- Deutscher Titel: Ein Mann rechnet ab
- Original-Titel: The 'Human' Factor
- Regie: Edward Dymytryk
- Land: Großbritannien/Italien
- Jahr: 1975
- Darsteller:
George Kennedy (John Kinsdale), John Mills (Mike McAllister), Rita Tushingham (Janice), Raf Vallone (Dr. Lupo), Arthur Franz (General Fuller), Shane Rimmer (CIA Man), Barry Sullivan (Edmonds), Thomas Hunter (Taylor), Frank Avianca (Kamal), Haydée Politoff (Pidgeon)
Vorwort
John Kinsdale (George Kennedy, DiE NACKTE KANONE, AIRPORT, COOL HAND LUKE) arbeitet als ziviler Angestellter im Südeuropa-Haupquartier der NATO in Neapel. Mit seinen Kollegen Mike McAllister (John Mills, GEHEIMAKTION CROSSBOW, LADY HAMILTON – ZWISCHEN SCHMACH UND LIEBE) und Janice (Rita Tushingham, BITTERER HONIG, THE BED SITTING ROOM) betreut und programmiert er den state-of-the-art-Supercomputer, mit dem die NATO gewisse Gefechtsszenarien simuliert. Darüber hinaus werkeln sie an der neuen Super-Software 911 – eine Art Proto-Mega-Google, verbunden mit allen erdenklichen Datenbanken der Welt, in der Lage, über jeden beliebigen Menschen vollständige Profile auszuspucken und sogar auf Grundlage dieser Daten Verhaltensprognosen zu erstellen. Ihr Boss, General Fuller (Arthur Franz, DER SCHRECKEN SCHLEICHT DURCH DIE NACHT, DIE CAINE WAR IHR SCHICKSAL), erwartet dahingehend auch bald Ergebnisse.
Kinsdales Familie, Eheweib Ann (Fiamma Verges, LE VIE DE SIGNORE SONO FINITE) und drei mehr oder weniger entzückende Kinder (u.a. Danny Huston, AVIATOR, X-MEN ORIGINS: WOLVERINE), warten auf die abendliche Heimkehr des Patriarchen, zumal Sohn Jeffrey heute Geburtstag hat. Der Junge wünscht sich bescheiden einen Fußball, aber John hat einen Elektronik-Baukasten für Fortgeschrittene eingepackt. Den Fußball bekommt Jeff von Mike. Bevor John allerdings nach Hause kommt, empfängt Ann noch ein potentielles Hausmädchen (Haydée Politoff, BORA BORA, DIE SAMMLERIN).
Nach Feierabend erwartet John allerdings eine böse Überraschung – sein Haus wird von Ambulanzen, Polizeistreifenwagen und Schaulustigen belagert, und das aus gutem Grund – seine komplette Familie wurde brutal niedergemetzelt! Selbst der hartgesottene Neapolitaner Kommissar Dr. Lupo (Raf Vallone, DER PATE 3, CHARLIE STAUBT MILLIONEN AB) ist bis in die Grundfesten seiner Seele erschüttert. Man ist in Italien ja einiges gewohnt, auch und gerade mit den einheimischen Roten Brigaden, aber sowohl die Beliebigkeit der Opferauswahl – klar, Kinsdale ist NATO-Angestellter, aber normalerweise halten sich die Terroristen an die Uniformierten – als auch die extreme Gewalttätigkeit entsprächen nicht, wie Lupo sich vor der Presse ausführt, der italienischen Natur. Eine einheimische Terrorgruppe schließt Lupo daher aus.
