Gesichter des Todes

 
  • Deutscher Titel: Gesichter des Todes
  • Original-Titel: FACES OF DEATH
  • Alternative Titel: JUNK | THE ORIGINAL FACES OF DEATH |
  • Regie: Conan LeCilaire (John Alan Schwartz)
  • Land: USA
  • Jahr: 1978
  • Darsteller:

    Michael Carr (Dr. Francis B. Gröss)


Vorwort

Ich weiß nicht, vielleicht hat der geneigte Leser ja eine normale Kindheit gehabt, aber in den 80er und 90er Jahren war GESICHTER DES TODES Teil eines „rite of passage“, ein Übergangsritual ins Erwachsenenalter. War man Manns genug, um die gezeigten Schrecken zu überwinden? Oder ein Weichei dem das Hirn einfriert (und der seine Tage vermutlich irgendwann als psychotischer Serienmörder fristet)? War man ein echter Kerl, der den Film einer Klassenkameradin vorspielt und, sozusagen als Beschützerfigur, dabei zumindest die Farbe ihres Büstenhalters erspüren konnte? Oder war man gar „The M.A.N“, der seine Videokassette im Pausenbereich zirkulierte und sich bei der Sichtung mit den Kumpels jovial eine handvoll Erdnussflips in den Rachen schob?

Wie man es auch dreht, GESICHTER DES TODES war für viele einfach Teil des Erwachsenwerdens. Natürlich haben die Eltern gemeckert: Der Filius würde die GESICHTER DES TODES nie, nie … NIEMALS … zu Gesicht bekommen. Kann es denn eine treffendere Empfehlung geben?

Also machen wir uns auf die Reise in die dunkle Welt des Bruder Hein, aus dem, abgesehen von ein paar Typen aus Haiti und angeblich ein verurteilter Verbrecher aus Judäa, noch nie jemand zurückgekehrt ist. Haben alle genug Popcorn?


Inhalt

Als erstes sehen wir Szenen einer Herzoperation. Der organische Wecker wird fachgerecht von Chirurgenhand freigelegt, pumpert lustig vor sich hin und plötzlich: Sense (vielleicht hat auch nur jemand die „Pause“-Taste der Kamera gedrückt). Dann ein paar Bilder die zeigen wo man endet, wenn einem der Ticker stehen bleibt. Sprich: die Kadaveranstalt.

Nun sehen wir einen Mann im Ärztekittel, der sein Büro betritt und dabei unzeremoniell seine Ärztehandschuhe in einen Mülleimer fallen lässt (was suggeriert, dass er der Dottore war, dem gerade ein Patient unter dem Messer weggestorben ist). Der Kerl mit dem Zauselbärtchen stellt sich als Francis B. Gröss vor. Gröss ist ein Doktor, der Jahre damit verbracht hat, auf der ganzen Welt den grimmigen Schnitter zu studieren und seine Erkenntnisse auf Film zu bannen.

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Der Hausarzt ihres Vertrauens:
Francis B. Gröss, Dr. med. gdt.

In Südamerika war er gewesen und hat die Mumien von Guanajuato gefilmt (scheinbar zeitgleich mit Werner Herzog, der dieselben Szenen in seinem NOSFERATU – PHANTOM DER NACHT verwurstet hat. Oder er hat geklaut, der Herzog).
Es folgt eine Piranhaattacke auf eine Python; Wilde jagen ein paar Äffchen mit Blasrohren und präsentieren danach stolz ihre Schrumpfkopfkollektion (die Wilden, nicht die Affen, versteht sich). Aber auch im „Lande Afrika“ (O-Ton Gröss) war der Wissenschaftler zu Besuch und filmte dort die Maasai bei der Löwenjagd und dem Blutmelken ihrer Rinder (ich kann aus eigener Erfahrung berichten, nach ein paar Schlucken „Pombe“ kann man sich daran gewöhnen).

Wir bleiben kulinarisch, ziehen durch die Schlachthäuser von Amerika, wo wir der Akkordabschlachtung von Hühnern, Schafen und Kühen beiwohnen.
Dann geht’s in ein ägyptisches Restaurant: Ein paar amerikanischer Touristen haben beschlossen, im Morgenland eine ganz besondere Delikatesse zu verköstigen. Nach ein paar mundvoll Palmschnaps wird ihnen ein jämmerlich plärrendes Affenvieh, nebst ein paar handlicher kleinen Hämmern, präsentiert. Mit offensichtlichem Horror schlagen die Gäste den Affenschädel ein. Das Vieh quengelt, gibt seinen Unmut über die Behandlung kund, beschließt aber letztendlich doch (ewige) Ruhe zu geben. Schon kommt ein Hippie-Araber mit einem scharfen Messer, transchiert den Affenkopf und die Touristen, den Ekel ins Gesicht geschrieben, lassen sich nun das frische Hirn unseres nächsten Verwandten munden. (Anmerkung: Auf der deutschen Videofassung ist dies die vorletzte Szene im Film).

