Erdbeben – Flammendes Inferno in Tokio

 
  • Deutscher Titel: Erdbeben - Flammendes Inferno in Tokio
  • Original-Titel: Jishin retto
  • Alternative Titel: Erdbeben - Flammendes Inferno von Tokio | Earthquake - Flammendes Inferno in Tokio | Die Hölle von Tokio | Megaforce 7.9 | Megaforce 7.9 - Die Hölle von Tokio | Deathquake | Death Quake | Earthquake | Earthquake Archipelago | Earthquake Islands | Magnitude 7.9 |
  • Regie: Kenjiro Omori
  • Land: Japan
  • Jahr: 1980
  • Darsteller:

    Hiroshi Katsuno (Yoichi Kawazu), Toshiyuki Nagashima, Yumi Takigawa, Kayo Matsuo, Hideji Otaki, Eiji Okada, Shin Saburi, Norihei Miki, Tsutomo


Vorwort

Der junge Wissenschaftler Yoichi ist beunruihgt – seine Auswertungen der jüngsten seismologischen Meßergebnisse deuten daraufhin, dass ein gewaltiges Erdbeben in Bälde Tokio planieren wird. Seine Vorgesetzten halten Yoichis apokalyptische Interpretation der Daten logischerweise für Tinnef. Kein Grund zur Beunruhigung, das potentielle Epizentrum ist 500 km von Tokio entfernt und wenn die Erde wirklich beben sollte, dann irgendwo anders, aber jedenfalls nicht in Tokio.
Weil Yoichi seinen Theorien nicht abschwört und bei Institutsleitung und Regierungsvertretern weiterhin mit der These vom „Big One“ hausieren geht, kriegt er Ärger. Er wird von seinem Institut gefeuert, ist faktisch entehrt (was in Japan bekanntlich immer ein schwerer Schlag ins persönliche Kontor ist) und seine Frau (deren Vater unpraktischerweise Chef des Instituts ist) will sich von ihm scheiden lassen. Nur ein junger Reporter, der in eine hübsche Instituts-Assistentin verschossen ist, die wiederum in Yoichi verknallt ist, glaubt, zumindest für die Zwecke einer sensationellen Story, an Yoichis Vorhersage.

Die Alarmzeichen verdichten sich, bis selbst Schwiegerpapa nicht mehr ignorieren kann, das etwas seismologisch im Busch ist und – ohne allerdings Yoichi, der nur zufällig am Institut rumhängt, weil er dem alten Herrn ein paar neue Berechnungen zeigen will, darüber Bescheid zu sagen – Yoichi temporär die Institutsleitung überträgt, dieweil er selbst zu wichtigen Gesprächen abfliegen muss.
Yoichi hat sich indes unbürokratisch damit angefreundet, die bewusste Assistentin zu ehelichen, sobald seine Scheidung durch ist, doch die Noch-Gattin besteht darauf, die potentielle Nachfolgerin im Rahmen eines gemeinsamen Happa-Happas mal unter die Lupe zu nehmen. Noch während Yoichi und Weib in der U-Bahn zum Treffpunkt unterwegs sind, schlägt das Killer-Quake zu…

Tokio versinkt in Schutt, Asche und Flammen. Die Assistentin ist in ihrem brennenden und dreiviertel zerstörten Appartmenthaus gefangen, vor dessen Fassade der Reporter in einem nur bedenklich an seinem Führungsseil hängenden Fahrstuhl baumelt. Yoichi, seine Frau und einige andere Überlebende sind im U-Bahn-Tunnel eingeschlossen – eine schon von Haus aus eher unerfreuliche Situation, die nicht gerade angenehmer wird, als der Tunnel von Wassermassen überflutet wird…


Inhalt

Japaner lieben es, Städte kaputtzumachen. Normalerweise beschäftige sie für solche Zwecke 50 m hohe Riesenmonster, aber wenn’s sein muss, geht’s auch ohne atomar mutierte Saurier oder Schildkröten. Ich weiß nicht, ob es „nur“ das Atombombentrauma ist, aber dass Nippons Söhne und Tochter von einer gewissen morbiden Lust am Untergang geprägt sind, lässt sich nicht wegdiskutieren. Wir erinnern uns ja auch an Geschichten wie „Wenn Japan versinkt“ oder „Weltkatastrophe 1999“ (der hysterisch-pansige Versuch, rund um einige der apokalyptischeren Verse des alten Michel Nostradamus einen zünftigen Randalefilm zu stricken).

