First Descent

 
  • Deutscher Titel: First Descent
  • Original-Titel: First Descent
  •  
  • Regie: Kemp Curly, Kevin Harrison
  • Land: USA
  • Jahr: 2005
  • Darsteller:

    Shawn Farmer, Terje Haakonsen, Nick Perata, Travis Rice, Hannah Teter, Shaun White, Tony Hawk


Vorwort

Wohl kaum eine Wintersportart hat in so kurzer Zeit einen solchen Popularitätsschub erfahren wie das Snowboarden – von den vorsichtigen Anfängen einiger Freaks bis hin zum absoluten Superstar-Status, den die Könige der Szene heutzutage geniessen, brauchte es keine drei Jahrzehnte. In dieser Dokumentation versuchen die Filmemacher einen Spagat – einerseits wird die kurze, chaotische Geschichte des Sports beleuchtet, andererseits veranstalten sie in den Bergen Alaskas eine Art „Treffen der Generationen“. Die Snowboard-Pioniere Shawn Farmer und Nick Perata, der norwegische Szene-Messias Terje Haakonsen und die jungen Nachwuchs-Stars Shaun White und Hannah Teter befassen sich mit der Königsdisziplin des Snowboardings – Freestyle im unerkundeten und -gesicherten Gelände, mit dem Ziel, auf einem der zahllosen unerforschten Gipfel der arktischen Gebirgslandschaft eine Erstabfahrt, eine „first descent“ zu schaffen.


Inhalt

Wieder mal habe ich’s mit einem Film zu tun, für den ich gewiss nicht die Zielgruppe bin – alpines Ski- und Snowboardfahren ist mir aus grundsätzlichen Erwägungen suspekt… aber andererseits ist ein erklärtes Ziel des Streifens, die vorgebliche Faszination des Snowboardsports einem breiteren Publikum (ha, als ob Snowboarden eine Randgruppenerscheinung wäre…) nahezubringen, also bin ich vielleicht doch der ideale Rezepient.

Es steckt ja auch durchaus eine interessante Geschichte in der rasenden Entwicklung eines völlig neuen Sports, der es immerhin geschafft hat, trotz der üblichen Anfeindungen und Lächerlichmachungen in der Anfangszeit, die darbende Wintersportindustrie zu retten, indem er eine völlig neue (und dabei bei aller rebellischer Attitüde hochgradig markenbewusste) Konsumentenschicht erschloss, die keinen Gedanken daran verschwendet hätte, auf herkömmliche Weise (also auf einem Paar Skiern) Abhänge herunterzufahren. Insofern ist es auch konsequent, dass der Film von der Marketingabteilung der Pepsi Corporation (genauer gesagt, deren Subsidiary Mountain Dew) finanziert wurde (erfreulicherweise verzichtet der Streifen aber völlig auf Product Placement – die einzige Erwähnung des Markennamens „Mountain Dew“ erfolgt in einer Szene, in der Shaun White ein NASCAR-Rennen eröffnet, das von dieser Firma gesponsert wird).

