Eurydike – Die Braut aus dem Jenseits

 
  • Deutscher Titel: Eurydike - Die Braut aus dem Jenseits
  • Original-Titel: Eurydike oder Das Mädchen von Nirgendwo
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  • Regie: Jochen Richter
  • Land: BR Deutschland
  • Jahr: 1977
  • Darsteller:

    Heinz Trixner (Tom Leonhardt/Bob Leonhardt), Zeli Barbier (Celi, als Celi Barbier), Wolfgang Büttner, Lina Carstens, Umpachi Shiiba


Vorwort

Ein vom Bayerischen Rundfunk produzierter Film, der mit einer Atomexplosion im Garchinger Kernforschungszentrum beginnt? What devilish tomfoolery is this und hat das wenigstens alle verantwortlichen Redakteure ihre Jobs gekostet?

Okay, zurück auf Anfang. Aus ungeklärten Gründen ist die bewusste Forschungseinrichtung mit einem hübschen Atompilz in die Luft geflogen und hat neben ein paar tausend Toten auch einen possierlichen Krater zurückgelassen. Eher ungewöhnlich ist allerdings die Entdeckung einer ganz in Weiß (aber ohne Blumenstrauß) gekleideten jungen Frau auf dem Grund des Kraters. Nicht nur, dass da normalerweise weder Gras noch Frauen wachsen sollten, hat die Holde nur ein paar Verbrennungen im Gesicht davongetragen und zeigt seltsamerweise keinerlei Anzeichen einer radioaktiven Verstrahlung. This is rather strange.

Denkt auch Bob Leonhardt (Heinz Trixner, NULLPUNKT), der vom Innenminister persönlich eingesetzte Chef der Untersuchungskommission, der herausfinden muss, was zum Geier eigentlich passiert ist und dabei das Gesicht der Bundesregierung wahren muss, wo sich Presse und Medien bereits auf einen soliden Anti-Atomkurs einschwenken. Leonhardts Berufung ist nicht unumstritten, denn sein Bruderherz Tom (auch Heinz Trixner) war einer der führenden Eierköpfe des Kernforschungszentrum und zählt zu den Pulverisierten. So manch einem deucht da ein potentieller Interessenkonflikt sein hässliches Haupt zu heben.

Bob versucht aus der aus unerfindlichen Gründen in Ganzkörperbandagen gehüllten Amateurmumie, sprich der mysteriösen Überlebenden (Zeli Barbier, SCHULD SIND NUR DIE FRAUEN) irgendwelche verwertbaren Informationen herauszubekommen, doch das Girl plädiert auf einen Fall schwerwiegender Amnesie. Bob ist nicht hundertprozentig überzeugt, dass das der Wahrheit entspricht, aber die Ärzte behaupten, dass der Gedächtnisverlust authentisch ist. Mangels anderer Ansatzpunkte für seine Ermittlungen durchforstet Bob Toms Haus und stößt dort in der Tat auf einige merkwürdige Merkwürdigkeiten – von Tom beschriebene Blätter, die eine Art schriftliche Kommunikation mit einem unbekannten Partner, vermutlich weiblicher Natur, wenn man manch blumige Metapher in den knappen Texten zugrundelegt, vermuten lässt, einen auf einem Diktiergerät hinterlassenen Liebesbrief an die geheimnisvolle Unbekannte, der auch darauf hinaus läuft, dass Tom die Angebetete bislang nie persönlich-körperlich kennenlernen durfte, dies aber nun unbedingt will, und einen Caspar-David-Friedrich-Bildband, aus dem die Seite mit den berühmten Kreidefelsen von Rügen herausgerissen wurde. Alles einigermaßen rätselhaft und beunruhigend, aber auch vage und unbefriedigend. Auch ein Interview eines schwer angeschlagenen und in einem Isolationszimmer liegenden (also mutmaßlich verstrahlten) väterlichen Kollegen Toms bringt Bob nicht entscheidend weiter – mehr, als dass das Kreidefelsen-Gemälde für Tom eine tiefere Bedeutung gehabt haben muss, kommt bei der Befragung nicht rum.