Kinsdale ist begreiflicherweise seelisch und moralisch total verwüstet, und da es kaum eine Möglichkeit gibt, dem Rummel um die Tat und seine Person zu entgehen, kontempliert er, sich die Rübe mit der eigenen Pistole wegzuballern. In letzter Sekunde überlegt er es sich aber anders und erschießt lieber seinen Fernseher… Dann verblüfft John Kollegen und Vorgesetzte mit seinem Wiedererscheinen am Arbeitsplatz, obwohl ihn alle dazu drängen, sich so viel Zeit wie nötig zu nehmen, um über die ganze Angelegenheit hinwegzukommen. Aber Kinsdale hat ganz eigene Ziele. Bei einem Termin mit Lupo mopst sich Kinsdale geistesgegenwärtig einen Sonderausweis, den der Innenminister ausgestellt hat, um amerikanischen Ermittlern, die die Italiener unterstützen sollen, zu legitimieren. Außerdem führt ihm Lupo stolz seine hochmoderne forensische Abteilung vor, um den Yankee zu beruhigen – nur, weil die Italiener federführend agieren, heißt das nicht, das nicht mit allen technischen Schikanen gearbeitet wird. Lupos Leute haben sogar ein Haar gefunden, das von einem der Täter stammen muss und das mit einer chemischen Verbindung belastet ist, auf die sich die Wissenschaftler noch keinen Reim machen können.
Einen Raum darauf machen kann sich aber mit Sicherheit 911 – man muss den Computer nur entsprechend umprogrammieren, und Mike, sobald von John eingeweiht, ist – wider besseres Wissen, aber nichtsdestotrotz – bereit, John dabei zu helfen, die Killer zu identifizieren. Anhand der von Lupos Leuten ermittelten Daten schlussfolgert 911 zweifelsfrei, dass der betreffende Haarträger kürzlich aus New York eingeflogen sein muss und anhand der Haarfarbe und Passagierdaten der Fluglinien kommen für den passenden Zeitraum exakt zwei Personen in Frage – ein gewisser Taylor, der nach seiner Ankunft in Rom allerdings nirgendwo aufgetaucht ist, und Eddy Fonseca, der, wie der Zufall es will, zur Tatzeit in einem Hotel in Napoli eingecheckt war. Kinsdale spürt Fonseca mit seiner Reisegruppe in den Ruinen von Pompeji auf, aber der Rotschopf entpuppt sich als harmloser Tourist, der noch nicht mal aus New York ist. Fehlanzeige also, aber nach dem bewährten Ausschlussverfahren bedeutet das zwanglos, dass Taylor der Übeltäter sein muss.
Indes schlagen die Mordbrenner erneut zu – dieses Mal trifft es einen US-Buchhalter samt Familie in Rom, und erneut sind die Killer mit äußerster Diskrepanz vorgegangen. Kinsdale schummelt sich mit seinem Sonderausweis an den Tatort und belabert den Botschaftsangestellten Edmonds (Barry Sullivan, PLANET DER VAMPIRE, MOHN IST AUCH EINE BLUME), bis der ihm weitere Informationen gibt. Die Terroristen haben sich inzwischen gemeldet und Forderungen gestellt – die Freilassung gewisser Gesinnungsgenossen, die in verschiedenen europäischen Knästen sitzen sowie die bescheidene Summe von 10 Millionen Dollar, ansonsten werden im 3-Tages-Abstand weitere amerikanische Familien in Italien ausgelöscht werden. Kinsdale wirft den Namen Tucker in die Unterhaltung und da klingelt bei Edmonds durchaus ein Glöcklein – Taylor (Thomas Hunter, GEBISSEN WIRD NUR NACHTS, , X312 – FLUG ZUR HÖLLE) ist ein bekanntes subversiv-radikales Element, der schon auf der Uni ungut aufgefallen ist und sich nach aktuellen Geheimdienstinformationen mit dem amerikanisch-palästinensischen Aktivisten Kamal (Produzent Frank Avianca) zusammengespannt hat. Zwischenzeitlich sind auch die echten US-Sonderermittler aus CIA-Reihen (Shane Rimmer, BATMAN BEGINS, JAMES BOND 007 – DER SPION, DER MICH LIEBTE, und Jho Jhenkins, DAS PARFÜM DER DAME IN SCHWARZ, SIE NANNTEN IHN PLATTFUSS) eingetroffen und beginnen unspezifiziert vor sich hin zu ermitteln.