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„Falscher Fuffziger!
Erst was vom ‚verschollenen Bruder’ erzählen,
und dann ein ‚Abendessen unter Freunden’ versprechen!“

Wohl gespeist und gestärkt machen wir uns an den Jagdsport, sehen ein paar Idioten zu, wie sie mit Schnellfeuergewehren auf Haifische ballern, dem allseits beliebten Robbenkloppen in Alaska und Krokodilwildern in Florida. Danach die berühmt-berüchtigte Szene in der ein Polizist versucht, ein in ein Wohngebiet eingebrochenes Krokodil zu fangen und dabei Arm und Leben verliert. „Die Kreatur hat sich gerächt“, philosophiert Dr. Gröss, „aber dabei den Falschen erwischt“. (Leute die die Bullen aus Florida kennen, wagen das zu bezweifeln).

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„Killing is my business – and business is good“.

Nun treffen wir einen Menschen, sein Gesicht hinter einer Skimaske versteckt, der das Menschentöten zu einem Beruf gemacht hat: ein Auftragsmörder, der sein Handwerk gleich an einer Wassermelone demonstriert.
Aber der Mensch tötet nicht fürs Brot allein – als nächstes begleiten wir einen Trupp Polizisten, die das Haus eines Amokläufers stürmen, der gerade seine ganze Familie abgemetzelt hat.
Wo die Opfer von Unfällen, Gewalttaten und Schiessereien landen, wird als nächstes gezeigt: in die städtische Leichenhalle, wo eine kleine Armee von Weißkitteln fabrikarbeitermäßig autopsieren was das Zeug hält.

Was Mördern und Hühnerdieben blüht, sehen wir nun in den amerikanischen Todeszellen: Zunächst muss sich ein jungen Schwarzen in einer Gaskammer begeben und dort nach dem Konsum von Blausäuregas den Geist aufgeben.

Die folgende Szene ist wohl das Aushängezeichen des Films. Meet Larry Da Silva: ein unheilbar Krimineller und Abschaum der menschlichen Rasse, der 1974 eine freundliche, alte Oma für eine handvoll Klimpergeld erschlagen hat (und vergesst nicht: Es hätte Eure Oma sein können; sagt „JA“ zur Todesstrafe! Gad bless America!). Dem Schurken hat seine Stunde gebimmelt und man macht sich auf zum letzen Gang. Ein Pfaffe pfeift das letzte Hallelujah, salbadert irgendwas von wegen „zorniger Heiland“, „Gott hasst Schwule“ und „jüngstes Gericht“, dann heißt es auf „Old Sparky“ Platz zu nehmen.
Wir mögen über die monatliche Rechnung fluchen aber für Da Silva ist alles gratis: Voltaren auf Kosten des Staates. Es zuckt der Leib, es explodieren die Augäpfel, es schäumt der Geifer; es dudelt unsägliche Jazz-Mucke im Hintergrund. Nach zweimaligem Anlauf ist der Schlingel exitus.

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Gottverdammich, ich habe doch gesagt, dass ich gegen Elektrizität allergisch bin!

Nun wird es spirituell: Es ist Gröss gelungen, eine obskure Sekte in Kalifornien zu überreden, ihn bei einer ihrer geheimen Rituale filmen zu lassen. Hier hockt nun ein Haufen verlauster Hippies um eine Leiche. Der Guru gibt eine kurze Ansprache und öffnet dann den Leib des Toten mit einem Messer, um darauf die Innereien an seine wartenden Jünger zu verteilen. Nach diesem letzen Abendmahl kommt es zu einer kleinen, blutverschmierten Orgie, aber der Pietät zuliebe hindert man den Kameramann die allzu expliziten Sexszenen zu filmen.
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Alle Klischees der 60 Jahre Hippie-Kultur erfüllt:
nakische Mädels, bekiffte Gurus und Kannibalismus.

Weit heiliger als bei den menschenfressenden und haschischspritzenden Hippies geht es bei den hinterwäldlerischen Baptisten zu, die mit Schlangen hantieren, sich in Flammen baden, in Zungen plappern und ihre von Inzucht gezeichneten Fressen in die Kamera halten. Einer der Kongregation, so versichert uns Gröss, sei nach der Session an einem Schlangenbiss verendet („and nothing of value was lost“, wie der Volksmund spricht).