Da wir ganz generell filmisch in einer Sackgasse gelandet sind, aus die uns ein Autorenkollektiv aus Shane Black, Quentin Tarantino und den Coen-Brüdern nicht mehr rausschreiben könnte, hilft nur noch eines – eine Rückblende…

Also, springen wir ein paar Wochen zurück, Tom Leonhardt freut sich noch seines Lebens als wissenschaftliche Konifere im Garchinger Institut. Allerdings nur so lange, bis – rein aus Versehen – eine Akte auf seinem Schreibtisch landet, die ihn eigentlich nichts angeht. Der Inhalt irritiert Tom so mächtig, dass er seinem Bruder Bob auf die Nerven geht. Laut den ihm irrtümlich zugeleiteten Papieren bastelt ein Kollege im gleichen Institut an Atombomben im Handtaschenformat für begrenzte nukleare Explosionen. Tom würde gerne wissen, ob die Bundesregierung davon was weiß oder diese Arbeit eventuell sogar in Auftrag gegeben hat. Tom ist erklärter Bewohner des Atomkraft-ja-aber-nur-für-zivile-Anwendungen-Camps und würde sich ordentlich verarscht vorkommen, wenn er schon längst, ohne es zu wissen, für die Rüstungsindustrie arbeiten würde. Bobs Antwort ist von der bewährten „zuviel-Details-würden-sie-beunruhigen“-Schule – was als non-commitical gemeint ist, sagt Tom, der als Wissenschaftler nun mal nicht völlig auf den Dez gefallen ist, allemal genug.

Tom gehört zu den Leuten, die nach Feierabend bis zum Sendeschluss die Glotze laufen lassen (wir merken: ein Film, der heute nicht mehr funktionieren würde, wo jeder Bauernhof-Sender 24/7 sendet, bis die Schwarte kracht). Verabschiedung durch die Ansagerin, Nationalhymne, Testbild und dann statisches Rauschen. Das wäre zumindest der gewohnte Gang der Dinge, doch heute sieht Tom auf dem Schirm ein paar mysteriöse Schattengestalten vor weißem Hintergrund herumhuschen. Tom denkt sich zunächst nichts dabei, doch das Phänomen wiederholt sich am nächsten Tag, und das Bild wird sogar etwas klarer – die Gestalten sind in anständige Anzüge gehüllte Männer japanischen Zuschnitts, und sie scheinen irgendwie in die Kamera zu winken. Das alles kommt Tom komisch genug vor, um einen Fernsehdoktor zu rufen, der allerdings bestätigt, dass die Fischkiste in bestem technischen Zustand ist. Könnte schon sein, dass bei günstigen atmosphärischen Bedingungen ein ausländisches Programm von Sonstwoher mal aufploppt, aber aus Japan? Die Japaner sind technische Wunderknaben, gibt der Repairman zu, aber SO große Wunderknaben dann auch wieder nicht. Damit ist Tom so schlau wie zuvor.

Auch in dieser Nacht tauchen die Japaner wieder auf – und Tom macht zwei erstaunliche Feststellungen. Zum einen kann er die ungebetenen Fernsehgäste nun auch hören und, noch deutlich erschütternder, die scheinen ihn SEHEN zu können! Die Japaner realisieren, dass Tom Teutone ist und produzieren eine junge, hübsche Frau in weißer Schwesterntracht, die der deutschen Sprache mächtig ist. Die Kommunikation ist trotzdem schwierig, denn das Mädchen vermittelt Tom, dass sie ihn nicht hören können – er muss seine Antworten aufschreiben und vor den Fernseher halten. Nachdem diese Grundlagen aber einmal etabliert sind, lässt sich eine sinnvolle Konversation führen – und was Tom über die nächsten paar Tage von der jungen Frau erfährt, ist nichts minder als absolut phantastisch.

Das Mädchen, das sich als Celi vorstellt, teilt mit, dass sie und ihre Gefährten for all practical purposes tot sind – gestorben direkt im Zentrum der Atombombenexplosion von Hiroshima. Irgendwie – wie genau, wissen auch sie nicht – blieben ihre Atome aber zusammen und ihre Bewusstseine erhielten sich. Sie befinden sich jetzt quasi im Nirgendwo und Überall gleichzeitig, sie können mit Lichtgeschwindigkeit an jeden Ort reisen, haben aber all die Jahre versucht, Verbindung mit der „realen“ Welt aufzunehmen. Und nun hätten sie eben den Trick raus, sich in den Kathodenröhren eines Fernsehgeräts (ein weiterer Grund, warum der Film heute nicht mehr funktionieren könnte) zu materialisieren, aber nur, wenn das Gerät kein anderweitiges Signal empfängt (deswegen eben erst nach Sendeschluss). Sie selbst sei eine 1920 geborene Deutsch-Brasilianerin, die 1941 als Krankenschwester in Singapur gearbeitet und nach dem Einmarsch der Japaner von den Invasoren entführt und nach Japan verschleppt worden sei. Das ist schon eine ziemlich harte Nuss, die Tom da zu kauen hat, und als Mann der Wissenschaft verlangt er Beweise. Celi erzählt ihm von ihrer Tante, die noch in Deutschland lebe, und Tom sucht die alte Dame (Lina Carstens, DER RÄUBER HOTZENPLOTZ, DER BASTIAN) auf. Die bestätigt im Wesentlichen Celis Geschichte bis 1941 und hat auch ein Foto der totgeglaubten Nichte, und das zeigt ziemlich eindeutig das Mädchen aus dem Fernseher.

