Free Fire

 
  • Deutscher Titel: Free Fire
  • Original-Titel: Free Fire
  •  
  • Regie: Ben Wheatley
  • Land: Großbritannien/Frankreich
  • Jahr: 2016
  • Darsteller:

    Brie Larson (Justine), Cilian Murphy (Chris), Armie Hammer (Ord), Sharlto Copley (Vernon), Michael Smiley (Frank), Enzo Cilenti (Bernie), Sam Riley (Stevo), Babou Ceesay (Martin), Noah Taylor (Gordon), Jack Reynor (Harry), Patrick Bergin (Howie), Tom Davis (Leary), Mark Monero (Jimmy)


Vorwort

Irgendwann in den 70ern, in einer heruntergekommenen Industriegegend in den Staaten. Der irische Ganove/Terrorist Craig trägt sich mit dem bescheidenen Wunsch, einen größeren Posten M-16er käuflich zu erwerben. Zu diesem Zweck hat er über seine Kontaktfrau Justine ein Meeting mit dem Deal-Vermittler Ord arrangiert, der wiederum den südafrikanischen Waffenhändler Vernon („ein internationales Arschloch“, wie Justine sich auszudrücken beliebt) im Schlepptau hat. Beide Parteien haben natürlich auch ihr Assortment an Sekundanten und Handlangern dabei. Das Treffen in einer verfallenen Fabrikhalle ist von gereizter Stimmung und gesegnetem Misstrauen geprägt, erst recht, als Vernon nicht die versprochenen M-16-Gewehre auspackt, sondern vergleichsweise altmodische AR-70. Craig ist pikiert, aber Vernon verweist auf die Marktlage – man muss nehmen, was man kriegt, und Leute totschießen kann man auch mit den Ballermännern. Auf diesen Standpunkt können sich alle verständigen – das Geld wird übergeben und die Ware angekarrt.

Es ergibt sich nur ein kleines, nicht vorherzusehendes Problem. Craigs angeheuerter Packesel Stevo hat am Vortag nach einem fehlgeschlagenen Anbaggerversuch das Gesicht einer jungen Frau mit einer abgebrochenen Flasche verunziert, und die Holde ist nun niemand anderes als die Cousine von Vernons Gehilfen Harry, der Steveo schon in unmittelbarer Folge der Zudringlichkeit die Schnauze poliert hat und mit dem verteilten Veilchen die Sache noch lange nicht als ordnungsgemäß abgeschlossen betrachtet. Nun haben aber weder Vernon, Craig noch Ord gesteigertes Interesse daran, dass der Deal wegen zweier Streithansel der untersten Kategorie platzt. Steve-O wird daher zu einer Entschuldigung genötigt, aber weil ein irischer Klengangster ja auch irgendwo seine Prinzipien hat, gibt’s statt eines geheuchelten „sorry“ eine Beleidigungstirade, die Harry unmöglich auf sich sitzen lassen kann. Und schon fliegen die blauen Bohnen rudelweise…

Binnen kürzester Zeit hat sich sprichwörtlich jeder mindestens eine Kugel eingefangen und kauert mit gezückter Kanone und schmerzverzerrtem Gesicht hinter irgendeiner provisorischen Deckung. Vernunftappelle verhallen ungehört, insbesondere die von Ord, der ja nun eigentlich mit der streitauslösenden Sache nun wirklich nichts am Hut hat. Justine findet sich unerwarteterweise in Craigs Nähe wieder, was Vernon, der sich in eine gepflegte Paranoia verabschiedet hat, als unwiderlegbares Anzeichen für Verrat und Mordio interpretiert. Die Lage ist also durchaus hoffnungslos und dabei auch ernst, denn wer immer seine Nase etwas zu weit aus der Deckung herausblicken lässt, ist sofort ein legitimes Ziel – und wer nun genau Freund oder Feind ist, ist dank der unübersichtlichen Lage auch nicht immer einfach auszumachen, da gerät man schon mal in „friendly fire“.

Richtig konfus wird die Situation aber, als plötzlich BEIDE Parteien von unbekannter Seite unter Feuer genommen werden. Irgendjemand *hat* also ganz offenkundig Zeit und Ort des Deals ausgeplaudert, um mit den aus dem Verborgenen amtierenden Schützen gemeinsam Kasse zu machen. Wer kann jetzt wem noch vertrauen, und, noch praktischer – wer schafft es, sich trotz Kugelhagel und eigener Körper-Beschädigungen zum einzigen funktionierenden Telefon in der Halle durchzuschlagen, um Verbündete herbeizurufen?


