Frau im Mond

 
  • Deutscher Titel: Frau im Mond
  • Original-Titel: Frau im Mond
  •  
  • Regie: Fritz Lang
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 1929
  • Darsteller:

    Willy Fritsch (Wolf Helius), Klaus Pohl (Professor Georg Manfeldt), Gustav von Wangenheim (Ingenieur Hans Windegger), Gerda Maurus (Friede Velten), Gustl Gstettenbaur (Gustav), Fritz Rasp (Der Mann, der sich Walt Turner nennt), Tilla Durieux, Hermann Valentin, Max Zilzer, Mahmud Terja Bey, Borwin Walth (Fünf Gehirne und Scheckbücher), Margarete Kupfer (Frau Hippolt)


Vorwort

Vor über dreißig Jahren brachte der Astronom Professor Manfeldt seine Theorie vor, wonach auf dem Mond riesige Goldvorkommen zu finden sein sollen. Seine Kollegen verlachten ihn, seine Karriere wurde zerstört und nun fristet er ein jämmerliches Dasein in einer heruntergekommenen Dachkammerwohnung. Nur Wolf Helius, Oberhaupt einer Flugwerft, ist nach wie vor mit ihm befreundet und hat sich nun endlich dazu durchgerungen, eine Mondexpedition zu starten – womöglich aus eher persönlichen Gründen, hat doch die von ihm angebetete Friede wider Erwarten seinem Freund und Chefingenieur Windegger die Heirat zugesagt. Aber auch andere Kreise interessieren sich für den Mondflug und Manfeldts Theorien – der Professor vereitelt einen Einbruch, wenig später will ein Mann namens Turner ihm seine Unterlagen abkaufen. Manfeldt vertraut seine Dokumente Helius an, doch der wird betäubt, das wertvolle Manuskript geklaut und gleichzeitig räumt jemand seinen Safe aus und raubt Modelle und Flugpläne seiner Mondrakete.
Turner offenbart sich als Bevollmächtigter eines Konsortiums von im geheimen operierenden Wirtschaftsführern, die Helius unverhohlen erpressen: entweder der Mondflug findet unter ihren Bedingungen (und unter Begleitung Turners als Aufpasser) statt (damit die etwaig tatsächlich vorhandenen Goldadern unter der Kontrolle des Konsortiums bleiben) oder gar nicht – in dem Fall würde Helius Werft in die Luft gejagt. Schweren Herzens willigt Helius ein. Neben Turner sollen Manfeldt und Windegger ihn begleiten, aber gegen den Willen beider Männer drängt sich Friede auf (was sich recht günstig trifft, da irgendjemand ja während des Fluges den Cognac servieren muss).
Die Rakete startet planmäßig – doch noch vor der Landung gibt’s Probleme. Die Besatzung entdeckt einen blinden Passagier, den kleinen Gustav; Windegger realisiert, dass Helius Friede noch nicht ganz abgeschrieben hat und entpuppt sich von der sicheren Mutter Erde getrennt als ziemlich großer Feigling… Das Schiff bruchlandet auf der Rückseite des Mondes, wo, wie erhofft, atembare Atmosphäre vorhanden ist. Manfeldt verschwindet auf der Suche nach Trinkwasser (da die Tanks des Schiffs bei der Landung beschädigt wurden); während Windegger die Rakete reparieren will, um umgehend wieder nach Hause fliegen zu können; Turner bietet sich selbstlos an, den Vermissten zu suchen, der inzwischen in der Tat Gold gefunden hat…


Inhalt

Drei Jahre, nachdem Fritz Lang mit „Metropolis“ die UFA beinahe im Alleingang in den Ruin getrieben hatte, war der deutsche Filmkonzern wieder soweit auf die Füße gestellt, um ein weiteres Prestigeprojekt unter Langs Ägide zu stemmen. „Frau im Mond“, wieder basierend auf einem Roman und Drehbuch Langs damaliger Ehefrau (und schauderhafter Schriftstellerin) Thea von Harbou, war vom Aufwand her sicherlich eine deutliche Nummer kleiner als der gigantomanische „Metropolis“, dafür kann man den Streifen aber nicht ohne Berechtigung die erste seriöse „space opera“ der Filmgeschichte nennen – Lang legte höchsten Wert auf wissenschaftliche und technische Korrektheit (Stand 1929, natürlich), als technischer Berater fungierte u.a. der Raketenexperte Hermann Oberth (von dem Wernher von Braun lernte).

