Ein Toter sucht seinen Mörder

 
  • Deutscher Titel: Ein Toter sucht seinen Mörder
  • Original-Titel: The Brain
  •  
  • Regie: Freddie Francis
  • Land: Großbritannien/BR Deutschland
  • Jahr: 1962
  • Darsteller:

    Peter van Eyck (Dr. Peter Corrie), Anne Heywood (Anna Holt), Cecil Parker (Stevenson), Bernard Lee (Dr. Frank Shears), Jeremy Spenser (Martin Holt), Maxine Audley (Marion Fane), Ellen Schwiers (Ella), Siegfried Lowitz (Wolters), Hans Nielsen (Immerman), Jack MacGowran (Furber), Dieter Borsche (Dr. Miller)


Vorwort

Der millionenschwere Industriemagnat Max Holt hat das persönliche Pech, dass sein Privatflugzeug über der britischen Prärie abstürzt. Zur Rettung eilen die in der Nähe forschenden Doktoren Dr. Corrie und Dr. Shears, die sich damit befassen, tierische Gehirne außerhalb eines Körpers am Leben zu erhalten. Corrie stünde der Sinn nach einer Ausweitung der Versuche auf menschliche Brägen und da Holt – dessen Identität ihnen nicht bekannt ist – keine reelle Überlebenschance hat, nötigt Corrie den skeptischen Shears zum Eingriff. Dass Corrie den Behörden eine enthirnte Leiche übergeben hat, fällt zumindest einem Mitarbeiter der Leichenhalle auf – Furber steht’s nach unmittelbarem monetären Gewinn und einer zünftigen Erpressung, aber Corrie lehnt entschieden ab. Der Hirnforscher wundert sich eher darüber, dass nun, wo Holt identifiziert wurde, dessen Verwandte, Holts Firmenanwalt, sein Generaldirektor und sein Verhältnis so hochgradig daran interessiert sind, ob der Verblichene vor seinem Exitus noch eine letzte Botschaft für die Nachwelt hinterlassen habe. Das riecht nach Foulspiel – und der Ansicht ist offensichtlich auch Holts entkörperte Denkmasse, die auf telepathischem Wege auf Corrie Einfluss nimmt und den tapferen Arzt dazu bringt, Amateurdetektiv zu spielen. Augenscheinlich war der Absturz kein Unfall – aber wer könnte ein Interesse an Holts Tod haben? Seine geschäftstüchtige Tochter Anna? Martin, ihr Stiefbruder, der seinen Vater wie die Pest gehasst hat? Marion Fane, die Geliebte des Verstorbenen? Oder vielleicht doch sein alter Freund und Rivale Immerman? Und hat das womöglich etwas mit dem Krebsserum zu tun, das Holt zu vermarkten suchte? Corrie steckt, ehe er sich’s versieht, über beide Ohren in einem Mordkomplott, und die Tatsache, dass er gelegentlich mit Holts Stimme spricht, seine Mannerismen annimmt, zu Gewalttätigkeiten neigt und sich danach, wieder er selbst, nicht mehr daran erinnern kann, hilft natürlich erst mal auch nicht weiter…


Inhalt

Pidax mal wieder – heute aber nicht mit einem obskuren Fernsehspiel, sondern einem kleinen, feinen Fundstück für Genrefreunde. Wie sich der geneigte Experte sicher schon zusammenreimen konnte, handelt es sich bei „Ein Toter sucht seinen Mörder“ um eine Adaption (und zwar die dritte, wenn ich das richtig verfolgt habe) des kleinen SF-/Horror-Klassikers „Donovan’s Brain“ von „Wolfman“-Autor Curt Siodmak. Auch wenn ich gramgebeugt zugeben muss, dass ich bislang sowohl den Roman als auch die amerikanischen Verfilmungen „The Lady and the Monster“ bzw. eben „Donovan’s Brain“ irgendwie ohne böse Absicht umschifft habe, kann ich eins konstatieren – diese englisch-deutsche Ko-Produktion, adaptiert von den britischen TV-Schreiberlingen Robert Stewart und Philip Mackie (letzterer wenigestens mit Kino-Meriten für einige, weithin vergessene britische Edgar-Wallace-Verfilmungen), ist wenigstens eine teilweise werkgetreue Version…

So 20-25 Minuten lang hält sich das Script – bis auf die Änderung der Charakternamen (obschon der Streifen eine kreditierte Siodmak-Adaption ist. Lustig übrigens, der Vorspann sagt „nach Curt Siodmak’s ‚Donovans Brain'“. Ist lustig, wie man’s mit dem Genitiv in beiden Sprachen grad falschrum machen kann) – wirklich eng an die literarische Vorgabe und man, d.h. ich wenigstens, freut sich über eine ziemlich exaltierte (und unerwartete) mad scientist-Performance von Peter van Eyck, den unsereins ja entweder als schneidigen Nazi-Offizier oder aufrechten Helden von „Dr. Mabuse“-Filmen kennt – aber gerade, als es in der Vorlage an den spaßigen Horror-Teil ginge, bekommt „Ein Toter sucht seinen Mörder“ Angst vor der eigenen Courage, verdrängt seine SF- und Horror-Aspekte weitestgehend und verwandelt sich in ein Wallace-eskes Mördersuchspiel leidlich unterhaltsamer Art – wird wohl auch dran liegen, dass Mabuse- und Wallace-Serien-Produzent Atze Brauner – in Zusammenarbeit mit seinem nicht wirklich distinguierten britischen Kollegen Raymond Stoss, der dann gleich mal seiner Ehefrau Anne Heywood die weibliche Hauptrolle zuschanzte – seine Geldgebergriffel im Spiel hatte (an richtigen Horror wagte sich Atze erst, als er Jess Francos Vampireskapaden a la Vampyros Lesbos finanzierte). Das Script lässt also seine SF- und Horror-Elemente überwiegend links liegen (ähnlich, wie es auch Dr. Mabuse erging, den man auf schnöden Krimi zurechtstutzte. Würde ich zeitgeistigen Umgang mit phantastischen Stoffen nennen, wenn nicht zeitgleich die Edgar-Wallace-Serie immer freimütiger in Sachen Sleaze und Horror geworden wäre) – als „phantastisches“ Element bleibt nur noch, dass Corrie, wenn Holt ihn telepathisch „übernimmt“, mit Holts Stimme spricht und seine Gesichtszüge annimmt (was filmtechnisch gelöst wird, indem man von Eycks Hinterkopf und dann einen Extrem-close-up von Holts Augenpartie zeigt), aber das, was anfänglich so reizvoll schien – nämlich, dass wir mit Corrie einen ausgesprochen ambivalenten Charakter haben, der ethische Bedenken hintanstellt, wenn es seiner Forschung dienlich ist, also eher nach Dr. Morton denn Dr. Kildare schlägt, fällt im Filmverlauf zielich unter den Tisch. Ja, Corrie kann bei seinen privaten Nachforschungen mal durchaus ruppig werden, aber das ändert nchts daran, dass er ein klassischer Held ist, mit allen Konsequenzen, die das eben mit sich bringt. Dass der Film für seine wissenschaftlich-technisch-utopischen Aspekte nicht mal drolliges Technobabble bietet, ist sicherlich der Epoche geschuldet – hier bedeutet „SCIENCE“ tatsächlich ungefähr das selbe wie „MAGIC“ und mit mehr muss sich der Zuschauer dann auch nicht belasten.

Aber gut, dann ist „Ein Toter sucht seinen Mörder“ dann eben ein phantastisch angehauchter Krimi. Nur als solcher leider nicht immer sonderlich logisch – einiges kann man sich schönreden (dass Corrie, als ein Zeuge in seinem Beisein erschossen wird, die Flucht ergreift, obwohl eine oberflächliche Polizeiuntersuchung zwanglos seine Unschuld beweisen würde, kann man mit seinen mangelnden kriminalistischen Erfahrungen erklären), manches ist eher strange (wie der Umstand, dass Corrie bei eben jener gerade angesprochenen Flucht ausgerechnet in einen Tanzwettbewerb stolpert – oder die tentakelreichen, Lovecraft-inspirierten BIlder, die Martin Holt zum Zeitvertreib malt), anderes ist regelrecht unverdaulich (leider vor allem die Auflösung, die nicht wirklich konsistent ist mit dem, was wir vom als Täter ausgekuckten Charakter wissen und gesehen haben).

Zum Glück sitzt keine Niete auf dem Regiestuhl – für Freddie Francis, den späteren Regisseur von Hammer-Studios-Klassikern wie „The Evil of Frankenstein“ oder „Dracula Has Risen From the Grave“, war’s zwar nach einer unbedeutenden Komödie und dem unkreditierten Herumfummeln an „The Day of the Triffids“ der erste echte Genre-Beitrag, aber der Maestro (gelernter Kameramann und als solcher der erste Go-to-Guy von David Lynch) deutet sein Talent an. Aus dem sicherlich nicht gerade üppigen Budget und der daraus resultierenden Studioatmosphäre (die wenigen location shoots in Londoner Hinterhöfen o.ä. brüllen nicht gerade SCOPE!) holt Francis einiges heraus – und ein flottes Tempo legt er, begünstigt von der knappen Laufzeit, auch vor. Etwas rumplig und teilweise rätselhaft ist allerdings der Schnitt (erledigt von Oswald Hafenrichter, der oft und gern mit Francis zusammenarbeitete), der den geneigten Zuschauer ab und an vor gewisse Verständnisprobleme stellt. Das kann daran liegen, dass „Ein Toter sucht seinen Mörder“, in versuchter Anknüpfung an die frühe Tonfilmtraditiond er 30er gleichzeitig in deutscher und englischer Fassung gedreht wurde – einziger offenkundiger Unterschied ist, dass die Nebenrolle des Dorfarztes Dr. Miller in der deutschen Fassung von Dieter Borsche, in der englischen von Miles Malleson gespielt wird. Durchaus möglich, dass nicht jede Szene zwingend zweifach gedreht wurde und daher bei der Montage das ein oder andere Continuity-Malheur nicht maskiert werden konnte.

Selbstverständlich ist „Ein Toter sucht seinen Mörder“ der FSK-16-Freigabe zum Trotz völlig harmlos, es sei denn, man macht sich vor einem lustig im Aquarium schwimmenden Gummi-Gehirn aus grundsätzlichen Erwägungen in die Bux – abgesehen davon ist jeder Vorabendkrimi gewalttätiger und expliziter. Der Score von Kenneth V. Jones (Tunnel der lebenden Leichen, „Das Grab der Lygeia“) drängt sich nicht sonderlich auf.

Die Darstellerriege ist durchaus bemerkenswert – Peter van Eyck, einer der Top-Stars des deutschen Genre-Kinos der 60er und einer der wenigen deutschen Schauspieler mit internationaler Karriere (auch wenn van Eyck, obschon der Nazis wegen von Deutschland nach Amerika emigriert, in seinen Hollywood-Turns zumeist als Nazi-Offizier eingesetzt wurde), gefällt mir in seiner mad-scientist-Phase aus dem ersten Akt deutlich besser denn als Amateur-Schnüffler im Restfilm, zumal ihm für seine drehbuchbedingten Ausbrüche unter Holts mentaler Fuchtel ein wenig die Intensität fehlt. Seinen Assi/Laborpartner mimt durchaus ansprechend Bernard Lee, der unmittelbar im Anschluss die Rolle eines gewissen Geheimdienstchefs an Land zog. Ihnen zur Seite steht Ellen Schwiers („08/15 2. Teil“, „Gustav Adolfs Page“, „Der Satan mit den roten Haaren“, „Das Rasthaus der grausamen Puppen“, „1900“ und immer noch für’s TV aktiv). Der Holt-Clan wird vertreten durch die bereits erwähnte (und eher blasse) Anne Heywood („Hilfe, der Doktor kommt“, „Die Nonne von Monza“, „Der gefährlichste Mann der Welt“) und den gut aufgelegten Jeremy Spenser („Fähre nach Hongkong“, „Der Prinz und die Tänzerin“, „Fahrenheit 451“) als Halbgeschwister, Routinier Cecil Parker („Dschungel der 1000 Gefahren“, „Ladykillers“, „Das Rätsel des silbernen Dreieck“) als Familienanwalt Stevenson, Siegfried Lowitz („Der Alte“, „Dr. M schlägt zu“, „Der Hexer“) als Generaldirektor Wolters und Maxine Audley („Frankenstein muss sterben“, „Michelangelo – Inferno und Ekstase“) als Holts geheime Liebschaft. Lowitz fährt dabei sicherlich am Besten, Audley ist mir etwas zu langweilig für die ihr zugedachte femme-fatale-Rolle. Als Immerman präsentiert sich der im 50er- und 60er-Jahre-Teutonenkino stets präsente Hans Nielsen („Scotland Yard jagt Dr. Mabuse“, „Der Schatz der Azteken“, „Die Tür mit den sieben Schlössern“), Dieter Borsche („Königliche Hoheit“, „Der schwarze Abt“, „Das Halstuch“) in der amüsanten Nebenrolle des Dorfarztes Miller habe ich bereits erwähnt.

Bildqualität: Respekt – der anamorphe 1.60:1-s/w-Print, den Pidax hier aufgetrieben hat, ist praktisch makellos – erstaunlich scharf, selbst auf dem großen Flatscreen-Bildschirm, kontrastreich, sauber. Das ist Oberklasse für minderbekannte kleine 60er-Genrefilme…

Tonqualität: Deutscher Ton in Dolby Digital 2.0. Erwartungsgemäß reißt das keine Bäume aus, ist aber rauscharm und gut brauchbar.

Extras: Anstelle filmischer Bonusmaterialien legt Pidax immerhin eine vierseitige Repro des zeitgenössischen Filmprogramms bei. Ist sicherlich von, ähm, überschaubarem Informationswert, aber ein Indiz dafür, dass man sich bei Pidax doch Gedanken macht, ein bissl additional value beizupacken.

Fazit: Ich hätte gern geschrieben, dass „Ein Toter sucht seinen Mörder“ ein vergessener Klassiker deutschen Phantastik-Kinos ist, aber das kann ich bei aller freundschaftlicher Verbundenheit Pidax gegenüber dann doch nicht guten Gewissens tun – als interessante Alternative zu den Wallace- und Mabuse-Filmen aus der gleichen Ära ist der Streifen dann aber doch wieder denkwürdig. Es gibt nicht viele deutsch (co-)produzierte Klopper aus der Epoche, die sich explizit auf amerikanische SF-und/oder-Horror-Literatur berufen (auch wenn Siodmak ein deutscher Emigrant war) – verbunden mit dem bemerkenswerten Cast und einer vortrefflichen Auftaktphase ergibt das keinen vollständig befriedigenden Film, aber wer an kontinentaler (um nicht gleich zu sagen „deutscher“) Genrekost interessiert ist, kommt an dem Film eigentlich nicht vorbei.

3/5
(c) 2012 Dr. Acula


mm
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