Und so fühlte sich die Toho Company, bei der irgendwo im Gesellschaftsvertrag stehen muss, dass jährlich mndestens eine japanische Großstadt vernichtet werden muss, 1980 berufen (da Godzilla da gerade im Vorruhestand war), der eigentlich schon von Irwin Allen erfolgreich zu Tode gerittenen Welle von Katastrophenfilmen einen weiteren japanischen Beitrag hinzuzufügen. „Erdbeben – Flammendes Inferno in/von Tokio“ (schon nett, wie der deutsche Verlehititel „elegant“ gleich zwei Genre-Klassiker, äh, zitiert) entstand unter der Regie von Kajiru Omori, der mit dem Streifen seinen einzige inszenatorische Visitenkarte abgibt, aber immerhin bei niemand geringerem als Akira Kurosawa in die Lehre ging und u.a. bei Klassikern wie „Red Beard“ oder „Dodeskaden“ als Regieassistent fungierte. Da müsste man eigentlich was lernen können (jedoch wir erinnern uns: auch ein gewisser Albert Pyun hospitierte bei Kurosawa).
Als Drehbuchautor fungierte der renommierte Filmemacher Kaneto Shindo (bekannt für seinen preisgekrönten Arthouse-Film „Die nackte Insel“ und im zarten Alter von 98 Jahren zweitältester aktiver Regisseur der Welt nach dem Portugiesen Manoel de Oliveira).

Die Kombination Kurosawa-Schüler + Arthouse-Kritiker-Darling ergibt nur noch lange keinen außergewöhnlichen Film – ganz im Gegenteil, „Erdbeben – Flammendes Inferno in Tokio“ spielt sich als ausgesprochen formulaischer, wenig bemerkenswerter Katastrophenfilm der schnöden üblichen Machart, vielleicht etwas sachlich-nüchterner als der typische amerikanische Genrebeitrag, bei dem die Soap-Elemente gewohnheitsmäßig bis zum Eintritt der jeweiligen titelgebenden Katastrophe breiten Raum einnehmen.

Das übliche Schema allerdings wird zunächst abgearbeitet – der Held, der die Katastrophe vorhersieht, aber von den Autoritäten nicht gehört wird, ist ein Genreklischee, das spätestens von Steven Spielberg mit „Der weiße Hai“ dann auch in den Tierhorrorfilm (der per se einige Gemeinsamkeiten mit dem Katastrophenfilm hat) übertragen wurde, aber eben eins, das durchaus funktioniert und sowohl die gewünschte Grundspannung als auch das grundlegende Beziehungs-/Charakterkonstrukt definiert. „Typisch japanisch“ ist allerdings die ausdrückliche Verquickung von privaten und beruflichen Aspekten. Yoichi ist nicht nur – wie praktisch jeder Japaner – im übertragenen Sinn mit seinem Arbeitgeber „verheiratet“, sondern quasi „direkt“. Bei der Schwiegermutter steht er – offensichtlich aufgrund seiner moderneren Ansichten – eh schon auf der Abschussliste, seine Weigerung, die Vorzeichen der Katastrophen als unwesentlich abzutun, bringt ihn zudem überkreuz mit dem Schwiegervater und mit seinem – in der Tat nicht ganz unpeinlichen – Auftritt von den Regierungshochtieren hat er nach Nippon-Lesart nicht nur seinen Arbeitgeber entehrt, sondern zwangsläufig, da eben verwandschaftlich verbunden, auch die Familie. Also nach Landessitte kein Wunder, dass seine Frau die Scheidung sucht (wobei durchaus impliziert wird, dass auf sie gewisser Druck von ihren Eltern ausgeübt wird).
Diese starke Thematisierung des persönlichen und beruflichen Ehrverlusts kann man durchaus als Gesellschaftskritik verstehen (alldiweil Yoichi ja völlig Recht hat) – und zumindest Yoichis Frau und ihr Vater dürfen in gewisser Form Läuterung erfahren (wobei Schwiegerpapa rein persönlich nicht viel davon hat, weil er beim Landecrash eines Jumbos flambiert wird).
Ein bisschen störend (aber dramaturgisch notwendig) ist die Vierecksgeschichte Yoichi-Ehefrau-Assistentin-Reporter (sowohl die Vorstellung, dass Yoichi ungefähr zehn Sekunden, nachdem seine Frau ihm die Scheidung angetragen hat, der Assistentin die Ehe verspricht, als auch der dringliche Wunsch der Gattin nach einem Treffen mit der „Neuen“ sind nicht sonderlich glaubwürdig).