Insofern überrascht nicht, dass „Frau im Mond“ in dieser Hinsicht seiner Zeit um ungefähr 20 Jahre voraus ist – wir haben hier bereits eine dreistufige Rakete, man macht sich Gedanken über die enormen Andruckkräfte in der Start- und Beschleunigungsphase, die auf die Besatzung einwirken, die vorgestellte Flugbahn ist stimmig, man hat an die verminderte Mondgravitation gedacht und an die Schwerelosigkeit im Raum (in Übereinstimmung mit den damaligen wissenschaftlichen Theorien ging man allerdings davon aus, dass nur ein kleiner Teil der Flugstrecke – dort, wo sich der Anziehungsbereich der Erde und der des Mondes „aufheben“ – unter schwerelosen Bedingungen absolviert werden muss). Die Abweichungen von den später entdeckten tatsächlichen Umständen sind eben dem Zeitgeist und dem Stand der Wissenschaft geschuldet; dass es auf der erdabgewandten Seite des Mondes eine Atmosphäre geben könnte, war eine durchaus seriös diskutierte Theorie des deutschen Astronomen Hansen (und auch im Filmkontext ist es „nur“ eine letztlich zutreffende Möglichkeit – die Raumfahrer haben „Astronautenanzüge“ dabei), der Start der Rakete aus einem Wasserbassin beruht darauf, dass Oberth der Meinung war, eine „reale“ Rakete wäre aus zu leichtem Material gefertigt, um unter Erdgravitation frei stehen zu können, und auch andere „Fehler“ wie der fehlende Wolkengürtel um den Erdball beruhen einfach auf dem damaligen Forschungsstand (und auf der anderen Seite überrascht Lang dann wieder mit dem Bemühen um korrekte Darstellung der stärkeren Krümmung der Mondoberfläche beim Überflug).

Der Sinn fürs Detail ist geradezu aufreizend offensichtlich (für die Phase der Schwerelosigkeit ist die Kabine des Raumschiffs mit Schlaufen, in denen man Hände und Füße einhängen kann, sprichwörtlich gepflastert), sogar an einen halbwegs korrekten Effekt für das Verhalten von Flüssigkeiten in Schwerelosigkeit hat man gedacht (realisiert per Zeichentrick), nur bei den eigentlichen Bedienelementen der Raumschiffsteuerung wurde geschlampt – als Ingenieur würde ich die wichtigen Kontrollen nicht so anbringen, dass ich bei extremen Andruckverhältnissen kaum mehr rankommen (die Piloten müssen dazu halb aus ihren Andruckhängematten herauskrabbeln und dabei noch den Körper drehen – sorgt für Dramatik in den entsprechenden Szenen, wirkt aber so, als wäre zumindest dieser Teil des Raumschiffs von einem Debilen konstruiert worden). Die Mondlandschaft sieht auch nicht besser oder schlechter aus als ein fremder Planet im Hollywoodfilm der 50er, die Matte Paintings sind solide.

Soweit ist das alles schön und gut und hochgradig anerkennenswert – das macht allerdings noch nicht unbedingt einen guten Film aus „Frau im Mond“. Was an Technikversessenheit und unbedingten Willen zur Authentizität investiert wurde, fiel im Umkehrschluss bei der Entwicklung des Drehbuchs, mithin also der eigentlichen Geschichte, durch den Rost, oder, anders ausgedrückt, in Punkto Story ergab sich Fritz Lang kampflos den naiv-romantischen (und leicht von der Nazi-Ideologie vereinnahmbaren) Ideen der Thea von Harbou.

