Drácula

 
  • Original-Titel: Drácula
  •  
  • Regie: George Melford
  • Land: USA
  • Jahr: 1931
  • Darsteller:

    Carlos Villarías (Graf Dracula), Lupita Tovar (Eva), Barry Norton (Juan Harker), Pablo Álvarez Rubio (Renfield), Eduardo Arozamena (Van Helsing), José Soriano Viosca (Dr. Seward), Carmen Guerrero (Lucía), Amelia Senisterra (Marta), Manuel Arbó (Martin)


Vorwort

Bis auf Nuancen verläuft die Handlung analog zur englischsprachigen Version mit Bela Lugosi: Renfield reist nach Transsylvanien, um mit dem Grafen einen Immobiliendeal unter Dach und Fach zu bringen. Nach einem seltsamen Abend wird Renfield in dieser Version von Draculas drei Bräuten angegriffen. Auf der Überfahrt nach England (hier ausführlicher) tötet Dracula alle Seeleute. Erneut wird Renfield als Wahnsinniger in Dr. Sewards Sanatorium eingeliefert. Dracula macht Sewards Bekanntschaft und lernt so Eva (Mina) und Lucía (Lucy) kennen. Lucía wird ohne großes Federlesen vom Grafen vampirisiert. Der rätselhaften Todesursache wegen lässt Seward aus der Schweiz den Fachmann Van Helsing anreisen, der sofort die Vampir-Theorie postuliert. Dracula besucht Eva und bringt sie in seinen Bann, wird von Van Helsing aber wieder mit dem Spiegel-Trick enttarnt. Durch seine hypnotischen Fähigkeiten und die Unterstützung von Renfield gelingt es dem Grafen aber immer wieder, in Sewards Haus einzudringen und Eva weiter zu „bearbeiten“. Eva versagt bei der Vampirisierung Juan (John) Harkers und wird von Dracula in die Abtei entführt. Van Helsing und Harker schreiten zur Rettungsaktion…


Inhalt

Zur allgemeinen Entstehungsgeschichte der Universal-„Dracula“-Verfilmung von 1931 bitte ich beim Review zur bekannten US-Version mit Bela nachzuschlagen. Bereits damals war der lateinamerikanische Markt für die Hollywood-Studios sehr wichtig und das Aufkommen des Tonfilms bedeutete in dieser Hinsicht für die Produzenten Schwierigkeiten. Bei Stummfilmen war’s ja denkbar einfach, fremdsprachige Versionen herzustellen, da musste man nur die Texttafeln übersetzen und ins Filmmaterial reinschneiden, aber bei „talkies“ sah die Sache schon anders aus. Weil Synchronfassungen in den Urzeiten des Tonfilms als „Betrug“ galten (schließlich sprechen in einer sychronisierten Fassung nicht die Schauspieler, für derern Darbietungen man Eintrittsgeld bezahlt hat… tja, wie sich die Zeiten dann doch ändern), gab es nur eine Möglichkeit – man musste den gleichen Film mehrmals drehen und, da die wenigsten Schauspieler Ultra-Sprachgenies sind, die im Alleingang den Weltmarkt abdecken können, mit anderer Besetzung und, aus Zeitgründen, anderer Crew. Das machten nicht nur die Amerikaner so, auch die deutsche Filmindustrie wandte dieses Mittel zuweilen an (so wurden vom utopischen Klassiker „Flugplattform FP 1 antwortet nicht“ neben der hierzulande bekannten Hans-Albers-Fassung eine englisch- und eine französischsprachige Version gedreht, die auch inhaltlich einige Abweichungen aufwiesen).

Die Betreuung der spanischsprachigen Versionen oblag bei Universal produzentenseits Paul Kohner, der sich eigentlich Hoffnungen gemacht hatte, die Verantwortung für das komplette Studio übernehmen zu dürfen, von Carl Laemmle aber zugunsten seines Sohnes ausgebootet wurde (zu allem Überfluss wurde Kohner dann, obwohl er „Drácula“ im Alleingang produziert hatte, in den Credits auch noch betrogen. Carl Laemmle jr. schnappte sich, obwohl mit dem Film überhaupt nicht in Verbindung, den Produzenten-Credit und fand Kohner mit dem eines „associate producers“ ab). Viel Geld stand nicht zu Verfügung – während Tod Browning satte 350.000 Dollar verbraten durfte, musste Kohner mit 66.000 Dollar auskommen; wobei fairerweise gesagt werden muss, dass seine Version die Sets der englischsprachigen Fassung nutzen konnte, diesbezüglich also keine Kosten anfielen.