Nun fällt aber gerade in einem sicherheitstechnisch heiklen Bereich wie der praktischen Kernphysik auf, wen einer der führenden Köppe nicht mehr so ganz bei der Sache zu sein scheint. Tom wird zu seinem Chef (Wolfgang Büttner, DER LÄNGSTE TAG, RAUMPATROUILLE: DIE RAUMFALLE) zitiert. Der vermutet private Probleme, aber Tom wiegelt ab – er grübele nur über einem quantentheoretischen Problem und fragt den Bossman, ob der es theoretisch für möglich halte, dass eine Atomexplosion nur den Körper, nicht aber die Bewusstseinsstruktur eines Menschen vernichtet. Kann schon sein, meint der, aber das ist eigentlich nicht der Stoff, mit dem man sich hier beschäftigt. Und Urlaub, damit Tom sich mit obskuren Privattheorien beschäftigt, ist auch nicht drin.

Indes gibt’s auch an der anderen Front unerwartete Schwierigkeiten – Celi taucht nur noch alleine auf Toms Fernsehschirm auf, den anderen ist die Angelegenheit zu riskant geworden. Zwei der Japaner seien durch eine Übertragung „zerstört“ worden, und bei aller Freude über die gelungene Kontaktaufnahme sind die Entkörperten an und für sich nicht lebensmüde. Nun, man kann nicht behaupten, dass Tom über die neue private Natur der Unterhaltung mit Celi traurig ist, hat er sich doch, wie nicht anders zu erwarten, in das Girl verliebt. Aber es besteht weiter das Königskinder-Problem – sie konnten zueinander nicht kommen, und das nagt heftig an Tom.

Man müsste Celi irgendwie aus dieser Zwischenwelt wieder in die körperliche Realität zurückholen, aber Celi versucht Tom etwaige Experimente auszureden, das sei alles viel zu gefährlich. Wenn der Prophet nicht zum Berg kommen will, muss, das wusste schon Mohammed, der Berg halt zum Propheten, und wenn Celi also glaubt, der Transfer aus ihrer Welt in unsere sei zu gefährlich, dann muss es halt andersrum gehen, denn das hat erwiesenermaßen ja schon mal funktioniert. Ein Gedanke setzt sich in Toms Brägen fest…

… und unter der Ausrede, er habe wichtige neue Erkenntnisse, die dort weiterhelfen könnten, lässt er sich zu dem Atomgranatenprojekt versetzen. Langsam wird ein Schuh aus der Atomexplosion vom Filmanfang. Celi ist aber nach wie vor gegen den Versuch und stellt sogar die Kommunikation mit Tom ein, doch als Tom klarstellt, dass er mit oder ohne ihren Segen versuchen wird, sich in ihre Welt zu beamen, erklärt sie sich über einen Mittelsmann bereit, auf ihn zu warten…