Zunächst mal zum Wesentlichen – die eigentliche Motivation für die Mondfahrt ist erzählerisch totaler Murks. Helius hat eigentlich keine (wenn man sich nicht zusammenreimen mag, dass die Sache für ihn ein elaborates Selbstmordszenario ob der eingebildeten Zurückweisung durch Friede darstellt), Manfeldt strebt nach Bestätigung seiner Theorien (und verfällt auf dem Mond sofort dem Goldrausch), Turner und seinen Auftraggebern geht es „lediglich“ um die wirtschaftliche Kontrolle über die Goldvorräte (das ist zumindest aus ökonomischer Sicht einigermaßen glaubwürdig – wenn man nicht darüber nachdenkt, wie teuer der Goldabbau auf dem Mond sein muss, wäre der massenhafte „Import“ von Mondgold natürlich dazu angetan, das kapitalistische wirtschaftliche System der Erde durch die Entwertung des „Leitwerts“ durch Überangebot zu sabotieren – und bei von Harbous sozialromantischer, antikapitalistischer Einstellung, die auch „Metropolis“ zeichnet, ist klar, dass diese Aufrechterhaltung des marktwirtschaftlichen-kapitalistischen Systems nur aus niederen Beweggründen geschehen kann. Seien wir froh, dass „Frau im Mond“ 1929 entstand, fünf oder zehn Jahrespäter wären die „Fünf Gehirne und Scheckbücher“ vermutlich „Fünf jüdische Ränkeschmiede“ gewesen). Den eigentlichen Hammer der ersten Mondfahrt, nämlich dass es schlicht und ergreifend um die gottverdammte erste MONDFAHRT geht, den unterschlagen Lang und von Harbou weitgehend. Die „Astronauten“ laufen auf dem Mond rum, als wäre es ein gemütlicher, höchstens ganz besonders uninteressanter Nachmittagsspaziergang im Park, niemand zeigt auch nur den geringsten Enthusiasmus darüber, in der ersten Gruppe, die einen fremden Himmelskörper betritt, vertreten zu sein, niemand interessiert sich für Forschung und Wissenschaft (abgesehen von Manfeldts Goldtick, der ihm, SPOILER voraus, natürlich zum Verhängnis wird) – der „sense of wonder“, das „big adventure“, das man mit der ersten Mondlandung verbindet, fällt komplett unter den Tisch – und wenn’s schon für die Charaktere keine große Sache zu sein scheint, dass man auf dem Erdtrabanten rumturnt, warum soll’s fürs (zeitgenössische) Publikum eine sein?

Dazu kommen massive Ungereimtheiten, was den Charakter des Turner angeht – der ist ja, so wie wir das verstehen, als Aufpasser für das Konsortium der „Gehirne“ dabei. Was er auf dem Mond eigentlich treiben soll, bleibt diffus. Er folgt Manfeldt und stellt fest, dass dessen Goldtheorie richtig ist (wie auch immer Manfeldt von der Erde aus durch’s Teleskop ermittelt haben will, dass die Mondgebirge Edelmetall beinhalten), stopft sich ein paar Nuggets in die Tasche und versucht dann, gewaltsam das Raumschiff für den Rückflug unter Kontrolle zu bringen. Wieso? Ist ja nicht so, dass Helius und die anderen WISSEN, warum er an Bord ist, Heimlichtuerei und Gewaltanwendung also nicht wirklich notwendig ist (und überdies Turner das Schiff nicht mal bedienen könnte, wenn er wollte)? Klar, Lang und von Harbou definieren Turner in der ersten Filmhälfte als Schurken, dann muss er halt auch im Finale irgendwas schurkiges tun, aber es entwickelt sich nicht im geringsten schlüssig aus der Figur und aus der Handlung.
Stichwort „Handlung“ – im Endeffekt (und angesichts des Umstands, dass Lang sich offenkundig mehr Gedanken um die Plausiblität der gezeigten Technik denn um die Intelligenz der Story machte) setzt sich hier von Harbou durch und kapriziert sich ungeachtet des faszinierenden Stoffs auf eine schlichte „zwei Möchtegern-Alpha-Männchen rangeln sich um ein Frauenzimmer“-Plotte zusammen. Was den Plot, sofern man soweit gehen will, dass „Frau im Mond“ einen solchen hat, vorantreibt, ist nicht die Mondfahrt, sondern die Rivalität von Helius und Windegger um Friede. Und, wie bei von Harbou üblich, dies spielt sich auf möglichst plumpe Weise ab – Helius ist der vitale (und vermutlich auch virile) Tatmensch, Windegger der feige Schleimbeutel; das ist mit derartig breitem Pinselstrich hingemalt, dass man sich als Zuschauer ernstlich fragt, wie Friede überhaupt auf die Idee kommen konnte, sich mit einer Nulpe wie Windegger jemals zusammenzutun (man könnte bösartig spekulieren, dass ihre Verlobung mit dem Nasenbären nur dazu dient, Helius endlich aus der Reserve zu locken und seine Gefühle für sie zu offenbaren).