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“Und Jehova schuf sie nach seinem Ebenbilde“ – in anderen Worten:
Jehova ist ein Bauerntrottel mit kaputten Genen.

Weg vom abergläubischen Hokuspokus, gehen wir nun Richtung moderner Technik und besuchen ein Kryotechnologiezentrum, wo man den Körper von Samuel Berkowitz für die Ewigkeit, in der Hoffnung ihn in ferner Zukunft zu reanimieren, einfriert.

Spiel und Sport ist nun angesagt. Will heißen: die Wasserleiche eines ertrunkenen Jungen, der sich nach einer Strandparty im Meer einen kühlen Kopf machen wollte, und einen Höhlenkletterer, der sich beim Sturz in eine Felsspalte das Genick gebrochen hat. Dann einen Familienvater der beim Besuch eines Wildreservats einen Braunbären aus nächster Nähe filmen will und selbst auf der Speisekarte des Ursus arctos endet.

Hochhausbrände, Hurrikans und sonstige Naturkatastrophen geben sich die Hand mit Szenen von Krieg, Atomtests, den heimischen Konzentrationslagern anno 1945 und ausgemergelten afrikanischen Kindern. Dann die Kastration eines Schäferhundes.
Und wieder Hippies, die diesmal vor einem Atomkraftwerk protestieren. Der Angeber unter dem langhaarigen Haufen geht soweit, sich mit Benzin zu übergießen und in Brand zu stecken. Zur schmalzigen, von Gene Kauer extra für die Szene komponierten Ballade „Jesus Doesn’t Live Here Anymore“, verwandelt sich der Demonstrant in ein Brikett.

Nun ist die Technik an der Reihe. Ein Stuntman findet bei einer missglückten Aufnahme sein Ende („die Szene landete schlussendlich im Film“, so versichert uns Gröss), einem Fallschirmspringer versagt der Fallschirm und er muss den Weg Richtung Terra Firma alleine antreten, gefolgt von Flugzeug- und Eisenbahnunglücken. Außerdem beobachten wir ein Team von Parapsychologen auf Geisterjagd, die den Beweis für ein Leben nach dem Tod liefern (wer außer einem Geist hätte Fußabdrücke in einem auf dem Boden ausgestreuten Kilo Mehls hinterlassen können?).

And now something completely different: Zu guter Letzt sehen wir eine vermeintlich Schwangere, die es sich nicht hat nehmen lassen, sich für die freudige Geburtsstunde noch zu schminken. Die Frau stöhnt ein wenig, quiekt ein paar Schmerzenswinsler und schon ist es da, das Neugeborene. (Komplett trocken und schätzungsweise ein halbes Jahr alt).

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Frauen tun nur so – in Wirklichkeit ist so eine Geburt die reinste Freude.

Es folgt der Abspann – in der man sich bei der Crew, irgendeinen Michael Carr und den Mumien von Guanajuato bedankt – unterlegt mit schwülstigen Musik und herzerwärmenden Bildern von Blumen und grasenden Bambi-Rehkitzen.

THE END

Analyse

Wie gesagt, gab und gibt es mannigfaltige Gründe sich GESICHTER DES TODES anzusehen – den coolen Macker raushängen lassen, Mädchen abschleppen, Leute schockieren, etc. Dann gab es noch jene ausgebuffte Typen, die den Film mit Freunden guckten, um auszukundschaften wer von den Kumpels ein Idiot ist und den ganzen abgeschmackten Blödsinn für bare Münze nimmt.

Ach, habe ich es noch nicht erwähnt? Der allergrößte Teil ist getürkt. Nachgemacht, falsch wie die Versprechungen eines Bundestagsabgeordneten; nix reale, cappice? Die Szene mit dem elektrischen Stuhl? Wurde im Keller eines Busenfreundes des Regisseurs gedreht. Der Schaum war zerkaute Zahnpasta, und wer glaubt, Gefängniswächter gingen generell geschminkt zur Arbeit, dem würde ich hier gerne den Eiffelturm preiswert anbieten. Die Affenhirnfressenden Touristen? Laiendarsteller; Kumpels vom Regiechef. Das Affenhirn war Blumenkohl (was den ungespielten Ekel beim Verzehr erklärt) und Drehort ein marokkanisches Restaurant in San Francisco. Der arme Bergsteiger und sein gebrochenes Genick? War der Chef vom Maskendepartment, Allan A. Apone (Spoiler Ahead: wir sehen ihn in GESICHTER DER TODES Teil 2 als Wasserleiche wieder). d Und wenn jemand gerne wüsste, wie Regisseur Conan LeCilaire alias John Alan Schwartz aussieht, da ist der Schelm: Der Charles Manson-Typ in der Kannibalismusszene:

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Biss nach dem Erfolg von GdT in feinste Rumsteaks statt Gedärm:
Regisseur John Alan Schwartz.