Dies alles soll uns aber nur knapp 40 Minuten beschäftigen, dann bebt endlich die Erde und von einer Handlung im Wortsinne kann bis zum Abspann nicht mehr die Rede sein. Nach dem ungefähr dreiminütigen Hauptbeben (diverse kleinere Erdstöße plagen die diversen Protagonisten weiterhin) fährt der Film dreigleisig weiter – zentral mit dem Überlebenskampf im U-Bahn-Tunnel, bei dem Yoichi unfreiwillig so etwas wie eine Führerposition unter den Eingeschlossenen übernehmen muss (wenn ich den Hinweis gebe, dass er den Gene Hackman gibt, dürfte das auch Rückschlüsse auf sein Schicksal zulassen) und sich gleichzeitig neuen Respekt, neue „Ehre“ seiner Noch-Frau erarbeitet; in „Nebenkriegsschauplätzen“ zum einen mit dem Versuch des Reporters (zunächst mal aus der Fahrstuhlkabine zu entkommen und dann) die Assistentin zu retten (übrigens Enschuldigung dafür, dass ich keine Rollennamen verwende. Die Charaktere neigen nicht unbedingt dazu, sich mit Namen anzureden und brauchbare Credits liegen mir nicht vor), zum anderen in der Tradition der meisten kaijus mit regelmäßigen Schalten in das unterirdische Notstandshauptquartier der Regierung, wo Präsidenten, Minister und Generäle mit besorgten Mienen auf Monitore und Landkarten starren, die neuesten Hiobsbotschaften entgegennehmen und zunehmend der Verzweiflung anheim fallen.

Omori und Shindo sind jedoch gleichermaßen „realistischer“ als auch ein gutes Stück mehr „mean-spirited“ als ihre Monsterklopper-Kollegen. Nicht nur, dass hier des Öfteren über Opferzahlen spekuliert wird (Millionen, vermutet der japanische Regierungschef wohl nicht zu Unrecht), wir sehen blutende Verletzte, Leichen, in Zeitlupe aus Wolkenkratzer fallende schreiende oder verbrennende Menschen in beinahe-Großaufnahme, alles Zutaten, die für den japanischen Remmidemmifilm eher untypisch sind und andeuten, dass „Erdbeben“ sich weniger als „kaiju eiga ohne kaiju“ versteht denn als ernsthaftes, seriöses Katastrophendrama, das die unangenehmen Details nicht ausspart.

Die internationale Version des Films ist – wie üblich bei fernöstlicher Filmware, der nicht gerade Kunstrang zugebilligt wurde – um ca. 10 Minuten gekürzt, was wohl ausschließlich aus Handlungsschnitten (und daher wohl in der ersten Hälfte zu verorten) gewonnen wurde. Das führt dazu, dass es einige eher kuriose Szenenabfolgen gibt (da haben wir dann schon mal eine Szene, in der ein Charakter einfach nur von A nach B läuft, ohne dass wir wüssten, woher er kommt und wohin er geht) und das Storytelling in der einzigen Phase, in der ernsthaft eine Geschichte erzählt wird, etwas rumplig wirkt (ich vermute mal, dass in dem entfernten Material auch Erklärungen für meine oben angesprochenen Glaubwürdigkeitsdefizite zu finden sein könnte). Daraus drehe ich Regisseur Omori keinen Strick – er scheint keine künstlerischen Ambitionen an den Tag zu legen (wobei das japanische Studiosystem ja sowieso vom „auteur“-Prinzip nicht viel hielt. Die Produzenten legten fest, wer welchen Film zu drehen hatte, und dann wurde das gemacht). Sein Stil ist in der ersten Hälfte sachlich, beinahe schon etwas distanziert, Emotionales findet sich eher in der zweiten Halbzeit, speziell in den letzten Minuten, wobei die Szenen im überfluteten U-Bahn-Tunnel durchaus effektiv gestaltet sind und die bedrückende Situation der Eingeschlossenen auch durch eine gelegentlich fast schon aufdringliche Kameraführung verdeutlichen.