Nachdem auffällt, dass Kinsdale sich Fonseca gegeüber unter falschem Namen als Botschaftsangehöriger ausgegeben hat, aber aufgrund seiner impostanten Statur doch recht leicht zu identifizieren war, kommt Lupo der Verdacht, dass der Americano sich tiefer in die Sache hat verstricken lassen als gedacht und beabsichtigt eine vorläufige Festnahme im NATO-Quartier, doch John ergreift die Flucht, erst mit dem Auto, dann halsbrecherisch zu Fuß über die Dächer Neapels, bis er Lupo abgeschüttelt hat und sich erst mal bei Janice einquartiert.
Die Ermordung der Familie Simpson bringt zumindest, nach eingehender Untersuchung durch 911, eine Verbindung zwischen den Opfern an den Tag. Beide Familien suchten in der Zeitung „Daily American“ nach einem Hausmädchen. Damit kommen wir der Sache doch näher. Und momentan steht wieder eine Annonce in der Zeitung, die Gerardis suchen eine Bedienstete. Ein kurzer Anruf, getarnt als Qualitätskontrolle der Zeitungsredaktion, bestätigt, dass die Gerardis heute eine Bewerberin empfangen wollen. Kinsdale sattelt sein Auto, braust zu den Gerardis und veschafft sich dort mit der Autorität seiner Kugelspritze Einlass. Das führt nicht unbedingt dazu, dass die Gerardis (angeführt von Lewis Charles, TOPAS, AL CAPONE) und der italienische Freund ihrer Tochter, Aldo (West Buchanan, KRIEG DER ROBOTER, ZWEI TOLLE HECHTE IM KNAST), umgehend seinem Fanclub beitreten. Das ändert sich zumindest halbwegs, als das bewusste Mädchen eintrifft, im Schlepptau einen ganzen Van voller schießwütiger Terroristen. Wir können zu „Computer programmieren“ auch „schwer bewaffnete und höchstwahrscheinlich gut trainierte Terroristen mit einem einzigen Revolver zurückschlagen“ auf die Liste unerwarteter George-Kennedy-Skills setzen, jedenfalls gelingt es Kinsdale, die Mörder zu vertreiben, ehe sie mehr Schaden anrichten können als den Gerardi-Vorgarten zu verwüsten. Und weil die Halunken dämlich genug sind, eine Handtasche zu hinterlassen, aus der sich ihr Aufenthaltsort ermitteln lässt (Frauen. Handtaschen. Mario Barth hat doch irgendwo nicht ganz unrecht). Mittlerweile sind Mike und Janice aber alles andere als überzeugt von Johns ehrbaren Motiven – jedenfalls gehen die beiden Freunde und Kollegen unseres großen Hero nicht davon aus, dass John seine Erkenntnisse mit der Polizei teilen und dafür sorgen wird, dass die Killer hinter italienischen Stahlgardinen landen werden; und damit haben sie natürlich völlig Recht, John hat höchst alttestamentarische Gerechtigkeit im Sinn.
Kamals Trupp hat sein Hauptquartier in einer ehemaligen Werkstatt in (mutmaßlich) Neapolitanischen Hinterhöfen dritter Klasse aufgeschlagen, und Kinsdale gelingt es, sich dort einzuschleichen und umzusehen. Als Tucker das Versteck für eine kleine Joggingrunde o.ä. verlässt, nimmt John die Verfolgung auf. Es kommt zur Konfrontation zwischen Killer und Rächer und in einem brutalen Zweikampf mörderisiert Kinsdale den bösen Buben. Das Versteck der Bande wird allerdings von den CIA-Agenten aufgespürt, die den dort eine Waffenstillstandspause einlegenden Kinsdale zunächst festnehmen wollen, ihn allerdings ob seines geklauten Sonderausweises für einen Kollegen halten. The CIA is dumb.
