistung hinlegt, und de Medeiros die Plätze tauschen zu lassen. Der Marsch ins Ungewisse und die „Erlösung“ durch die Anlage der Marsianer würden besser zu de Medeiros‘ religiösem Charakter passen als zur rationalen Lídon-Figur. Joaquim de Almeida („24“, „Bobby Z“, „Desperado“, „Behind Enemy Lines“), der auch in Lídons nachfolgenden Regiewerken „Yo, Puta!“ und „Moscow Zero“ mit dabei war, spielt als weinerlicher Fidel gut gegen sein Image als eher harter Bursche an und perfektioniert das traurige „sad panda face“. In einer kleinen Nebenrolle verdingt sich übrigens der 2004 verstorbene Alt-Punk (und erzkonservative Reagan-Fan) Johnny Ramone.

Bildqualität: Marketings DVD-Release ist mittlerweile im Hause ScreenPower gelandet und wird von dort als Repack für die Grabbeltischschiene vermarktet. Die „Sci-Fi Edition“ besticht durch erlesen bescheidene Covergestaltung, aber auch durch einen guten anamorphen 2.35:1-Widescreen-Transfer mit überdurchschnittlichen Schärfe- und Kontrastwerten, ohne Störungen oder Verschmutzungen und guter Kompression.

Tonqualität: Vier Tonspuren stellt Marketing zur Auswahl – deutscher Ton in Dolby 2.0 und 5.1 sowie dts, dazu englischen Ton in Dolby 2.0, deutsche Untertitel werden geliefert. Da sich von der Tonspur her nichts sonderlich sensationelles in Form von Musik oder Sound-FX anbietet, kann sich die Scheibe auf diesem Gebiet kaum auszeichnen. Immerhin – die Synchro ist ziemlich gut gelungen, rauschfrei ist der deutsche Sprachtrack ebenso.

Extras: Wie üblich auf Marketing-Releases gibt’s eine Fülle mehr oder weniger sinnvoller Extras. Wir bekommen Trailer, Slideshow, eine Artwork- und Promotion-Galerie, ein Making-of, internationale Pressestimmen, Presse-Interviews mit „Luna“ in Galerieform, das Presseheft als Galerie, Ausschnitte aus der spanischen und der US-Fassung, Filmografien, ein Making-of der deutschen Synchronfassung, Kinoaushangmaterial und Filmografien.

Fazit: Ich würde „Stranded“ gerne besser finden als er ist – der Versuch, den Mega-Blockbustern aus Hollywood einen „ernsthaften“, seriöseren, schon fast halbdokumentarischen Mars-Film entgegenzusetzen, honoriere ich, aber dummerweise ergibt sich der Film in seiner zweiten Hälfte genau den Mars-Klischees, die man schon in anderen Filmen nicht mehr sehen wollte; die ausgestorbene Mars-Zivilisation ist ein Plot-Gimmick, das sich spätestens mit der verkorksten Bradbury-Adaption der „Mars-Chroniken“ erledigt hatte. Anstatt wirklich Nägel mit Köpfen zu machen und den Überlebenskampf einer Handvoll Astronauten in einer lebensfeindlichen Umwelt darzustellen und *wirklich* eine Art „Operation Ganymed“ für’s 21. Jahrhundert zu realisieren, schüttelt auch dieser Film wieder die billige „außerirdische-Erlöser“-Masche aus dem Ärmel und negiert damit seine gelungene erste Hälfte. Wenn man dann als Filmemacher noch soweit gehen muss, die trotzdem nicht ganz zu vermeidende Spannung durch den voice-over zu töten, führt das schlussendlich dazu, dass ich „Stranded“ nicht wirklich empfehlen kann. Der sich achtbar schlagende Cast wird vom Drehbuch und dramaturgisch fragwürdigen Regieentscheidungen im Stich gelassen. Schade – auch „Stranded“ bringt das Mars-Abenteuer an sich nicht weiter. Scheint so, als bliebe der beste Mars-Film immer noch der, in dem die Protagonisten gar nicht erst dorthin flogen (also „Unternehmen Capricorn“)…

2/5
(c) 2009 Dr. Acula


mm
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