Inhalt

Ich hab an dieser Stelle oft und gern über den eklatanten Mangel an SF-, Horror- oder Fantasyfilmen aus deutscher Produktion gelästert, aber wenn man genau hinsieht, stimmt das nur, wenn man sich auf „Filme fürs Kino“ kapriziert. Im angeblich so stockkonservativen öffentlich-rechtlichen Fernsehen der 70er und 80er hingegen gab’s immer wieder phantastische Stoffe zu sehen – Rainer Erlers DAS BLAUE PALAIS, Fernsehspiele wie INSEL DER KREBSE, DREH DICH NICHT UM, DER GOLEM GEHT UM, DATENPANNE etc… Dass diese TV-Arbeiten sich nicht unbedingt nachhaltig ins kollektive Gedächtnis der Republik eingebrannt haben, mag daran liegen, dass der phantastische (Fernseh-)Film ein Experimentierkasten war, und „Publikumswirksamkeit“ oder „Unterhaltungswert“ nicht unbedingt die Top-Prioritäten der ausführenden Filmemacher waren – es waren dann eben doch oft und gern verkopfte und/oder staubtrockene Angelegenheiten, die sich zwar in ihrer gesellschaftlich oder politischen Relevanz suhlten – oder, wie George Moorses Lovecraft-Adaption SCHATTEN AUS DER ZEIT ganz bewusst als Experimentalfilm angelegt waren – , sich aber kaum darum scherten, den geneigten Zuschauer, der um 23.30 Uhr oder wann immer so ein Film dann tatsächlich versendet wurde, „mitzunehmen“, wie man so schön sagt.

Und wenn man dann tatsächlich mal einen Film hat, der nicht NUR intellektuelles Vexierspiel sein will, sondern auch eine durchaus interessante Idee zu bieten hat, dann versenkt der sich mit einem abschreckenden Titel wie EURYDIKE ODER DAS MÄDCHEN VON NIRGENDWO (der spätere Alternativtitel EURYDIKE ODER DIE BRAUT AUS DEM JENSEITS schreit auch nicht gerade spannende Genre-Unterhaltung). Manchmal ist auch dem gutwilligsten Filmemacher nicht mehr zu helfen…

Der gutwillige Filmemacher ist in diesem Falle Jochen Richter, den wir ja gerade erst via seinem respektablen Teutonen-Noir NULLPUNKT (1982) und als Kameramann/Produzenten des obskuren Historiendramas GEBURT DER HEXE (1980) kennengelernt haben. EURYDIKE entstand, wie ganz oben schon erwähnt, unter Mithilfe des Bayerischen Rundfunks, was mich, wie auch schon angedeutet, gelinde verstört – der gleiche Bayerische Rundfunk, der sechs Jahre später die Ausstrahlung von IM ZEICHEN DES KREUZES boykottierte, weil der die Atomindustrie verunglimpfte? Dieser Sender gibt Geld für einen Film aus, der nun auch nicht unbedingt das hohe Lied der Kernenergie singt? Gut, Tom, der Protagonist, ist ein Atombefürworter, aber für zivile Zwecke, und das Script postuliert immerhin, dass die Bundesregierung – oder wenigstens die Rüstungsindustrie mit Wissen der Bundesregierung – heimlich an Atomwaffen bastelt, UND stellt klar, dass die öffentliche Meinung recht eindeutig gegen Atomkraft gerichtet ist. Das KANN Franz-Josef doch nicht gefallen haben…

Aber kommen wir zur eigentlichen Geschichte. An der fällt natürlich erst einmal auf, dass die armen entkörperten Atombombenopfer heutzutage sowas von aufgeschmissen wäre – gibt’s noch jemanden, der einen ollen Röhrenfernseher hat? Vielleicht noch ein-zwei Rentner, aber hat irgendein Sender heute noch Sendeschluss? Bled gloffn…

Es ist jedenfalls ein spannendes Konzept, auch wenn der Film sich mit der Kontaktaufnahme übers TV vielleicht dem langweiligsten Aspekt einer körperlosen Existenz, die nur noch rudimentär unseren physikalischen Gesetzen unterworfen ist, widmet. Da wären philosophische Fragen zu stellen, mit denen man ganze Enzyklopädien füllen könnte, da deutet der Film selbst in einem Nebensatz an, dass die Körperlosen mit außerirdischen Lebensformen in Verbindung stehen, da wird etabliert, dass sie sich praktisch in Nullzeit an jeden beliebigen Ort projizieren können und trotz ihrer Körperlosigkeit „sehen“ und „hören“ können (Celi bestätigt ausdrücklich, dass sie bei seinem Besuch bei ihrer Tante mit dabei war), da stünden so viele Möglichkeiten offen, und am Ende sind wir dann doch bei einer schlichten Liebesgeschichte (in der natürlich irgendwo das „Orpheus-in-der-Unterwelt“-Motiv drinsteckt, so dass der Titel nicht nur „Verdammt, das ist ANSPRUCH und keine Unterhaltung für den Pöbel!“ schreit, sondern schon eine gewisse inhaltliche Berechtigung hat), in der viel gelabert wird und wenig passiert. Aber da sind wir dann eben doch wieder bei meiner obigen These zum phantastischen TV-Film deutscher Produktion – wenn wir uns schon mit solchen Themen befassen, scheint der Leitspruch zu sein, dann wollen wir’s auf keinen Fall mit dem Entertainment übertreiben,auch wenn EURYDIKE nicht so verknöchert ist wie Erlers PALAIS und nicht in seine Verkopftheit selbstverliebt wie Moores SCHATTEN. Man kann EURYDIKE schon als U-Film sehen, aber eben mit all den Einschränkungen, die ein nicht auf finanziellen Rosen gebettes kleines Fernsehspiel eben mit sich bringt.

