Dus – Jede Sekunde zählt

 
  • Deutscher Titel: Dus - Jede Sekunde zählt
  • Original-Titel: Dus
  •  
  • Regie: Anubhav Singha
  • Land: Indien
  • Jahr: 2005
  • Darsteller:

    Sanjay Dutt (Siddanth Dheer), Sunil Shetty (Dan), Abhishek Bachchan (Shashank Dheer), Zayed Khan (Aditya), Shilpa Shetty (Aditi), Esha Deol (Neha), Diya Mirza (Anu), Raima Sen (Priya), Gulshan Grover (Irfan Khan), Pankaj Kapur (Himmat Mehndi), Ninad Kamat (Roy)


Vorwort

Siddanth Dheer, Chef der indischen Anti-Terror-Spezialeinheit, erlebt turbulente Tage – gerade hat er mit seinen Leuten eine Autobombe mitten in Delhi unschädlich gemacht und dabei auch noch einen Terroristen festnehmen können, da plagen ihn schon ganz andere Sorgen. Zum einen ist ihm bekannt, dass Top-Terrorist Jambhal in einer Woche einen gigantischen Riesenanschlag plant, gegen den 9/11 eine leicht außer Kontrolle geratene Kneipenschlägerei sein dürfte, weiß aber nicht, wo und wie der Schlimmfinger zuschlagen will, zum anderen drängt das Parlament aus politischen Gründen ultimativ auf eine Auflösung der Spezialeinheit – ebenfalls binnen Wochenfrist. Praktisch: in Kanada ist gerade Himmat Mehndi, einer von Jambhals Top-Leuten, wegen einer kleinen Trunkenheitsfahrt mit resultierendem Blechschaden verhaftet worden. Siddanth verfällt auf den genialen Einfall, seinen jüngeren Bruder Shashank und den Ex-Freund seiner Schwester Anu (die er noch schnell verheiratet) Aditya nach Kanada zu schicken, auf dass das dynamische Duo Mehndi nach der erwartungsgemäßen Freilassung mit Unterstützung der in Kanada operierenden Agentin Neha entführt und ihm notfalls auch mit unsanfter Gewalt die interessanten Einzelheiten des Planes aus der Nase zieht. Währenddessen will er selbst dem gefangenengenommenen Terroristen auf den Zahn fühlen.
Dem hehren Anliegen stehen zwei Probleme, von denen Siddanth nichts ahnt, gegenüber – die Gegenseite hat Neha längst eliminiert und durch eine der ihren ausgetauscht, und in der Einsatzzentrale der Spezialeinheit in Delhi hockt auch schon ein Maulwurf, der Jambhals Organisation alle wichtigen Informationen zuträgt. Dieweil Shashank und Aditya nach leicht bombigen Anlaufschwierigkeiten mit der falschen Neha Mehndi erfolgreich kidnappen und unerwarteterweise auf die Hilfe des indischstämmigen kanadischen Polizisten Dan zählen können, wird in Indien Anu nebst einem Freund entführt und als Druckmittel gegen Siddanth eingesetzt. Siddanth gelingt es, den Verräter in den eigenen Reihen zu entlarven (und zum ehrenvollen Suizid zu veranlassen). Mehndi, der sich als kleiner Feigling erweist, will trotz aller Überredungsversuche und denkförderlichen Schläge auf den Hinterkopf aus Angst vor Jambhal nicht auspacken. Erst, als Shashank und seine Verbündeten es hintricksen, als wolle der Terroristenchef Mehndi auf jeden Fall umnieten, ob er nun redet oder nicht, erklärt sich der Buchhalter des Terrors dazu bereit, die indischen Agenten zu Verrätern aus Jambhals Organisation zu lotsen, die – aufgrund persönlicher Rachegelüste – dessen Aufenthaltsort kennen sollten. Auch wenn sich der entsprechende Informant angstgeschüttelt selbst entleibt, so ist die Info an sich brauchbar: dem Antiterror-Triumvirat gelingt ein totaler Triumph. Oder doch nicht? Siddanth reist nach Kanada und findet der echten Neha Leiche – schnell zählen die Guten 2+2 zusammen und kommen zu dem Schluss, dass sie dem Bösewicht ganz gehörig auf den Leim gegangen sind. Während Siddanths Assistentin Aditi in Delhi herausfindet, dass Jambhals Organisation Unterstützer bis in die höchsten Regierungskreise hat, müssen er und die Seinen davon ausgehen, dass der Anschlag unmittelbar bevorsteht…


