- Deutscher Titel: Everybody Dies
- Original-Titel: The Unscarred
- Alternative Titel: Jeder stirbt |
- Regie: Buddy Giovinazzo
- Land: Großbritannien/Deutschland
- Jahr: 2000
- Darsteller:
James Russo (Mickey), Steven Waddington (Travis), Heino Ferch (Johann), Ornella Muti (Raffaella), Richard Portnow (Tommy), Ulrike Haase (Anke), Andreas Petri (Chris), Frank Kirschgens (Polizist), Maximilian von Pufendorf (Johann 1979), Jeffrey Vincent Praise (Mickey 1979), Naike Rivelli (Raffaella 1979), Jack Tarlton (Travis 1979)
Vorwort
1979 hauen ein paar Austauschstudenten der Stanford University in West-Berlin ordentlich auf die Kacke. Für Johann, den Sauerkrautfresser, ist das ein Heimspiel, die Yankees Travis, seines Zeichens Millionärssöhchen und Mickey, aufstrebendes Baseball-Megatalent, benehmen sich halt so, wie’s junge unkontrollierte Leute tun (und alle drei haben begehrliche Augen auf Kommilitonin Raffaella geworfen). Eines schönen Abends veranstaltet Johann ein amtliches Wettsaufen mit Travis und Mickey in den Hauptrollen. Zwischen den Kontrahenten gibt es geringfügige Differenzen hinsichtlich der fairen Gestaltung eines solchen Wettbewerbs. Als Travis sich zum Sieger erklärt, haut Mickey ihm ordentlich aufs Maul. Das wiederum kann der Geschlagene nicht auf sich sitzen lassen und stürzt sich auf Mickey – mit der unvorhergesehenen und unbeabsichtigten Folge, dass Mickey übers Treppengeländer stürzt. Pardauz. Zwar bricht Mickey sich nicht das Genick, wohl aber Schulter, Arm und alles, was man sonst noch für eine lukrative Baseballkarriere brauchen könnte. Blöd gelaufen.
20 Jahre später hat Mickey anstatt der MLB-Laufbahn die eines professionellen Vollzeitverlierers eingeschlagen, schuftet in einer Stahlhütte und verjuxt seine Kohle beim couragierten Wetten auf Baseballspiele. Leider hat sich sein einstmaliges Schlagmanntalent offensichtlich nicht auf seinen Riecher hinsichtlich der richtigen Ergebnisse ausgewirkt, denn bei seinem Bookie steht er mit schlappen 90.000 Dollar in der Kreide. Und da der Buchmacher einer von der mafiösen Sorte ist, besteht er bei aller Freundschaft auf umgehender Rückzahlung der Außenstände, alldieweil ansonsten für die körperliche Unversehrtheit Mickeys nicht länger gehaftet werden könne. Dummerweise hat Mickey sich bei Ex-Frauen, Freunden und sonstigen Verwandten kein besonders gutes Standing erarbeitet. Seine Bettelanrufe bleiben daher ohne großen Erfolg. Bis sich überraschend Travis meldet. Ja, jener welcher, der ihm einst die große Karriere gekostet hat.
Travis kunftet aus, in Berlin zu sein und dort Johann und Raffaella, mittlerweile glückliches Ehepaar, getroffen zu haben – da wäre es doch nur fein, wenn der vierte der damaligen Freundesbande, Mickey, doch auch mal schnell über den Teich flöge für ein feucht-fröhliches Wiedersehenswochenende. Mickey akzeptiert, als Travis durchblicken lässt, die Flugtickets zu sponsern.
Also auf nach Berlin, wo die Wiedersehensfreude seiner alten Kumpane Mickey etwas suspekt vorkommt, ist man doch nicht unbedingt in allerbester Freundschaft voneinander geschieden. Raffaella, teilt Johann bedauernd mit, wird leider nur sparsam an den Feierlichkeiten teilnehmen, weil sie dringende Babysitterdienste zu übernehmen hat. So stürzen sich die drei Kerle ohne weiblichen Anstandswauwau ins Berliner Nachtleben, wo Travis auch schnell ein Berliner Partyflittchen namens Anke aufreißt, während Grumpy Mickey alle Avancen interessierten Weibsvolks brüsk zurückweist. Travis nimmt Anke mit in Johanns (illegal ausgebautes) Desinger-Fabrikloft, lötet fleißig Bölkstoff ein und schickt sich an, mit dem Mädel ein paar ausgesuchte Stellungen aus dem Kamasutra auszuprobieren. Doch da – ein Schrei, ein Krach, und als Mickey aus seiner Kemenate tritt, bietet sich ihm ein furchtbares Bild. Anke ist durch ein offenbar kaputtes Geländer von der Galerie direkt in den Designer-Glastisch gestürzt und ganz augenscheinlich mausetot. Ein Unfall, beteuert Travis, bekanntlich Spezialist für Etagenwechsel ohne Treppeneinsatz, aber Mickey gibt zu bedenken, dass das nicht sonderlich glaubhaft ist, auch weil Travis voll wie Strandhaubitze und auf Ecstasy ist, und Bullenbesuch auch für Johann nicht gerade optimal wäre, hat er doch seine Bude bekanntlich ohne Baugenehmigung aufgebaut.