Inhalt

Ben Wheatley gehört zu der neuen Garde junger britischer Regisseure, die seit einiger Zeit mit ihren gewalttätigen, dabei aber originellen Geschichten die Leinwände der Welt mit Kunstblut besudeln. Mit Klopfern wie „Kill List“ oder dem gelinde gesagt polarisierenden „A Field in England“ ist Wheatley auch einer, der nie davor zurückscheut, das Publikum mal ordentlich vor den Kopf zu stoßen, gleichzeitig aber auch so viele Kritiker hinter sich zu vereinen, dass er seine Projekte vielleicht nicht unbedingt in den Budgets, aber hinsichtlich der Starpower deutlich vergrößern kann. Für die Ballard-Adaption „High Rise“ zerrte er everybody’s favorite evil nordic god, Tom Hiddelston, vor die Linse, und in seinem neuesten Werk „Free Fire“ versammelt er ein veritables Ensamble namhafter Mimen, angeführt von der frischgebackenen Academy-Award-Preisträgerin Brie Larson („Room“). Sein gemeinsam mit Amy Jump verfasstes Script für „Free Fire“ begeisterte dann auch Martin Scorcese so sehr, dass der als einer von einem soliden halben Dutzend executive producers einstieg.

Nun könnte man erwarten, dass Wheatley, speziell mit Scorceses Support im Rücken, hier wieder ein ganz besonders subversives Stück underground-Kino zusammengestellt hat, aber… naja… man muss nicht gleich übertreiben. „Free Fire“ ist formell nicht mehr als eine auf 90 Minuten ausgedehnte einzige Actionszene, quasi ein bisschen wie Tarantino ohne verkomplizierte Erzählstruktur und ohne pop-culture-Referenzen (dafür aber teilt Wheatley mit Tarantino das Faible für 70er-Jahre-Look). Betrachtet man Wheatleys bisherige Karriere und seinen bislang ausgeprägten Hang, alles inklusive Publikumserwartung, auf links zu drehen, könnte man nun zunächst enttäuscht sein, wie geradlinig und streng genommen ohne größere Überraschungen sich seine Quasi-Echtzeit-Geschichte entwickelt – andererseits kann man’s ja auch so sehen, dass er gerade durch den Verzicht auf künstlerische Schnörkel und Sperenzchen ja wieder die Erwartungshaltung des Wheatley-Kenners unterläuft und gerade durch die überraschungslose Geradlinigkeit überrascht (if that makes any sense to you).

Und es ist nun auch nicht so, als hätte „Free Fire“ außer Porno-Schnäuzern und insgesamt bedenklichen Frisuren und Outfits nichts zu bieten. In einer Weise nämlich gelingt es Wheatley sehr wohl, geläufige Genre-Klischees ad absurdum zu führen. Wie schon oben angekündigt, dauert es, sobald das Feuergefecht vom Zaun bricht, sicher keine drei-vier Minuten, bis jeder der Charaktere angeschossen wurde – und im Gegensatz zum üblichen Actionthriller, wo Henchmen von einem grob in ihre Gegend gewedelten Schuss automatisch tot umfallen, während wichtige Figuren es sogar weglächeln, wenn schon mehrere Meter Darm aus der Bauchhöhle quellen, sind Schußwunden in „Free Fire“ zutiefst demokratisch – sie treffen und be-treffen jeden, und wem man in „Free Fire“ mal ins Bein geschossen hat, der wird in der Folgezeit nicht mühelos sprinten, klettern oder auch nur stehen. Die Folge: für fast zwei Drittel der Laufzeit dieses Films krauchen, kriechen, robben unsere Protagonisten, ziehen sich mühselig vorwärts, leiden mehr oder weniger Höllenqualen. So wird aus dem vermeintlichen free-for-all schnell ein Katz-und-Maus-Spiel, an dem eigentlich nur Mäuse beteiligt sind. Jede Bewegung kann verraten, wo man sich gerade verkrochen hat, jeder Schuss, den man selbst abgibt, birgt das Risiko des Gegentreffers, weil man eben nicht wie Actionheld Flex McMuscle schnell mal fünf Meter quer durch die Luft zur nächsten Deckung segeln und dabei tausend Kugeln aus der Automatik versprühen kann. Die Action ist hier also nicht glorios-verherrlicht-übertrieben, sondern schmerzhaft-real, tut oft schon beim Hinkucken weh (die FSK 16 ist aber in Ordnung, da es nicht übermäßig graphisch-explizit wird. Die Jungs und das Mädel müssen sich nicht die Eingeweide rausschießen, um zu schocken).