Inhalt

Bollywood mal wieder. Ich weiß, ich weiß, immer noch geht ein gewisser Teil meiner Leserschaft davon aus, dass Bollywood-Filme nur aus Herzschmerz, Liebelei und Liebesleid, sowie dem unvermeidlichen Gesinge und Getanze besteht, aber, nur weil Liebesschnulzen wie „In guten wie in schlechten Tagen“ etc. hierzulande besonders populär sind, bedeutet das nicht, dass die Inder nicht auch andere Genres besetzen. Okay, mit mehr oder weniger großem Erfolg – Horror („Kaal“) und Science fiction („Sternenkind“) ist, ganz ersichtlich schon mal kulturell bedingt, nicht das Ding der Filmschaffenden aus Mumbai, aber wie man optisch ausgesprochen schicke, aufwendig inszenierte und mit absolut vertretbaren Stunts und/oder Kampfszenen gespickte Actionfilme (mit Musik & Tanz, versteht sich) hinbekommt, haben die Macher der größten Filmindustrie der Welt mittlerweile durchaus begriffen (man denke an „Ich bin immer für dich da“ oder „Dhoom“).

Angesichts der Tatsache, dass Indien einerseits zwar die größte funktionierende Demokratie der Welt ist, andererseits aber dank der diversen Minderheiten im Land ein ständiges Terror-Problem hat, überrascht nicht, dass sich die dortige Filmindustrie desöfteren mit Terror-Szenarien beschäftigt, gerne auch mal mit beherztem Ausspielen der patriotischen Karte (so im, allerdings nicht Mumbai-basierten und eher dem B-Bereich zuzuordnenden, Azaad oder auch in „Ich bin immer für dich da“, wo die Bösen mal offen, mal subtiler jenseits des Kaschmir im Pakistan verortet werden). „Dus“, ein großbudgetiertes Projekt von Anubhav Sinha, der 2001 mit „Tum Bin – Love will find a way“ ein hochgelobtes Regiedebüt auf dem Gebiet des traditionellen Liebesdramas vorlegte, aber offensichtlich ein Faible für explosivere Stoffe hat (2007 drehte er den Actionthriller „Cash“ und sein aktuelles Projekt „Extreme City“ hört sich jetzt auch nicht nach romantic comedy an), hält sich mit „Schuldzuweisungen“ ins Nachbarland zurück, verliert aber keine Zeit, die Terroristen zeitgemäß zu Moslems zu machen – allerdings, soviel political correctness muss wohl auch hinter dem Hindukusch sein, ohne sie offen religiös zu motivieren. Jambhals Motivation wird in keiner Sekunde thematisiert – es scheint ihm weder um monetären Gewinn zu gehen, auch nicht um eine fundamentalisch-religiöse Sache (denn er pichelt ganz gern was aus seinem Flachmann), politische Ambitionen werden impliziert (seine Organisation hat Vertreter in den höchsten Kreisen, und ersichtlich ohne Ansehen von Rasse oder Religion, das große Attentat hat politische Dimensionen, auch wenn nicht klar wird, ob die gewollt bzw. das primäre Ziel sind, oder als erfreuliche Begleiterscheinung mitgenommen werden)); vielleicht ist er einfach nur ein Knallkopf, dem einer abgeht, wenn möglichst viele Menschen ex gehen. Sowas soll’s ja geben.