Der Kriegsrat ergibt – die Leiche muss weg, bevor Raffaella nach Hause kommt. Vorerst bietet sich ein Zwischenlager im Weinkeller an, bis das Brainstorming ergeben hat, wo man die Tote verklappen kann. Auch der Tisch muss natürlich ersetzt werden – Mickey erklärt sich bereit, mit Travis einen Ersatz zu beschaffen, liefert sich aber auf dem Rückweg eine eher unmotivierte Verfolgungsjagd mit der Polizei.
Noch komplizierter wird die Lage, als Ankes Bruder Chris auftaucht, der sein Schwesterherz in seiner Funktion als Barkeeper wohl mit Travis und Johann gesehen hat und nun ob der ausbleibenden Maid neugierige Fragen stellt. Johann haut ihn erst k.o. und erschießt ihn später „versehentlich“. Nun gibt’s also zwei Leichen zu beseitigen, wofür sich die Berliner Wasserwege anbieten.
Mickey hat sich inzwischen aber die ein oder andere Rechnung aufgemacht. Travis, z.B., hätte doch einiges zu verlieren, wenn jemand der Polizei eine Geschichte erzählt, wonach der Unfall keiner gewesen sei. Aber gegen eine kleine Zahlung von 100.000 Dollar könnte Mickey sich vorstellen, dahingehend spontanen Gedächtnisverlust zu erleiden. Ein weiteres Erpressungsopfer wird Raffaella, die das seltsame Verhalten der drei Kerle schnell durchschaut und eingeweiht wird – Mickey ist nämlich nebenbei auch noch der Vater von Raffaellas Sohn Alex, den Johann als den seinen angenommen hat, und damit im Besitz einer emotionalen Trumpfkarte…
Inhalt
Das Filmbusiness wimmelt von Leuten, die’s eigentlich besser verdient hätten als ihr Status in der Filmwelt und das Ouevre, mit dem sie ihre Miete bezahlen, hergeben. Zu diesen gehört zweifellos Buddy Giovinazzo, der 1984 wie ein Orkan über die unvorbereitete Öffentlichkeit herbrach, als er, ausgerechnet über die Diplom-Trashologen von Troma, seinen „Combat Shock“ auf die Welt los ließ, ein räudiges, billiges, aber ungeheuer wirkungsvolles Stück Vietnam-Aufarbeitung, das Vergleiche zu David Lynchs „Eraserhead“ auf sich zog und mit seiner Mixtur aus Mindfuck, Horror und Drama viele Konsumenten ratlos bis verstört zurückließ. In einer gerechten Welt wäre „Combat Shock“ die Eintrittskarte in den Pantheon der aussagekräftigen Avantgarde-Filmer geworden, aber, vielleicht auch durch das Troma-Branding, seine Anerkennung als Kultfilm musste der Streifen sich hartnäckig über die Jahre erarbeiten. Giovinazzo bekam einfach keine Gelegenheiten und die größte Chance, die sich ihm bot, mit Joe Spinell an einem Sequel-in-spirit zu „Maniac“, „Mr. Robbie“ zu arbeiten, erledigte sich durch Spinells unzeitiges Ableben. Giovinazzo zog sich auf die andere Seite zurück und begann einen zehnjährigen Stint als Dozent an der New Yorker Hochschule für visuelle Kunst.