Dadurch, dass Wheatley seine Figuren handicapped, reicht ihm auch eine Location völlig – mehr als die halbverfallene Industrieruine braucht er nicht; er betrachtet die Halle quasi als ein Spielfeld, auf dem eine harte Partie Mörderball ausgetraten wird. Konsequenterweise fliegt die Kamera stellvertretend für die weitgehend an ihre jeweiligen Stand- bzw. Liegeorte gefesselten Figuren durchs Areal, lotet immer neue Winkel und Perspektiven aus und schafft über den Schnitt auch mal Bewegungen, die physisch unmöglich sind. Man merkt: nur weil etwas auf den ersten Blick wie ein ganz gewöhnlicher Gangster-Ballerfilm wirkt, muss das bei genauem Hinschauen nicht „nur“ so sein – in „Free Fire“ ist die Kamera mindestens ebenso Protagonist wie die Schauspieler. Was Wheatley (womöglich) von Tarantino abgekupfert hat, ist der gelungene Musikeinsatz – ganz besonders abgesehen hat der Maestro es auf John Denver, der mit nicht weniger als drei Songs im Soundtrack vertreten ist.

Ganz großes Schauspielerkino ist „Free Fire“ trotz des beachtlichen Casts sicher nicht. Charaktere an und für sich interessieren Wheatley in diesem Fall nicht – die Figuren sind holzschnittartig, bekommen ein-zwei EIgenschaften mit auf den Weg und damit hat’s sich auch. Wozu auch mehr? Der Film behandelt eine Zeitspanne von ziemlich genau 90 Minuten, da wird höchstwahrscheinlich von fiesen Gangstern oder IRA-Terroristen niemand eine Epiphanie haben oder einen großartigen character arc durchlaufen. Sharlto Copley („Disctrict 9“, „Powers“) kann ein überzeugend schmieriges Arschloch spielen, das wissen wir, das macht er hier, und er macht es gut. Brie Larson als undurchsichtige Gangsterbraut gefällt ebenfalls, ohne sich jetzt ganz groß in den Vordergrund zu spielen. Cillian Murphy („Batman Begins“, „28 Days Later“) und Michael Smiley („Das Parfüm“, „Star Wars: Rogue One“) harmonieren gut als irische Tunichtgute, Jack Reynor („Transformers 4“) setzt Akzente als Harry, Noah Taylor (gerade ganz groß als Hitler in „Preacher“) hat leider als einer von Vernons Henchmen nicht so viel zu tun. Patrick Bergin („Robin Hood“, „Patriot Games“) schaut für einen Überraschungsauftritt vorbei, aber die Schau stiehlt für mich Armie Hammer („Lone Ranger“, „Codename U.N.C.L.E.“) als smarter Mittelsmann Ord, der eigentlich gar keine Aktien im Shoot-out hat, aber halt trotzdem mittendrin steckt.

Splendids Blu-Ray kommt in feinem 2.35:1-Widescreen. Ein paar lästige Wischer machen sich unglückseligerweise bemerkbar, ansonsten ist die Scheibe technisch aber einwandfrei. Als Zugabe gibt’s Cast- und Crew-Interviews, Trailer, Making-of und B-Roll.

„Free Fire“ ist der bislang wohl zugänglichste Film von Wheatley, was ein Mainstreampublikum angeht – er lässt sich als ganz „normaler“ Gangster-Actionfilm konsumieren, kommt aber nicht ohne ein paar technische Finessen und inhaltliche Widerhaken aus, die man vielleicht beim ersten Ansehen gar nicht richtig bemerkt, die sich aber im Gedächtnis halten. Insofern: ein empfehlenswertes Stück Action-Kino, das auf die weitere Entwicklung des Regisseurs gespannt sein lässt.


BOMBEN-Skala: 3

BIER-Skala: 7


mm
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Thomas Hortian
14. Februar 2019 4:36

Das „Fast Company“ Review ist irgendwie hier reingerutscht…