Edgar Wallace – Das Haus der toten Augen

 
  • Deutscher Titel: Edgar Wallace - Das Haus der toten Augen
  • Original-Titel: Edgar Wallace - Das Haus der toten Augen
  •  
  • Regie: Wolfgang F. Henschel
  • Land: Deutschland
  • Jahr: 1997/98
  • Darsteller:

    Gunter Berger (Inspektor Higgins), Petra Kleinert (Diane Ward), Eddi Arent (Sir John), Rosalind Baffoe (Ann Pattison), Udo Samel (Rev. Dearborn), Walter Kreye (Stephen Yared), Gisela Uhlen (Mrs. Miller), Christoph Eichhorn (Fummel-Fred), Norbert Heisterkamp (Blinder Jake), Holger Kunkel (Mr. Strauss), Kristiane Kupfer (Fay Weldon)


Vorwort

Der Millionär Gordon Stuart möchte dringend sein Testament ändern – er hat nämlich seine verlorene Tochter Sylvia aufgegabelt und möchte ihr verständlicherweise sein gesamtes Vermögen vermachen. Anwalt Stephen Yared ist überrascht und hat eigentlich auch keine Zeit, aber wenn’s denn so dringend ist, soll Stuart heute abend im Theater vorbeischauen, da „muss“ Yared nämlich eine Premiere ansehen – moderne Kirchenmusik aus der Feder eines gewissen Reverend Dearborn. Stuart tut, wie ihm geheißen, und wird prompt aus der Loge heraus entführt…

Und liegt kurze Zeit später als sein selbstpersönliches Problem vor Scotland-Yard-Inspektor Higgins auf dem Obduktionstisch. Man hat Stuart aus der Themse gefischt und die Frage stellt sich – Unfall, Selbstmord oder Mord? Da Stuart auf seinen Hemdsärmel noch ein Neues Testament (TM) gekritzelt hat und dies mit „Im Angesicht des Todes“ überschrieben hat, geht man zunächst mal von Selbstmord aus. Selbstmörder machen ja komische Dinge. Higgins und seine neu zugeteilte Assistentin Diane Ward, ihm persönlich aufs Auge gedrückt von Yard-Boss Sir John, der sie auch höchstselbst als „Kriminalistin des Jahres“ ausgezeichnet hat (geht man vom von Sir John gesetzten Standard aus, lässt sich das wohl so ungefähr mit „kann sich allein die Schuhe zubinden“ übersetzen), kommt allerdings ein bisschn suspekt vor, dass Stephen Yared sich mit allen Mitteln, Händen und Füßen gegen die Gültigkeit des die unbekannte Sylvie begünstigenden Testaments wehrt. Sollte einem Organ der Rechtspflege doch herzlich wurst sein, wer genau die Penunze kriegt, solange das Honorar stimmt. Zudem lenkt eine bei der Leiche Stuarts gefundene Eintrittskarte für den bewussten Theaterabend Verdacht auf Yared – „Es war Mord“, steht da in Blindenschrift, und ein paar weitere Buchstaben ergeben, wenn man ein bisschen ins Blaue extrapoliert, „David Yared“, den Namen von Stephens jüngst verstorbenen Tunichtgut-Bruder.

Yared hat natürlich eine rationale Erklärung für seine Renitenz – in „seinem“ Testament vermachte Stuart alles einer guten Sache, nämlich dem Blindenheim von… Reverend Dearborn. Nichtsdestotrotz beharrt Higgins auf der Richtig- und Gültigkeit des Sylvia-Testaments, wobei sich hier das Problem stellt, dass niemand weiß, wer und wo diese Sylvia ist. Higgins ist nicht der einzige, der sich diese Frage stellt – da gibt’s auch noch den Mittelklasse-Gauner Fred Grogan, wegen seines Hangs zum Crossdressing liebevoll „Fummel-Fred“ genannt. Fred war bis vor kurzem Yareds Informant, hat sich aber nun die Rechnung aufgemacht, dass das beträchtliche Vermögen des verblichenen Millionärs besser auf anderen Konten als denen des Blindenheims, z.B. seinen, aufgehoben wären.

Während Fred erfolgreich die Pflegetante der potentiellen Erbin auftut, tappen Higgins und Ward weiterhin in finsterer Nacht und kommen auch bei Fay Walden, der Sängerin der Dearborn-Stücke, die auch im Blindenheim ein- und ausgeht, nicht weiter – nur, dass Higgins in ihrer Garderobe von einem riesenhaften Blinden angegriffen wird. Insbesondere Ward wittert ob der Sichtbehinderung eine Verbindung zu Dearborns karitativer Einrichtung, doch der selbst erblindete Reverend und Hobby-Komponist streitet dies natürlich ab – und Wards eigenmächtige Herumschnüffeleien verärgern Sir John mächtig.

