G.A.S.S. Oder – Es war notwendig, die Welt zu vernichten, um sie zu retten

 
  • Deutscher Titel: G.A.S.S. Oder - Es war notwendig, die Welt zu vernichten, um sie zu retten
  • Original-Titel: Gas-s-s-s-s
  • Alternative Titel: Gas! Or - It Became Necessary to Destroy the World in Order to Save It |
  • Regie: Roger Corman
  • Land: USA
  • Jahr: 1970
  • Darsteller:

    Bob Corff (Coel), Elaine Giftos (Cilla), Bud Cort (Hooper), Ben Vereen (Carlos), Talia Shire (Coralee), Cindy Williams (Marissa), George Armitage (Billy the Kid), Alan Braunstein (Dr. Drake), Country Joe (A.M. Radio), Alex Wilson (Jason), Bruce Karcher (Edgar Allen)


Vorwort

Durch einen bedauerlichen menschlichen Fehler entweicht der US-Armee ein experimentielles Kampfgas, das sich in rasender Geschwindigkeit über den Erdball ausbreitet und bei jedem, der älter als 25 Jahre ist, zum Tod durch rapide Alterung führt.

Das überlebende Jungvolk muss nun sehen, wie es zurecht kommt. Sofort setzt Grüppchenbildung ein – manche wollen die alte Ordnung so gut es geht Aufrecht erhalten, andere setzen sich für die anarchische Lebensführung mit dem Recht des Stärkeren ein, und dann gibt’s eben noch die Hippies, die jetzt versuchen können, ihre Vision von Liebe, Frieden und Eierkuchen umzusetzen.

Coel, einer der Hippies, wird in der Stadt (Dallas), die zwischen den verschiedenen Interessengruppen (die alle zur Einigkeit aufrufen, aber selbstverständlich die jeweils anderen Gruppen als auszumerzenden Feind betrachten) zerrieben wird, seines Lebens nicht mehr froh. Er klemmt sich die hübsche Cilla (die als Sekretärin beim zuständigen Armee-Forscher arbeitete und Coel über dessen Experimente auf dem Laufenden hielt) unter den Arm und fährt hinaus aufs Land.

Unterwegs fällt das Paar allerdings gleich mal dem Outlaw Billy the Kid in die Hände, der ihren fahrbaren Untersatz requiriert. Zu Fuß schlagen sich die beiden in die nächste Siedlung durch, wo sie in einem Plattenladen auf eine andere Gruppe treffen – den Black-Power-Revoluzzer Carlos und seine hochschwangere und mittelschwer durchgeknallte weiße Flamme Marissa, den linkischen Hooper und die verfressene Coralee. Man beschließt, zusammen zu bleiben und zunächst mal das geklaute Auto zurückzuerobern, was in einem Shoot-out ganz besonderer Art gelingt, und zu einem Pueblo nach New Mexiko aufzubrechen, wo sich „alle“, zumindest die, die’s mit love and peace Ernst meinen, versammeln würden.

Der Weg ist voller Gefahren – zunächst landen unsere Helden in einer Kleinstadt, die von ihrem College-Footballteam beherrscht wird. Unter Führung von Quarterback Jason hat das Team eine faschistische Gesellschaft aufgebaut und veranstaltet Vergewaltigungs- und Plünderungstrainings, um die Nachbarstädte hopp nehmen zu können. Mit Müh und Not gelingt die Flucht. Nach einer Begegnung mit einem völlig verrückten Arzt, der Marissas Baby zur Welt bringen soll (die verweigert aber) fällt die Gruppe, die sich mittlerweile auf normale Spießbürger umgekleidet hat, in die Gewalt einer Rockerbande, die einen Golfplatz zu ihrem demokratischen Reich erklärt hat. Wieder sollen unsere Helden durch Arbeit ihren Platz in der Gesellschaft finden. Mit Hilfe der Schwarzen Ginny gelingt die erneute Flucht, nur Marissa gefällt’s auf dem Golfkurs (und Coralee platzt unterwegs).

Das Pueblo existiert tatsächlich als kommunistisches Utopia, wo Coel und seine Freunde sich einrichten können. Doch es droht Unbill – auf seinem Eroberungsfeldzug kommt Jason mit seinen Football-Truppen, denen sich Hooper mittlerweile angeschlossen hat, vorbei. Jetzt wird sich herausstellen, was die pazifistischen Grundsätze im Ernstfall wert sind…


Inhalt

It’s a strange beast, indeed. „Gas-s-s-s-s“ genießt im Pantheon des Roger-Corman-Ouevres den Status der argwöhnisch beäugten Kuriosität, und wenn man berücksichtigt, dass Corman nach der Erfahrung dieses Films das Regisseursdasein bis über zwanzig Jahre später mit „Frankenstein Unbound“ an den Nagel hängte und sich aufs Produzieren verlegte, scheint dieser Ruf nicht gänzlich unbegründet zu sein.