Bei Terroristens ist zwischenzeitlich Taylors unerwartetes Ableben kein Grund zur Veranlassung – der große Plan soll umgesetzt werden. Die Gang will den amerikanischen Supermarkt überfallen und Personal und Kundschaft als Geiseln nehmen…
Inhalt
Es gibt Kombinationen, die drängen sich dem geneigten Filmfreund nicht zwingend auf. Z.B. „Edward Dymtryk, John Mills, Rita Tushingham, Barry Sullivan, George Kennedy“ und die IMDb-Angabe „BPjM restricted“, ergo „indiziert“. Die Namensliste steht, da sind wir uns denke ich einig, nicht unbedingt für böse, verdammenswerte und aus dem Verkehr zu ziehende Filmbrutalitäten. Aber wenn wir kurz rekapitulieren, worum’s in EIN MANN RECHNET AB geht, wird die Indizierung des Films, nun, nicht richtig, aber zumindest halbwegs verständlich. Selbstjustizfilme standen bei FSK und damals noch (BPjS) nie hoch im Kurs und allein schon die Andeutung, dass es hier darum geht, dass jemand das Gesetz in die eigenen Hände nimmt, im Allgemeinen Garant für einen wunderschönen Listenplatz. Nun, die Zeiten haben sich geändert, und, auch wenn sich das – Stand April 2020 – noch nicht bis zur IMDb durchgesprochen hat, wurde EIN MANN RECHNET AB mittlerweile von der Liste gestrichen und wurde von der FSK ungeschnitten ab 16 freigegeben. Ich bin zwar irgendwie nicht davon überzeugt, dass die Jugend von Heute ™ weniger gefährdet ist, sittlich zu verrohen als die aus den 70ern, aber andererseits wiederum ist die Jugend von Heute ™ sicher auch nicht die Zielgruppe für einen über 40 Jahre alten Rachefilm mit Leuten, die für das heutige Jungvolk nicht mal mehr als Mumien durchgehen.
Aber das heißt, dass wenigstens unsereins, auch im richtigen Alter, um einen Cast und einen Regisseur wie den hiesigen würdigen zu können, den Streifen guten Gewissens käuflich erwerben und ansehen darf. Ist ja auch was.
EIN MANN RECHNET AB ist der letzte Kinofilm von Edward Dymtryk (DIE CAINE WAR IHR SCHICKSAL, DIE 27. ETAGE). Dmytryk galt in den 40er Jahren als DAS große kommende Regietalent, geriet dann aber in die Mühlen der McCarthy-Hexenverfolgungen. Zunächst einer der standhaften „Hollywood Ten“, die die Kooperation mit dem Komitee gegen anti-amerikanische Umtriebe verweigerten, knickte er nach ein paar Monaten gesiebter Luft ein und lieferte einige Kollegen wie Jack Berry oder Jules Dassin ans Messer. Das brachte zwar seine Hollywood-Karriere wieder in Schwung und machte ihn zum gefragten Mann für Studios von Columbia bis MGM, aber viele seiner früheren Freunde und linken Gesinnungsgenossen verziehen ihm den „Verrat“ nie. In den 70ern neigte sich seine Karriere aber dem Ende zu – das Richard-Burton-Vehikel BLAUBART wurde von der Kritik verrissen und das Low-Budget-Drama HE IS MY BROTHER hinterließ weder bei Kritik noch Publikum irgendwelche messbaren Spuren. Man könnte auf die die Idee kommen, EN MANN RECHNET AB wäre mit einer grundsoliden Besetzung aus Echten Schauspielern ™ , einem modernen, auf aktuellen politischen Geschehnissen aufbauenden Plot und einem sicher nicht ganz billigen Location-Dreh in Italien (die Studioaufnahmen wurden in den Pinewood Studios in England gedreht) eine Art „last chance“-Projekt für seinen Regisseur, der damit unter Beweis stellen sollte, dass er noch in der Lage war, am Puls des Zeitgeistes zu arbeiten und sich den veränderten Sehgewohnheiten, dem neuen, jüngeren Publikum und seinen Ansprüchen, anzupassen. Dabei sei allerdings durchaus angemerkt, dass es sich um eine Independent-Produktion handelt, angeleiert von Frank Avianca (auch im Bild als Oberterrorist Kamal), der in seinen jungen Jahren als Rock’n’roll-Musiker sein Geld verdiente und Bestandteil der tragisch beendeten „Winter Dance Party“-Tournee, die Buddy Holly das Leben kostete, war.