Als Regisseur wurde George Melford, ein routinierter B-Film-Regisseur, der u.a. auch die spanische Version des Univeral-Gruselklassikers „The Cat and the Canary“ inszeniert hatte, angeheuert, der Cast setzte sich aus allerhand erfahrenen Akteuren aus verschiedensten spanischsprachigen Gegenden der Welt zusammen.

Melford, der übrigens kein Spanisch sprach und sich mit seinem Team über einen Dolmetscher verständigte, und seine Crew hatten einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: nicht nur, dass sie nach Drehschluss der Browning-Fassung die Sets benutzen konnten, man hatte auch Zugriff auf die „dailies“, konnte also sichten, was die rivalisierende Crew an diesem Drehtag zustande gebracht hatte, sich inspirieren lassen und vor allem überlegen, wie man „besser“ sein konnte – denn das war von Anfang an der Ehrgeiz des spanischen Teams – besser zu sein als die US-Fassung.

Die Frage, ob dieses Unterfangen gelungen ist, haben Filmhistoriker und -kritiker seit der Wiederentdeckung der spanischsprachigen Fassung mit einem eindeutigen „ja“ beantwortet und auch yours truly, bekanntlich im Besitz der universellen Wahrheit, kommt zu selbigem Schluss. Insgesamt, Fazit vorweggenommen, ist der spanische „Drácula“ ein wesentlich gelungenerer Film als „Dracula“.

Da die Story sich bis auf vernachlässigenswerte Details identisch zur englischen Version abspielt, brauche ich dazu nicht großartig auszuführen. Die grundsätzlichen Probleme des Scripts plagen auch den spanischen Film – er ist als Theateradaption recht geschwätzig, filmisch ungünstig strukturiert und leidet daran, dass Schlüsselszenen aus Budget- oder Zensurgründen nur von den Darstellern erzählt und nicht in bewegten Bildern gezeigt werden können. Aber halten wir uns nicht mit dem auf, was die „Spanier“ genauso machen wie die „Amerikaner“, sondern kümmern uns um die Unterschiede.

Der frappierendste Unterschied zwischen den Filmen ist natürlich die Laufzeit – während die englische Fassung gerade mal auf 72 Minuten Laufzeit kommt, erreicht die spanische Version erst nach 100 Minuten die Ziellinie, was den Film zum längsten Universal-Monsterfilm macht. Fast eine halbe Stunde ist schon eine Menge Holz, da fragt man sich natürlich, wo diese Differenz herkommt. Es liegt jedenfalls nicht daran, dass die Spanier langsamer sprechen als die Amis… Es ist vielmehr Indiz dafür, dass die spanische Crew ihre Version sorgfältiger inszenierte und näher am Shooting Script blieb als es die US-Fassung tat (die auch noch nachträglich vielfältig beschnitten wurde). Das beginnt schon im Prolog in Transsylvanien, in dem die Rollen von Renfields Mitreisenden um einige Dialogzeilen erweitert werden und setzt sich in diesem Sinne fort – viele Dialogszenen, gerade solche, die in der US-Fassung etwas abgehackt wirken, sind hier vollständig und damit runder. So ist zum Beispiel das erste Gespräch von Seward, Van Helsing und Renfield im Sanatorium * wesentlich * ausführlicher. Juan (John) und Eva (Mina) haben eine zusätzliche Charakterszene, die ihre Beziehung vertieft und weniger oberflächlich erscheinen lässt als in der englischen Version. Auch das Duell des Willens zwischen Van Helsing und Dracula ist deutlich länger und (mit Abstrichen, auf die ich in der Schauspielerkritik noch eingehen werde) intensiver.

Ironischerweise gelingt der spanischen Fassung dadurch etwas, was ihr von Rechts wegen nicht gelingen sollte. Durch die Verlängerung der Dialogszenen wird der Stoff, den ich schon in der wesentlich kürzeren englischen Version als „langweilig“ klassifizierte, nun, nicht gerade zum Spannungskino, aber wesentlich flüssiger und angenehmer konsumierbar.

Wie schon gesagt halten sich die inhaltlichen Unterschiede in Grenzen, einige wenige möchte ich aber dennoch ausführen, weil sie doch etwas über die Intentionen der jeweiligen Macher aussagen. Schon oben in der Inhaltsangabe erwähnte ich, dass in der spanischen Fassung nicht Dracula Renfield beißt, sondern des Grafen Vampirbräute, womit diese Version den leichten Anflug von Homoerotik entbehrt (in den erzkatholischen spanischsprachigen Gebieten wäre das auch sicher nicht sehr gut angekommen). Die Überfahrt nach England wird wesentlich ausführlicher geschildert – während die englische Version diese Sequenz nur aus einigen Stock-Footage-Schnipseln aus Stummfilmzeiten zusammenpfriemelte, geht die spanische Fassung ins Detail und macht völlig auch bildlich klar, dass Dracula für den Tod der Mannschaft verantwortlich ist. Interessant ist, dass Dracula in der spanischen Fassung nicht auf die Blumenverkäuferin, die er im englischsprachigen Film als kleinen Appetithappen aussaugt, trifft. Dafür scheut sich der spanische Film, im Gegensatz zur Lugosi-Fassung, nicht, die Bissmale der Vampiropfer zu zeigen. Der letzte gravierende Unterschied betrifft Renfields Tod, der in der spanischen Fassung etwas spektakulärer ist. Die spanische Fassung beinhaltet übrigens auch ein paar Schnipsel aus dem Lon- Chaney-Film „Phantom of the Opera“.