Fred indes hatte zwar kein rechtes Glück bei Tante Miller im Hinblick auf die Identität der Stuart-Tochter, dafür aber einen Plan B. Wenn niemand Sylvia kennt, muss es ja eigentlich nicht die echter Erbin sein, die kassieren geht und mit Fred teilt. Passt Fay Walden nicht einigermaßen, was das Alter angeht? Fred macht sich Fay gefügig und lässt sie bei Yared vorsprechen. Der ist allerdings nicht daheim, weil bei Dearborn abhängend – ist Dearborn doch der Kopf des munteren Ränkespiels und eine „echte“ Erbin passt natürlich überhaupt nicht in die Pläne des Reverend. Aber wozu gibt’s im Keller des Blindenheims Kessel, in denen man unliebsame Konkurrenten absaufen lassen kann?


Inhalt

Als man MItte der 90er Jahre bei RTL auf die Idee kam, einen Schwung neuer Edgar-Wallace-Verfilmungen auf die Fernsehschirme der Nation zu bringen, muss das wirklich nach einer guten Idee ausgesehen haben. Die alten Rialto-Klassiker mit Blacky, Drache, Schürenberg, Kinski & Co. brachten bei jeder Wiederholung gute Quoten, war das doch TV-Futter im Wortsinn für die ganze Familie – die Älteren erinnerten sich noch nostalgisch daran, wie man sich Neunzehnnochundsechzig wohlig im Kinosessel beim „Schwarzen Abt“ oder dem „Mönch mit der Peitsche“ gegruselt hatte, waren die Wallace-Krimis doch mehr oder minder konkurrenzlos fast alles, was der deutsche Kintopp zu der Zeit an „Genrefilm“ hergab, das jüngere Publikum amüsierte sich über die retroaktiven camp-Werte; zudem hatte RTLs „Otto – Die TV-Show“, in der der ostfriesische Blödelmeister per damals aufwendiger Digitaltechnik in die hierfür extra eingekauften Klassiker eingesetzt wurde, trotz mäßiger Kritiken (und mäßigem Humor) ein neues Publikum für die alten Schinken erschlossen.

Die Zeit schien also reif und prinzipiell machte RTL erst mal eins richtig – man holte als Produktionsfirma Rialto ins Boot und damit die Expertise. Auch gegen die verpflichteten Schauspieler lässt sich erst mal nicht viel sagen – man setzte auf eine Mischung aus erfahrenen TV-Strategen, talentierten Newcomern und ein paar Altstars, die sogar noch die Originale mitgemacht hatten. Ein weniger glückliches Händchen bewies man bei der Auswahl des Regisseurs – hier wandte man sich an Wolfgang F. Henschel, einen routinierten, aber undistinguierten Auftragsfernsehfummler, der für Geld sowohl Stummfilmsketchshows zusammenschraubte („Lachen Sie mit Stan & Ollie“), TV-Musikspecials überwachte („Pata Pata – Miriam Makeba singt Lieder aus Afrika und Amerika“) oder, hauptsächlich, Serienfolgen herunterkurbelte („Alpha Alpha“, „Ein Fall für Zwei“), aber eben gerade für RTL an der halbwegs wohlwollend aufgenommen eigenproduzierten Serie „Balko“ gearbeitet hatte und demzufolge offenbar als geeignet für den Job angesehen wurde. Dass die besten Wallaces davon lebten, das Alfred Vohrer oder Harald Reinl Regisseure waren, die sich geradezu auf diese Stoffe spezialisiert hatten und Leib und Seele in die Filme steckten, muss Rialto und RTL 1995 entgangen sein. Dezent anzweifeln darf man auch die Wahl des Drehbuchautors für diesen Film und „Das Schloss des Grauens“ (dessen man sich heutzutage offenbar so sehr schämt, dass er nicht in der DVD-Edition der Reihe enthalten ist!). Verantwortlich für das Script zeichnet Bernd Eilert, und dessen Qualifikation für den Job ist nun wirklich sehr mysteriös. Eilert ist einer der Mitbegründer der „Neuen Frankfurter Schule“, gehörte 1979 zum Gründungspersonal der „titanic“ und schrieb, wie NFS-Kollege Robert Gernhardt, viele Texte für Otto Waalkes frühe Programme und auch später dessen Kinofilme. Nun kann man auf dem Standpunkt stehen, dass jemand mit einem Background in Komik und Satire vielleicht nicht der schlechteste Autor ist, um die ollen Wallace-Stoffe mit einem Augenzwinkern zu modernisieren, aber trotzdem – alles an „Das Haus der toten Augen“ erweckt den Eindruck, als hätte Eilert kein Verständnis für sein Material – was irgendwo auch nicht wundert, da die NFS ja mit ihrer Nonsens- und Dada-Komik ein bewusst gesetzter Gegenpunkt zum „bürgerlichen“ Entertainment der 60er sein sollte.