Wie üblich für Bollywood-Verhältnisse ist die Story selbst gleichzeitig hochgradig komplex als auch himmelschreiend naiv – das Beziehungsgeflecht der Charaktere ist mal wieder nur mit einer Powerpoint-Präsentation zu durchschauen (wobei nicht hilft, dass Siddanth sowohl seine echte Familie weitgehend komplett in die Antiterror-Einheit eingebracht hat, aber auch Nicht-Blutsverwandte unbefangen als Familienangehörige betrachtet), alle Figuren hängen irgendwie miteinander zusammen, selbst anfänglich unwesentlich erscheinende Nebenfiguren werden irgendwann plötzlich wichtig (mit der Folge, dass man angesichts des entsprechenden Plotpunkts dann grübelt, „eh, Moment, wer IST der Typ eigentlich nochmal?“) – und da indische Namen dem Westeuropäer nicht unbedingt auf Anhieb im Ohr bleiben (und Charakternamen wie Aditya und Aditi nun auch nicht unbedingt dazu anregen, sie sofort auseinanderhalten zu können), empfiehlt es sich regelrecht, ein kleines Diagramm anzufertigen, um ggf. nachschlagen zu können, wer nun warum wieder mit wem liiert/verwandt/verfeindet ist.
Dagegen steht dann wieder die unbefangene Lässigkeit, mit der die Bollywood-Macher elementare Logik über den Haufen werfen, nur um mit ihrer Plotte weiterzukommen – da reicht’s dann, dass zwei doofe Inder, die in Kanada einen anderen Inder entführen, einem (natürlich indischen) kanadischen Cop kurz mal ’ne Predigt halten, dass sie einen grausigen Terroranschlag verhindern wollen, und schon ist der Cop, ohne Credentials, Identifikationen oder auch nur einen handgeschriebenen Empfehlungsbrief von Mutti zu verlangen, mit Feuer und Flamme dabei, schwänzt ein paar Tage Dienst, um den Verdächtigen zu folt-, äh, verhören und wird indischer Antiterror-Kämpe ehrenhalber; da wundert sich die Frau selbigen Cops (in einem der zahlreichen erklärenden Flashbacks), dass ihr Göttergatte in einem Restaurant einen brutalen Raub- samt Mordversuch zu verhindern gedenkt, und – weil hochschwanger und diesem ganzen Stress irgendwie nicht gewachsen – eine Fehlgeburt erleidet, macht ihrem Mann Vorwürfe, er hätte ihr Kind „umgebracht“ (hm, es könnte sinnvollere Wege geben, dem Cop ein Trauma anzuhexen als DASS ER SEINEN VERDAMMTEN JOB ERLEDIGT HAT); da brüllen überführte Politiker im Wissen, dass ihre Telefone angezapft ist, ihre Komplizen fernmündlich an, und, vor allem, da kommt der Chef einer Antiterror-Einheit nicht auf die Idee, bei seinen kanadischen Kollegen, die möglicherweise an der Überführung eines global tätigen Terroristen, der auf ihrer nordamerikanischen Heimatscholle ein Attentat plant, mal um dezente Amtshilfe nachzusuchen, sondern schickt zwei, naja, nicht sonderlich intelligent wirkende „Agenten“ auf Undercover-Tour (wo die erst mal von der falschen Neha in ein mit Bombe präpariertes Auto gesetzt werden, das mit Müh und Not überleben und dann der Bombenlegerin ohne weiteres für zwei Rupien abkaufen, dass das „nur ein Test“ gewesen sei) – ebensowenig wenden sich die Inder, nachdem sie den Attentatsplan endlich entschlüsselt haben und wissen, wann und wo genau die große Bombe hochgehen soll, vielleicht JETZT an die einheimischen Autoritäten, sondern versuchen’s vier Mann hoch selbst zu verhindern.
Großes, schlüssiges Storytelling ist die Sache der Inder also nicht (clevere Dialoge auch nicht, auch wenn die anfänglichen freundschaftlich-fiesen Wortgefechte von Shashank und Aditya recht witzig sind), wenn’s um plausible Thrillerszenarien geht. Dafür allerdings können Bollywood-Verächter sich daran erfreuen, dass die obligatorische Liebesgeschichte soweit in den Hintergrund gedrängt wird, dass sie fast nicht stattfindet (Shashank verknallt sich in die falsche Neha) und „Dus“ sich insgesamt weniger an die typisch indischen Schmachtfetzer als vielmehr an Heroic-Bloodshed-Szenarien (nur ohne halt das ganz große „bloodshedden“) der Hongkong-Schule orientiert – stärker im Mittelpunkt als Liebe, Triebe, Schubiduu stehen Fragen der beruflichen und familiären Loyalitäten, Vater-Sohn-Beziehungen (Siddanth ist für seinen kleinen Bruder der Ersatzvater und Aditya ist auf diese intakte Beziehung mindestens unterschwellig neidisch und wünscht sich an Shashanks Stelle), persönliche Ehre und Opferbereitschaft, alles Themen, wie sie John Woo z.B. schon auslotete.

