Ekel

 
  • Deutscher Titel: Ekel
  • Original-Titel: Repulsion
  •  
  • Regie: Roman Polanski
  • Land: Großbritannien
  • Jahr: 1965
  • Darsteller:

    Catherine Deneuve (Carol), Yvonne Furneaux (Helene), Ian Hendry (Michael), John Fraser (Colin)


Vorwort

Die junge Französin Carol lebt bei ihrer Schwester Hélène in London. Carol ist attraktiv und demzufolge von Männern umschwärmt, aber auch im höchsten Maße unsicher und labil, insbesondere dem anderen Geschlecht gegenüber. Zwar bemüht sich Colin krampfhaft, sich mit ihr anzufreunden, wird von ihr aber auch zurückhaltend bis abweisend behandelt. Als Hélène entgegen der verzweifelten Bitten ihrer kleinen Schwester mit ihrem Freund (der zu Carols äußerst überschaubarer Begeisterung auch häufig in der gemeinsamen Wohnung der Schwestern übernachtet und schändlicherweise sein Rasierzeug und seine Zahnbürste im Bad deponiert hat) verreist, bricht Carols Paranoia voll durch – im Glauben, von allen Männern bedroht zu werden, verbarrikadiert sie sich im Appartment und gleitet zusehends in den Wahnsinn ab…


Inhalt

Nach seinem bemerkenswerten (und gerade eben besprochenen) Debütlangfilm „Das Messer im Wasser“ zog es Roman Polanski ins westliche Ausland. Nach einem kurzen Zwischenstopp in Frankreich legte er 1965 mit „Ekel“ seine erste englischsprachige Produktion vor und schuf mit „Ekel“ ein beunruhigendes, verstörendes Psychogramm der Paranoia, das von vielen (auch wohlmeinenden) Kritikern in die Horror-Ecke gesteckt wird. Womit man dem Film allerdings in vielerlei Hinsicht Unrecht tut, denn obwohl auch der zeitgenössische (und auf der DVD mitgelieferte) Trailer einen nervenzerfetzenden Spannungsfilm suggeriert, legt Polanski eher das Gegenteil eines Thrillers oder gar eines Horrorfilms vor. „Ekel“ ist eine stellenweise – aus heutiger Sehgewohnheit – enervierend langsam Studie des Mikrokosmos einer psychisch kranken Person. Natürlich kann man das mit einiger Berechtigung als Vorläufer späterer, spekulativerer und gewalttätiger Reißer wie „Maniac“ stellen, aber ich denke, um’s bloße „Angst einjagen“ ging’s Polanski bei der Konzeption von „Ekel“ nicht und wer mit einer entsprechenden Erwartungshaltung an den Film herangeht, wird sicher bitter enttäuscht werden.

„Ekel“ erfordert vom Zuschauer (und ganz besonders knapp vierzig Jahre später, wo man ganz andere Eskapaden auf der Leinwand gewohnt ist) eine ungewöhnlich starke Bereitschaft, sich auf den extrem langsamen Erzählrhythmus des Films einzulassen – lange Passagen bleiben völlig frei von Dialogen, in einer entscheidenen Szene werden sichtlich vorhandene Dialoge zugunsten von Nebengeräuschen ausgeblendet, viel Stimmung und Atmosphäre wird von einer – wieder einmal bei Polanski – intimen bis fast schon aufdringlichen Kameraführung erzeugt. Die Story selbst wird da eigentlich nebensächlich (und die Auflösung des Ganzen erfolgt kurz vor der The-End-Karte mit einem Standbild) – dem Film kommt’s weniger auf einen kontinuierlichen Narrative in Form einer nachvollziehbaren Geschichte an denn auf das, was sich in Carols Kopf abspielt. Was ist Wahnvorstellung, was ist real? Die Grenzen sind fließend und letztlich nicht klar erkennbar.