Bei den großflächigen Zerstörungssequenzen kann sich Omori natürlich entspannt zurücklehnen und seinem Spezialeffekt-Regisseur das Spielfeld überlassen. An Expertise für’s effektvolle Kaputtkloppen elaborater Miniatursets fehlt’s bei Toho selbstredend nicht. Die Aufgabe übernahm Teruyoshi Nakano, der lange Jahre als Eiji Tsubarayas Chef-Assistent fungiert hatte und 1971 von Toho erstmals zum hauptamtlichen Effekt-Verantwortlichen befördert wurde (für den juvenlien Monsterquark „Daigoro vs. Goliath“). Dies erledigte er offensichtlich zufriedenstellend und durfte auch drei Godzilla-Filme betreuen („Smog Monster“, „Mechagodzilla“ und „Terror of Mechagodzilla“). Nachdem er sich in der kaiju-losen Zeit mit der Arbeit an Kriegsfilmen über Wasser hielt, war er 1984 erste Wahl für die Effekte des Godzilla-Comebacks „Return of Godzilla“ und wurde von Kim Jong-Il angeheuert (aber wenigstens nicht wie der Regisseur entführt), um die Effekte für Nordkoreas Nationalmonsterfilm „Pulgasari“ zu bewerkstelligen.
Das heißt im Klartxt: Nakano weiß, wie man’s macht, und in der Tat sehen die FX von „Erdbeben“, auch im Vergleich zu den Showa-Godzillas, sehr sorgfältig gewerkelt aus (nur einstürzende Brücken bekommen die Japaner manchmal einfach nicht hin…). Die Destruktionssequenzen sind für Liebhaber der Modellstadt-Zerstörungsschule ausgesprochen sehenswert (hilfreich ist, dass die FX-Tüftler mangels bekämpfbarem Monster nicht mit der Spielzeugarmee auffahren müssen), und dass man ein paar 1:1-Sets aufgebaut hat, in denen sich Darsteller aus Fleisch und Blut umtun können, schadet natürlich auch nicht. Die Flugzeugabsturzsequenz ist für die Verhältnisse eines japanischen Films, der mit Miniatureffekten arbeitet, geradezu spektakulär.

Toshiaki Tsushima, der auch Sonny Chibas „Streetfighter“-Filme beschallte, steuert einige hübsche Themes, die gelegentlich an Ifukube erinnern, bei.

Großartige Schauspielerkritik spare ich mir mal aus oben schon angedeuteten Gründen, ich weiß eh nicht, wer wen spielt – mit Ausnahme von Hiroshi Katsuno (Yoichi, zu sehen auch in Miikes „Izo“), der mir insgesamt allerdings etwas zu steif agiert (wobei zu seiner Ehrenrettung, und als Japaner wird er darauf Wert legen, gesagt sein soll, dass eine gewisse Steifheit sicherlich gewollt und beabsichtigt ist, auch, damit sein character arc eine gewisse Legitimität besitzt).
Von den weiteren Schauspielern beeindruckt mich hauptsächlich diejenige, die Yoichis Ehefrau portraitiert, die ihren inneren Zwiespalt (einerseits durchaus etwas für Yoichi zu empfinden, sich aber andererseits an familiäre Zwänge gebunden zu fühlen) durchaus überzeugend darstellt. Aber insgesamt steht fraglos fest – großes Ensemblekino ist sicher etwas anderes (für Zusammenrottungen zahlreicher Altstars im Overacting-Modus wende man sich dann doch eher an den typischen Hollywood-Disaster-Movie).

Bildqualität: MIG legt „Erdbeben…“ im Rahmen der „Science Fiction Classics Box Vol. 2“ vor, wo sich der Streifen eine DVD mit Space Mutiny teilt. Der Film liegt in anamorphem 1.85:1-Widescreen vor. Die Bildqualität ist durchaus zufriedenstellend – speziell in der ersten Filmhälfte, die ohne größere Effektshots auskommt, sind die Schärfe- und Kontrastwerte sichtbar überdurchschnittlich, in Halbzeit Zwo stellt sich in den nunmehr zahlreich zu bewundernden dunklen Flächen doch etwas Blockrauschen der allerdings noch nicht sonderlich störenden Art ein. Defekte oder Verschmutzungen sind nur minimal vorhanden. Insgesamt ein gutklassiger Print füre ine VÖ der Budget-Kategorie…

Tonqualität: Ausschließlich deutscher Ton in Dolby Digital 2.0. Ein Ton-Master von dem Bild vergleichbarer Qualität lag offenkundig nicht vor. Die Dialoge sind merklich verrauscht; Musik und Toneffekte sind nicht sonderlich dynamisch.

Extras: Der deutsche und der japanische Kinotrailer liegen vor.

Fazit: Summa summarum solides Entertainment für Genrefreunde und besonders im Kontext japanischer Effektfilme wohltuend ernsthaft – „Erdbeben…“ ist sicherlich kein großes Erzähl- und/oder Schauspielerkino (wobei die gesellschaftskritischen Spitzen im ersten Akt durchaus erwähnt sein sollen), er geht keine bahnbrechenden neuen Wege, „japanisiert“ nur sanft die gängigen US-Mechaniken, die teilweise beeindruckenden Miniatur-FX, die durchaus stimmungsvollen Sequenzen im U-Bahn-Tunnel und die schon fast ein wenig nihilistische Gesamtstimmung heben den Film jedoch deutlich über das trashige Niveau von Werken wie „Weltkastastrophe 1999“ & Co. Schade nur, dass wir immer noch keine ungeschnittene Version des Streifens betrachten können…

3/5
(c) 2010 Dr. Acula


mm
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