1996 bot sich ihm die Chance, mit einer prominenten Besetzung aus Tim Roth, Deborah Kara Unger und James Russo das Crime-Drama „No Way Out“ („Unter Brüdern“) zu drehen, das gute Kritiken einfahren kontte und als geschliffenere, aber doch immer noch kompromisslos-blutige Rückkehr zu Themen und Bildern von „Combat Shock“ aufgenommen wurde. Das brachte seine Karriere aber auch nicht sonderlich voran, und nach hier vorliegenden deutsch-britischen Koproduktion siedelte Giovinazzo nach Deutschland über und machte sich hier einen Namen als Regisseur von Fernsehkrimis. Diverse „Tatorte“ und „Polizeiruf 110“-Episoden gehen auf sein Konto, außerdem drehte er „Wilsberg“, „Der Kriminalist“ und „SOKO Leipzig“. Giovinazzo tat verschiedentlich in Interviews kund, dass das deutsche Fernsehen ihm *überhaupt nur* die Möglichkeit böte, zu arbeiten und so auch Mittel einzusammeln, um persönliche Projekte wie die Adaption seines eigenen Romans „Life is Hot in Cracktown“ oder „A Night of Nightmares“ zu verwirklichen. Es ist nicht leicht, auteur zu sein…
Wie dem auch sei. Heute befassen wir uns mit „Everybody Dies“, Originaltitel „The Unscarred“, mithin also der Produktion, die Giovinazzo veranlasste, in diese unsere blühende Bundesrepublik auszuwandern. Buddy arbeitet normalerweise ja am liebsten nach eigenen Büchern, hier jedoch zeichnet für das Script ein gewisser Karl Junghans verantwortlich, der ansonsten keinerlei credits aufzuweisen hat.
Der Film erweist sich als einer dieser in den 90ern sehr gefragten verwinkelten twist’n’turn-Thriller (think „Wild Things“, think „U-Turn“), in denen niemand mit offenen Karten spielt, Allianzen geschmiedet und gekündigt werden, jeder jeden mit Freuden hintergeht und mit etwas Glück ungefähr zum Nachspann klar ist, wer nun eigentlich wann was mit wem und warum getrieben hat. Ein bisschen erinnert das Szenario freilich auch an „Very Bad Things“, wo ebenfalls ein Rudel Freunde das tote Resultat einer wilden Partynacht irgendwie loswerden musste. Allerdings hat „Everybody Dies“ dann doch einen etwas anderen Ansatzpunkt – der Geländersturz erweist sich zwar als das alles auslösende, aber nicht unbedingt das zentrale Ereignis. Denn wo bei „Very Bad Things“ z.B. alle an einem Strang ziehen und von der Tücke des Objekts ein ums andere Mal übel gefoppt werden, stehen sich hier vier Charaktere gegenüber, die entgegen der Beteuerungen alter Freundschaft und guter alter Zeiten nicht arg viel miteinander gemein haben (bzw. das, was sie gemein haben, ist nicht das, was wir zunächst glauben sollen, sondern wird sich erst durch die diversen Twists und Schlenker, die das Drehbuch schlägt, ergeben).
Zu diesem Konzept gehört auch, dass auch der Protagonist nicht der ist, der er zu sein scheint. Zu Beginn sieht es so aus, als wolle uns der Film dahin lenken, Mitleid mit Mickey zu haben, der durch Travis‘ unüberlegte Suff-Aktion um seine wohlverdiente Sportkarriere gebracht wurde, die für ihn die einzige Chance gewesen wäre, in die sozialen Kreise aufzusteigen, in denen seine von Geburt reichen Kommilitonen von Haus aus amtieren, und dem sich nun, in der Stunde höchster Not, durch gnädiges Schicksal die Möglichkeit bietet, sowohl seine unmittelbaren finanziellen Schwierigkeiten zu überwinden als auch gleichzeitig damit süße Rache an denen zu üben, die sein Leben versaut haben. Wäre nicht die originellste Filmmotivation, ist aber bewährt und brauchbar, und wenn’s gegen reiche Pinkel geht, die glauben, mit Geld alles kaufen zu können, freut sich ja auch der innere Neandertaler des Zuschauers, der sich freuen würde, wenn das Vorzeichen seines Kontostandes sich über Nacht mal ändern würde. Alles weitere nach ausdrücklicher SPOILER-Warnung, denn die weiteren Entwicklungen lassen sich nur diskutieren, wenn zumindest der ein oder andere Plottwist verraten wird…