Wie schon gesagt – der Film macht dem heutigen Zuschauer den Zugang sehr schwer. Das Pacing ist schon fast traumwandlerisch langsam und wenn man nicht vorab weiß, in welche Richtung sich der Streifen entwickeln wird, gestalten sich die ersten 40 Minuten sehr zähflüssig (selbst wenn man es weiß, und vielleicht sogar gerade dann, ist man fast versucht, ein wenig vorzuspulen – man könnte sowieso für das Publikum, das auf die „intensiven“ Szenen lauert, sagen, dass man zwischen zwei ebensolchen Szenen getrost mal ’nen Kaffee kochen oder ein Kapitel in einem guten Buch lesen kann. Jep, der Film ist SEHR LANGSAM). Auch nach dem Einsetzen der eigentlichen Geschichte wird „Ekel“ nie zu einem Tempofilm – Polanski belässt es bei einem sehr stark gebremsten Pacing, was den Film – wie oben angedeutet – als Horrorfilm eben überhaupt nicht funktionieren lässt. „Ekel“ erzeugt keine Scares – das ist schon der Perspektive geschuldet, schließlich erleben wir die Handlung praktisch einhundertprozentig aus der Perspektive Carols und dass die nicht gänzlich richtig tickt, wird selbst bei der Schleichfahrt des Films schnell deutlich. Zwei-drei Schockszenen sind selbstverständlich vorhanden (und verfehlen ihre Wirkung natürlich nicht, da sie sehr brutal aus dem ansonsten vom Film angeschlagenen Temporahmen fallen), aber es sind keine wirklichen Scares. Vielmehr erzeugt der Film ein Gefühl des permanenten Unwohlseins, sozusagen eine leicht verschobene Wahrnehmung, einen leichten Schwenk aus der Realität (natürlich nicht ohne gewisse Symbolik).

Polanski erweist sich wieder einmal als ein Meister der Arbeit mit hauptsächlich einer Location – zu sicherlich 80 – 85 % spielt „Ekel“ ausschließlich in dem Appartment (und gehört damit zu einer Art losen Trilogie, in der Polanski die Vereinsamung in der Großstadt aufarbeitet, die beiden anderen Vertreter sind „Rosemaries Baby“ und „Der Mieter“, die sich ebenfalls größtenteils handlungstechnisch auf eine Wohnung beschränken. Den „Mieter“ habe ich – trotz der letztjährigen DVD-VÖ von Paramount – noch nicht gesehen, aber, ohne am Status von „Rosemaries Baby“ als Meisterwerk des modernen unblutigen Horrorkinos zu rütteln, „Ekel“ ist, was den Punkt „Alptraum in einer Wohnung“ angeht, wesentlich effektiver). Sowas könnte bei untalentierteren Regisseuren langweilig sein, aber Polanski gelingt es einmal mehr, ein vermeintliches Handicap in einen Vorteil umzumünzen, Gilbert Taylors exzellente, das Gefühl der Alptraumhaftigkeit vortrefflich umsetzende Kameraarbeit und die, je nach Bedarf, sparsame, packende oder ganz abwesende Musik von Chico Hamilton sind dabei unentbehrliche Mosaiksteine.

Schauspielerisch ist der Film selbstverständlich die One-Woman-Show der jungen Catherine Deneuve (recht unterhaltsam ist es übrigens, der Deneuve bei ihrem recht verzweifelten Kampf mit der englischen Sprache auf der Originaltonspur zuzuhören). Die Deneuve erweist sich als ideale Besetzung – sie wirkt in jeder Sekunde glaubhaft fragil, unsicher, labil und tiefgründig, man meint richtiggehend, in sie und ihre derangierten Denkprozesse hineinsehen zu können. Dafür braucht Deneuve keinerlei Overacting, sondern erzielt mit minimalistischen Mitteln maximale Wirkung (insofern passt eigentlich auch ihre Unsicherheit im Umgang mit der englischen Sprache wie die Faust aufs Auge, ebenso, dass sie den Großteil ihrer Dialoge mehr haucht als spricht). Ihre Co-Stars verblassen dagegen, erledigen ihre Aufgaben allerdings allesamt zuverlässig. Yvonne Furneauxs Hélène ist ein sehr gut umgesetztes Beispiel für eine selbstsüchtig-uninteressierte große Schwester, Ian Hendry unsympathisch genug, um Carols Hass verständlich zu machen, John Fraser (der später für Pete Walker in „Schizo“ agierte)überzeugend als vordergründig sympathischer, aber letztlich, zumindest in Carols Wahnwelt dennoch sexuell-bedrohlicher Möchtegern-Liebhaber.

Wundern tu ich mich im übrigen hauptsächlich darüber, dass mcOne den Film der FSK scheinbar nicht zu einer Neuprüfung vorgelegt hat, sondern es bei dem bestehenden 18er-Rating belassen hat. Plumpe Gewaltdarstellungen hat der Film nicht nötig und zeigt sie daher auch nicht, demzufolge wäre ein liberaleres Rating, dass mcOne auch die zusätzlichen Verkaufswege über amazon o.ä. eröffnen würde, allemal vertretbar.

Bildqualität: mcOne, die den Film in ihrer „Classic Edition“-Reihe veröffentlichen, präsentieren den Film im anamorphen 1.66:1-Widescreen-Format. Der verwendete Print ist ansehnlich, aber unspektakulär. Das Bild ist gelegentlich recht grobkörnig (besonders bei einigen Close-ups zu „bewundern“), manchmal stören Laufstreifen den Sehgenuß und gegen Ende häufen sich doch einige Defekte und Artefakte. Auch der Kontrast könnte besonders in dunklen Szenen besser sein. Die Schärfewerte sind dagegen für einen knapp 40 Jahre alten Schwarz-Weiß-Film zufriedenstellend, ebenso die Kompression, die aber auch einen Tick besser sein könnte.

Tonqualität: Der Konsument hat die Wahl zwischen deutschem und englischen Ton, jeweils in Dolby Mono 2.0 (erneut ein tiefes Aufatmen, dass man der Versuchung widerstand, hier einen Upmix zusammenzumanschen). Beide Tonspuren sind für ihr Alter relativ rauschfrei und gut verständlich, wobei man selbstverständlich nicht die kristallklare Sprachqualität aktueller Produktionen als Vergleich heranziehen kann. Bei der englischen Tonspur ist’s aufgrund der französischen Akzente einiger Darsteller gelegentlich etwas schwer zu verfolgen, um so unverzeihlicher, dass mcOne auf eine Untertitelspur verzichtet hat.

Extras: Wie schon bei „Das Messer im Wasser“ kann die mcOne-Veröffentlichung im Ausstattungsbereich nicht voll überzeugen. Neben dem (in erstaunlicher, da besserer Qualität als der Hauptfilm) vorliegenden englischen Kinotrailer findet sich lediglich noch eine Handvoll Biographien und eine zwar recht ausführliche (auch mit einigen Plakatmotiven und Behind-the-Scenes-Fotos), aber aufgrund der mickrigen Bildgröße eher unbrauchbare Fotogalerie. Die ausufernde mcOne-Trailershow darf natürlich nicht fehlen.

Fazit: „Ekel“ ist ein hervorragender Film, zweifellos, und gehört mit „Tanz der Vampire“ und „Rosemaries Baby“ zum besten, was Polanski in seiner langen Karriere auf die Beine gestellt hat – der Film ist ohne Wenn und Aber ein Klassiker. Aber, wie’s bei vielen Klassikern halt nun mal so ist, es ist kein leicht konsumierbarer, kein „einfach so“ ansehbarer Film. Er erfordert Konzentration, die richtige Stimmung und vor allem den Willen, sich auf extrem langsames Tempo einzulassen. Wer schnelles Film-Fast-Food sucht, ist bei Polanski ja rein grundsätzlich auf der falschen Baustelle, aber „Ekel“ treibt die Langsamkeit schon zum Extrem (der ebenfalls sehr verhaltene „Messer im Wasser“ wirkt dagegen fast schon wie pures Adrenalin). Dennoch ist der Film, nicht nur, aber natürlich vor allem für filmhistorisch Interessierte ein lohnendes Erlebnis, da auch hier der Einfluss, den Polanski auf die Entwicklung eines ganzen Subgenres ausübte, unverkennbar ist. Trotz des Alters des Films bin ich allerdings sicher, dass man vor allem aus dem Bildmaterial mehr hätte herausholen können und die magere Ausstattung der Scheibe ist, wie schon bei „Messer im Wasser“ ein Manko der Scheibe. Dennoch natürlich schön, dass dieser Film endlich auf DVD verfügbar ist.

5/5
(c) 2005 Dr. Acula


mm
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