Ja, sie sind natürlich vorhanden: die „echten“ Szenen. Aber nur ein paar, die Großteils aus Nachrichtensendungen und anderen Dokus geschnitten wurden. Die Kryotechnik-Szene zum Beispiel war echt. Samuel Berkowitz verstarb 1978 und ließ sich einfrieren. Fünf Jahre später hatten die Verwandten keinen Bock mehr die Miete für das Berkowitzs Gefrierfach zu bezahlen und ließen ihn beerdigen (ob als Sterbedatum auf dem Grabstein 1978 oder 1983 angegeben wurde, ist uns nicht bekannt).
Authentisch waren auch die Schlachthausszenen, die Hühnerenthauptung und die Szenen in der Leichenhalle, durch die der bekannte Pathologe Thomas Noguchi führt (Noguchi war die Inspiration für TV-Serienheld Quincy und hatte schon die Leiche von Marilyn Monroe unter seinem Seziermesser).

LeCilaires Rechnung ging auf: Aus den schlappen $ 400,000 Budget wurden über die Jahre mehr als $ 30 Millionen. Nicht schlecht für einen Film, der unter dem Titel JUNK ursprünglich exklusiv für den gore-hungrigen japanischen Markt produziert wurde.

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Nur eine dieser Szenen ist nachgestellt –
ich überlasse es den Internetdetektiven raus zu finden welche.

Eine Gans, die goldene Eier produziert, soll man nicht allzu schnell schlachten und so drehte man insgesamt drei Nachzieher: GESICHTER DES TODES II hatte weit mehr reale Momente. Zirka 80 Prozent der Szenen sind authentisch, darunter wieder Autopsien, Aufnahmen von Darmkrebs, die Lawinentragödie von Reckingen im Wallis, Autobahnfutter und einen fliegendem Stuntmen (der den Stunt paradoxerweise überlebte). Der Rest war wie üblich nachgestellte Szenen (diesmal spielt Schwartz einen drogenvernebelten Geiselnehmer, der von der Polizei erschossen wird; im dritten Teil sollte er den überführten Serienmörder vor Gericht spielen, im vierten einen Krankenwagenfahrer).

Zumindest Dr. Gröss scheint von seiner Arbeit profitiert zu haben – erscheint er hier noch als windiger Mediziner in einem schäbigen Doktorkittel und noch schäbigeren Büro, sehen wir ihm im zweiten Teil auf einer authentischen Harley daher reiten (während er über Motorradunfälle resümiert) und im dritten Teil edlen argentinischen Rotwein schlürfen (und derweil Folter- und Exekutionsszenen in Lateinamerika kommentieren).
In GESICHTER DES TODES IV wird unser Dr. Gröss von dem nicht minder bizarren Dr. Louis Flellis abgelöst: Gröss, so Flellis, habe den Verstand verloren, sich selbst vom Leben zum Tod befördert und befinde sich nun in einer Urne, die auf Flellis Schreibtisch sitzt (sprach’s der Doktor und biss in ein gegrilltes Rippchen; es folgen wieder Szenen aus einem Schlachthaus).

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“Tut mir Leid, Dr. Gröss ist gerade außer Haus,
aber vielleicht kann Dr. Flellis und seine
Lavalampe ihnen weiterhelfen?“

Ach, wen wollen wir foppen? Dr. Francis B. Gröss ist natürlich ein Schauspieler und sein echter Name lautet Michael Carr (nicht mit dem verstorbenen KISS-Schlagzeuger verwandt). Und Dr. Flellis wurde von James Schwartz, dem Bruder von John Alan Schwartz, gespielt.

Weit über 30 Jahre hat dieser Mondo-Klassiker nun auf dem Buckel, da ist es schon faszinierend, Film und Zeiten zu analisieren. Damals das Nonplusultra des Schock-Films, wird die „Dokumentation“ heute (wahrscheinlich) nicht mal mehr Zehnjährige hinter den heimischen Monitor hervorlocken.

GESICHTER DES TODES IV, GESICHTER DES TODES V und GESICHTER DES TODES VI waren dann nur mehr Zusammenstellungen aus den „Greatest Hits“ der vorherigen drei Teile, wurden jedoch mit Kalkül produziert, um die Reihe auch in Ländern zu veröffentlichen, in denen die ersten Teile verboten waren. Danach waren die Tage der GdT Reihe gezählt; nun waren härtere Kaliber, wie die Nachzieher TRACES OF DEATH, FACES OF GORE, Nick Bougas DEATH SCENES-Reihe oder die japanische DEATH FILES-Serie gefragt. Diese gaben aber jegliche Mondo-Film-Prätentionen auf. Ab dato herrschte der (reale) Gore um des Gores willen. Als Kostprobe sei die kleine, von G verfasste Review zu FACES OF DEATH 2000 Vol.2: Dead in Asia empfohlen (aber ich habe irgendwie das Gefühl, dass ihm die „Doku“ nicht sonderlich gefallen hat).

Snuff & Mondo – Mythos & Realität

Ist GESICHTER DES TODES Snuff? Hierzu ein klares Nein. Kategorisch gehört der Dokumentarfilm in die Sparte des „Mondo“, was im Prinzip eine Mischung aus Dokumentarfilm und Exploitation war und ist. MONDO CANE („Hundewelt“, ein gängiges italienisches Schimpfwort) von den Filmemachern Paolo Cavara, Gualtiero Jacopetti und Franco Prosperi, löste eine Welle von ähnlichen Dokumentarfilmen aus, um die der Trash- und Exploitation-Fan in den 1960er und 70er Jahren praktisch nicht umher kam.

Offiziell wollten die Mondos Sitten und Gebräuche von Menschen aus allen Herren Ländern „durchleuchten“, konnten aber niemanden foppen. Bei „Menschen aller Herren Länder“ waren meist Menschen gemeint, die dunkler und kleiner als das Zielpublikum waren und bei „Gebräuchen“ ging es eigentlich nur um den puren Gaffer-Faktor. Seien es Geschlechtsumwandlungen in Asien (SHOCKING ASIA, von Rolf Olsen, einer der wenigen deutschen Vertreter des Mondo-Genres), explizierte Sex-Rituale in Afrika (AFRICA ADDIO) oder sonstiges anrüchige Material.

Anfangs war alles noch recht harmlos, wenn man einmal davon absieht, dass Ton und Produktion halbseiden, herablassend, geschmacklos, ja, oft sogar offen rassistisch waren. Da der Zweck bekanntlich die Mittel heiligt, waren sich die Herren Filmemacher auch nicht zu fein, gelegentlich eine Szene zu „modifizieren“ – der Volksmund spricht von „nachstellen“ oder „türken“. Aber das war nichts, was nicht auch viele seriöse Dokumentarfilme dieser Ära praktizierten, darunter etwa Jamie Uys berühmt-berüchtigter DIE LUSTIGE WELT DER TIERE oder diverse Walt-Disney-Tierdokumentarfilme, bei denen für den Effekt auch gerne nachgeholfen wurde (nicht-suizidwillige Lemminge über Klippen treiben, Elefanten und Affen mit Schnaps abfüllen, Bären zum „fischen“ in der Mitte eines Sees versenken, etc).

Aber wie bei fast allen Genres der Fall: bald verlangte das abstumpfende (und zahlende) Publikum nach härterem Stoff und ein Mondo, der nicht zumindest ein paar Szenen von Gewalt, Hinrichtungen oder Tierquälereien beinhaltete, hatte auf dem überfüllten Markt kaum eine Chance. Im 1975er Mondo-Klassiker ULTIME GRIDA DALLA SAVANA (Englischer Titel: SAVAGE MAN, SAVAGE BEAST) war man bereits an einem Punkt angekommen, wo das „Highlight“ des Films ein von Söldnern angerichtete Massaker an einem Indiostammes im südamerikanischen Regenwald und der Tod des Touristen Pit Dernitz, der bei einer Safari in Namibia (aus eigener Dummheit) gegen ein Rudel hungriger Löwen den Kürzeren zog, waren.