Wie üblich lohnt sich bei solchen Spezialfällen ein Blick auf den zeitgeschichtlichen Kontext. Corman war nach wie vor AIPs go-to-Mann für alles, was irgendwie mit an jugendliches Drive-in-Publikum Gerichtetem zu tun hatte. Am Horror hatte Corman kein Interesse mehr, mit seinen neuen Mitstreitern Peter Fonda, Dennis Hopper und Jack Nicholson war ihm nach gewagteren Stoffen der Sinn. Über den Rocker- und Bikerfilm näherte sich Corman der „counter culture“ der späten 60er und damit auch der Welt der Hippies und Drogen an. Für seinen wegweisenden Psychedelic-Film „The Trip“ pfiff sich Corman sogar selbst LSD ein, um eine Vorstellung davon zu haben, was man bei einem acid trip erlebt und wie man es visualisieren könnte. Schon bei „The Trip“ kam es zu Konflikten mit AIP und Sam Arkoff. Corman hatte „The Trip“ völlig wertfrei geplant und mit einem ambivalenten Ende versehen. Ohne Cormans Wissen und gegen seinen Willen ließ AIP einen neuen Schluss drehen, der dem Film die studioseits gewünschte und von Corman verweigerte „drugs are bad“-Message lieferte.

Nichtsdestotrotz machte sich Corman daran, einen weiteren counter-culture-Film für AIP zu realisieren und wieder sollte es einen Schritt weiter gehen – nach der „counter culture“ der „Arbeiterklasse“ („The Wild Angels“) und der im Film- und Kunstsujet („The Trip“) wollte Corman sich nun die gesamte Gesellschaft vornehmen – wie könnte sich das gesellschaftliche Zusammenleben entwickeln, wenn plötzlich die Autorität des Alters komplett wegfiele und „die Jugend“, auf sich allein gestellt, versuchen müsste, eine komplette neue Gesellschaftsform zu entwickeln; dies aber nicht auf eine düster-dystopische Weise, sondern als irrwitzige Roadmovie-Komödie, in der die Protagonisten auf dem Weg ins „gelobte Land“ mit verschiedenen Ausprägungen der neuen Ordnung oder eben Unordnung in Kontakt und Konflikt geraten.

Das Drehbuch verfasste George Armitage (der auch eine kleine Rolle als autoklauender Outlaw Billy the Kid übernahm). Armitage schrieb auch zwei Teile der „Krankenschwester“-Sexkomödienreihe und den Kris-Kristoffersen-Actionhobel „Vigilante Force“. Wobei von „Drehbuch“ jetzt auch wieder nicht so richtig die Rede sein kann, denn „Gas-s-s-s-s“ ist alles andere als ein Film mit klarer narrativer Ausrichtung, sondern eine mehr oder weniger chaotische Aneinanderreihung von Episoden und Episödchen, die keinen sonderlichen Zusammenhang aufweisen außer Stationen eines Road Trips zu sein.

Wie lustig man diese Vignetten findet, liegt natürlich primär im Auge des Betrachters. Einige der Einfälle sind durchaus witzig, andere fallen flach und wiederum andere kämen in einem anders gelagerten Film besser zur Geltung. Die eigentliche Gas-Katastrophe bekommen wir als Strichmännchen-Zeichentrick, was ganz putzig und bizarr ist. Der eigentliche Auftakt in Dallas mit den rivalisierenden Gruppen z.B. wäre in einem „ernsthaften“ Film wohl wirkungsvoller, der weirdness-Level steigt mit dem wirklich großartigen Shoot-out mit Billy the Kid, in dem anstatt mit blauen Bohnen mit den Namen von Westernstars gekämpft wird (der ultimative Finisher ist selbstredend John Wayne). Der Gedanke, die Heldenverehrung für High-School- oder College-Footballer in ein faschistisches Regime weiterzuentwickeln, ist gar nicht mal so falsch – marching bands und Cheerleader sind so weit weg nicht von Fackelzügen und BDM-Mädels für tüchtige Arier. Dass mit dem Thema Vergewaltigung mehrfach Scherze getrieben werden, liegt an der Entstehungszeit des Films. Die „Ächtung“ dieses Themas für grobe Späße ist ein Kind unserer political-correctness-Zeiten (wer also von solchen Dingen getriggert wird, sollte die Finger von „Gas-s-s-s-s“ lassen).