Nicht ganz glücklich bin ich mit dem framing device – der Film beginnt, wie gesagt, mit der Atomexplosion und dem Auffinden Celis im Explosionskrater, und nimmt dann zunächst Bobs Perspektive bei seinen Ermittlungen ein. Klar, irgendwann rennt er gegen die metaphorische Wand, weil Celi ihm nicht helfen kann, es aber nicht wirklich andere Anhaltspunkte gibt, und der Flashback muss her. Soweit, so gut – der Aufbau des Mysteries ist durchaus gekonnt und der Wechsel zu Tom als neuem point-of-view-Charakter stimmig. Was mich stört – der Film hat die unschöne Angelegenheit, nachdem er sein Mysterium befriedigend aufgeklärt hat und wir also wissen, was passiert ist, was die Atomexplosion ausgelöst hat und warum Tom jetzt weg und Celi dafür da ist, mithin also alle Fragen beantwortet sind, noch mal gut zehn-fünfzehn Minuten weiterzugehen.. Jetzt verliebt sich nämlich (ohne dass wir dafür wirklich einen glaubhaften Grund geliefert bekämen) Bob in Celi und heiratet sie sogar! Doch die Ehe steht unter einem schlechten Stern, weil Celi natürlich unter ihrem nach wie vor bestehenden Gedächtnisverlust leidet, andererseits das traute Paar ausgerechnet in Toms Haus zieht und Celi dann doch das ein oder andere wiedererkennt, ohne sich einen Reim drauf machen zu können. Bob, der zumindest ansatzweise die Wahrheit ahnen muss, reagiert darauf verstört. Es gäbe, wenn man denn unbedingt noch von der Auflösung aus weiterfabulieren wollte, ein paar Gelegenheiten, den Film mit einer gewissen Ambivalenz, aber dennoch halbwegs befriedigend zu beenden, aber Richter verpasst jede und hört statt dessen an einer Stelle auf, an der es überhaupt nicht passt und wir als Zuschauer ohne einen vernünftigen dramaturgischen Abschluss aus der Geschichte geworfen werden. Das passt vielleicht wieder zum Credo des Autorenfilms, die Erwartungshaltung des Betrachters zu unterlaufen, aber EURYDIKE ist bis dahin, wenn man boshaft sein will, „geschwätzig“, aber konventionell, macht nicht den Eindruck, er wolle sich einer klassischen Dramaturgie, einer „richtigen“ narrativen Erzählstruktur verweigern, und setzt uns dann doch vor die Tür, ohne die – sowieso schon furchtbar unnötige und nicht besonders glaubhafte – Epilog-Geschichte in die eine oder andere Richtung sauber zu beenden. Richter stoppt den Film quasi mitten in einer Szene, und im Gegensatz zu anderen radikalen, postmodernen Filmenden (wie Monte Blackmans verschmurgelndem Film in TWO-LANE BLACKTOP) steckt da kein erkennbarer künstlerischer Sinn, keine Aussage drin, außer, dass Richter bemerkt hat, dass er den idealen Zeitpunkt verpasst hat und jetzt einfach irgendwo seine Endtitel starten lässt. Ich tu ihm da vermutlich Unrecht, aber so kommt’s halt rüber.

Wäre ich der Regisseur und dürfte meinen Director’s Cut anfertigen, würde ich einfach alles, nachdem wir aus der Rückblende einmal ins Krankenzimmer umschneiden und sich der behandelnde Arzt anschickt, Celis Bandagen aufzuschnippeln, ersatzlos streichen. Der ganze Käse, der danach kommt, mit Liebesszenen zwischen Bob und Celi, dem frustrierten Versenken des als Wurzel allen Übels ausgemachten TV-Apparats im See, das alles entwickelt die Geschichte, die Charaktere nicht weiter, erzählt nichts, was in irgendeiner Form noch von Interesse wäre, nachdem der eigentliche Plot abgefrühstückt ist.