Einer der extremeren Fälle mag besagter AFRICA ADDIO gewesen sein, für den sich die Regisseur Jacopetti und Prosperi vor dem Kadi wieder fanden: Stein des Anstoßes war eine Szene, in der Söldner (ironischerweise unter dem Kommando eines deutschen Gastarbeiters namens Kongo-Müller) einen kongolesischen Simba-Rebellen standrechtlich hinrichten. Den Filmemachern wurde vorgeworfen, dass sie die Hinrichtung nicht nur filmten, sondern auch auf eigenen Wunsch herauszögerten um, wie ein Zeuge angab, auf die „optimale natürliche Beleuchtung“ zu warten. Der Vorwurf brachte dem Team eine Mordanklage ein, wurde vor Gericht aber von Prosperi, tausend italienische Eide schwörend, entkräftet. Trotzdem war es von hier zu GESICHTER DES TODES nur mehr ein kleiner Schritt, was uns wieder auf das Thema Snuff zurückbringt.

Wie definieren wir also Snuff? Nun, ein „Darsteller“ war zu Drehbeginn am Leben, am Drehschluss tot und der Film wurde aus dem einzigen Grund gedreht, um den Tod, beziehungsweise Ermordung, dieses „Darstellers“ zu zeigen und daraus Profit zu schlagen. Kommerziellen Profit, laut der offiziellen Definition, obwohl hier die Meinungen auseinander gehen und manche Snuff definieren, auch wenn dieser „nur“ für die Befriedigung der persönlichen Perversionen produziert wurde (wie im Fall von Serienmördern wie John Wayne Gacy, dem Sauhund-Duo Leonard Lake und Charles Ng oder, vor nicht allzu geraumer Zeit, von der Internet-Aufmerksamkeitshure Luka Magnotta).
Auch wird in Fachkreisen gerne und viel diskutiert, ob und in wie fern Aufnahmen von Hinrichtungen aus dem Nahen Osten (etwa der gefilmte Mord am Journalisten Nick Berg) oder der Zeta-Banden in Mexiko als Snuff gelten oder nicht. Technisch gesehen nicht, sagen die einen aber wenn man den Profit nicht als rein kommerziell definiert, kann man durchaus von Snuff-Filmen reden (und ich will hier anmerken, dass das die rein persönliche Meinung des Schreiberlings ist).
Unzählige Filme haben vom entweder vom Ruf oder der Thematik des „Snuff-Film“ profitiert, um nur EMMANUELLE IN AMERICA, TESIS oder, in späteren Jahren 8 MM und A SERBIAN FILM zu nennen.

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“In Südamerika gedreht, wo das Leben billig ist“
(wie der Autor nach einer Lebensmittelvergiftung
in Cancún selbst beinahe einmal feststellen musste).

Die urbane Legende geht zurück ins Jahr 1969, als Charles Manson und seine „Familie“ angeblich (laut dem Buch „The Family: The Story of Charles Manson’s Dune Buggy Attack Battalion“ von Erz-Hippie Ed Sanders) unter anderen den Mord an der Schauspielerin Sharon Tate filmten. Die Geschichte, ebenso wie die, dass Manson den Film für eine mörderische Satanisten-Sekte namens „Four Pi Movement“ filmte, war vermutlich genau das: eine Urbane Legende. Doch ein windiger B-Movie-Produzent namens Allan Shackelton machte sich 1976 diese Legende zu nutze um den praktisch unverkäuflichen Film SLAUGHTER des Ehepaars Michael und Roberta Findlay ans Publikum zu bringen. SLAUGHTER basierte lose an die Verbrechen des Manson-Clans, war aber dermaßen dilettantisch produziert, dass selbst einem gestandenen Trash-Fans die Zähne beim Anschauen wackeln. Shackelton wusste, dass man den Schund nicht einmal auf Badmovies besprechen würde, hatte aber eine Eingebung: Er taufte das Machwerk in SNUFF (zu Deutsch: „etwas auslöschen) um und drehte flux eine Extraszene, in der das „vermeintliche“ Filmteam nach Drehschluss eine „vermeintliche“ Schauspielerin massakriert.

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Eine Tube Himbeersirup und eine hand voll Schweineinnereien,
aber für die Querulanten vor dem Kino hat es gereicht.

Die Szene, von Simon Nuchtern gedreht, der später beim 3-D Slasher SILENT MADNESS Regie führen sollte, war selbst für damalige Verhältnisse lachhaft: ein mit Schweinegekröse und Himbeersirup gefülltes Mannequin muss als Opfer herhalten, aber durch clevere PR ging die Rechnung auf. So wurde SNUFF ein Hit und schlug sogar EINER FLOG ÜBER DAS KUCKUCKSNEST an den Kinokassen. Eine kleine Armee von Frauenrechtler(innen) und generell besorgten Leuten eilten Shackelton zu Hilfe, protestierten laut krackelend vor den Kinos, auf dass jeder potentieller Zuschauer sogleich sah: „Ja, hier wird SNUFF gezeigt“. Obwohl das Variety-Magazin die Farce bereits 1976 als schlechten Scherz entlarvte, wollte man natürlich auch in Deutschland mitmischen, wo man Produzenten Alois Brummer (alias „Graf Porno“, der den Film unter dem Titel BIG SNUFF im Verleih hatte) wegen Körperverletzung vor den Richter zerrte.

CANNIBAL HOLOCAUST war dann 1980 der nächste Kandidat, dem man den Schwarzen Peter „Snuff“ zuschieben wollte und tat (und der im Endeffekt davon profitierte). Abgesehen davon, dass Regisseur Ruggiero Deodato praktisch das halbe Tierreich des Amazonas abschlachtete, konnte auch hier von Snuff keine Rede sein. Cleverer Windhund der er nun einmal war, verdingte Deodato seine Schauspieler vertraglich, sich für die nächsten 12 Monate zu verkrümeln. Zumindest bis das Gericht zu Rom zur Audienz bat und Deodato die vermeintlich Gemeuchelten auferstehen lassen musste. Den Prozess gewonnen, unter tosendem Applaus, auf den Schultern seiner römischen Mitbürger, die allesamt die „Fratelli d’Italia“ sangen, wurde Deodato auf die Via Appia getragen und als Held gefeiert (zumindest stellen wir uns das in etwa so vor).

Hier kam später, unter anderen, der Tarantino-Speichellecker Eli Roth zu Wort, der in seiner Borniertheit CANNIBAL HOLOCAUST noch immer für einen Snuff-Film hält, da er sich nicht erklären kann, wie die berüchtigte Pfählungs-Szene gedreht wurde und glaubt, Deodato hätte „echte Kannibalen und Wilde aus dem Dschungel“ (O-Ton Roth) für den Job angeheuert. Die Antwort wäre natürlich denkbar simpel: „Die Schauspielerin saß auf einem Fahrradsessel und hatte eine Spitze aus Balsamholz im Mund, du gottverdammter Dilettant und Kretin“ (aber die Sache mit glaubhaften Special-Effects hat Roth bekanntlich nie ganz kapiert; siehe HOSTEL).

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“Allora, du Cappiche, Häuptling? Erst ihr fresse meine Hauptdarsteller
und dann pfählen Dschungel-Fee für Vollfrontale, eyh?“

Mit GUINEA PIG – THE FLOWER OF FLESH AND BLOOD ging die Legende munter weiter. Ein Pseudo-Snuff-Film, der eigentlich nur demonstrierte, was die Japaner mit einer Handvoll Yen und ein paar cleveren Effekten produzieren können, hatte der Streifen sogar unfreiwillige Promoter aus Hollywood. Ein windiger Grimassenschneider, getränkt von Nutten- und Tigerblut (im Volksmund auch Benzoylmethylecgonine, kurz Koks genannt), sah den Film auf einer Party seines Kumpels und machte sich schnurstracks auf den Weg zum FBI, um den „Snuff-Film“ anzuzeigen. Statt den drogenvernebelten Kretin zu filzen, wegen Besitzes zu verknacken und ihn auf die Strasse zu setzen, wurde fleißig ermittelt und verhaftet (darunter den Redakteur den Fanzines „Deep Red“) und wie so oft in polizeilichen Ermittlungen, war das Resultat: Nüscht.

Hätte man sich mal das Making-Off von GUINEA PIG – THE FLOWER OF FLESH AND BLOOD angesehen (oder zumindest jemanden gefragt, der sich mit solchen Sachen auskennt), man hätte sich viel Zeit und Steuergelder ersparen können.

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Selten hatten alle Beteiligten beim Dreh an einem „Snuff-Film“ so viel Spaß.

Leider hatte die GUINEA PIG-Geschichte noch ein trauriges Nachspiel: Ein paar Jahre darauf wurde der so genannter „Ottaku-Killer“ (japanisch für Nerd) und Kannibale namens Tsutomu Miyazaki von dem Film „inspiriert“, folterte und ermordete vier Mädchen im Alter zwischen vier und sieben Jahren, an denen er Szenen aus GUINEA PIG „nachstellte“. Gründlich wie die Japaner nun einmal sind, wurde das Scheusal für seine Verbrechen prompt verurteilt, aufgeknüpft und aus der menschlichen Gesellschaft entfernt.