Sei’s drum – „Das Haus der toten Augen“ basiert natürlich auf dem Wallace-Roman „Dark Eyes of London“, den die klassische Krimiserie bereits zweimal verwurstet hatte – als „Die toten Augen von London“ mit Blacky Fuchsberger und Karin Dor 1961 und noch mal 1968 mit Horst Tappert und Uschi Glas als „Der Gorilla von Soho“, beide unter Vohrer-Regie. Aufmerksame Leser wissen natürlich, dass bereits 1939 in Großbritannien „Dark Eyes of London“ aka „The Human Monster“ mit Bela Lugosi in der Hauptrolle für Aufsehen gesorgt hatte, indem der Streifen als erster überhaput das neu geschaffene Rating „H for Horrific“ verpasst bekam. Angeblich soll die Geschichte auch Jess Francos „Der schreckliche Dr. Orloff“ (1962) Pate gestanden haben, aber die Ähnlichkeiten sind so oberflächlich, dass man konsequent fast jede „mad doctor“-Geschichte damit in Verbindung bringen müsste.

Jedenfalls geht es um das böse Werk eines vermeintlich blinden, vermeintlich herzensguten Bösewichts, der das Blindenheim als Fassade für seine boshaften Aktivitäten nutzt – bei den drei vorhergehenden Verfilmungen war das Motiv Versicherungsbetrug, jetzt ist es ’ne Erbschaft, was ein bisschen an der Glaubwürdigkeit der Story nagt, denn so, wie jetzt vorliegend, postuliert sie, dass die Bösen den aufwendigen Plan für einen einzigen Coup ausgeheckt haben; in den früheren Versionen war „versichern und umbringen“ ein lukratives, laufendes Geschäftsmodell, das für dauerhafte und nicht nur einmalige Auskünfte sorgte. Immerhin – der tumbe, bärenstarke Killer ist nach wie vor ein Bestandteil der Plotte, und von dieser drolligen Hyperkomplexität, wie sie praktisch alle Wallace-Film-Plotten waren, ist auch diese Geschichte (dreimal dürft ihr raten, wer *wirklich* die echte Tochter ist…).

Es wären also schon im Grunde die richtigen Zutaten, inklusive Falltüren und bizarren Todesfallen, aber Eilert und Henschel versagen komplett bei der Umsetzung der Geschichte in einen spannenden Kriminalfilm. Eilerts Story plätschert weitgehend ereignislos vor sich hin, ist geradezu enervierend frei von Höhepunkten. In der Zeit, in der Eilerts Protagonisten langwierig diskutieren, ob sie dieses oder jenes machen dürfen, hätte Blacky schon drei Gangster verprügelt, zwei Autoverfolgungen bestritten und einen staredown mit Klaus Kinski gewonnen. Ebenso klebt Henschel am TV-Serienkrimi-Stil – nur nicht zu sehr das Publikum aufregen, nicht, dass noch ein Herzschrittmacher platzt, also halten wir Gewaltanwendung weitestgehend off-screen (und das in der legitimen Fortsetzung einer Filmreihe, die zu einem nicht zu vernachlässigenden Grad das moderne europäische Horrorkino geprägt hat), lassen die Leute lieber labern oder erstaunlich unlustige Comedy mit Eddi Arent (der immerhin jetzt den Yard-Chef spielen kann und zumindest in der Hinsicht ein würdiger Nachfolger von Schürenberg sein könnte, hätte er ansatzweise witziges Material zur Verfügung; aber Eilert und Henschel verlassen sich auf die Formel „Eddi = automatisch luschtich!!“).

„Dank“ extrem flacher Fernsehoptik kommt keinerlei Atmosphäre auf – wie sich erweist, dass einen nicht unerheblichen Anteil an der Klasse der 60er-Krimis auch die s/w-Fotografie hatte: Nebel in London wirkt in schwarz-weiß deutlich unheimlicher als in Farbe. Freilich *könnte* man dem mit den entsprechenden Fähigkeiten hinter der Kamera durchaus auf die Sprünge helfen, woran hier aber niemand gesteigert Verständnis zeigt (Kameramann David Slama, „Herr der Diebe“, „In 3 Tagen bist du tot“, fotografiert die ganze Chose auch mit sichtlichen Desinteresse). Henschel lässt die Geschichte im Schneckentempo vorankriechen – hier wirken 93 Minuten mal wieder wie 193, und die langweilige Musik von Stephen Keusch („Sonnenallee“) tut auch nichts dazu, um den Zuschauer mal durch einen memorablen Cue oder ein treibendes Theme aufzuwecken (ausnehmen hiervon möchte ich den einzigen, dafür mehrfach dargebotenen Song aus „Dearborns“ Feder, der ist angemessen schön scheußlich).