SPOILER
Selbstverständlich muss die Entscheidung, wer nun mit wem usw. mit einem tödlichen Dilemma geklärt werden – wie’s der Zufall so will, hat die Überwältigung Turners durch gezielten Schusswaffengebrauch dafür gesorgt, dass dem Schiff für die Rückfahrt die Sauerstoffvorräte fehlen – einer muss auf dem Mond zurückbleiben, Helius oder Windegger (auf die fairste Lösung, nämliche Friede auf dem Mond auszusetzen, damit Helius und Windegger ihre alte Männerfreundschaft wieder beleben können, kommt natürlich keiner. * schmoll *), was durch die gute alte „das-kürzere-Streichholz-verliert“ (als „best of three“-Serie, und es ist lustig, wie überhaupt nicht parteiisch Gustav als „Scorekeeper“ amtiert) ausgekaspert wird (natürlich mit den zu erwartenden melodramatischen Folgen: Windegger verliert, aber Helius will dessen Liebe zu Friede nicht im Wege stehen, mixt Windegger und Friede K.O.-Tropfen ins Getränk und opfert sich – nachdem er Gustav (!) gesagt hat, wie er das Raumschiff zu starten und zu steuern hat. Kaum ist die Rakete gestartet, stellt er fest, dass Friede den Braten gerochen, das Getränk nicht zu sich genommen und das freiwillige Exil mit Helius auf dem Mond – mangels Eßbarem von überschauberer Dauer – gewählt hat. Hach, muss Liebe blöd machen).
Doof nur an dieser von zahllosen SF-Autoren ausgebeuteten Idee ist natürlich, dass die Drucksituation m.E. gar keine sein kann. Der Mond hat hier eine sauerstoffhaltige Atmosphäre, die Heimfahrt dauert 36 Stunden – sollte also meines Erachtens kein Ding sein, soviel „Frischluft“ an Bord zu nehmen, dass es auch für vier Personen reicht…
SPOILER ENDE

Schlimmer noch aber als die gebotene inhaltliche Magerkost ist für mich die Tatsache, dass Lang nicht nur an der Plotte schlechthin, sondern auch an deren dramaturgischer Umsetzung kein sonderliches Interesse gehabt zu haben scheint. „Frau im Mond“ dauert stolze 163 Minuten (was allerdings für Stummfilme aus den 20ern keine Besonderheit ist, nur hatten die meisten der Epen wie „Die Nibelungen“, „Der Tiger von Eschnapur“, „Dr. Mabuse“ & Co. den Anstand, in zwei Teilen in die Kinos zu kommen) und ist damit – selbst alle modernen Sehgewohnheiten mal ausgeschaltet – deutlich zu lang und zu langWEILIG. Es klingt natürlich aus der Tastatur eines Sesselkritikers vermessen, aber Lang lässt hier jedes Gespür für Dramaturgie, Struktur und Spannungsaufbau vermissen.
Allein die Eröffnungsszene, in der Helius Manfeldt besucht und wir die Grundlagen des Szenarios vermittelt bekommen, dauert gut ZWANZIG Minuten (aufgepeppt durch ein paar kurze Flashbacks zu Manfeldts Demütigung durch die Kollegenschaft u.ä.) – eine Szene, die auch unter den Konventionen des Stummfilmkinos mühelos auf fünf bis acht Minuten hinuntergekürzt hätte werden können, ohne dramaturgisch zu verlieren (ganz im Gegentum). Weitere FÜNFUNDZWANZIG Minuten verbringen wir mit Szene 2, die sich um den Einbruch bei Helius und den Diebstahl aller Dokumente und Modelle dreht. Auch hier dauert jede Einstellung ungefähr dreimal so lange wie nötig, verschwendet Lang Zeit mit Nebenefiguren wie Helius Haushälterin und Chauffeur (und führt, was ganz besonders schlimm ist, mit Gustav den Prototypen des nervenden Kinderdarstellers ein, der dann sogar noch die Mondfahrt mitmachen darf, ohne dass es dafür eine Berechtigung aus dem Plot heraus gäbe). D.h. nach 45 Minuten (!) haben wir gerade mal die Ausgangsbasis für die Geschichte erreicht – es dauert weitere 45 Minuten, bis die Rakte endlich abhebt, also bleiben für den „Weltraum“-Part der Geschichte weniger als 50 Prozent der Filmlaufzeit (was nicht bedeutet, dass Lang und von Harbou für diesen Teil sonderlich interessanteres oder spannenderes einfällt). „Metropolis“, der je nach Schnittfassung auch nicht gerade ein Musterbeispiel für rasantes Actionkino ist, wirkt dagegen wie „Speed“ meets „Matrix“.

Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass Lang seine für die Entstehungszeit grandiosen (und visionären) Modellsequenzen – speziell die Startvorbereitungen der Rakete, die erstaunlich dicht an den Bildern liegen, die wir aus Cape Canaveral kennen – aufbläht, als gäbe es kein Morgen (das erinnert dann in der Verliebtheit in die eigenen Effekte schon fast an den ersten „Star Trek“-Film), aber auch die stinknormalen Dialogszenen (zumal’s ja in einem Stummfilm per se keine Dialoge gibt… allerdings sind die Figuren erstaunlich redselig. Gelabert wird unendlich viel, Zwischentitel werden jedoch sparsam, dafür stellenweise pfiffig eingesetzt: eine explodierende Texttafel verdeutlicht Turners Drohungen, dann gibt’s den bewussten Countdown und ab und an werden Texte direkt auf das Bild gelegt) auszuwalzen, ist unnötig und muss den Film auch anno 1929 zu einer ziemlichen Geduldsprobe für das Publikum gemacht haben (das seinen Eintritt ja für einen Mondflug und nicht für ein Liebesdreiecksverhältnis und ökonomisches Intrigenspiel gelatzt hat).

Zum Glück ist Lang Genie genug, um das Interesse des Zuschauers durch gelegentliche inszenatorische Kabinettstückchen (oder nötigenfalls durch eine kleine Slapstick-Einlage) wach zu halten. In der Eröffnungsszene erinnert sich Lang tatsächlich an seine expressionistische Vergangenheit und baut einige grandiose Schattenspielereien ein, gelegentlich scheint er sein Image als „kalter“, geometrisch orientierter Regisseur („Metropolis“ geschuldet) sanft zu karikieren (z.B. wenn Gustav die perfekte Innenarchitektur eines Treppenhauses und speziell das Treppengeländer respektlos als Rutsche missbraucht); gleichfalls beeindruckend eine per fast unmerklichem Schnitt gelöste Szene, in der Turner seine Meisterschaft in der Verkleidungskunst beweist. Auch scheint Lang schon ein deutliches Auge Richtung Tonfilm zu werfen, denn gerade im ersten Filmdrittel legt Lang erstaunlichen Wert darauf, akustische Signale (wie Türklingeln, Glocken o.ä.) ins Bild zu setzen (ähnliches tat er schon in „Metropolis“ mit der Werkssirene). Dem Filmfreund sei angeraten, sich in der Tat weniger um den Film als Großes und Ganzes zu scheren, als vielmehr diese kleinen Perlen höchster Filmemacherkunst zu suchen und zu finden. In „Frau im Mond“ verbergen sich einige dieser cineastischen Schmankerl, wenn schon kein zufriedenstellender „runder“ Film.

Im „Filmgespräch“, das als begleitendes Bonusmaterial auf der neuen FAZ-DVD vorliegt, wird die Meinung vertreten, der 28-jährige Willy Fritsch sei ein ungeeigneter „Heldendarsteller“ und es deswegen verständlich, dass er umgehend ins Komödienfach wechselte (mit Filmen wie „Die Drei von der Tankstelle“, „Der Kongreß tanzt“ oder „Ein blonder Traum“ wurde er zu einem der Top-Stars des Lustspiel-/Musicalkinos der 30er; trotz seiner Mitwirkung im berüchtigten Propagandaschinken „Junge Adler“konnte er nach dem Zweiten Weltkrieg an seine Erfolge einigermaßen anknüpfen und zierte noch so manchen Schlager- und Heimatfilm wie „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“, „Schwarzwaldmelodie“, „Wo die alten Wälder rauschen“, „Das Donkonsakenlied“ usw.). Der Meinung kann ich mich nur eingeschränkt anschließen; Fritsch macht aus dem Wenigen, was ihm von Harbous Buch mitgibt, noch relativ viel – die Hin- und Hergerissenheit zwischen seiner Liebe zu Friede und dem Willen, die Freundschaft zu Windegger nicht zu verlieren (und auch nicht dessen Liebe zu zerstören) bringt er recht überzeugend auf den Punkt und speziell in die Auseinandersetzungen mit Turner legt er auch die notwendige Aggression (ausgesprochen böse kucken kann er jedenfalls).