Kurz erwähnt werden sollte noch MEN BEHIND THE SUN, der zwei Jahre nach GUINEA PIG auf den Markt kam und (fälschlicherweise) sowohl als „Mondo“ als auch „Snuff“ bezeichnet wurde. Von Regisseur T.F Mou als eine Art chinesischer SCHINDLERS LISTE konzipiert, der die japanischen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg nachstellte, wurde es Mou zur Last gelegt, dass er für Autopsieszenen echte Kinderleichen verwendete. Außerdem steckte Mou für sein ‚Grand Finale’ ein paar hundert Ratten in Brand. Der Regisseur verteidigte sich mit der Angabe, die Leichen seien von den „patriotischen“ Verwandten freigeben worden und wie das im Reich der Mitte oft so ist, liegt die Wahrheit vermutlich irgendwo in der Mitte. Exploitation und Futter für die nimmersatten Gorebauern: ja, aber weder mit Mondo noch Snuff in irgendeiner Form verwandt.

Für Jahrzehnte blieb „Snuff“ ein Mythos, eine Urbane Legende. Nimmt man die offizielle Definition (a) Der „Protagonist“ lebt am Anfang des Films, b) der „Protagonist“ ist bei Drehschluss tot, c) der Film wurde eigens gedreht um den Mord am „Protagonisten“ zu zeigen und d) die Macher produzierten den Film eigens für kommerziellen Profit), so fand keine Behörde jemals einen authentischen Snuff-Film. Erst 2008 wurden die so genannten „Dnepropetrovsk Maniacs“, drei Jugendliche aus der Ukraine, die innerhalb weniger Wochen 21 Menschen bestialisch abschlachteten und ihre Taten auf Video festhielten, zu trauriger Berühmtheit. Eines der Videos sickerte ins Internet, wo es unter dem Titel „3Guys1Hammer“ schnell als führendes Schockvideo und Internet-Meme etablierte. Man kann hier nun Haare spalten, ob die Videos der Maniacs rein privat waren oder (wie manche Zeugen in der Verhandlung angaben) die Videos gedreht wurden, um sie an einen reichen Webseitenoperator zu verkaufen; die Legende vom Snuff war trotzdem bittere Wirklichkeit geworden.

Zum Thema sei die britische Channel 4 Serie THE DARK SIDE OF PORN empfohlen, insbesondere die Episode „Does Snuff exist“, obwohl die inzwischen auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat. Oder aber das Buch „Killing for Culture – An Illustrated History of Death Film from Mondo to Snuff“, von David Kerekes und David Slater; auch heute noch hochinteressante Lektüre.

So soll das finale Wort zum Thema „Snuff“ Regisseur John Alan Schwartz haben: „Wenn die Konsumenten Geld dafür bezahlen, existiert es […] und wenn Leute Geld für Snuff zahlen wollen, dann existiert auch Snuff“. Traurig, aber so ist das oft in der Realität.

Fazit

Hier sind wir nun also, im Zeitalter des World-Wide-Web (und möge Mutter Google über uns alle wachen). Dank Internet, YouTube, Web- und Schockseiten wie Rotten, Theync und Konsorte, ist man im 21sten Jahrhundert härteren Tobak gewohnt. Videos von Enthauptungen, Gräueltaten und Hinrichtungen kommen fast täglich frisch ins Netz und Internet-Nerds kennen natürlich Quasi-Snufffilme (und stellen dazu fleißig „Reaction-Shot“-Videos ins Netz). Es ist praktisch eine Art Volkssport, sich Reaction-Shot-Videos von 10-jährigen Pimpfen anzusehen, der sich zum Beispiel „3Guys1Hammer“ ansieht und dabei Salzstangen und Erdnussbutter frisst. Wie das Amen in der Kirche findet sich darauf erboste Kommentare, wie etwa „wo sind deine verfi**ten Eltern?!?11!“, auf die das Balg rotzfrech antworten wird: „Im Wohnzimmer und rauchen Crystal-Meth“.
Was den „Jugendschutz“ angeht, nun, die meisten Shock-Sites weisen ja explizit darauf hin, dass das Material erst ab 18 ist und man sich verpissen soll, falls dies nicht der Fall ist. Welcher Minderjährige würde sich schon über solche harten Regelungen hinwegsetzen?

Zurück zum Film selbst. Das endgültige Fazit lautet: aus welchen Beweggründen man sich den Film ansieht, GESICHTER DES TODES ist im Prinzip ein Zeitzeugnis, Indiz und ein Vermächtnis aus einer „unschuldigeren“ Zeit. Und das sagt eigentlich mehr über unsere „schöne, neue Zeit“ aus als über den Film selbst.

© 2014 Thorsten Atzmueller


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