- Deutscher Titel: Dracula
- Original-Titel: Dracula
- Regie: Tod Browning
- Land: USA
- Jahr: 1931
- Darsteller:
Bela Lugosi (Dracula), Helen Chandler (Mina Seward), David Manners (John Harker), Dwight Frye (Renfield), Edward van Sloan (Prof. Van Helsing), Herbert Bunston (Dr. Seward), Frances Dade (Lucy Weston), Charles K. Gerrard (Martin)
Vorwort
Der britische Immobilienmakler Renfield macht sich auf ins ferne Transsylvanien, um dem dort ansässigen Grafen Dracula ein Anwesen in England anzudienen. Dass die lokale Einwohnerschaft bei der Erwähnung seines Reiseziels praktisch kollektiv in Ohnmacht fällt, tut Renfield als simplen Aberglauben ab. Der Graf entpuppt sich als nicht uncharmanter Gebieter über ein heruntergekommenes Schloss und hat’s mit Vertragsunterzeichnung und Abreise recht eilig, außerdem interessiert er sich verdächtig stark für Renfields blutenden Papercut-Finger. Ist auch kein Wunder, denn wie heutzutage jedermann weiß, ist Dracula ein untoter Vampir. Es bereitet ihm keine große Mühe, den willensschwachen Renfield unter seine mentale Fuchtel zu bekommen – als Belohnung für seine Dienste darf Renfield sich künftig am Blut von Insekten und anderen Kleintieren laben…
Einige Zeit später wird an der englischen Küste ein Schoner angetrieben – die gesamte Besatzung ist tot, bis auf einen offensichtlich Wahnsinnigen, der in Dr. Sewards Sanatorium eingeliefert wird: Renfield! Dracula, selbstredend ursächlich verantwortlich für das Totenschiff, braucht sein Helferlein aber und sucht daher Dr. Seward auf (der günstigerweise für zukünftige Plotentwicklungen nicht nur eben das Sanatorium betreibt, sondern auch Draculas Nachbar ist). Für Dracula verbindet sich hierbei das Nützliche mit dem Angenehmen, denn Sewards Tochter Mina und deren beste Freundin Lucy machen den Grafen, pardon the pun, ziemlich spitz. Lucy ist schnell gebissen, unter die Erde gebracht und vampirisiert, bei Mina lässt sich der Blutsauger, ganz Geniesser, mehr Zeit. Zeit genug jedenfalls, um Seward Professor Van Helsing hinzuziehen zu lassen, dem schon Lucys Ableben iberisch vorkam. Van Helsing weiß Bescheid: hier ist ein Vampir am Werke. Speziell Minas Verlobter John Harker hält das zwar für ziemlichen Blödsinn, muss sich aber bald eines besseren belehren lassen. Da es Dracula dank seiner praktischen Fähigkeit, Hausmädchen und ähnliche Dienstbotinnen mühelos hypnosaften zu können, immer wieder gelingt, Van Helsings Schutzwälle aus Eisenhut (Knoblauch und Ilja-Rogoff-Pillen sind hier eher unnütz) zu überwinden und Mina immer stärker in seinen Bann zieht, muss auch Harker letztlich einsehen, dass der einzige Weg, Minas Leben zu retten, darin besteht, das Versteck des Grafen zu suchen und ihm dort einen Pfahl durchs Herz zu treriben…
Inhalt
Eigentlich hätte ich meine Abhandlung über die Universal Monster Legacy mit diesem Film beginnen müssen anstatt mit „Frankenstein“, schließlich ist „Dracula“ der erste der großen klassischen Universal- Horrorfilme. Das Studio hatte zwar bereits eine langjährige Stummfilm-Horror-Tradition, aber „Dracula“ zementierte zusammen mit dem später im gleichen Jahr entstandenen „Frankenstein“ den Ruf des Studios als DEM Top- Lieferanten, wenn’s um stilvollen s/w-Grusel geht…
Universal hatte bereits geraume Zeit ein Auge auf den Stoff geworfen. Der Briefroman von Bram Stoker feierte in einer Bühnenfassung (etwas, was der Autor selbst gerne gesehen hätte, ihm aber zu Lebzeiten nicht vergönnt war) Erfolge in England und Amerika, wo in der Broadway-Fassung ein unbekannter ungarischer Auswanderer namens Bela Lugosi Triumphe in der Titelrolle feierte. Universal-Boss Carl Laemmle, der zwar selbst Horrorfilme nicht sonderlich mochte, sich aber nicht zuletzt durch die Gruselstreifen mit dem „Mann mit den tausend Gesichtern“, Lon Chaney (sen.) in Stummfilmzeiten eine goldene Nase verdient hatte, nahm den Stoff nach harten Verhandlungen speziell mit Bram Stokers Witwe (die war nach F.W. Murnaus unfreier Adaption „Nosferatu“ vorgewarnt und hatte deutlich gemacht, in der Hinsicht nicht gerade eine angenehme Kirschmitvertilgerin zu sein) unter Option, auch wenn kaum jemand in Hollywood glaubte, die heikle Thematik an den Zensoren vorbeibringen zu können. Zu Lugosis Bestürzung, schließlich hatte er sich persönlich in die Verhandlungen zwischen Universal und Mrs. Stoker eingeschaltet, um die Autorenwitwe zu einem Preisnachlass zu überreden, trug Laemmle die Rolle aber umgehend Lon Chaney an, der unter der Regie von Tod Browning, der schon die memorabelsten Chaney-Vehikel inszeniert hatte, den Grafen spielen sollte. 1930 erlag Chaney unerwartet einem Krebsleiden, der Wettlauf um die Rolle war neu eröffnet. Universal ignorierte Lugosi, der die Rolle unbedingt spielen wollte, beharrlich, handelte sich aber von anderen Darstellern jede Menge Körbe ein, ehe die Produzenten doch noch auf den offensichtlichen Gedanken kamen, Lugosi zu fragen. Für eine lächerliche Gage (3000 Dollar, und das war in Zeiten der wirtschaftlichen Depression und Inflation nicht gerade viel Holz) schlug Lugosi, man könnte böswillig „rückgratlos“ sagen, ein und die Dreharbeiten konnten beginnen.
Mittlerweile hatte die Weltwirtschaftskrise aber auch die Universal Studios arg gebeutelt, und anstelle der von Horror-Fan Carl Laemmle jr. vorgesehenen Großproduktion, die sich werkgetreu an Stokers Romanfassung halten sollte, trat aus Kostengründen eine Adaption der amerikanischen Version der britischen Theaterfassung, die noch von einem ganzen Rudel Universal-Autoren inklusive Tod Browning selbst noch um- und neugeschrieben wurde, ehe Garett Fort, der später auch „Frankenstein“ auf Spur brachte, das definitive shooting script verfasste.
Womit wir die durchaus nicht unspannende Vorgeschichte aber auch mal abgehakt sein lassen wollen und zum Film, der für Universal eine Goldgrube war und Bela Lugosi kurzzeitig zum Top-Star machte, an sich kommen. Und da stellen wir schweren Herzens fest: „Dracula“ ist erheblich schlechter gealtert als „Frankenstein“…
Die größte Schwäche des Films ist die, für die er unter den gegebenen Bedingungen gar nicht mal so viel kann – „Dracula“ wirkt über weite Strecken genau nach dem, was es ist – ein abgefilmtes Theaterstück. Man merkt dem Plot seine Bühnenherkunft an. Die Autoren der Theaterfassung standen vor dem Problem, den Roman so abzuändern, dass seine Handlung ohne größeren Aufwand (trotzdem gab’s in mancher zeitgenössischen Theaterfassung wohl mehr Special FX als in diesem Film) auf der Bühne vorgetragen werden konnte. Und das heißt oft und gerne mal „words speak louder than action“. Viel zu oft werden uns potentiell interessante Szenen nur von den Darstellern in der Rückschau erzählt (Draculas erster Besuch bei Mina, Renfields „Versuchung“ durch den Grafen), anstatt dass sie uns tatsächlich in bewegten Bildern gezeigt werden. In der Filmversion begründen sich diese ausführlichen Erzählungen nicht nur aus der Theaterherkunft des Stoffs, sondern auch in Budget- und zensurbedingten Beschränkungen (so durften 1931 z.B. keine Ratten gezeigt werden, weswegen in Draculas Schloss eben keine Ratten, sondern Opossums und – völlig rätselhafterweise – Gürteltiere herumstrolchen).
Die Story selbst entfaltet sich sehr langsam und eigentlich eher spannungsarm – der Zuschauer ist bekanntlich von Anfang an über Draculas wahre Identität als Vampir im Bilde und auch Van Helsing ist gleich nach seinem ersten Auftritt in der Geschichte auf dem richtigen Dampfer, es fehlt an echten Spannungspunkten. Die Charakterisierungen sind recht eindimensional, mit der löblichen Ausnahme Renfields, der auch nach seiner „Übernahme“ durch Dracula der Fraktion der „Guten“ noch wertvolle Hinweise gibt. Eine positive Überraschung ist, dass der obligatorische comic relief (in Form eines Hausmädchens und des Krankenpflegers Martin) stellenweise wirklich dezent witzig ist.
Im Gegensatz zu „Frankenstein“ kann „Dracula“ nicht mit mehr oder weniger subtil eingearbeiter Gesellschafts- und/oder Religionskritik aufwarten. Browning und seine Autoren sind an derlei Eskapaden nicht interessiert, auch wenn sich durch Brownings sonstiges Werk wie ein roter Faden eine gewisse Sympathie für gesellschaftliche Außenseiter und/oder Deformierte zieht (siehe „Freaks“) – die offensichtliche Chance, aus „Dracula“ eine wirklich tragische Figur zu machen, scheint er nicht erkannt zu haben. Auffällig ist nur die recht deutliche „Klassentrennung“, die der Film vornimmt – besonders Frauen aus niedrigeren gesellschaftlichen Schichten scheinen ganz speziell anfällig für Draculas vielfältige Hypnosetricks zu sein – ob Hausmädchen, Platzanweiserin im Theater oder Blumenverkäuferin auf der Straße, bei ihnen hat Dracs leichtes Spiel…
Insgesamt lässt sich zum Drehbuch sagen, dass es keinesfalls herausragend ist und zudem durch einige Schnitte in der Post Production noch geschwächt wurde. Es erfüllt bestenfalls seinen Zweck.
Ohne Tod Brownings Verdienste um den klassischen Horrorfilm herabwürdigen zu wollen (neben Chaney-Hits wie „Phantom der Oper“ und dem 35er-„Mark of the Vampire“ mit Bela inszenierte er 1932 auch den ob seiner jahrzehntelangen Aufführungsverbote legendenumwitterten „Schocker“ „Freaks“) – als Regisseur spielt er in einer anderen Gewichtsklasse als sein „Rivale“ James Whale. Während Whales Weg ihn von der Bühne zum Film führte, war Browning anno 1931 schon ein Veteran aus Stummfilmtagen und einer, der mit den neuen Möglichkeiten, die ihm das Medium „Ton“ eröffnete, nicht wirklich viel anzufangen wusste. Einige Filmhistoriker meinen, dass Browning regelrecht Angst davor hatte, Dialogszenen filmen zu müssen (oder einfach keine Lust darauf hatte. Schauspieler David Manners erinnerte sich später nicht mehr, ob Tod Browning bei seinen Szenen überhaupt am Set war) – Browning klebt am Stummfilmstil (weswegen Universal auch keine besondere Mühe hatte, für die Kinos, die noch nicht mit Tonequipment ausgerüstet waren, eine stumme Version des Films zurechtzuzimmern), was in Verbindung mit dem rein inhaltlichen Problem, der sklavischen Nachahmung eines Bühnenstückes mit ihren demzufolge eher limitierten visuellen Möglichkeiten, dafür sorgt, dass der Film für moderne Sehgewohnheiten sehr ermüdend ist (was „Frankenstein“ z.B., obwohl auch dieser Film auf einer Bühnenadaption beruht, nicht ist. Man muss fairerweise aber sagen, dass „Frankenstein“ grundsätzlich der „visuellere“ Stoff ist, auch wenn „Dracula“ aus literarischer Sicht der bessere Roman sein dürfte). In „Dracula“ wird sehr viel geredet, und da Browning sich, wie geschildert, aus Dialogszenen nicht viel machte, sind die oft sehr langatmig anzusehen – die beteiligten Darsteller stehen halt irgendwo im Set und texten sich gegenseitig zu. Seltsamerweise ist die Kameraarbeit oft erstaunlich uninspiriert – seltsam deswegen, weil mit Karl Freund ein absolutes Genie hinter der Kamera stand, einer der ganz großen Filmexpressionisten, der u.a. Fritz Langs „Metropolis“ fotografiert hatte und 1932 auch „Die Mumie“ mit Boris Karloff abfilmen durfte . Nur selten setzt Freund seine charakteristischen tracking shots ein (wenn sie eingesetzt werden, sind sie gewohnt effektiv), eher öfter als seltener ist’s ein simples point-and-shoot und manchmal sind die Bildkompositionen regelrecht schlampig.
Dem Film fehlt insgesamt eine einheitliche künstlerische Linie – im Gegensatz zu James Whale, der sich für seine Frankenstein-Filme aus den verschiedenen „Filmschulen“ die Rosinen pickte und diese nach Gutdünken zu seiner eigenen Vision zusammenbaute, wirkt „Dracula“ konzeptlos zusammengewürfelt, ein expressionistisch angehauchter Schatten-Shot da, eine stummfilmdramamäßige Einstellung dort, und dann wieder eine Szene, die man einfach von einer Theaterbühne hätte abfilmen können. Eine besonders schlecht gelungene Sequenz ist z.B. diejenige, in der das Wrack des Schiffes, mit dem Dracula und Renfield nach England kommen, vom Hafenmeister und seinen Helfern untersucht wird, was ohne jegliche dramaturgische Begründung (und auch ohne jeden Effekt) aus einer Art statischen subjektiven Kameraperspektive mit lästigen voice-over-Dialogen gefilmt wird; eine völlig missratene Szene, die nur durch eine (improvisierte) Einstellung von Renfield mit irrem Blick gerettet wird. Ab und zu behilft sich Browning ganz offensichtlich damit, einen längeren Dialog durch ein Standbild zu „tarnen“ und sogar zum später von Ed Wood zur Vollendung gebrachten Stilmittel des „Szenen-Recyclings“ (d.h. die selbe Einstellung mehrfach zu nutzen) muss Browning greifen (beinahe schon eine künstlerische Bankrotterklärung). Auch wenn man es sich mit der These, die „guten Sachen“ (wie z.B. die unwirklichen Beleuchtungseffekte für Draculas „Hypnoblick“) wären von Karl Freund und die „schlechten“ von Tod Browning, vermutlich zu einfach macht, schimmert schon durch, dass Regisseur Browning dem Film, vielleicht auch wegen der Nichtmitwirkung seines kongenialen Stars Lon Chaney, mit Unlust und Desinteresse, vielleicht sogar (technischem) Unverständnis wg. der Tonfilmproblematik gegenüberstand.
Strukturell erbt der Film das ein oder andere Problem noch aus dem zugrundeliegenden Roman, z.B., dass die stimmungsvolle Auftaktsequenz in Transsylvanien nicht getoppt werden kann. Im Gegenteil, nachdem sich die Handlung nach England verlagert hat, schlingert der Film haarscharf an der Grenze zur puren Langeweile, die nur aufgrund die eingestreuten Dracula-Auftritte (nicht immer dramaturgisch sinnvoll begründet, aber wenigstens kommt der Titelcharakter so zu Screentime – im Roman findet er über ganze Kapitel hinweg nicht statt) nicht gänzlich überschritten wird. Allerdings ist klar festzuhalten – „Dracula“ ist ein seeeeehr laaaangsaaaameeeer Film, wem also schon die im Vergleich dazu als Tempogranaten zu klassifizierenden „Frankenstein“-Filme zu lahm sind, sollte vor dem Genuss von „Dracula“ eine Monatspackung Ritalin einwerfen.
Womit wir schon beim nächsten Thema wären – „Dracula“ kann man anno 2005 natürlich nicht mehr als „Horrorfilm“ bezeichnen und selbst die aller-aller- zartbesaitetsten Gemüter müssen schon vor Filmstart zitternde Nervenbündel sein, um sich auch nur sanft zu gruseln. Wirklich „scary“ ist an „Dracula“ rein gar nichts mehr (der einzig halbwegs effektive „Schock“, die – selbstverständlich außerhalb des Bildausschnitts stattfindende – Pfählung von „Dracula“, lebt von der akustischen Untermalung, die in Wiederaufführungen nach Einführung des berüchtigten „Production Code“ Mitte der 30er Jahre dann auch deutlich entschärft wurde). Der Streifen drückt sich um echte Tricks und Spezialeffekte (die parallel gedrehte spanischsprachige Version war auch in dieser Hinsicht etwas risikofreudiger). 1931 musste man eben den Schrecken noch nicht bildhaft zeigen, für das Publikum war schockierend genug, dass zum ersten Mal ein großer Film auf eine rationale Erklärung des Gezeigten verzichtete (in der Urfassung des Films sogar mit dem Gag, dass nach Filmende „Van Helsing“ in einem Epilog den Kinozuschauern versicherte, dass „es solche Dinge wirklich gibt“. Dieses kleine Gimmick ist leider verlorengegangen).
Die Ausstattung des Films und die Sets sind aus Budgetgründen eher mittelmäßig – das transsylvanische Grafenschloß und seine Abtei-Ruine in England sind großartig und werden durch Glasmalereien ausgezeichnet vergrößert, der Rest des (in der relativen Gegenwart angesiedelten) Films spielt in nichtssagenden Bessere-Leute-Villen.
Für „Dracula“ wurde keine Filmmusik komponiert (die Produzenten waren damals der Ansicht, Musik, für die es im Filmkontext keine sinnvolle Erklärung gibt, würde das Publikum verwirren). Als Titelthema verwendet der Film Auszüge aus Tschaikowskys „Schwanensee“, im weiteren Filmverlauf werden Franz Schubert und Richard Wagner bemüht.
Zu den Schauspielern: Die Titelrolle (obwohl ohne gezeigte Fangzähne) gehört Bela Lugosi, er ist der Dracula, an dem sich alle anderen messen lassen müssen. Es ist sicherlich speziell unter Klassik-Horror-Fans eine Glaubensfrage, ob man der Lugosi- oder der Christopher-Lee-Fraktion angehört – mit dem, was Bram Stoker sich als Dracula vorstellte, hat weder der eine noch der andere auch nur entfernt etwas zu tun (Stoker stellte sich einen älteren Mann, einen eher abstoßenden Gesellen mit wildem Haarwuchs und üblem Mundgeruch vor; Murnaus „Nosferatu“ ging sogar noch deutlich weiter als Stoker). Lugosi kann sich den Verdienst anrechnen, die Komponente „sexuelle Anziehungskraft“ in den Dracula-Mythos eingebracht zu haben, etwas, was auch frühere Bühnenfassungen, die sich zumeist auf den „älteren Mann“-Aspekt konzentrierten, ignoriert hatten. Es mag aus heutiger Sicht lächerlich wirken, Lugosis im Wortsinne theatralischen Gesten und Posen eine erotische Ausstrahlung zuzubilligen, aber wir reden hier vom Zeitgeist des Jahres 1931, einer Epoche, in der es zwar weibliche „Vamps“ gab, die ihre Sexualität verhältnismässig offen zur Schau stellten, aber * männliche * Erotik, * männlicher * Sex-Appeal, der schlechterdings darauf hinausläuft, gezielt Frauen auf einer sexuellen Ebene anzusprechen, das war anno dazumals noch unerhört und beinahe tabuisiert. So stellen Lugosis Blicke und Gesten eine kleine Revolution dar – hier zeigte sich ein männlicher Charakter mit seinem nur unzureichend unterdrückten sexuellen Verlangen nach einer Frau (oder auch einem Mann, Dracula ist, obwohl er sich prinzipiell an die Weiblichkeit hält, nicht wählerisch… sein Angriff auf Renfield im Prolog war denn auch dem ein oder anderen Produzenten ein Dorn im Auge. Erotik mochte ja gerade eben noch so durchgehen, aber angedeutete Homoerotik dann doch nicht. Zum Glück blieb die Szene in ihrer originalen Version erhalten und wurde nicht wie von den Studio Execs gewünscht, dahingehend entschärft, dass die drei Vampirbräute Renfield vampirisieren). Belas darstellerische Leistung ist eine deutlich seiner Theater-Routine geschuldete – er legt Bühnen-Pathos in die Rolle, macht große Gesten, wo (vom filmischen Standpunkt gesehen) eine kleine genügt hätte, aber es passt in dem Fall einfach, weil es irgendwo auch versinnbildlicht, dass Dracula zwar einigermaßen „unerkannt“ unter Menschen verkehren kann, aber sich durch sein leicht übertriebenes Verhalten selbst in eine Außenseiterposition, eine Position des chronischen Verdachts, manöveriert. Ich würde nicht soweit gehen wollen, dass „Dracula“ Lugosis beste darstellerische Leistung darstellt (es ist zweifellos seine denkwürdigste und karriereprägendste, aber rein schauspielerisch würde ich seinen Ygor aus „Son of Frankenstein“ vielleicht noch etwas höher ansiedeln; aber Bela gab ja sowieso immer alles, auch wenn’s ein fünftklassiger Güllefilm war). Der elf Jahre zuvor in den USA angekommene Ungar beherrschte die Sprache immer noch nicht richtig gut und sprach daher sehr langsam und vermutlich aus seiner Sicht sogar übertrieben deutlich, was seinen memorablen Lines wie „I never drink… wine“ eine zusätzliche suggestive Note verleiht. Lugosi spielte die „Rolle seines Lebens“ übrigens im Film nur noch ein einziges Mal, 1948 im Spoof „Abbott & Costello meet Frankenstein“.
Die Co-Stars sind größtenteils, von ihren Leistungen her gesehen, nicht wirklich der Rede wert. Helen Chandler, deren Hollywoodkarriere wenig später aufgrund unmässigen Alkohol- und Drogenkonsums strandete, gibt die Mina Seward zwar optisch reizvoll, aber unmemorabel – von ihrer Performance bleibt (außer einer etwas nervig tirilierenden Stimme – in der Originalsprachversion) nichts haften. Ähnliches gilt für David Manners, den ich schon in anderen Filmen (z.B. dem großartigen Karloff/Lugosi-Pairing „The Black Cat“) für einen erstaunlich blassen „leading man“ gehalten habe. Obwohl Manners schon einige Filme mit Chandler gedreht hatte, verbindet die beiden kaum greifbare chemistry, wobei man zu seiner Ehrenrettung erwähnen muss, dass das Script John (Jonathan) Harker über weite Strecken zu einer Randfigur relegiert, der außer zu einigen (ihn insgesamt etwas dämlich erscheinen lassenden) Sprüchen des Unglaubens nur noch im Showdown, und auch da nicht wirklich, gebraucht wird. Edward van Sloan gibt den Van Helsing als übertrieben akzentuierenden quintessentiellen Besserwisser (nicht nur hier erkennt man allerdings, wie dicht Mel Brooks in seiner Parodie-Neufassung „Dracula: Tot, aber glücklich“ an der Vorlage geblieben ist). Darstellerisches Glanzlicht im Supporting Cast ist zweifelsohne Dwight Frye („Frankenstein“, „Bride of Frankenstein“) als insektenvertilgender Renfield. Frye, ein vielseitiger Broadway-Schauspieler, der nach seinen Universal-Horrorfilmen unglücklicherweise auf die Nische „bekloppter Schurke“ festgelegt wurde, liefert eine herrliche over-the-top-Vorstellung an, die den Zuschauer ohne weiteres an Klaus Kinskis beste Zeiten erinnert (nicht von ungefähr spielte Kinski den Renfield auch in Jess Francos „Nachts, wenn Dracula erwacht“, ehe er später zweimal selbst den Grafen gab).