Die Krux allerdings ist, dass die Regisseure Curly und Harrison es nicht bei einem historischen Abriss der Snowboard-Geschichte belassen wollen, sondern auch noch neue, spektakuläre Bilder mit den besten Athleten der Zunft präsentieren wollen – der Film weist eine parallele Struktur auf, in der in die „Rahmenhandlung“ des Generationentreffens in Alaska von thematisch und chronologisch untergliederten Features über die Sport-Entwicklung unterbrochen wird. Dieser rein dokumentarische Part, der kam mir zumindest inhaltlich deutlich interessanter vor: von den Anfängen, als die ersten wagemutigen Pioniere sich auf abgesägten Surfbrettern ohne lächerlichen Luxus wie Bindungen Hänge hinunterstürzten, die Entwicklung einer Underground-Subkultur und ihren Kampf mit dem Wintersport-Establishment, über den Einfluss selbstgedrehter Videos, die den Sport und seine Szene populär machten, bis hin zur olympischen Anerkennung und zunehmenden Kommerzialisierung zum Event-Sport wird, auch durch zahlreiche Interviews mit Größen wie dem berühmtesten aller Skateboarder Tony Hawk, viel angerissen, aber leider bleibt es oft auch nur beim Anreißen – man wünscht sich oft, die ein oder andere Thematik würde stärker vertieft (z.B. die Kommerzialisierung, die einer Szene, die in der Punk-Bewegung fußt, eher unangenehm sein sollte) – auch über die Einflüsse von Surfen und Skateboarden hätte man mehr erfahren können und in der Abteilung „Olympia“ schaffen es die Interviewten dann auch locker, sich binnen drei Minuten komplett zu widersprechen (zu den 1998er-Spielen führen die Cracks aus, dass ein „Wettstreit der Nationen“ dem Selbstverständnis der Snowboard-Szene, in der das „miteinander Spaß haben“ über dem Wettbewerb stünde, völlig zuwiderlaufe, nur um wenige Minuten später bei der Betrachtung der 2002er-Games kollektiv Arme und Beine darüber abzufreuen, dass dem US-Team dort ein „medal sweep“ gelang; allerdings beinhaltet diese Sektion auch den besten Spruch des Films – ein Kollege führt über einen wegen Marihuana-Konsums gesperrten kanadischen Medaillengewinner aus: „Der hätte eine Extra-Medaille dafür verdient, stoned eine Medaille gewonnen zu haben“).

Auch der „Reality-TV“-Part, das Zusammenführen unterschiedlichster Charaktere aus den verschiedensten Boarder-Generationen, krankt ein wenig am mangelnden Willen, mehr zu zeigen als nur schöne Bilder und spektakuläre Rides – aus den unterschiedlichen Auffassungen des Snowboardens, wie sie beispielswiese ein Veteran wie Shawn Farmer und ein Jungspund wie Shaun White haben, wäre dramaturgisch sicher mehr herauszuholen gewesen (so bleibt’s eine Randnotiz, dass Farmer sich beschwert, dass die Jungen an einem Tag eine Rampe für 30-Meter-Sprünge bauen, was ihm zu gewollt riskant ist – prompt legt sich Farmer dann auch bei seinem Jump schmerzhaft auf die Nase); auch die Rolle von Hannah Teter (die übrigens zu ihrem Nachteil als ziemlich blondes Doofchen mit Valley-Girl-Attitüde – „It’s like avalanchy…“ – dargestellt wird) als einzigem Mädel in der Männerbande hätte man ausbauen können – wie überhaupt die Backgrounds der Aktiven in etwas nichtssagenden Mini-Featuretten unter Wert geschlagen werden (einzig Farmer wird zu einem echten „Charakter“).

Aber, auch wenn es sich bei „First Descent“ um ein scripted documentary handelt (soweit die Wetterbedingungen es möglich machten, sich an das Gerüst zu halten), in erster Linie will der Streifen von seinen Bildern leben – und die sind, da kann man nicht meckern, grandios. Die unberührte Landschaft der wilden Bergwelts Alaskas allein flößt dem Zuschauer eine gewisse Ehrfurcht ein – und die Rides der Sportler dürften jedem Freund dieser Sportart Tränen der Rührung über die Wange treiben (einiges sieht echt * verdammt gefährlich * aus, so z.B. als Travis Rice eine Lawine auslöst und sich nur durch seine exzellente Fahrtechnik rettet). Kameraarbeit (unterstützt durch alle möglichen Gimmicks wie Zeitraffer und Superslowmo) und Schnitt sind bemerkenswert und schaffen es, auch einen an dieser Sportart eher rudimentär bis gar nicht persönlich interessierten Zuschauer wie meinereiner über die beachtliche Laufzeit des Films bei der Stange zu halten, zumal die Regisseure auch im Sinne echter Dramaturgie auf den Höhepunkt, die titelgebende „First Descent“ hininszenieren.

Selbstverfreilich verfügt ein Film dieser Art über einen fetzigen Soundtrack, der geschmackvoll zusammengestellt ist – Alternative Rock und Punk sind die gewählten Stilmittel, renommierte Künstler wie die Queens of the Stone Age, Black Flag, Beck, Soundgarden, die Dandy Warhols und Jimmy Eat World steuern Songs bei (einzig auf Jack Johnson, der aber aufgrund seiner Surfer-Verbindung wieder irgendwo Sinn macht, hätte ich verzichten können, aber das liegt daran, dass mir „Upside down“ aus diesem Frühjahr noch zu den Ohren rauskommt). Gut hörbar.

Bildqualität: „First Descent“ präsentiert sich in makelloser anamorpher 2.35:1-Widescreen-Glorie – es zahlt sich aus, dass technisch keine Kosten und Mühen gescheut wurden (der Film wurde mit 3 35-mm-Kameras, diversen HD- und HDDV-Kameras und spezielleren Geräten gefilmt) und die DVD-Umsetzung macht dem betriebenen Aufwand alle Ehre – ausgezeichnete Detail- und Kantenschärfe, exzellenter Kontrast, völlig frei von Störungen oder Verschmutzungen, die Kompression verrichtet ihren Dienst ohne Murren. Kaum zu toppen.

Tonqualität: Geboten wird neben dem englischen O-Ton in Dolby Digital 5.1 eine deutsch übersprochene Fassung im gleichen Format. Aus Authentizitätsgründen sollte man die englische Fassung (deutsche Untertitel, ab und an in bewährter Sunfilm- bzw. Vicomedia-Tradition etwas neben der Spur liegend) bevorzugen. Der Sound ist kristallklar, hat ordentlich Power auf der Effekt-Spur und im Soundtrack. Auch hier: sehr gut.

Extras: Und ein ganzes Rudel Extras hat sich auch auf die Scheibe verirrt – neben dem Originaltrailer erfreut uns ein gut 20-minütiges informatives Behind-the-Scenes-Segment, in einer ca. fünfminütigen Featurette gibt Nick Perata Sicherheitstipps für’s Gelände-Freestylen, eine weitere Featurette beleuchtet die technischen Aspekte der Hubschrauber-Kamera. Ein Trailer für das Air & Style-Munich-06-Event schließt sich an, ehe unter „Extended Snowboarding Action“ ebenjene ohne störende Sprecher und Zwischenschnitte geboten wird. „A Thousand Words“ beinhaltet, irgendwo naheliegend, eine musikunterlegte Fotogalerie, ehe zwei deleted scenes und die offizielle Promo-Reel des Films die Extra-Sektion beschließen. Die Sunfilm-Trailershow ist selbstverständlich.

Fazit: Okay, auch nach „First Descent“ verspüre ich nicht das dringende Verlangen, in den nächsten Sportartikelladen zu stürmen und mit eine Snowboard-Ausrüstung zu kaufen, aber dafür, dass mich mit diesem Sport nicht wirklich etwas verbindet, habe ich mich knapp zwei Stunden lang recht gut unterhalten. Die Bilder sind teilweise von atemberaubender Epik (und Respekt vor sportlichen Höchstleistungen, auch wenn ich sie für wahnwitzig halte, hab ich sowieso), die sporthistorischen Hintergründe sind vielleicht nicht tiefschürfend genug, aber interessant – das ergibt summa summarum auch für Nicht-Snowboarder einen akzeptablen Unterhaltungswert und wer selbst aktiver Sportler ist, dürfte den Streifen wohl guten Gewissens heilig sprechen. Die DVD-Umsetzung von Sunfilm ist aller Ehren wert, auch die Ausstattung weiß zu überzeugen. Eins allerdings amüsiert mich trotz allem königlich – dass alle am Film Beteiligten der ernsthaften Ansicht wären, Snowboarden wäre irgendwie „wichtig“ und relevant…

3/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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