Die eigentliche Überraschung besteht darin, dass es George Melford und seinem Kameramann George Robinson (der von 1936 an etliche der „wichtigeren“ Universal-Horrorfilme, namentlich z.B. „The Invisible Ray“, „Son of Frankenstein“, „Frankenstein meets the Wolf Man“, und im Herbst seiner Karriere einige der Abbott & Costello-Komödien fotografierte) gelingt, auch * künstlerisch * das wesentlich renommiertere Duo Tod Browning/Karl Freund klar auszustechen. Robinsons an Freund orientierte tracking shots sind zwar ein wenig holpriger als die des großen deutschen Kamerakünstlers, aber insgesamt betrachtet macht die spanische Version einen wesentlich einheitlicheren, stimmigeren Eindruck als die oft seltsam uninspiriert hingerotzt wirkende englische. In den von Haus aus statischeren Dialogszenen ist die Kamera beweglicher, die Einstellungen selbst sind größtenteils glücklicher gewählt. Es mangelt der spanischen Version nur an den hochmemorablen Shots (wie bei der Entdeckung von Renfield im Schiff) – man kann vielleicht sagen, dass Freunds Bilder, wenn sie wirklich *GUT* sind, besser sind als die von Robinson, aber dafür eben das durchschnittliche bis schwache Material aus Freunds Hand wesentlich unerfreulicher ist als die immer ansehnlichen Bilder von Robinson – der im US-Dracula so augenfällige Kontrast von hochklassiger Freund-Kameraoptik und einfallslosem Stummfilm-Gekurbel, der dafür sorgt, dass der Film so zerrissen wirkt, fehlt hier erfreulicherweise. Der Film wirkt eben auch optisch runder und, dank des auch besser gesetzten Schnitts, moderner. Melford schreckt auch nicht davor zurück, parallel stattfindende Ereignisse parallel zu erzählen – es gibt beispielsweise eine Sequenz, in der sich gleichzeitig Seward und Van Helsing über das weitere Vorgehen unterhalten und Eva/Mina versucht, Juan/John zu beißen. Während Browning beide Ereignisse streng voneinander getrennt nacheinander schildert, schneidet Melford zwischen den Schauplätzen hin und her, was den langen Dialogszenen natürlich mehr Dynamik beschert.

Des weiteren hat der spanische Dracula seinem anglisierten Kollegen einige nette Details voraus, z.B. dass der Vampir sein Opfer während der Attacke mit seinem Cape bedeckt. Auch besser gelöst als Browning und Freund haben Melford und Robinson den Effekt des aus seinem Sarg steigenden Vampirs. Während bei Browning sich der Sargdeckel langsam hebt, die Kamera wegschwenkt, dann zurück auf den Sarg hält und nun der Vampir in voller Größe danebensteht, wagt Melford mehr: er lässt die Kamera auf dem Sarg ruhen, Nebelschwaden aus ihm hervorsteigen und aus diesen schält sich die Gestalt des Vampirs. Deutlich eindrucksvoller.

Stichwort „eindrucksvoll“, an dieser Stelle kann man auch anmerken, dass die Kostüme der Damenwelt deutlich offenherziger sind als die züchtig-hochgeschlossenen Kleider der englischsprachigen Version (nur die Hochwasserhosen, die Barry Norton über weite Strecken tragen muss, lösen aus heutiger Sicht Heiterkeitsanfälle aus…).