Gustav von Wangenheim („Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“) bleibt als Windegger recht blass, was auch daran liegt, dass er weder den „character turn“ von Helius loyalem Ingenieur zum weinerlichen Weichei hinbekommt, noch als Rivale um die Gunst der schönen Frau ernstlich glaubhaft ist. Von Wangenheim schaffte den Übergang in den Tonfilm nicht – der 1931 gedrehte „Danton“, wo er immerhin an der Seite von Gustaf Gründgens agieren durfte, sollte sein nächster und gleichzeitig letzter Film werden.
Klaus Pohl (Professor Manfeldt, der eine Art Mischung aus Spitzwegs „armen Poeten“ und „mad scientist“ spielt, und das recht lebhaft, aber auch etwas nervend) hatte diese Sorgen nicht – Lang besetzte ihn später in „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, eine lange Karriere als character player in Lustspielen, Heimat- und Musikfilmen, die auch nach dem Krieg noch anhalten sollte, schloss sich für den Österreicher an.
Gerda Maurus, zur Drehzeit mit Lang liiert (wovon Thea von Harbou wusste), und die der Regisseur für seinen 28er-Thriller „Spione“ (auch mit Willy Fritsch) entdeckt hatte, ist keine Brigitte Helm, auch wenn sie einen ähnlichen Typus verkörpert. Da von Harbou auch nicht wirklich viel einfällt, was sie mit dem Charakter der Friede anfangen soll, außer sie eben in den Fokus der Männerrivalität zu stellen, kann sich Maurus (die sich nachfolgend hauptsächlich in Krimis und Abenteuerfilmen umtrieb, nach dem Krieg weitgehend aus dem Geschäft ausstieg und nur noch in einigen wenigen Fernsehproduktionen mitwirkte) kaum auszeichnen – sie muss es halt dabei bewenden lassen, die blonde „deutsche“ Schönheit zu spielen, die zwar abenteuerlustig und vergleichsweise selbstbewusst ist, sich von Männern nichts vorschreiben lässt, aber dennoch aus freien Stücken an Bord des Raumschiffs den „Frauenkram“ (also das Servieren der Drinks) übernimmt.
Eine ziemliche Schau ist Fritz Rasp („Der Hund von Baskerville (1929 und 1937)“, „Der Hexer (1932)“, „Charleys Tante (1934)“, „Der Frosch mit der Maske“, „Die Bande des Schreckens“) als schurkischer Turner (sein glattgestrichener Seitenscheitel weckt unweigerlich Hitler-Assoziationen, ich wage aber zu bezweifeln, dass Lang Hitler 1929 schon als dermaßen großes Problem sah, dass er seinen Schurkendarsteller danach stylte, erst recht, wenn der nur „Auftragsscherge“ des internationalen Großkapitals ist, und letzteres ja eher ein Feindbild der Nazi-Ideologie war); auch Rasp leidet darunter, dass sein Charakter völlig unfokussiert ist, aber er ist zumindest gewillt, die massiv unter-schriebene Figur durch motiviertes Spiel memorabel zu machen.
Aus Kinderdarsteller Gustl Gstettenbaur wurde im 30er-Jahre-Lustspiel eine feste Größe (u.a. war er in „Kohlhiesls Töchter“, „Hochzeit am Wolfgangssee“ und „Die Christl von der Post“ dabei, aber auch in Kriegsfilmen wie „Soldaten – Kameraden“). Nach dem Krieg fand er erneut geregeltes Auskommen in Heimatfilmen („Das Lied von Kaprun“, „Der Wilderer vom Schliersee“, „Die lustigen Weiber von Tirol“). Seine Figur ist vollkommen überflüssig, er selbst hält sich aber wacker (und, wie gesagt, seine enthusiastische Parteinahme beim entscheidenden Streichholzziehen ist schon ’ne Schau).

Bildqualität: Die neueste Rekonstruktion des Films, die mit ihren 163 Minuten Laufzeit wohl recht nah an die ursprüngliche Version herankommt (es kursiert zwar auch eine Lauflänge von 200 Minuten, aber das hätte auch 1929 niemand überlebt…), wird von der F.A.Z. im Rahmen ihrer Edition „Momente des deutschen Films“ präsentiert. Der 4:3-Vollbildtransfer ist in der Qualität leicht schwankend, was man durchaus verstehen kann, da hier unterschiedliche Quellen zusammengeführt wurden. Teilweise ist das Bild ausgezeichnet, teilweise etwas grieselig, teilweise mit Laufstreifen und leichten Defekten versehen, aber insgesamt für einen über achtzig Jahre alten Film hochanständig.

Tonqualität: Als Score dient eine offenbar neu eingespielte Klavierpartitur. Mir hätte ein wenig mehr musikalische Abwechslung ganz gut gefallen, denn die zweifellos kompetent eingespielten Pianoimprovisationen können Leuten wie mir, die mit, ähm, sagen wir mal „moderner Klassik“ nicht so viel anfangen wollen, über zweieinhalb Stunden schon etwas auf den Geist gehen. Sorry.

Extras: Ein etwa fünfzehnminütiges „Filmgespräch“, in dem ein Filmhistoriker einige nicht sonderlich tiefschürfende Fragen zu Film und Regisseur nicht sonderlich tiefschürfend beantwortet. Da hätte ich mir etwas mehr Detailwissen, auch zu den technischen und nicht nur rein formalen und künstlerischen Aspekten, gewünscht.

Fazit: Eine faire Bewertung fällt mir bei „Frau im Mond“ schwer – als „Film“, sprich als ein Lichtspielwerk, das im weitesten Sinne auch heute noch als Unterhaltung dienen soll, ist Langs zweiter großer SF-Film ein Versager, der keinen Vergleich zu „Metropolis“ aushält (wo es Lang zumindest teilweise gelang, von Harbous ungenießbare Schreibe zu kompensieren), dafür ist das Script zu banal, zu uninteressiert an seinem eigenen „selling point“, der ersten Mondlandung, und auch, wenn man anstatt der SF- die romantischen Aspekte primär betrachtet, viel zu langatmig und aktionslos. Aus filmtechnischer und -historischer Sicht sowie in seiner Position als erster „ernsthafter“, wissenschaftlich orientierter „Weltraumfilm“ ist „Frau im Mond“ ohne jeden Zweifel ein Meilenstein, dessen Bedeutung für die Entwicklung sowohl der SF als phantastischen Filmgenre als auch der Weltraumtechnologie an sich gar nicht überschätzt werden kann.

Möglicherweise war „Frau im Mond“ für Lang kein Projekt, an den er sein absolutes Herzblut vergoss; da er durchaus in der Lage war, auch unter den Voraussetzungen der 20er und 30er „tightes“ Erzählkino zu schaffen, während er sich hier – das kann man zumindest mit gewisser Rechtfertigung annehmen – mehr oder minder darauf beschränkte, von Harbous Script kritiklos und ohne Rücksicht auf dramaturgische Stimmigkeit umzusetzen. Vielleicht war es auch Enttäuschung, dass die UFA noch nicht auf den Tonfilmzug aufspringen wollte („Frau im Mond“ war sein letzter Film für das Studio, bevor Lang und UFA ihre problematische Beziehung beendeten; seine beiden letzten deutschen Vorkriegsfilme „M“ und „Das Testament des Dr. Mabuse“ entstanden für die Nero-Film AG), dass Lang sich damit zufrieden gab, technisch/wissenschaftlich akkurat und so realistisch wie irgend möglich zu arbeiten und nur hin und wieder auf seine „Markenzeichen“ zu verweisen. Das wird sich letztendlich nicht klären lassen.

„Frau im Mond“ ist letztlich ein Film, der sich nicht über seine „filmischen Qualitäten“ (sprich Geschichte, Spannung, Regieleistung), vielmehr über seine historische Bedeutung als Genre-Vorreiter des wissenschaftlich-technischen SF-Films, mit unübersehbarer Vorbildwirkung in Tricktechnik und Design, definiert. Als Unterhaltungsfilm heutzutage ein echter Test für den Durchhaltewillen des Zuschauers, ohne Frage aber abseits der Story-Aspekte wegweisend für die Zukunft des phantastischen Films.

3/5
(c) 2010 Dr. Acula


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