Schade ist das für die durch die Bank nicht untalentierten, aber (bis auf eine Ausnahme) komplett unterforderten Darsteller. Bei Gunter Berger, einem TV-Routinier („Ein Mann will nach oben“, „Der Kuss des Tigers“, „Wüstenfieber“, „Wie gut, dass es Maria gibt“) habe ich weniger schauspielerisch ein Problem als mit der totalen Fehlanlage seines Charakters – er gibt den Higgins als eine zerknitterte Mischung zwischen gelangweiltem Columbo und unmotivierten Privatschnüffler – da ist nix von der Agilität und der Cleverness der typischen Wallace-Ermittler wie eben Blacky oder sogar Drache. Der Ansatz *kann* funktionieren – das bewies O.W. Fischer im Wallace-Nachzieher „Das Geheimnis der schwarzen Witwe“, aber der spielte dort auch einen versoffenen Reporter und nicht den Starermittler von Scotland Yard, aber selbst er war dort, dem Ösi-Akzent zum Trotz, „british“. Bergers Higgins passt eher in die Bronx. Petra Kleinert („SOKO Leipzig“, „Mord mit Aussicht“) leidet darunter, dass das Script sie zu einer wahrhaft nervtötenden Besserwisserin macht (die Blindenschrift schneller entziffert als berufsmäßige Blinde) und Eddi Arent, na, dem hätte, ich wie gesagt, schlicht gewünscht, dass er lustige Lines hätte. Gisela Uhlen („Die Tür mit den 7 Schlössern“, „Das indische Tuch“, „Hotel der toten Gäste“, „Der Bucklige von Soho“) ist weniger aus dramaturgischer Notwendigkeit dabei denn aus dem Willen, noch irgendwen aus den alten Filmen auf Teufel raus mit einzubringen. Ihre Rolle ist basically überflüssig.

Die Bösewichter fahren durch die Bank etwas besser- Udo Samel („Kondom des Grauens“, „Alles auf Zucker“, „Die Klavierspielerin“) hat als Dearborn durchaus eine gewisse bedrohliche Ausstrahlung, Walter Kreye (später „Der Alte“, „Der Dicke“, „Bermuda-Dreieck Nordsee“ [was immer noch einer meiner Kandidaten für den dümmsten Filmtitel aller Zeiten ist) zieht sich ebenfalls ehrbar aus der Affäre. Die Highlights finden sich in Nebenrollen: Christoph Eichhorn („SOKO Leipzig, Köln, Stuttgart“ – der Bursche kommt hin) channelt als FUmmel-Fred ganz manierlich Klaus Kinski (auch wenn man eigentlich hätte hoffen sollen, 1998 wäre „drag“ als Abnormität langsam kein Thema mehr gewesen), Norbert Heisterkamp („Alles Atze!“, „7 Zwerge – Männer allein im Wald“) ist durchaus ein angemessen brutaler blinder Killer Jake und Holger Kunkel („Die Wache“, „Hitlerjunge Salomon“, „Allein“) holt aus der recht kleinen Rolle von Yareds Faktotum Strauss auch einiges heraus. Die erwähnte ruhmlose Ausnahme vom „unterfordert sein“ ist Rosalind Baffoe, die schwer offensichtlich als „exotischer Farbtupfer“ für die komplette Staffel als Sir Johns Assistentin gecastet wurde, aber nicht minder offensichtlich mit der Tätigkeit „Schauspielerei“ grundsätzlich und erst recht in „deutscher Sprache“ überfordert ist. Man sah sie später noch in „Neger, Neger, Schornsteinfeger“ und zwei Folgen „Löwenzahn“.

Nur sind halt die größten darstellerischen Leistungen für die Katz, wenn der Film ein langweiliges Stück biederster TV-Kost ist, das 1998 niemand hinter dem Ofen hervorlockte und das auch 1963, zur Hochzeit der klassischen Serie, nicht getan hätte. Es fehlt dem Film an allem – technischer Expertise, Spannung, Esprit, Witz, und kann dadurch eigentlich nur als Beispiel dafür dienen, wie man Wallache „heute“ eben *nicht* machen kann.

(c) 2017 Dr. Acula


BOMBEN-Skala: 7

BIER-Skala: 4


mm
Subscribe
Benachrichtige mich zu:
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments