Dracula’s Daughter

 
  • Original-Titel: Dracula's Daughter
  •  
  • Regie: Lambert Hillyer
  • Land: USA
  • Jahr: 1936
  • Darsteller:

    Otto Kruger (Dr. Jeffrey Garth), Gloria Holden (Gräfin Marya Zaleska), Marguerite Churchill (Janet Blake), Edward van Sloan (Prof. Van Helsing), Gilbert Emery (Sir Basil Humphrey), Irving Pichel (Sandor), Halliwell Hobbes (Const. Sgt. Hawkins), Billy Bevan (Const. Albert), Nan Grey (Lili)


Vorwort

Unmittelbar nach den Ereignissen aus „Dracula“: Zwei Bobbys erkunden die finsteren Gemäuer von Carfax Abbey und finden dort erstens die Leichen von Renfield und Graf Dracula und zweitens einen sehr mit sich zufriedenen Professor Van Helsing, der auch freimütig gesteht, dem Grafen höchstpersönlich den Pflock durchs Herz getrieben zu haben. Zu seiner Überraschung schenkt man seinen Ausführungen, beim Grafen habe es sich um einen untoten Vampir gehandelt, keinen gesteigerten Glauben, nimmt ihn fest und stellt ihn unter Anklage. Der einzige, der ihn erfolgreich verteidigen könnte, meint Van Helsing, wäre sein Ex-Schüler Jeffrey Garth, zwar kein Anwalt, sondern Psychiater, aber immerhin (ich frage mich zwar, warum Van Helsing nicht auf Dr. Seward oder John Harker verweist, die seine Sicht der Dinge ja bestätigen würden, aber wir müssen ja irgendwie ’ne Geschichte bekommen). Während Garth widerstrebend den Fall annimmt, ereignet sich anderswo merkwürdiges – eine mysteriöse Dame in Schwarz stiehlt Draculas Leiche aus dem Gefängnis und verbrennt sie in einem okkulten Ritual. Die mysteriöse Lady ist Gräfin Marya Zaleska, „Draculas Tochter“, und zunächst mal recht erleichtert über das endgültige Ableben Draculas, hofft sie doch, durch den Exitus ihres Vampirvaters ihrerseits vom Fluch des Blutsaugerdaseins erlöst zu werden, auch wenn ihr transsylvanisches Diener-Faktotum Sandor nicht recht glauben mag, dass das so funktioniert. Sandor hat Recht und so stapeln sich in Londons Leichenhallen bald wieder ausgesaugte Leichen… Die High Society der Tommy-Metropole ist zum Glück ein Dorf und so lernen sich Garth und die Gräfin bei einer abendlichen Soirée kennen. Garths Bemerkung, wonach er hoffe, Van Helsing von seiner „Obsession“, überall Vampire zu wittern, heilen zu können, missversteht Gräfin Zaleska und meint, Garth könne ihr helfen, sich von ihrem Drang zum Blutsaugen befreien zu lassen. Unter dem Vorwand einer unspezifizierten Zwangsvorstellung verschafft sie sich ein Gespräch mit Garth, in dessen Rahmen er ihr – eher unglückseligerweise – empfiehlt, ihrer vermeintlichen Klatsche nicht davonzulaufen, sondern sich ihr zu „stellen“ und sie zu bekämpfen. Aufgrund dieses fachkundigen Rats lässt sich die Gräfin von Sandor ein junges Straßenmädchen zuführen – der vampirische Trieb ist stärker als der Gräfin Willenskraft. Während das arme Opfer Lili halbausgesaugt und unter hypnotischem Bann unter Garths Fuchtel landet, sieht die Gräfin ein, dass sie ihre untote Existenz nicht wird beenden können und lanciert Plan B: Wenn schon Unsterblichkeit, dann mit Jeffrey Garth! Da der aber nicht so ohne weiteres freiwillig dem Vampirclub beitreten wird, entführt die Gräfin als Druckmittel Garths attraktive Sekretärin Janet und flüchtet mit Sandor und Geisel per Flugzeug nach Transsylvanien…


Inhalt

Wieder einmal stellte Universal nicht gerade Geschwindigkeitsrekorde auf, als es um die unvermeidliche Fortsetzung zu „Dracula“ ging. Nachdem man zum Glück davon absah, Tod Browning erneut zu verpflichten und aus unerfindlichen Gründen (Script-Logik dürfte ja keine gesteigerte Rolle gespielt haben) Bela Lugosi nicht gefragt wurde (oder nicht zur Verfügung stand), entwickelte sich das Thema zum Konzept „unmittelbarer Anschluss an den ersten Film, aber mit größtenteils völlig neuen Charakteren“ (Van Helsing ist die einzige Figur, die in beiden Filmen auftaucht und wird, ungeahnte Continuity, sogar vom gleichen Akteur verkörpert). Nachdem auch James „Frankenstein“ Whale die Realisierung des Films angetragen wurde, der aber ein Script ablieferte, dass dem Vernehmen nach aus mehreren Gesichtspunkten „outrageous“ und daher unverfilmbar war, landete das Projekt nach zahllosen Scriptfassungen (u.a. lieferten John L. Balderston und Kurt Neumann Treatments ab) in der Endscriptfassung von Garrett Fort („Dracula“, „Frankenstein“) in den Händen des routinierten Regisseurs Lambert Hillyer, der unmittelbar zuvor das hochklassige Lugosi/Karloff-SF-Pairing „The Invisible Ray“ inszeniert hatte.

Die Geschichte, „vorgeschlagen“ von keinem geringeren als dem legendären 30er-Jahre-Filmtycoon David O. Selznick („Vom Winde verweht), und lose basierend einerseits auf einer von Bram Stoker ursprünglich als Kapitel seines „Dracula“-Romans, dann aber als eigenständiges Werk veröffentlichten Geschichtge („Dracula’s Guest“), andererseits, meinen einige Filmhistoriker, zumindest „angeregt“ von Sheridan LeFanus oft-verfilmtem Lesbenvampirroman „Carmilla“ (sollte man aber nicht überbewerten), führt einen neuen Aspekt in die Vampir-Mythologie ein – den tragischen, sich der Hoffnunglosigkeit seiner Existenz bewussten, mit seinem „Leben“ unglücklichen Vampir. Marya Zaleska sucht, bis ihr die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens klar wird, bewusst nach einem Ausweg aus ihrem Untoten- Dasein, hofft zunächst, durch Draculas Ende aus dessen „Bann“ befreit zu sein und bemüht sich dann, als erkennbar wird, dass der Tod des Vampirs ihr diesbezüglich nichts nützt, den Vampirismus als eine „Geisteskrankheit“ zu heilen. Der Gedanke, dass dem Vampir seine unsterbliche Existenz keinen Spaß macht, der Wunsch nach Erlösung ist neu (wenn man nicht Draculas Zeile: „To die… to REALLY die… must be glorious!“ aus dem Vorgängerfilm dahingehend interpretieren mag), und verleiht dem Vampir an sich eine melodramatisch-tragische Note, die viele nachfolgende Vampirfilme und -Romane aufgriffen und ausbauten. Dieses beinahe schon philosophische Moment ist für einen mit sicher überschaubarem Budget und seitens der Produzenten unambitionierten B-Film überraschend und auch überraschend gut umgesetzt.

Der Film spielt sich als eine Art Mischung aus psychologischem Drama, soweit es die Seelennöte der Vampirin angeht, und Kriminalstück (Garth versucht herauszufinden, was eigentlich los ist; es gibt eine relativ starke Polizeipräsenz im Film) und funktioniert als solche ganz gut, auch wenn einiger mesmeristischer Mumpitz (Hypnose in jeder Form ist ein entscheidener Plotpunkt des Films) dem damaligen Zeitgeist geschuldet ist und heutzutage ein wenig übertrieben wirkt. Dafür gefällt die stilvolle Modernisierung des Themas an sich – „Dracula“ war trotz des Settings in der relativen Gegenwart deutlich dem Geist des 19. Jahrhunderts verhaftet (ohne dabei daraus eine Kunst zu machen wie Whales „Paralleluniversum“ der Frankenstein-Filme), „Draculas Tochter“ macht keinen Hehl daraus, dass der Universal-Horror – inhaltlich und stilistisch – im 20. Jahrhundert angekommen ist (und in der Tat fragt man sich z.B., warum Graf Dracula nicht auch auf die Idee gekommen ist, ein Flugzeug zu chartern, anstatt die langwierige und riskante Reise auf einem Segelschiff anzutreten).

Die Charakterisierungen gefallen – die tragische Figur der Gräfin hab ich bereits angesprochen, das ist deutlich tiefgründiger als Dracula selbst. Garth ist durchaus überzeugend ein Skeptiker, der sich erst durch handfeste Beweise überzeugen lässt. Seine Assistentin Janet Blake ist nicht nur dafür da, sich zum dramaturgisch richtigen Zeitpunkt kidnappen zu lassen, sondern sorgt schon zuvor durch einige hervorragende Dialoggefechte mit Garth und auch der Gräfin für Funkenflug. Lediglich Van Helsing wirkt etwas in den Hintergrund gedrängt und nicht immer glaubwürdig. Auf den obligatorischen comic relief durch die zwei Police Constables hätte ich verzichten können, aber er ist vergleichsweise gut goutierbar.

Um noch kurz auf den vermeintlichen „lesbischen“ Inhalt einzugehen – den muss man schon in die eine Szene hineininterpretieren, in der die Gräfin sich dem Straßenmädchen Lili zuwendet. Die Gräfin hält sich nicht, wie irrtümlich gelegentlich behauptet wird, ausschließlich an weibliche Opfer, sondern scheint vielmehr primär Männer auszusaugen. Interessant ist auch, dass die Gräfin ein Kruzifix nicht nur berühren, sondern auch – folgenlos – benutzen kann, um das Ritual mit Draculas Leiche durchzuführen, solange sie es nicht direkt ansieht.

Von der handwerklich-technischen Seite bleibt festzuhalten, dass Lambert Hillyer einer der Regisseure ist, der die Transition vom Stummfilm zum „talkie“ reibungslos vollzogen hat. Wie schon der sträflich unbekannte „The Invisible Ray“ ist „Dracula’s Daughter“ ein erstaunlich moderner, schon fast stylischer Film, der nichts von der oft holprigen Inszenierung eines typischen 30er-Jahre-B-Films hat, sondern, wenn man’s nicht besser wüsste, gut und gern auch auf die späten 50er oder frühen 60er datiert werden könnte. Die Kamera ist bewegungsfreudig, die Einstellungen selbst modernen Sehgewohnheiten entsprechend, ohne Anbiederungen an den Expressionismus – es ist im positiven Sinn ein sehr glatter Film, dem es vielleicht an spektakulär-revolutionären Kameragimmicks Marke Karl Freund oder dem avantgardistischen künstlerischen Konzept eines James Whale mangeln mag, der aber durch seine sehr flüssige Inszenierung ausgesprochen kurzweilig geraten ist und auch einem Publikum, das mit dem 30er- Jahre-Horrorkintopp eher weniger anfangen kann, vorgeführt werden kann, ohne dass man als Vorführer Prügel oder eine eingeschlafene Audience riskiert. Die Kameraführung besorgte übrigens George Robinson, den wir zuletzt als Fotografen der spanischsprachigen (und, wir erinnern uns, visuell insgesamt wesentlich gelungeneren) „Drácula“-Fassung kennengelernt haben.

Ganz leicht negativ fällt nur auf (und das aber auch nur, wenn man „Dracula“ unmittelbar zuvor gesehen hat), dass die Obduktions-Szene (ein männliches Opfer der Gräfin wird seziert) sowohl teilweise bildlich (die Totale auf den Obduktionssaal) als auch dialogtechnisch (der gesamte Dialog während Lucys Obduktion wird wortwörtlich hier wiederholt, nur mit den geschlechtsbedingten Änderungen) aus „Dracula“ entlehnt ist. „Zitiert“ wird der Vorgänger dann nochmals im Finale in Transsylvanien, wo wir quasi ein kurzes Replay der Prologsequenz aus „Dracula“ dargeboten bekommen.

Der Streifen kommt ohne große fotografische Effekte aus (auch wenn Universal-Haus-und-Hof- Effekt-Magier John P. Fulton für einige Tricks kreditiert wird) – die Gräfin verwandelt sich nicht in eine Fledermaus o.ä. und wirklich horribles gibt’s natürlich nicht zu sehen, die Grundstimmung ist weniger „creepy“ denn „dramatisch“ bzw. „suspenseful“.

Zu den Darstellern: die Vampirin wird von Gloria Holden exzellent verkörpert. Die Schauspielerin, die hier ihre erste Hauptrolle spielt, erweist sich als treffliche Besetzung. Zum Drehzeitpunkt 28 Jahre jung wirkt sie (vermutlich durch dezentes Make-up von Jack Pierce), hm, „älter“ ist vermutlich uncharmant und trifft nicht ganz das, was ich sagen möchte… einigen wir uns einfach auf „vampirisch“ – ihre Ausstrahlung ist düster, leicht morbide, dennoch attraktiv, man kauft ihr den Schmerz einer unsterblichen Existenz ab.

Der Südafrikaner Otto Kruger (seines Zeichens ein Neffe des südafrikanischen Präsidenten Paul Kruger, nach dem der Krugerrand benannt ist) spielte in den 30er und 40er Jahren oft den Schurken (gerne mal einen Deutschen in WK2-Kriegsfilmen) und gibt hier eine seiner selteneren Heldenvorstellungen. Kruger macht seine Sach recht gut, ist mir insgesamt allerdings etwas zu farblos – warum die Gräfin, die ja sichtlich die freie Auswahl hat, sich ausgerechnet auf den eher drögen Garth als Begleiter für’s Untotendasein kapriziert, macht er mir irgendwie nicht ausreichend deutlich. 1952 spielte er übrigens eine Nebenrolle im Edelwestern „High Noon“.

Marguerite Churchill erlebte zwischen 1930 und 1936 eine kurze, aber hektische Karriere als „leading lady“ und war als solche 1931 auch in einem Charlie-Chan-Film am Start. Ihre Rolle als „damsel in distress“ Janet Blake absolviert sie sehr lebhaft; ihre Wortgefechte mit Kruger sind die komödiantischen Highlights des Films.

Edward van Sloan, der seine Rolle als Van Helsing wieder aufgreift, bleibt nicht viel mehr als eine Nebenrolle ohne großen Erinnerungswert. Eine finstere Screenpräsenz als der Gräfin schurkischer Sidekick Sandor bietet aber Irving Pichel, der als Regisseur von Genreklassikern wie „The Most Dangerous Game“ (dt. „Graf Zaroff – Genie des Bösen“) oder „Destination Moon“ wesentlich bekannter sein dürfte als als Schauspieler.

Für den schüchternen Hauch jugendlicher Erotik sorgt die siebzehnjährige Nan Gray als Vampir-Opfer Lili. Sie war später in „Tower of London“ und „The Invisible Man Returns“ zu sehen. Manch einer will ihr und Gloria Holden so etwas wie die Geburt der lesbischen Liebesszene im Mainstream-Film zubilligen (was natürlich übertrieben ist, aber für 1936 dürfte die Biss-Szene tatsächlich sehr gewagt gewesen sein – zu sehen ist natürlich nichts wirklich „anstößiges“, es wird artig weggeblendet…).

Bildqualität: Wieder mal alle Achtung an Universal, der Print, den das Studio hier ausgegraben hat, ist wirklich vom feinsten – ein edler, fast völlig verschmutzungsfreier, kristallklarer Vollbildtransfer, der höheren Ansprüchen genügt. Sehr gute Schärfe, ausgezeichneter Kontrast, klaglos arbeitende Kompression. Schick.

Tonqualität: Ausnahmsweise, weil ich den Film nicht allein gekuckt habe, entschied ich mich mal für die deutsche Sprachversion – die ist (Dolby Mono 2.0 wie die ebenfalls mitgelieferten französischen und englischen Tonspuren) ausgezeichnet gelungen, rauschfrei, sehr gute Sprachqualität und -verständlichkeit. Daumen hoch!

Extras: „Draculas Tochter“ teilt sich in der Legacy-Box die Silberscheibe mit der spanischen „Drácula“-Version. Als filmspezifisches Bonusmaterial gibt’s nur den recht ramponierten Kinotrailer.

Fazit: Surprise, surprise – „Draculas Tochter“ ist ein verblüffend ansehnlicher Nachzieher zum gestelzt-altmodischen „Dracula“. Lambert Hillyers Film gewinnt nicht nur dem Charakter des Vampirs bzw. der Vampirin, erstmals als in sich selbst tragische Figur und lesbischer Tendenzen, neue Facetten ab, sondern entstaubt den Universal-Horrorfilm insgesamt – anstelle gothischer Schauerfantasien, abgefilmter Theaterstücke oder beinahe avantgardistisch-expressionistischer Filmkunst wie in Whales Frankenstein-Verfilmungen setzt Hillyer auf eine zeitgemäße, moderne Gestaltung. Man kann sicherlich trefflich streiten und vermutlich letztlich auf den gemeinsamen Nenner kommen, dass „Frankenstein“ und „Bride of Frankenstein“ beispielsweise wesentlich wichtigere Filme im filmhistorischen Sinne sind und auch „besser“ aus der Sicht des neutralen Beobachters, weil vielschichtiger, nichtsdestotrotz ist „Draculas Tochter“ mehr als nur solides Entertainment. Gelungener Kintopp, von Universal hervorragend präsentiert.

3,5/5
(c) 2006 Dr. Acula


mm
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