Die Episode mit dem durchgeknallten „Arzt“ Dr. Drake ist zwar witzig, passt aber auch in einen weirden „anything goes“-Film vom Ton her nicht wirklich, das ist eher kruder Proto-Python-Humor. Danach fällt der eh nur notdürftig zusammengehaltene Film total auseinander – die Golfplatzrocker und das Finale im Pueblo sind leider die uninteressantesten Pasagen des Films – was natürlich wieder an den brutalen Post-Produktions-Eingriffen von AIP liegen kann, die nach Vorlage des stolzen Werks entsetzt genug waren, um gegen Cormans Willen erneut heftig Hand an sein Baby zu legen – der Film wurde von AIP völlig umgeschnitten und u.a. eine voice-over-Narration von „Gott“ fast komplett entfernt.

Schwer zu sagen, ob Cormans originale Version „besser“ gewesen wäre – Corman ist vemutlich well-intentioned an die Sache herangegangen, aber vielleicht war er doch selbst zu weit weg von der Hippie-Subkultur, um wirklich in die Materie einsteigen zu können. Je stärker die Episoden satirisch neue „Ordnung“ durch die Mangel drehen, desto „besser“, treffender sind sie, je mehr sie in Richtung Anarchie/Hippie-Kultur gehen, desto verständnisloser scheinen Corman und Armitage zu sein.

Worüber man nicht meckern kann ist die Musik von Country Joe and the Fish. Country Joe selbst hat auch einen kleinen Auftritt als „A.M. Radio“, der Gott herausfordert.

Die Schauspieler sind okay für das, was sie tun sollen. Bob Corff ist ganz sympathisch als Coel – wobei für alle Darsteller gilt, dass sie es insofern schwer haben, weil die Charaktere dem Film erheblich weniger wichtig sind als die diversen Situationen und Szenarien. Corff ist hauptsächlich Bühnendarsteller und arbeitet als voice und dialect coach. Bud Cort hatte mit seinem nächsten counter-culture-Projekt mehr Glück – „Harold und Maude“ wurde zum Klassiker. Hier hat er als unglücklich verliebter Hooper nicht arg viel zu tun. Eilene Giftos – als Cilla ziemlich blass – ist auch in „The Student Nurses“ zu sehen und wurde ganz gut beschäftigte Fernseh-Nebendarstellerin. Zu Talia Shire – damals noch Tally Coppola -, die die gefräßige Coralee spielt, muss man nicht viel sagen – „Rocky“ machte sie unsterblich. Hier deutet sie aber nicht an, zu Größerem berufen zu sein. Ziemlich gut ist Ben Vereen („All that Jazz!“ und zuletzt als Dr. Scott im „Rocky Horror Picture Show“-Remake zu sehen gewesen) als schwarzer Revolzzer Carlos. Cindy Williams, engagiert als Oldie-Fan Marissa, wurde wenig später von George Lucas für „American Graffiti“ verpflichtet und auf diesen Seiten mit „Naked Space“ auffällig.

Signal One hat den Film in einer bildhübschen Blu-Ray-Edition für den britischen Markt herausgegeben. Das HD-Master (1.78:1) ist wunderschön, der Ton (LPCM) brauchbar. Englische Untertitel werden mitgeliefert. Als Bonus gibt’s zwei Audio-Interviews mit Roger Corman (von 1970 bzw. 1991), Trailer, Bilder- und Artworkgalerien sowie eine kurze Featurette über Cormans counter-culture-Filme mit kurzen Interviews mit Corman, Ted Newsom und anderen Experten.

Der Film selbst ist… seltsam. Ich bin sehr froh, ihn nach langen Jahren des Wartens gesehen zu haben, aber „gut“ kann ich ihn nicht finden. Einzelne Sequenzen sind sehr sehr spaßig, aber im Gesamtbild ist „Gas-s-s-s-s“ zu konfus, zu wirr. Vielleicht hätte Corman vorher wieder ein paar Trips einwerfen sollen, um näher an sein Thema und seine Zielgruppe heranzukommen – denn „schräg“ ist noch nicht gleich „psychedelisch“. „Psychotronisch“ dagegen ist der Film schon, aber eher „interessant“ denn eben gut…

(c) 2017 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 7

BIER-Skala: 5


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