Bildqualität: Wieder einmal ist Universal zu loben – der Print (4:3, Windowbox) ist für sein Alter ausgezeichnet. Der s/w-Transfer ist frei von Verunreinigungen oder Defekten, die Schärfed ist nicht überragend, aber mehr als zufriedenstellend, der Kontrast ausgezeichnet. Minimale Laufstreifen und ein leichtes Flimmern fallen am handelsüblichen TV-Gerät nicht sehr ins Gewicht, sondern stören hauptsächlich am feiner auflösenden PC-Bildschirm. Die Kompression arbeitet unauffällig.
Ton: Nicht ganz so begeisternd ist dieses Mal der Ton ausgefallen. Der englische Originaltrack, allein schon wegen Belas einprägsamer Stimme vorzuziehen, plagt sich mit einem recht deutlichen Grundrauschen. Die Dialoge bleiben zwar größtenteils gut verständlich, der Rauschpegel tendiert aber doch dazu, dem Zuschauer mit fortwährender Laufzeit ein wenig auf die Nerven zu gehen. Die deutsche Sprachfassung ist rauschfrei, klingt aber sehr steril. Wie üblich liefert Universal vielfältige Untertitelungen mit.
Extras: Das Bonusmaterial ist nicht von schlechten Eltern. Neben einer Galerie mit Produktionsfotos und einem Trailer findet sich die 35-minütige Dokumentation „The Road to Dracula“, moderiert von Carla Laemmle (Nichte des Universal-Chefs und in „Draculas“ Eröffnungsszene auch im Film zu sehen; sie hat die Ehre, die ersten Dialogzeilen in einem Horror-„talkie“ aufsagen zu dürfen). Unter den interviewten Experten finden sich einmal mehr u.a. Make-up-FX-Guru Rick Baker, Horror-Autor- und Regisseur Clive Barker, dazu die Söhne von Bela Lugosi und Dwight Frye sowie ein Rudel Filmhistoriker. Die Dokumentation berichtet ausführlich und informativ über die Entwicklung des Stoffs von Stokers Roman über die Bühnenfassungen bis hin zum Film und geht auch auf die spanischsprachige Fassung ein. Der Audiokommentar befasst sich größtenteils mit den Unterschieden zwischen den verschiedenen Bühnen- und Drehbuchfassungen. Zu guter Letzt kann man sich den Film auch mit dem 1999 neu komponierten Score des Avantgarde-Komponisten Philip Glass („Koyaanasquatsi“) mit dem Kronos Quartet ansehen.
Fazit: Wenn man sich „Dracula“ heutzutage ansieht, wundert man sich doch ein wenig über den Impact, den der Film 1931 hatte, und über den enormen kommerziellen Erfolg, der Universal dazu anstiftete, sich in den kommenden Jahren verstärkt auf Horrorthemen zu konzentrieren. Der Streifen schlägt eine enorm betuliche Gangart an, ist handwerklich nicht immer auf der Höhe der damaligen Zeit und wirkt summa summarum ziemlich uneinheitlich, als hätten zwei verschiedene Teams gleichzeitig gearbeitet und ihre Resultate dann zusammengewürfelt (was gar nicht mal so abwegig ist). Brownings dem Stummfilm verhafteter Regiestil, Karl Freunds gelegentlich uninspirierte Kameraarbeit, das nicht weltbewegende Spiel der meisten Darsteller – das alles lässt auch aus filmhistorischer Sicht nicht unbedingt große Freude aufkommen. Nachdem sich nahezu alle Kritiker einig sind, dass die parallel in den gleichen Sets mit einem minimalen Budget gedrehte spanische Sprachfassung als Film besser ist, würde man sich wünschen, das dortige Kreativteam hätte auch das Kommando über die US-Fassung gehabt – Bela Lugosi hätte zweifellos einen besseren FILM verdient. Er und Dwight Frye sind aber zweifelsohne die auch heute noch sehenswerten Höhepunkte eines eher mauen Films…
2,5/5
(c) 2006 Dr. Acula