Dem Team der spanischen Fassung standen übrigens auch Outtakes aus der englische Version zur Verfügung. Man darf sich also nicht wundern, dass z.B. die drei Vampirbräute in der ersten Einstellung, in der sie aus ihren Särgen steigen, und die komplett aus dem englischen Film entlehnt ist, blond sind, in der Szene, in der sie Renfield anfallen, sich aber zwei dunkelhaarige Grazien dazwischengeschummelt haben. Ebenso ist in vielen Totalen, in denen Dracula aus einiger Entfernung zu sehen ist, nicht der hiesige Darsteller Carlos Villarías vor der Linse, sondern Lugosi…

Wo wir schon mal soweit sind, können wir uns gleich den Schauspielern widmen. Carlos Villarías, und das ist das größte Manko dieses Films, trotz aller oberflächlich-äußerlichen Ähnlichkeit, kein Bela Lugosi. Und daher eine Warnung an diejenigen, die Belas gestikulierendes Gehabe als zu theatralisch ablehnen – haltet Euch von DIESEM Dracula fern. Gegen Villarías ist Lugosi ein bewegungsloses Stoneface. Villarías gestikuliert nicht, er, man muss es so deutlich sagen, chargiert und grimassiert. Das entbehrt keinesfalls einer ordentlichen Portion unfreiwilliger Komik (sein Gesichtsausdruck in der Spiegelszene, durch anliegendes Bildmaterial dokumentiert, ist sein Gewicht in Katzengold wert), nimmt seinem Dracula aber bei Lugosi spürbare Gefühl, dass sich hinter dem charmanten Äußeren Abgründe des Bösen auftun. Wenn man konstatieren muss, dass selbst Oberblödler Leslie Nielsen einen „seriöseren“ Dracula gegeben hat als Villarías, sollte das Alarmsignal genug sein.

Die weiteren Darsteller sind grundsätzlich, wohl dem Latino-Temperament geschuldet, deutlich lebhafter als ihre Kollegen aus dem englischsprachigen Film. Lupita Tovar, ein mexikanisches Starlet, das auch schon in der spanischen Version von „The Cat and the Canary“ gespielt hatte, im englischsprachigen Hollywood-Film aber nie über Klischee-Westernnebenrollen hinauskam und später Paul Kohner heiratete, agiert als Eva wesentlich temperamentvoller als Helen Chandler im englischen Film. Sie gibt dem Charakter eindeutig mehr Feuer. Der Argentinier Barry Norton ist als Juan Harker zwar ähnlich überflüssig wie David Manners im Parallelfilm, macht aber einen sympathischeren Eindruck. Eduardo Arozamena legt seinen Van Helsing einerseits ein Stück agressiver, andererseits aber auch weniger selbstsicher an als Edward van Sloan (vgl. die Szene, in der Dracula ihn zu hypnotisieren gedenkt. Während van Sloan diese Mentalattacke eher mühelos abschüttelt, muss Arozamena deutlich „kämpfen“). Pablo Álvarez Rubios Renfield muss sich hinter Dwight Fryes Performance kaum verstecken.

Bildqualität: Um eine vollständige Fassung der spanischen Version auf DVD zu bannen, musste Universal einige Klimmzüge machen und fehlende Szenen aus einer arg ramponierten, überraschend gefundenen (Nitrat-, wenn ich mich recht erinnere) Kopie ergänzen. Der Großteil des Films liegt qualitativ durchaus auf dem Level der englischsprachigen Version, die ca. 15 eingefügten Minuten (etwa von der Überfahrt nach England aus gerechnet) sind mit „katastrophal“ wohlwollend umschrieben, aber damit muss man leben… lieber eine vollständige Fassung als eine technisch einwandfreie, aber gekürzte. Allein aufgrund der filmhistorischen Bedeutung dieses Streifens sollte man also die teilweise unzulängliche Präsentation nicht zu hoch hängen.

Tonqualität: Universal versorgt uns mit gut verständlichem (so man die Sprache beherrscht) und rauscharmen spanischem Mono-Ton und der üblichen Bandbreite an Untertiteln.

Extras: Als Bonusmaterial spendiert man uns eine gut fünfminütige Video-Einführung, in der Lupita Tovar-Kohner sich (wohl 1999, anlässlich der Herstellung der Dokumentation „The Road to Dracula“) an die Dreharbeiten erinnert. Nett.

Fazit: Sollen die Filmhistoriker doch auch mal Recht haben – „Drácula“ a la Espana ist seinem englischsprachigen Zeitgenossen deutlich überlegen. Der Film wirkt in sich stimmiger, ist flüssiger erzählt und optisch einheitlicher und, bis auf die Ausnahmen Freund’schen Genies im Lugosi-Film, einfallsreicher. Sein einziges wirkliches Manko ist die Besetzung der Titelrolle – Villarías regt zwar gelegentlich die Lachmuskeln an, hat aber eben einfach nicht die latent düstere Ausstrahlung eines Lugosi. Als Fan des großen Bela bleibt nichts anderes, als traurig davon zu träumen, wie es gewesen wäre, hätte Lugosi eine Crew gehabt, die mit ähnliche Sorgfalt wie die des spanischen Films vorgegangen wäre. Vielleicht wäre das eine Herausforderung für Digitaltüftler – hievt Lugosi computertechnisch aus dem englischsprachigen in den spanischen Film: das wäre dann der definitive 31er-Dracula…

3,5/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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