Aber, seien wir nicht überkritisch – bis dahin, und ist man vorgewarnt, kann man ja an der Stelle dann auch abschalten, ist EURYDIKE nicht übel. Toms zunehmende Obsession mit der unerreichbaren Frau in de Kathoden seines Fernsehers wird glaubhaft geschildert, ohne ihn zu einem „raving madman“ zu machen. Auch wenn seine Schlussfolgerung fatal ist und zu einer Katastrophe führt, bleibt er, fehlgeleitet wie er sein mag, vergleichsweise rational. Er hat ein Problem (die Unerreichbarkeit seiner Geliebten), und er hat gelernt, das jedes Problem eine wissenschaftliche Lösung hat, also erarbeitet er diese, wie es ein man of science tun sollte. Dass ihm Kollateralschäden nicht in den Sinn kommen, ist keine böse Absicht.

Filmisch ist das nicht sonderlich herausfordernd – der deutsche TV-SF-Film war zumeist eine in der Hinsicht eine eher dröge Angelegenheit, die nicht auf der vordergründigen Effekt-Ebene, sondern sich über inhaltlichen Anspruch, die in den Mittelpunkt gestellten Themen definierte. Da macht EURYDIKE auch keine Ausnahme. Es ist alles ordentlich gefilmt und in der Sequenz, in der Tom schlussendlich die Explosion auslöst, auch mit ein wenig Tempo und Spannung versetzt, doch wer technische Kabinettstückchen oder Special FX erwartet, ist hier naturgemäß fehl am Platz. Richter hält 75 Minuten lang das Interesse des Zuschauers wach, vertüdelt sich dann halt nur im aufgesetzten Epilog, über den ich nun genug gelästert habe.

Die musikalische Untermalung ist dezent, die Gluck-Oper „Orpheus und Eurydike“ kommt da und dort zum Einsatz.

Heinz Trixner gefällt mir hier vor allem als Tom doch deutlich besser als in NULLPUNKT, der leicht zerstreute, liebeskranke Wissenschaftler liegt ihm dann doch mehr als der Jet-Set-Schönheitschirurg aus dem Noir-Thriller. Zeli Barbier ist nach meinen bescheidenen Erkenntnissen primär Tänzerin und Choreografin (in der Rolle war sie für DER 4 ½ BILLIONEN DOLLAR VERTRAG tätig). Dass sie keine Profi-Schauspielerin ist, fällt hier nicht so sehr ins Gewicht, da ihre Rolle einerseits durchaus eine gewisse Unsicherheit und Nervosität verlangt, andererseits auch überwiegend darauf limitiert ist, direkt in eine Kamera zu sprechen (und nicht mit Kollegen in einer „echten“ Situation zu spielen). Die Nebendarsteller sind nicht weiter der Rede Wert, die haben alle nicht sonderlich viel zu tun als da und dort ein Stichwort zu geben.

EURYDIKE ist der dritte Film in Ostalgicas Jochen-Richter-Triple-Feature neben NULLPUNKT und GEBURT DER HEXE. Die Bildqualität ist auch hier mittelmäßig-okay, wie eben bei einem über 40 Jahre alten TV-Film, der auf niemandes Prioritätenliste sonderlich weit hoch gestanden haben dürfte, zu erwarten, dito der Ton.

Man hätte aus EURYDIKE sicher einen deutlich besseren Film machen können (nicht nur – draufrumreit – durch einen Verzicht auf den überflüssigen, aufgesetzten und einfach unglaubhaften Schlussakt, nachdem schon alles gesagt ist, was der Film sagen konnte und wollte), denn das Konzept selbst gäbe einiges her, aber auch die Liebesgeschichte, die zur Katastrophe führt, ist ein taugliches Konzept, das von Jochen Richter mit dem bescheidenen Aufwand eines kleinen TV-Films durchaus anständig umgesetzt wird. Im Gegensatz zu manch anderem deutschen TV-Genrebeitrag ist Richters Film recht lebendig und nicht nur pessimistisches Gedankenspiel ohne Unterhaltungswert – kein großes Highlight, doch ein Streifen, den man als Freund fantastischer Stoffe aus der Heimat schon mal gesehen haben sollte.

© 2020 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 5

BIER-Skala: 5


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