Kreativ ist das nur innerhalb des Bollywood-Filmkontexts, aber zumindest hängen sich Singha und seine Schreiberlinge an die „richtigen“ Vorbilder – was nicht ohne großflächige SPOILER-Warnung zu diskutieren ist. Die Autoverfolgung mit dem präparierten Bomben-Auto, das nicht stehenbleiben oder langsam werden darf, ist natürlich ein direkter „Speed“-Abkömmling, der Haupt-Twist des Plots ist ein bestenfalls notdürftig getarntes Rip-off von „Die üblichen Verdächtigen“ (Mehndi ist natürlich Jambhal, der mit dem Unfall, der zu seiner Verhaftung geführt hat, den echten Mehndi beseitigt hat, und nun das weinerliche Weichei spielt), inklusive des überhöhenden Flashbacks in die finstere Vergangenheit des Schurken, mit dem zusätzlichen Bonbon, dass Mehndi/Jambhal die indischen Agenten dazu benutzt, für ihn die Drecksarbeit zu erledigen (der vermeintliche Jambhal, den Shashank, Don und Aditya erledigen, ist einer der Verräter aus Jambhals Organisation); der dritte Akt (der dann vom „Usual Suspects“-Szenario weitgehend unabhängig funktioniert) zitiert dann eifrig, je nach persönlicher Präferenz, den nicht zu verachtenden koreanischen Action-Thriller „Shiri“ oder die Clancy-Adaption „Der Anschlag“ (das Bombenattentat soll ein Fußballstadion, in dem ein Freundschaftsspiel zwischen Kanada und Indien stattfindet, in die Luft jagen) – persönlich erinnerte mich das ganze eher an „Shiri“, was aber auch daran liegen kann, dass ich den ganzen Clancy-Kram reichlich verdrängt habe (und wo wir gerade beim SPOILERN sind – die beiden Bomben, die im Showdown zu entsorgen ist, scheinen mir rein von der Explosionswirkung nicht geeignet, um ein ganzes Stadion zu springen, und wieso es besser sein soll, ein Flugzeug mit Bombe an Bord absichtlich in einen See zu crashen als die Bombe einfach da rein zu werfen, erschließt sich mir nicht ganz, aber irgendwie muss man ja auch den notwendigen dramatischen Opfertod rechtfertigen). SPOILERENDE.

Vom Regiestil her orientiert sich Singha ebenfalls eindeutig am internationalen Maßstab – der Streifen ist sehr slick produziert (und erinnerte mich mehr als einmal stilistisch ein wenig an korenianische Actionreißer, was angesichts der „Shiri“-Connection durchaus Sinn ergibt), mit einem gerüttelt Maß moderner „CSI“-Optik. Singha lässt kaum ein Gimmick aus, um seinen Film vom üblichen Bollywood-Einerlei abzuheben – Zeitraffershots, Flashcuts, Splitscreens, Slowmos, Freeze Frames, Aerials, Computerdisplay-Einblendungen, Countdown-Uhren: was in den letzten fünf Jahren mal in einem großen Blockbuster oder einer hippen TV-Serie auftauchte, Singha ruft: „Schaut her, ich kann das auch“. Nur die Handkamera lässt Singha eingepackt, sondern setzt bevorzugt auf sanfte steadicam. Das hat zur Folge, dass „Dus“ doch ab und an mal deutlich überinszeniert wirkt, auch weil sich manches Stilmittel schnell totläuft (so z.B. Singhas Tendenz, besonders dramatische Szenen durch Verkleinerung des Bildausschnitts auf die Augenpartie des entsprechenden Darstellers auszufaden – das wird rasch zum Singhaschen Äquivalent zur Walz’schen Rotblende, so pfiffig es beim ersten und vielleicht auch noch zweiten Mal auch aussieht). Immerhin – Singha distanziert sich nach Leibeskräften vom üblichen, konventionellen Stil der Bollywood-Fließbandprodukte, manchmal *zu* gewollt, aber ein „A for Effort“ verdient er sich allemal. Seine Actionszenen inszeniert er knackig, mitreißend, mit deutlichen Anleihen aus dem HK-Kino, verteilt sie auch recht gut über den Film, allerdings sind sie meistens zu kurz (ein einminütiger Actionausbruch zwischen zwei viertelstündigen Dialog-/Charakterpassagen wäre John Woo nicht passiert), dafür aber vergleichsweise originell (und zumindest einen Stunt bilde ich mir ein, in der Form noch nicht gesehen zu haben – etwas untergraben wurde zumindest bei mir nachträglich seine Wirkung, als ich im Nachspann feststellen musste, dass die Pyrotechnik teilweise aus dem Computer stammt). Die übliche epische Laufzeit von knapp zweieinhalb Stunden ist ein kleines Problem – Singha hat so seine liebe Not damit, über diese Strecke den „sense of urgency“ zu vermitteln, trotz des immer wieder referierten Zeitdrucks scheinen die Charaktere alle Zeit der Welt zu haben, das Prozedere macht selten den Eindruck, wirklich *dringend* zu sein, da könnte man doch deutlicher aufs Gaspedal treten, aber so ganz kann der Regisseur halt nicht verhehlen, dass er Inder ist und meint, den heimischen Konventionen halt auch Familiendrama und Beziehungskonflikte zu schulden, die den Thrillerplot bei aller Liebe aufhalten.

In Sachen Härte gönnt sich Singha die ein oder andere knackige Erschießung, was die FSK-16-Freigabe dann durchaus rechtfertigt; die VFX-Abteilung darf neben der schon erwähnten Pyrotechnik noch einen passablen Effektshot für den finalen Crash beisteuern.

Ganz ohne die ein oder andere liebliche Melodie geht’s natürlich nicht, aber wir begnügen uns mit drei mageren Musiknummern – und nur zwei davon finden im Film proper statt, den Titelsong präsentiert man uns quasi als Vorspann-Musikvideo (er wird als Jingle immer wieder mal kurz angespielt), die dritte Nummer wird in einem Club, in dem unsere indischen Spürhunde ermitteln, live performed und kann daher eigentlich auch nicht gezählt werden, da währenddessen auch Dialoge gemurmelt werden, so dass nur eine einzige traditionelle song-and-dance-Nummer (anlässlich der Verlobungsfeier Anus) übrig bleibt. Die Songs sind nicht schlecht – keine Bollywood-Oberliga, aber wenigstens scheint man in Mumbai mittlerweile davon abgekommen zu sein, prinzipiell jeden Song mit einem dumpfen 90er-Jahre-Eurodisco-Beat zu unterlegen. Die Stücke klingen modern, ohne sich an fünfzehn Jahre alte europäische Tanzbodentrends anzuhängen, sind eher traditionell instrumentiert und percussion-lastig arrangiert. Gut hörbar.

In der Hauptrolle des Siddanth liefert der skandalgeschüttelte Bollywood-Top-Star Sanjay Dutt („Mission Kashmir“, „Kaante“, „Vaastav“) eine gute Performance ab (lediglich im Finale neigt er zu Overacting). Suni Shetty, einer indischen Go-to-Actionstars (zu sehen in „Ich bin immer für dich da“, „Refugee“, „Qayamat: City Under Threat“), ein Kickboxschwarzgurt, der als „indischer Dolph Lundgren“ gilt, ist mir zu hölzern – die Rolle verlangt ihm mehr Charaktermomente (und weniger Action) ab, als es ihm wohl bekommt und den zerrissenen, traumatisierten Bullen kann man ihm nur schwer abkaufen. Abishek Bachnan („Dhoom“, „Dhoom 2“) und Zayed Khan („Ich bin immer für dich da“, „Fight Club: Members Only“) geben ein passables Agenten-Doppel Shashank und Aditya ab – sie verbindet gute Chemistry und auch in den Actionszenen machen sie eine gute Figur. Pankaj Kapur („Gandhi“, „Blood Brothers“) erinnert mich manchmal ein wenig an eine Mischung aus Victor Wong und Donald Pleasence, neigt ein wenig zur Übertreibung, ist aber noch im Rahmen des Verträglichen. Gulshan Grover (als Bin-Laden-Imitat), der auch ab und zu in den USA, u.a. für Nu Image in „Air Panic“, tätig ist, verkörpert das unwirklich-überzeichnete Böse eindrucksvoll.