Das Script besorgten Nebendarsteller Thomas Hunter, einer der zahlreichen Amerikaner, der sein Glück im italienischen Randalefilme der 60er und 70er fand, und sein Co-Writer Peter Powell. Dieses Duo wurde schreiberisch nur noch einmal auffällig – 1980 verfassten sie das Buch zum ebenso hochreaktionären wie –unterhaltsamen Zeitreisespektakel DER LETZTE COUNTDOWN (an dem allerdings mit David Ambrose und Gerry Davis noch weitere Kollaborateure mitwerkelten, Hunter und Powell entwickelten aber die Story mit Ambrose zusammen). Ein two-hit-wonder, also, und offensichtlich eines mit reaktionären Tendenzen. Ist aber nun auch kein großes Wunder, dass der Film ein ziemlicher Rechtsausleger ist – er ist nun mal ein Kind seiner Zeit, und gerade Europa stand Mitte der 70er im Zeichen des Links-Terrorismus. Gut, natürlich gerade in Italien hat sich über die Jahre hinweg herausgestellt, dass der vermeintliche Links-Terror getarnter Rechts-Terror war (Stichworte GLADIO und P2), aber das wussten 1975 selbstverständlich nur die Verantwortlichen. Für die breite Öffentlichkeit kam die Gefahr eindeutig von links, und, logisch, es *gab* natürlich auch genug echten Links-Terror, der sich durch das Zweckbündnis, das linksextremistische Terrorgruppen mit militanten palästinensischen Organisationen eingingen, zu einer echten, greifbaren Bedrohung für die öffentliche Sicherheit entwickelt hatte. Hunters und Powells Script greift diese Connection auf – ihre „Haupttäter“ sind ein linker Aktivist aus der amerikanischen Studentenbewegung und ein US-naturalisierter Palästinenser, fraglos keine unlogische Wahl. Problematisch ist daran lediglich, dass die Ideologie der Terroristen sehr, sehr vage ist. Man kann sich natürlich das ein oder andere zusammenreimen, aber welche politischen Ziele Kamal und seine Spießgesellen verfolgen (so sie am Ende nicht doch nur hinter der Asche her sind), wird nicht wirklich definiert. Das liegt freilich daran, dass der Film praktisch exklusiv die Binnenperspektive des einsamen Rachewolfs Kinsdale einnimmt, und dem ist herzlich egal, welch höherem Ziel die Gewalt dient, der seine Familie zum Opfer gefallen ist, solange er am Ende seine blutige Vergeltung bekommt. Da besteht natürlich dann auch seitens des Films an sich nicht das Interesse, seine Schurken in irgendeiner Form differenziert zu zeichnen – es ist eine brutale Mordbrennerbande, und wir sollen als Publikum verständlicherweise jubeln, wenn sie die gerechte biblische Strafe ereilt (Trashfreunde nennen das auch gern die SATAN’S SADISTS-Schule. Wir bauen uns einen Popanz auf, damit der dann genüsslich und ohne schlechtes Gewissen wieder niedergeknüppelt werden kann). Daher haben wir maximal zwei kurze Szenen, in denen die Erzählperspektive die Antagonisten begleitet, und die dienen dann auch nur dazu, um so als völlig amoralische Gesellen zu zeichnen, die gar nicht auf die Idee kommen, ihre brutalen Untaten könnten womöglich nicht gerechtfertigt oder als Mittel zum Zweck ungeeignet sein. Aber, ich wiederhole mich, das war der Zeitgeist, ein klares Feindbild, das keiner tiefschürfenden Untersuchungen bedurfte, und auch das hab ich ja schon angedeutet, da unser point-of-view-Charakter Kinsdale ist, der aus nachvollziehbaren Gründen eindimensional auf das simple Ziel, die Mörder seiner Familie endgültig auszuschalten, fixiert ist, macht das im Kontext der gewählten Perspektive Sinn. Es ist ein Selbstjustizthriller mit politischem Aufhänger, kein Politthriller, der an den Hintergründen und größeren Zusammenhängen interessiert ist.
Haben wir erst mal die zugegeben sehr harte Nuss, George Kennedy als einen superschlauen Computerexperten zu kaufen, geknackt (wobei man durchaus feststellen kann – im Film wirkt’s schon ein bisschen so, als wäre primär Mike „the brains“ der Unternehmung und Kinsdale eher derjenige für die Außendarstellung, so viel, wie er sich über den vorgeblich von ihm selbst mitentwickelten Computer und seine Mega-Superduper-Software erklären lassen muss), rollt die Geschichte eigentlich ohne ganz große logische Probleme voran. Ja, gut, dass Kinsdale es mit einer ganzen Bande von Terroristen im Feuergefecht aufnehmen kann und einen ungefähr 50 Jahre jüngeren Typen auch im Kampf mano-a-mano abmurkst, ist sicher auch zumindest diskutabel, aber es ist halt nunmal Kennedy besetzt worden und nicht Charles Bronson. Dann muss eben Kennedy die Bronson-Dinge tun, und wir müssen es akzeptieren – ist kein Fehler des Scripts, sondern wenn, dann einer des Castings. Betrachten wir das mal unabhängig von der Person George Kennedy macht seine Figur im Film nichts, was innerhalb des etablierten Kontexts aus dem Rahmen fiele. Sich die falsche Identität als Sonderermittler anzueignen, mit den ihm an seinem Arbeitsplatz zur Verfügung stehenden technischen Mitteln recherchieren, daraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen, das alles erscheint nicht unrealistisch. Dass Kinsdale auch nicht direkt in einen Action-Superhelden mutiert, dem alles auf Anhieb gelingt (und z.B. von den Gerardis, nachdem er erst wie ein Elefant mit der Tür in den Porzellanladen gefallen ist und ihnen dann das Leben rettet, postwendend und ziemlich endgültig rausgeschmissen wird), ist ebenso erfreulich wie der Umstand, dass der Streifen zwar prinzipiell auf Kinsdales Seite ist und sein Tun als gerechtfertigt ansieht, trotzdem aber auch der Gegenposition, die Sache der Polizei und dem Rechtsstaat zu überlassen, Raum gibt, ohne dabei die Vertreter dieser Position als feige oder „böse“ hinzustellen.
Aus heutiger Sicht gleichermaßen amüsant wie unerwartet prophetisch ist Computertechnik, die einen nicht zu unterschätzenden Plotpoint ausmacht (auch wenn der Film sich begreiflicherweise um technische Erklärungen drückt). Natürlich sind die Computer, die „Programmierungen“, Ein- und Ausgaben des Rechners ungemein primitiv, und wenn Kennedy sich als Support-Techniker ausgibt, um sich in einem Reisebüro an den dortigen Rechner anstöpselt, um dann über die Telefonleitung von Mike Daten zu beziehen, fällt es schwer, sich das Grinsen nicht zu verkneifen, aber… es ist bemerkenswert, wie weitsichtig der Film ein quasi globales Informationssystem, ein, eh, weltweites Netz, wenn man so will, postuliert – wenn auch im Film nicht für jedermann zugänglich -, das Zugriff auf jeden erdenklichen Datenbestand hat, anhand der permanent aktualisierten Daten Persönlichkeits-, Verhaltens- und Bewegungsprofile erstellen kann und quasi den „gläsernen Bürger“, der ständig und überall seine Spuren in den Datensystemen hinterlässt, vorhersieht, über den sich die breite Öffentlichkeit vielleicht zehn-fünfzehn Jahre später erstmals richtige Sorgen machen sollte, und der hier ohne Federlesens als gute Sache vorgestellt wird, die bei der Identifikation von Verbrechern und der Verhinderung ihrer Taten unerlässlich sein wird. Datenschutz? We don’t need no stinkin‘ Datenschutz! Es ist das Dilemma, das heute noch in aller Munde ist – das Aufwiegen vom Anspruch auf Sicherheit gegenüber dem Recht auf freie Kommunikation, freie Bewegung, und das der Film recht eindeutig beantwortet.
Lassen wir jetzt mal die inhaltliche Ebene ruhen und wenden uns dem Filmhandwerk zu. Eine sonderliche Dmytryk-Handschrift kann man dem Film sicher nur schwer nachweisen. Vielmehr versprüht der Streifen – schon allein der Location wegen – gewisse Vibes eines 70er-Italo-Crimefilms. Wir sind viel in den Straßen, auf den Plätzen und in den Hinterhöfen italienischer Metropolen unterwegs und mit dem guten Commissario Lupo gibt’s auch eine Figur, die direkt einem polizioteschi entsprungen sein könnte. Hinter den Kulissen werkelte eine aus britischen und italienischen Routiniers zusammengestellte Crew mit dem irakisch-britischen Kameramann Ousama Rawi (AUF DER FÄHRTE DES ADLERS, MALTA SEHEN UND STERBEN), Hammers Special-FX-Mann Les Bowie, der sich seinen Job mit dem Italiener Giovani Didorto teilte, Cutter Alan Strachan (WITHNAIL & I, SPRENGKOMMANDO ATLANTIK) und Komponistenlegende Ennio Morricone, der einen gefälligen, aber nicht sonderlich charakteristischen (und auch nicht speziell einprägsamen) Score abliefert. Dmytryk inszeniert den Film durchaus mit sicherer, solider Hand und zeigt, dass er in der Tat gelernt hatte, sich den Anforderungen des modernen 70er-Jahre-Kinos anzugleichen. Natürlich kann man das auch negativ dahingehend auslegen, dass es im Endeffekt keinen Unterschied gemacht hätte, wenn nun ein x-beliebiger anderer europäischer, mit dem Genre vertrauter Regisseur den Film gedreht hätte. Man brauchte die alten Hollywood-Haudegen, die noch im Studiosystem groß geworden waren, nicht mehr, schon gar nicht für, sagen wir mal, simples Gebrauchskino ohne tieferen Anspruch. Womöglich war es dann auch die Lehrstunde, die Dmytryk dazu veranlasste, den Job an den Nagel zu hängen (er drehte 1979 noch einen Kurzfilm, aber das war’s dann), und sich in der Folge der Lehre zuzuwenden und an den Hochschulen von Austin und Südkalifornien zu unterrichten. Von seinen vor einfallsreicher Kameraarbeit und geschickten Beleuchtungseinsatz geprägten legendären 40er-Jahre-Klasikern, die ihm eine Oscar-Nominierung eingebracht hatten, könnte der, wie gesagt, solide, aber auch sehr konventionell gearbeitete EIN MANN RECHNET AB kaum weiter entfernt sein.
Dieweil der Film, seiner vormaligen Indizierung scheinbar zum Trotz, über weite Strecken zurückhaltend in der Gewaltdarstellung bleibt (den Mord an Kinsdales Familie sehen wir nicht, und bei den Simpsons bleibt die Kamera im Moment der Tat auf die Täter gerichtet), packt er gen Ende hin dann doch die grobe Kelle aus. Der ruppige Zweikampf zwischen Kinsdale und Taylor ist nur der Vorgeschmack auf ein zwar kurzes, aber ausgesprochen knackiges und blutgetränktes Finale im Supermarkt, bei dem Sam Peckinpah und Walter Hill ein bisschen Freudenpipi in den Augen bekämen…
Darstellerisch hängt viel daran, ob und wieweit Zuschauer George Kennedy als diesen eiskalten Rächer akzeptieren können. Klar, Kennedy ist ein Schrank von Mann und natürlich hatte er in seiner Karriere eine Fuhre einprägsamer tough guys gespielt, aber er war eben auch schon fünfzig Jahre alt (and looking older). Natürlich ist die Aussage des Films nicht zuletzt, dass ein Average Joe over the edge getrieben wird, aber so sehr sich Kennedy auch bemüht, so recht will man ihm den Charakter dann doch nicht abkaufen und sei’s, weil man einfach auch das Bild seiner späteren Karriere (DIE NACKTE KANONE, Ihr erinnert Euch) vor Augen hat. John Mills ist als der eigentliche Denker des Computergenius-Duos durchaus überzeugend, Rita Tushingham hat kaum etwas zu tun (zumindest verzichtet der Film darauf, den frisch Verwitweten gleich wieder in eine Liebesgeschichte zu werfen), Raf Vallone ist durchaus einprägsam als Lupo. Die Nebenrollen sind überwiegend gut besetzt, wobei ich mir etwas charismatischere Leute als die Chefterroristen Taylor und Kamal gewünscht hätte, aber was will man machen, wenn der Drehbuchautor und der Produzent unbedingt mitspielen wollen…
White Pearl/Daredo hat den Film nunmehr auf DVD veröffentlicht. Bildqualität (1.85:1 anamorph) und Ton sind durchschnittlich, ein paar kurze Dialogpassagen, die in der Kinofassung offensichtlich geschnitten waren, sind nun in Originalton mit festen Untertiteln wieder eingefügt. Extras gibt’s über den Trailer hinausgehend nicht; das ist wieder mal eine DVD weniger für Sammlerherzen als für die „hat man den auch mal gesehen“-Crowd. Dafür ist sie eben nicht teuer.
Die gute alte ZEIT hielt den Film bei seiner Deutschlandpremiere 1977 für „fataler“ als EIN MANN SIEHT ROT oder DIRTY HARRY. Gut, der erste DEATH WISH wird seinem Ruf als zynisches Machwerk, wie wir alle wissen, ebenso wenig gerecht wie BLUTGERICHT IN TEXAS seinem als geschmacklose ultrablutige Gewaltorgie, und ja, natürlich ist das Thema Selbstjustiz per se heikel und gerade vom deutschen Feuilleton erwiesenermaßen mindestens ebenso ungeliebt wie von der FSK, aber im Nachhinein fragt man sich doch, was das Gewese denn soll… bis auf die letzten fünf Minuten ist von der Brutalität, die Kersey oder Dirty Harry als „lahme Liberale“ (DIE ZEIT again) erscheinen lassen soll, nichts zu sehen – es ist ein solider, aber auch bis auf sein Finale eher unspektakulärer Thriller eher kontinentaleuropäisch (sprich: italienischen) Zuschnitts, der durchaus bei der Stange hält, aber auch nichts Wegweisendes, Stilprägendes oder extrem Außergewöhnliches zu bieten hat. Passables Entertainment für Freunde des Genres, nicht mehr, nicht weniger.
© 2020 Dr. Acula
BOMBEN-Skala: 4
BIER-Skala: 6
Review verfasst am: 07.04.2020