Wie sich nämlich herausstellt, ist unser armer Mickey nicht das vom Schicksal geprügelte Opfer, sondern ein erstklassiges Arschloch, das seine Verletzung und dadurch ausgefallene Sportkarriere als willkommene Ausrede gesehen hat, sich selbst und jedem, der sich auch nur entfernt in seinem Dunstkreis mördermäßig auf den Sack zu gehen. Travis hat sein schlechtes Gewissen nicht nur damit erleichtert, Mickeys OP bezahlt zu haben, nein, er lässt ihm auch eine jährliche Apanage nicht unbeträchtlichen Umfangs zukommen. Und auch von Raffaella bezieht Mickey sogar monatlich einen fünfstelligen DM-Betrag, um Alex gegenüber die Klappe ob der Vaterschaft zu halten. Schlagartig wird uns klar – Mickey ist kein bemitleidenswerter Wicht, dem das Schicksal übel mitgespielt hat, sondern er ist ein zynischer Mistkerl, für den die Gelegenheit, Travis und Raffaella zu erpressen, nicht die lang ersehnte Gelegenheit zur Rache ist, sondern ihm nur erlaubt, sein mieses Spiel mit den Ex-Freunden auf die Spitze zu treiben. Sympathien verlagern sich, doch wie es in einem Film dieses Sujets üblich ist – am Ende des zweiten Akts haben wir noch lang nicht alle Wahrheiten und Geheimnisse aufgedeckt – und so hält „Everybody Dies“ dann auch bei der Stange…
Selbstreden ist „Everybody Dies“ als nicht sonderlich groß budgetierte Euro-Produktion nicht so slick, stylish und sexy wie z.B. „Wild Things“, aber das Intrigenspiel und die Verdrehungen der Geschichte haben genug Fleisch auf den Knochen, um die 90 Minuten auch ohne visuelle Mätzchen, nackige Sexeinlagen oder plakative Brutalitäten gut über die Runden zu bringen. Man muss sich damit abfinden, dass der Film keinen besonders kinematischen Look hat, eher schon wie eine von Giovinazzos späteren TV-Produktionen aussieht (mit der Ausnahme einiger hübscher und nicht schon längst totgenudelter aerials von Berlin). Der Großteil des Films wird in Johanns Industrieloft bestritten, und das ist allemal ein sehr schickes Set, dessen Möglichkeiten vom Film auch genutzt werden.
Nichtsdestotrotz hält Giovinazzo die Spannungskurve auch mit schlichteren handwerklichen Mitteln sauber durch. Gröbere Brutalitäten gibt’s nicht (eigentlich könnte man den Streifen auch mit FSK 12 durchwinken, ich hätte da keinen Schmerz mit).
Der internationale Cast macht sich eigentlich auch ganz gut. James Russo („Donnie Brasco“, „Django Unchained“, „Beverly Hills Cop“) ist sicher nicht der größte Charakterdarsteller der Welt, so einen krummhundigen Unsympathen wie Mickey bekommt er aber überzeugend genug hin. Heino Ferch („Der Untergang“, „Der Baader Meinhof Komplex“, „Comedian Harmonists“) ist im Ensemble vielleicht ein wenig der kleine Schwachpunkt, was mal wieder daran liegen mag, dass ein deutscher Schauspieler, der durchaus seine Qualitäten hat, außerhalb seiner gewohnten Muttersprache agieren muss (abgesehen davon sagt mir sein „character design“ irgendwie nicht zu). Bei Steven Waddington („The Tudors“, „The Imitation Game“) bekomme ich eine gewisse Gary-Busey-Vibe, und dann hätten wir da ja noch Ornella Muti („Flash Gordon“, „Gib dem Affen Zucker“, „Der gezähmte Widerspenstige“), die auch 20 Jahre nach ihrem großen Starruhm als internationales Sexsymbol immer noch bezaubernd aussieht (schade, dass die ersten beiden Akte praktisch ohne ihre Beteiligung stattfinden). Naike Rivelli („Open Graves“, „Das Jesus Video“) spielt übrigens sehr überzeugend die „Jung“-Version Ornellas im 1979er Prolog. Charakterschädel und gefragter character actor Richard Portnow („Die Sopranos“, „Ghost Dog“) absolviert einen kleinen, aber prägnanten Auftritt als Mickeys mafiöser Buchmacher.
Die DVD von Best Entertainment bringt den Film in passablem 4:3-Vollbildtransfer mit deutschem und englischen Ton in Dolby 5.1. Extras gibt’s leider nicht.
Am Ende des Tages wird mit „Everybody Dies“ das Rad des twisty Thrillers nicht neu erfunden, aber eine kompetente Variante abgeliefert, die durchaus spannend unterhält und mit Überraschungen aufwarten kann. Wer das Genre mag, wird gut bedient.
© 2018 Dr. Acula
BOMBEN-Skala: 4
BIER-Skala: 6
Review verfasst am: 28.05.2018