Die Bollywood-Beauties stehen in der zweiten Reihe – Esha Doel („Dhoom“, „Kaal“) haut mich als falsche Neha nicht vom Hocker, hat aber zumindest einen ziemlich eigenständigen Look. Shilpa Shetty („Dhadkan“, „Phir Milenge“) gibt sich weitgehend zugeknöpft, als Hingucker bleibt Diya Mirza („Fight Club: Members Only“), da auch Raima Sen („Parineeta“) eine „züchtige“ Rolle spielt – leider hab ich nicht mitbekommen, wer den Song im Club performed (der Streifen kreditiert einige „Special Guest Appearances“).

Bildqualität: Mir liegt „Dus“ in einer Double-Feature-DVD mit „Chand Bujh Gaya – Der verloschene Mond“ vor und wenn man satte sechs Stunden Film auf eine DVD-9 klatscht, muss man sich nicht wundern, dass das jetzt nicht sooo prickelnd aussieht. „Dus“ kommt in non-anamorphen 1.85:1-Widescreen. Schärfe und Kontrast sind gurndsätzlich noch einigermaßen okay, die Kompression mittelprächtig, allerdings ruiniert ScreenPower das Seherlebnis durch einen elendiglich flackernden Transfer – das kann sehr ermüdend und anstrengend werden, zweieinhalb Stunden Geflirre und Geflackere vor der Pupille zu haben (zumal der Film an sich ja schon durch seine zahlreichen Kamera- und Schnittgimmicks hektisch genug ist). Ein paar Verschmutzungen und Defekte gibt’s auch, aber wenigstens sieht der Print (vom Flackern abgesehen) aus wie von 1995 und nicht, wie bei vielen anderen Bollywood-Ramschveröffentlichungen, wie von 1955…

Tonqualität: Ausschließlich deutscher Ton in Dolby Digital 2.0. Die Synchronisation geht in Ordnung, der Musikmix ist angemessen, könnte etwas mehr Kick im Bass-Bereich vertragen. Vermisst habe ich die sonst eigentlich doch üblichen Untertitel für die Songs.

Extras: –

Fazit: Wer tatsächlich immer noch meint, Bollywood wäre nur in der Lage, Seifenopernplots auf drei Stunden aufzublasen und mit zehn großen Musicalnummern zu versehen, wird von „Dus“ einmal mehr eines Besseren belehrt. Es gibt mittlerweile einen ganzen Schwung Regisseure und Stars, die wissen, was im Rest der Welt gespielt wird und sich nach Kräften bemühen, diese Einflüsse ins heimische Kino zu tragen – man mag darüber streiten, ob’s nun für die indische Filmproduktiond der Weisheit letzter Schluss ist, die eigene Nische aufzuweichen und Hollywood-, Hongkong- oder koreanische Stil- und Plotelemente zu verwursten, aber dem internationalen Konsumenten, der hauptsächlich gute Filmunterhaltung sehen will, kann das ja egal sein. „Dus“ ist ein ambitionierter Versuch eines groß angelegten Actionthrillers – ein solide zusammengeklauter Plot, eine schon fast überreizt hippe Inszenierung mit allen technischen Schikanen aus dem Trickkistchen des Gimmick-Regisseurs und akzeptables Schauspiel. Jetzt bräuchten die Mumbai-Filmschergen nur noch jemanden, der ihnen vernünftige Action-Drehbücher und bessere Dialoge schreibt, die unerschütterliche Naivität etwas austreibt (immerhin: „Dus“ ist für das Happy-End-selige Indien schon ein ziemlicher Downer) und Bescheid sagt, dass eine fetzige Actionszene auch mal zehn Minuten dauern darf; drei Songs in zweieinhalb Stunden halten auch Musicalverkenner aus, daran wird’s nicht scheitern. „Dhoom“ war insgesamt ’ne Kante fetziger, aber technisch hält „Dus“ den internationalen Vergleich auf jeden Fall aus. Etwas mehr Action, etwas weniger Drama, dann klappt das schon mit indischem Spannungskino.

3/5
(c) 2009 Dr. Acula


mm
Subscribe
Benachrichtige mich zu:
guest
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments